6. DSGT: Schwerpunkte der SGB V Kommissionsarbeit

04.01.2017 opener

Die Kommission SGB V tagte dieses Jahr zu einem durchaus sperrigen Thema: Scheinselbstständigkeit im Gesundheits- und Sozialwesen. Im Vorfeld und auch am Rande der Kommissionssitzung selbst wurde diskutiert, wieso das gewählte Thema überhaupt eines der Kommission Krankenversicherung sei. Zwei Gründe der Rechtfertigung: Zum einen sind es die Krankenkassen als Einzugsstellen, die – neben den Rentenversicherungsträgern – maßgeblich über Fragen der Versicherungspflicht zu entscheiden haben. Zum anderen: Ein Gesundheitswesen, das Gesundheit für das höchste Gut hält, verlangt bestmögliche medizinische Versorgung zu bezahlbaren Preisen. Es löst dadurch einen ökonomischen Druck aus, der zur Suche nach neuen, möglichst sozialversicherungsfreien Kooperationsformen führt.          

Was ist "Scheinselbstständigkeit"?

Richter am Bundessozialgericht Dr. Christian Mecke übernahm es, die provokante Frage nach der Scheinselbstständigkeit anhand der typusbildenden Merkmale für abhängige Beschäftigung einerseits und selbstständige Tätigkeit andererseits zu strukturieren, so wie sie von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Jahrzehnten mühevoller Kleinarbeit entwickelt, namentlich in den letzten Jahren aber noch einmal richtungsweisend konkretisiert worden sind. Danach sprechen für eine abhängige Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV die weisungsgebundene Arbeit, eingegliedert in die betriebliche Organisation des Weisungsgebers, während typische Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit vor allem das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte und die Übernahme eines unternehmertypischen Risikos sind.

Dr. Mecke unterstrich, dass ausschlaggebend für die Abgrenzung nicht in erster Linie der Wille der Vertragsparteien ist, eine abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit zu begründen, sondern die Gestaltung aller für das Vertragsverhältnis maßgebenden Umstände. Das gilt – und dies war die erste tröstliche Botschaft des Nachmittags – ebenso für die Bereiche des Gesundheitswesens und der sozialen Arbeit wie für jeden anderen Wirtschaftszweig, auch eingedenk der Erkenntnis, dass Auftragsverhältnisse in diesen Bereichen durch charakteristische Gemeinsamkeiten geprägt sind, nämlich einen stark regulierten Rahmen, wiederholt befristete Tätigkeiten, ein hohes Maß an Eigenverantwortung des Leistungserbringers gegenüber einem relativ geringen Unternehmerrisiko.

Konkretisierung am Beispiel des Honorararztes

Rechtsanwalt Dr. Sören Langner konkretisierte diese Grundsätze sodann am Beispiel des Honorararztes. Er hielt den Einsatz von Honorarärzten im Krankenhaus sowohl in abhängiger Beschäftigung als auch in selbstständiger Tätigkeit für möglich und rechtlich zulässig – auch dann, wenn der Honorararzt nicht über eine eigene Niederlassung verfüge. Gesetzliche Vorschriften seien für die Statusbeurteilung nur dann von Bedeutung, wenn sie einen bestimmten Status verlangten, wie etwa § 17 Abs. 3 Krankenhausentgeltgesetz den Status des angestellten oder beamteten Arztes für wahlärztliche Leistungen. Weder die Vorgabe des äußeren Rahmens der Tätigkeit durch den Krankenhausträger noch die fehlende eigene Betriebsstätte oder die Nutzung der Betriebsmittel des Krankenhauses seien für die Abgrenzung entscheidend. Insbesondere Letzteres liege beim Einsatz von Honorarärzten in Krankenhäusern vielmehr in der Natur der Sache.

