Flexibler Übergang in den Ruhestand

03.08.2016 opener

Potsdam, 3. August 2016

Kommission Gesetzliche Rentenversicherung im Deutschen Sozialgerichtstag

Stellungnahme zur Formulierungshilfe des BMAS zum Entwurf eines Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz)

Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsgesetz hatten die Fraktionen von CDU/CSU und SPD einen Entschließungsantrag auf den Weg gebracht, der weitere Verbesserungen des rechtlichen Rahmens für flexiblere Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand skizziert (Bundestagsdrucksache 18/1507). Eine Arbeitsgruppe der Regierungsfraktionen hat sodann Vorschläge für entsprechende Maßnahmen entwickelt und diese im November 2015 vorgestellt. Daran soll die vorliegende Formulierungshilfe eines FlexirentenG anknüpfen. Dieses soll einerseits das Ziel verfolgen, das flexible Arbeiten bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze bei besserer Gesundheit zu erleichtern und zu fördern, und andererseits im Hinblick auf demografische Erwägungen das Weiterarbeiten sogar über die Regelaltersgrenze hinaus attraktiver zu machen.

Vorgesehen sind im Wesentlichen folgende Punkte:

  • Flexible und individuell mit dem Hinzuverdienst abstimmbare Teil-Kombirente bei vorgezogenen Altersrenten und Erwerbsminderungsrenten
  • Versicherungspflicht von Vollrentnern bis zur Regelaltersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung
  • Rentenerhöhender Hinzuverdienst bei vorgezogenen Altersrenten
  • Frühere und flexiblere Zahlung zusätzlicher Beiträge in die Rentenversicherung zum Ausgleich von Rentenabschlägen
  • Möglichkeit des Erwerbs weiterer rentenerhöhender Entgeltpunkte nach der Regelaltersgrenze durch Verzicht auf die Versicherungsfreiheit
  • Ergänzung der Rentenauskunft
  • Neue Regelungen im Bereich der Prävention und Rehabilitation
  • Befristeter Wegfall des gesonderten Arbeitgeberbeitrags zur Arbeitslosenversicherung für – versicherungsfreie – Beschäftigte nach der Regelaltersgrenze
  • Lückenschluss zur Sicherung der Nahtlosigkeit bei befristeten Erwerbsminderungsrenten

Die Kommission wird sich im Folgenden auf die aus ihrer Sicht wichtigsten Regelungen in der Formulierungshilfe beschränken. Sie begrüßt zunächst ausdrücklich, dass der Gesetzgeber nunmehr den gerade in Anbetracht der Anhebung der Regelaltersgrenzen gesellschafts- und rentenpolitisch zwingenden Handlungs- und Regelungsbedarf bei der Regelung flexibler Übergänge in den Ruhestand erkannt und mit der Formulierungshilfe Verbesserungen in Aussicht stellt, die jedoch nur der Anfang eines umfassenden Projekts nicht nur im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung sein können. Generell sind die mit dem Entwurf verfolgten Anreize zur (längeren) Beschäftigung älterer Menschen sinnvoll für die Versicherten und Rentner, die gesundheitlich in der Lage sind, weiter oder länger zu arbeiten. Schon die demografische Entwicklung bedingt, dass wir in Zukunft länger arbeiten müssen. Für Menschen, die dies aus gesundheitlichen Gründen nicht – auch nicht in Teilzeit - können, fehlen indes konkrete weitergehende Vorschläge für einen flexiblen Übergang; hier bietet auch die Anwendung des Fleximodells bei Erwerbsminderungsrenten keine Lösung.

Die Kommission weist daher ausdrücklich darauf hin, dass gerade für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sind, einen wesentlichen Hinzuverdienst überhaupt zu erzielen, d.h. auch nicht neben einer etwaigen Erwerbsminderungsrente, das Gesetzespaket kaum wesentliche Verbesserungen anbietet. So bleiben etwa die teils hohen Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten, deren Verzicht die Kommission mehrfach gefordert hatte, weiterhin unangetastet. Sie sind systemwidrig und können – anders als bei vorgezogenen Altersrenten – auch nicht durch persönliche Entscheidungen der Versicherten oder „Rückkaufmöglichkeiten“ ausgeglichen werden.

Zu den einzelnen Regelungen:

 

Versicherungspflicht/-freiheit

Artikel 1 (SGB VI) Nummern 2, 3, 16, 19, 21 bis 23, 25, 27, 28, 30

Artikel 6 (Dokumentationspflicht)

Bei Bezug einer Vollrente vor der individuellen Regelaltersgrenze soll im Unterschied zur bisherigen Rechtslage künftig generell Versicherungspflicht bestehen – für abhängig Beschäftigte wie auch für (auf Antrag) pflichtversicherte Selbständige. In der Folge sollen vor der individuellen Regelaltersgrenze auch eine freiwillige Versicherung oder sonstige Beitragszahlungen neben der Vollrente möglich sein. Ebenfalls als Folge der Beitragspflicht vor der Regelaltersgrenze ist ein Verfahren zum Rentensplitting künftig erst möglich, wenn die Regelaltersgrenze erreicht und eine Vollrente rechtskräftig bewilligt bzw. bezogen wird. Beim Übergang bleibt, wer zum Inkrafttreten versicherungsfrei aufgrund einer Vollrente ist, versicherungsfrei, außer sie/er stellt einen Antrag auf Versicherungspflicht.

Ab der Regelaltersgrenze würde der Bezug einer Vollrente weiterhin grundsätzlich zur Versicherungsfreiheit führen. Abweichend könnte der/die Beschäftigte jedoch bei Vollrente jenseits der Regelaltersgrenze gegenüber seinem/ihrem Arbeitgeber oder der/die (auf Antrag) pflichtversicherte Selbständige gegenüber dem Rentenversicherungsträger den Verzicht auf die Versicherungsfreiheit erklären. Die resultierende Versicherungspflicht bliebe für die Dauer dieser Tätigkeit unwiderruflich bestehen. Aus der Versicherungspflicht ergeben sich dann auch weitere Rentenansprüche. Eine freiwillige Versicherung nach der Regelaltersgrenze wäre neben einer Vollrente weiterhin ausgeschlossen.

Die geplante Änderung ist grundsätzlich positiv zu bewerten, bietet sie doch flexible und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten, etwa die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung während des Vollrentenbezugs vor der Regelaltersgrenze auch nur für einzelne Monate eines Kalenderjahres, während in anderen Monaten eine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit erfolgt. So könnte je nach persönlicher Lebenssituation und –planung auch eine individuelle

Kombination mit erzieltem Hinzuverdienst erfolgen. Ein Vollrentner/eine Vollrentnerin ohne versicherungspflichtige Tätigkeit wäre danach der Lage, auch unabhängig vom Erwerbseinkommen freiwillige Beiträge zwischen Mindest- und Höchstbeitrag zu zahlen (sogar bis 31. März für das vorangegangene Kalenderjahr) und zusätzliche erhebliche Rentenansprüche aufzubauen. Wer neben der Vollrente arbeiten geht, hat keine Möglichkeit, Beiträge über das erzielte Entgelt hinaus zu zahlen. Auch für Regelaltersrentner und -rentnerinnen bietet die beabsichtigte Änderung die Möglichkeit, den bisher nicht rentensteigernd wirksamen Arbeitgeberanteil bei einer – bisher versicherungsfreien – Beschäftigung durch entsprechenden Verzicht auf die Versicherungsfreiheit rentenwirksam werden zu lassen. Er/sie kann aber auch – wie bisher – die Option eines höheren Nettoentgelts ohne weitere Rentensteigerung wählen.

 

Änderungen bei Leistungen zur Teilhabe

Artikel 1 Nummern 4 bis 12

Artikel 2 Nummer 1 und 2

Artikel 3

Artikel 5

Leistungen zur Teilhabe sollen künftig als gesetzliche Anspruchsleistungen ausgestaltet werden. Neustrukturierung und Zusammenfassung der Leistungen in einem Titel, Einbeziehung der sonstigen Leistungen (§ 31 SGB VI) als eigenständige Regelungen in den zweiten Titel im zweiten Unterabschnitt des ersten Abschnitts des zweiten Kapitels des SGB VI. Außerdem können Leistungen nun auch erbracht werden, um einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz zu erlangen – bisher nur zur Erhaltung des aktuellen. Neu eingeführt werden soll auch – als Modellvorhaben – eine berufsbezogene Gesundheitsuntersuchung ab vollendetem 45. Lebensjahr, bevorzugt für Beschäftigte in kleineren und mittleren Unternehmen.

Nach Maßgabe des Grundsatzes „Reha vor Rente“ hält die Kommission jede Stärkung der Teilhabeleistungen für außerordentlich wichtig. Die Ausgestaltung als Anspruchsleistung folgt der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit zum Entschließungsermessen („Ob“ der Leistung); die konkrete Ausgestaltung der Leistungen („Wie“) unterliegt wie bisher dem Ermessen der Träger. Hier kommt trotz der Ausgestaltung der Leistungen als Pflichtleistungen somit weiter der Reha-Deckel in § 220 Abs. 1 iVm § 287b Abs. 3 SGB VI zur Anwendung. Eine substantielle Stärkung der Leistungen zur Teilhabe sowie der Selbstverwaltung wäre eine ersatzlose Streichung bzw. substantielle Anhebung dieses Budgetdeckels. Jede erfolgreiche Reha führt zu wesentlichen Minderausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung.

Hervorzuheben ist im Hinblick auf die Stärkung der Erwerbschancen von Erwerbsgeminderten die Möglichkeit, nunmehr Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch in Bezug auf einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz zu erhalten. Inwieweit hierbei die Erwerbsmöglichkeiten Erwerbsgeminderter tatsächlich gestärkt werden, gerade auch im Hinblick auf die Neuregelungen der Hinzuverdienste bei Teilrenten wegen Erwerbsminderung, bleibt indes abzuwarten.

 

Neugestaltung der Teilrenten und des Hinzuverdienstes (Flexirente)

Artikel 1 Nummer 13 bis 15, 17, 18, 26, 31 bis 35

Artikel 2 Nummer 3 bis 5

Bisher gibt es die Möglichkeit, neben einer vollen Altersrente auch Teilrenten als Anteil von zwei Dritteln, der Hälfte und einem Drittel der vollen Rente zu beziehen. Je kleiner der Anteil ist, desto höher ist die Hinzuverdienstgrenze. Dabei ist das Einkommen neben der Rente zwischen Null und der individuellen Hinzuverdienstgrenze frei und flexibel wählbar. Sollte der Hinzuverdienst die zulässige Grenze (zulässig ist in zwei Monate eines Kalenderjahres jeweils das Doppelte des eigentlichen Hinzuverdienstes) jedoch überschreiten, wird die

nächst niedrigere Teilrente gewährt, bei der die Hinzuverdienstgrenze eingehalten wäre – ggfs entfällt die Rente ganz. Die Höhe des Hinzuverdienstes neben den Teilrenten orientiert sich dabei am Entgelt, das in den drei Jahren vor Rentenbeginn bezogen wurde. Je höher der Lohn vor der Rente war, desto höher sind die Hinzuverdienstgrenzen zu den Teilrenten; dabei gibt es Mindesthinzuverdienstgrenzen, für jene die kein oder nur ein sehr niedriges Einkommen vor der Rente hatten. In der Summe liegt das Brutto- und auch Nettoeinkommen aus Rente und Lohn regelmäßig unterhalb des vorherigen vollen Lohns. Neben einer Vollrente darf einheitlich immer bis zu 450,- € im Monat hinzuverdient werden.

Die Einhaltung der Hinzuverdienstgrenzen wird bisher monatsweise betrachtet. Dabei darf der Hinzuverdienst pro Kalenderjahr in maximal zwei Kalendermonaten bis zum doppelten der eigentlichen Hinzuverdienstgrenze betragen. Damit soll insbesondere sichergestellt werden, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht zum unzulässigen Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen führen.

Der Gesetzentwurf sieht eine grundlegende Neugestaltung der Teilrenten sowie der Hinzuverdienstregeln in § 34 SGB VI vor. Die Neuregelung hebt darauf ab, dass der Hinzuverdienst kalenderjährlich geprüft wird (bisher monatsweise). Erlaubt neben einer Vollrente wären demnach 6300,- € (regelmäßiges monatliches Einkommen von 525,- €), unabhängig davon, in wie vielen Monaten des Kalenderjahres dieses Einkommen erzielt wird (der Betrag setzt sich aus den bisherigen 450,- € monatlich zzgl 2 x 450,- € für das bisherige zweimalige Überschreiten kalenderjährlich um das Doppelte zusammen). Von dem über die 6.300,- € hinausgehenden Jahreseinkommen würden 40 Prozent zu jeweils einem Zwölftel auf die Monatsrente angerechnet.

Liegt das Gesamteinkommen aus Rente und Lohn brutto über dem Hinzuverdienstdeckel, wird der übersteigende Betrag voll auf die Rente angerechnet, möglich auch bis zum vollständigen Wegfall der Rente. Damit soll erreicht werden, dass die Versicherten grundsätzlich nur ein Gesamteinkommen aus Rente und Hinzuverdienst bis zur Höhe des früheren Einkommens erzielen können. Der Hinzuverdienstdeckel entspricht der Bezugsgröße (Durchschnittsentgelt des vorvergangenen Kalenderjahres) multipliziert mit der

Anzahl an Entgeltpunkten im Jahr mit den meisten Entgeltpunkten in den letzten 15 Jahren vor Rentenbeginn, beträgt mindestens jedoch ein Zwölftel von 6.300,- € zzgl des Monatsbetrages der Vollrente.

Das Verwaltungsverfahren ist dabei zweistufig ausgestaltet. Zunächst ist eine kalenderübergreifende Prognose bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres anzustellen, die dann jeweils zum 1. Juli des Folgejahres für das abgelaufene Kalenderjahr rückwirkend überprüft werden soll. Die neue Prognose erfolgt dann jeweils zum 1. Juli für den Folgezeitraum. Bei der „Abrechnung“ sieht der neue Abs. 3f des § 34 SGB VI ohne Anhörung des Betroffenen und ohne Anwendung der Aufhebungsvorschriften in den §§ 44 ff SGB X eine Aufhebungsmöglichkeit mit Wirkung von dem Zeitpunkt vor, ab dem sich die andere Rentenhöhe ergibt. Ferner regelt die Formulierungshilfe in § 34 Abs. 3g SGB VI eine Einbehaltung von Erstattungsbeträgen bis zu 200,- € von der laufenden Rente bis zu deren Hälfte, wenn das – jederzeit widerrufliche - Einverständnis dazu vorliegt.

Die Neu-Regelung des Hinzuverdienstrechts wird analog auf die Erwerbsminderungsrenten und die Landwirtschaftliche Alterskasse übertragen.

Die Kommission sieht nun erstmals, dass die im Ergebnis jedenfalls wünschenswerte Flexibilisierung der Teilrente – nach letztlich fruchtlosen Plänen einer Kombi-Rente in der letzten Legislaturperiode – vom Gesetzgeber konkret in Angriff genommen werden könnte. Für einen gleitenden Übergang vor der Regelaltersgrenze bietet die Regelung gute Ansätze, wobei aufgrund des in der Zukunft – ausgehend von der geltenden Rechtslage - weiter sinkenden Rentenniveaus damit naturgemäß allein schon aufgrund wirtschaftlicher Zwänge die Erwerbsarbeit älterer Menschen zunehmen wird. Tatsächlich hat der Anteil der über 60-jährigen Erwerbstätigen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Auch die demografische Entwicklung wird zwangsläufig die stärkere Erwerbsbeteiligung Älterer zur Folge haben, um das gesetzliche Rentensystem, das gerade in der Kapitalmarktkrise und in Zeiten der Nullzinspolitik seine Stärke beweist, insgesamt funktionsfähig zu halten.

Soweit mit dem Teilrentenbezug auch der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach drei Monaten ruht (§ 156 Abs. 1 Nr. 4 iVm Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a SGB III), sollte

sichergestellt sein, dass bei einem Verlust des Teilzeitarbeitsplatzes der Anspruch auf Arbeitslosengeld erst mit dem frühestmöglichen Beginn des Vollrentenbezuges endet. Eine entsprechende Ergänzung in § 156 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a SGB III wird angeregt. Hier könnte sich ansonsten eine ähnliche Sicherungslücke wie bei den befristeten Erwerbsminderungsrenten auftun (dazu unten).

Haupteinwand der Kommission: Die vorgesehene Regelung ist von ihrer praktischen Umsetzung her äußerst kompliziert und wird einen immensen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen. Sie wird auch häufiger zu rückwirkenden Neuberechnungen und auch Rückforderungen als die geltenden Vorschriften führen, was dem letztlich stufenlosen Flexi-Modell immanent ist. Auch unterschiedliche Zugangsfaktoren abhängig von der Zahl der in Anspruch genommenen bzw. hinzutretenden Entgeltpunkte (vgl. dazu die beabsichtigte Regelung in § 66 SGB VI) dürften die Rentenberechnung weiter komplizieren. Weitergehende Folgen bei rückwirkendem Wechsel zwischen Teil- bzw. Vollrente sind zu beachten. Die beabsichtigten Regelungen werden prognostisch schon aus diesem Grunde für die Versicherten schwerer nachvollziehbar und damit streitanfälliger sein und zu mehr Rechtsstreitigkeiten – gerade bei Rückforderungsfällen – führen. Der Entwurf sieht unter Berücksichtigung der „Vorbehalts“-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 9. Oktober 2012 (- B 5 R 8/12 R -) zwar die erleichterte Aufhebbarkeit ohne Bindung an die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 44 ff SGB X vor; es bleibt indes abzuwarten, ob die Rechtsprechung der Sozialgerichte diese erleichterte Aufhebungsmöglichkeit auch für die Vergangenheit in dem erstrebten Umfang goutieren wird. Generell wäre aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung auch zu diskutieren, dass auf die Rückforderung von Bagatellbeträgen verzichtet wird (50,- €?) – in der Begründung zu § 34 Abs. 3f SGB VI ist hiervon die Rede, ohne dass ein bezifferter Betrag genannt wird, der auch im Gesetzestext selbst normiert werden sollte - oder ein Verzicht dann in Betracht zu ziehen wäre, wenn ein Hinzuverdienst aktuell gar nicht mehr erzielt wird. Dass der Hinzuverdienst nunmehr faktisch zweimal geprüft werden soll, dürfte den Betroffenen kaum als „Vereinfachung“ zu vermitteln sein.

In § 34 Abs. 3g SGB VI in Satz 1 ist nach Auffassung der Kommission noch anzufügen: “… und wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er

dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Zweiten Buch wird“. Dies entspricht der vergleichbaren Regelung in § 51 Abs. 2 SGB I.

In der Neufassung des § 34 Abs. 3b SGB VI und in § 96a Abs. 1c SGB VI fehlen gegenüber dem geltenden Recht (§ 34 Abs. 2 Satz 2, § 96a Abs.1 Satz 2) nach „Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen“ die Worte „aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit“. Damit soll ausweislich der Begründung im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG zu den geltenden Gesetzesfassungen (vgl Urteil vom 10. Juli 2012 – B 13 R 85/11 R -) nunmehr wohl allein maßgebend sein, ob das Einkommen unabhängig davon, ob es aus einer (noch bestehenden) Beschäftigung während oder aus einer bereits beendeten Beschäftigung vor dem Rentenbezug herrührt, nach Rentenbeginn zufließt. Die vom BSG herangezogene Problematik besteht natürlich nach wie vor. Denn das BSG hat nicht nur mit dem Wortlaut der Vorschriften argumentiert, sondern auch mit allgemeinen Rechtserwägungen zur Hinzuverdienstgrenze und zur Lohnersatzfunktion der Rente. Wünschenswert wäre daher, dass entsprechend der geltenden Rechtslage die Worte „aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit“ eingefügt werden. Sollte der Gesetzgeber explizit allein auf das Zuflussprinzip abstellen wollen, ist im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit in § 34 Abs. 3b Satz 1 bzw § 96a Abs. 1c Satz 1 SGB VI statt „zu berücksichtigen.“ zu formulieren: „zu berücksichtigen, das nach Beginn der Rente zufließt.“

 

Nahtloser Arbeitslosengeldbezug bei befristeten Erwerbsminderungsrenten

Artikel 1 Nummer 19

Nach geltender Rechtslage (§101 Abs.1 SGB VI) werden befristete Renten wegen Erwerbsminderung erst ab dem 7. Kalendermonat nach Eintritt des Leistungsfalls (Erwerbsminderung) gezahlt. Das Arbeitslosengeld (Alg) endet indes bei einer Leistungsminderung unter drei Stunden täglich mangels Verfügbarkeit bereits mit dem Folgetag des Leistungsfalls. Bei befristeten Renten wegen voller

Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen soll diese Lücke dahingehend geschlossen werden, dass die befristete volle Erwerbsminderungsrente bereits am Tag nach Ende des Arbeitslosengelds beziehungsweise nach Auslaufen des Krankengelds bzw. Krankentagegelds beginnt.

Die beabsichtigte Regelung ist zur Schließung der „Sicherungslücke“ unbedingt zu begrüßen. Bei Versicherten, deren Leistungsvermögen auf drei bis unter sechs Stunden täglich gesunken ist (= teilweise Erwerbsminderung), besteht weiterhin Anspruch auf Arbeitslosengeld, da ein Restleistungsvermögen von wenigstens 15 Stunden pro Woche (3 Stunden am Tag) besteht und somit grundsätzlich eine Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt gegeben ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bei teilweiser Erwerbsminderung erhalten diese Versicherten, sofern sie keinen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz tatsächlich innehaben, - befristete - Rente wegen voller Erwerbsminderung wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes. Versicherte mit entsprechendem Teilzeitarbeitsplatz und Wahrscheinlichkeit einer gesundheitlichen Besserung erhalten befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wobei dieser Personenkreis überschaubar sein dürfte. In beiden Fällen kann es dazu kommen, dass für den Zeitraum, in dem Rente noch nicht gezahlt wird, gemäß § 151 Abs. 5 SGB III das Arbeitslosengeld unter Umständen entsprechend dem Restleistungsvermögen gekürzt wird. Hier würde das Arbeitslosengeld also nur teilweise weiter gezahlt, die teilweise bzw. volle Erwerbsminderungsrente (wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes) würde jedoch erst ab dem siebten Kalendermonat beginnen.

Um auch diese „Sicherungslücke“ abzuwenden, schlägt die Kommission eine Ergänzung in einem Abs. 1b in § 101 SGB VI vor. Sie sollte regeln, dass bei befristeten Renten wegen voller Erwerbsminderung, die nur wegen der jeweiligen Arbeitsmarktlage gewährt werden, und bei befristeten Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung für den Zeitraum der Nichtzahlung der Rente § 151 Abs. 5 SGB III keine Anwendung findet.

 

Rückkauf von Abschlägen bei (abschlagsbehaftetem) vorzeitigem Rentenbezug

Artikel 1 Nummern 20 und 24

Artikel 4 Nummer 2

Zukünftig soll der Rückkauf von Abschlägen regelmäßig ab dem 50. Lebensjahr möglich sein, da nun gemäß § 187a Abs. 1a SGB VI (neu eingefügt) ab dem 50. Lebensjahr stets ein „berechtigtes Interesse“ im Sinne des § 109 Abs. 1 Satz 3 SGB VI vorliegt. Unverändert bliebe die Notwendigkeit, das „berechtigte Interesse“ nachzuweisen, wenn vor dem 50. Lebensjahr ein Rückkauf angestrebt würde. Ferner sollen künftig nicht mehr beliebig viel Teilzahlungen, sondern lediglich zwei pro Kalenderjahr zulässig sein.

Die Regelung fristet bislang ein „Schattendasein“, könnte aber im Hinblick auf die anhaltende Niedrig- bzw. Nullverzinsung am Kapitalmarkt und die im Vergleich dazu deutlich höheren Renditeerwartungen in der gesetzlichen Rentenversicherung bei entsprechender Information durch die Träger durchaus attraktiv erscheinen. Allerdings stellt sich sozialpolitisch durchaus die Frage, ob die mit dem Gesetzentwurf nun vorrangig verfolgten Anreize für die Beschäftigung älterer Menschen, um „sie möglichst lange im Erwerbsleben zu halten“ – so der Entwurf bereits ganz zu Anfang – durch die stärkere Propagierung von Rückkaufmöglichkeiten und die damit einhergehende stärkere Inanspruchnahme vorzeitiger Altersrenten letztlich nicht wieder geschwächt werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu diskutieren, ob in Bezug auf die Generationengerechtigkeit derartige Rückkaufmöglichkeiten zu weiteren Belastungen jüngerer Menschen führen, die als künftige Beitragszahler diese Renten zu bezahlen haben. Zudem ist die fiktive Hochrechnung auf einen künftigen Rentenbeginn naturgemäß mit vielen Unsicherheiten behaftet.

Zu den beabsichtigten Änderungen im SGB III, die keinen engeren Bezug zur Rentenversicherung aufweisen, wird hier nicht Stellung genommen.

 

Jürgen Mälicke

Vorsitzender der Kommission „Gesetzliche Rentenversicherung“ im Deutschen Sozialgerichtstag

Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg

Autor: Jürgen Mälicke

Anlass: Formulierungshilfe des BMAS zum Entwurf eines Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz)

Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsgesetz wurden per Entschließungsantrag von CDU/CSU und SPD weitere Verbesserungen des rechtlichen Rahmens für flexiblere Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand skizziert (Bundestagsdrucksache 18/1507). Eine Arbeitsgruppe der Regierungsfraktionen hat sodann Vorschläge für entsprechende Maßnahmen entwickelt. Daran soll die vorliegende Formulierungshilfe eines FlexirentenG anknüpfen, zu der der DSGT hier Stellung nimmt.

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Schlagwörter: Flexirente, Hinzuverdienst, Versicherungspflicht, Leistungen zur Teilhabe