Das blieb im diskussionsfreudigen Plenum nicht ohne Widerspruch. Vor allem dann, wenn die Leistung eines Honorararztes gleichsam als Ersatz für einen sonst abhängig beschäftigten Arzt erfolge, spreche dies maßgeblich für eine abhängige Beschäftigung des Honorararztes. Dr. Langner äußerte sich abschließend zu alternativen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, nämlich der Arbeitnehmerüberlassung (rechtlich sicher, aber vor allem aus steuerlichen Gründen ungeliebt) und der Zwischenschaltung juristischer Personen, die er für eher ungeeignet hielt, das Statusproblem per se zu lösen.

Die "freiberufliche Pflegekraft"?

Aus dem Postulat, es gebe das Berufsbild der freiberuflichen Pflegekraft, leitete anschließend Prof. Dr. Ekkehard Hofmann, Universität Trier, die Forderung ab, es müsse kraft der grundrechtlich geschützten Berufswahlfreiheit das Recht geben, auch in der stationären Pflege als Pflegekraft weisungsunabhängig und infolgedessen sozialversicherungsfrei zu arbeiten. Es wird nicht verwundern, dass diese These ebenfalls nicht unwidersprochen blieb:

Zum einen sei auch eingedenk der jüngsten Rechtsprechung zur Rentenversicherungspflicht von Syndikusanwälten keineswegs geklärt, inwieweit die Annahme von Sozialversicherungspflicht in einem bestimmten Vertragsverhältnis überhaupt das Grundrecht der Berufsfreiheit und nicht „nur“ die allgemeine Handlungsfreiheit berühre. Zum anderen böten sich in der ambulanten Pflege durchaus Betätigungsmöglichkeiten auch für freiberufliche Pflegekräfte. Vollzögen diese jedoch den Schritt in die stationäre Pflege, so würden sie zur Erfüllung fremder Verbindlichkeiten, nämlich der Pflegeeinrichtung gegenüber ihren Patienten, in einem von diesen Einrichtungen vorgegebenen organisatorischen Rahmen tätig. Das könne einen für die Statusbeurteilung relevanten Unterschied darstellen.

Selbstständigkeit in der Jugendhilfe und der sozialen Arbeit

Mit diesen Überlegungen war das Feld bereitet für den abschließenden Vortrag von Dr. Anne Klüser, Katholische Hochschule NRW, Köln, die zunächst aus sozialwissenschaftlicher Sicht die unterschiedlichen Phänomene von Selbstständigkeit in der Jugendhilfe und der sozialen Arbeit beleuchtete. Dabei sei eine zunehmende Tendenz nach Flexibilität der Formen zu beobachten, in denen soziale Arbeit geleistet werde. Frau Klüser unterschied insoweit zwischen innerer und äußerer Flexibilität.

Die innere Flexibilität, geprägt durch ein hohes Maß an Eigenverantwortung gegenüber den Klienten, verbunden mit starken Elementen der Selbstkontrolle, sei seit jeher prägend für die soziale Arbeit auch in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen und insofern für die Statusbeurteilung kein ausschlaggebendes Kriterium. Demgegenüber sei die äußere Flexibilisierung immer stärker geprägt durch lediglich befristete Arbeitsverträge oder Teilzeitangebote.

Der Wunsch, die für ein langfristiges Agieren erforderlichen stabilen Rahmenbedingungen zu schaffen bzw. zu erhalten, habe viele Sozialarbeiter zu der Entscheidung gebracht, eine selbstständige Existenz zu führen. Während dabei Angestellte von Trägern der freien Jugendhilfe, von Einrichtungen oder Diensten im Sinne des Sozialhilferechtes auch der Fachaufsicht ihrer Arbeitgeber unterlägen, sei die Frage der Kontrolle freiberuflicher Kräfte vielfach noch ungeklärt. Namentlich dann, wenn diese auf (vermeintlich) freiberuflicher Basis für freie Träger tätig würden, stelle sich im Einzelfall die Frage nach der Scheinselbstständigkeit. In jedem Fall seien die sozialen Sicherungssysteme gefordert, Antworten auf die Herausforderungen zu finden, die sich durch den zunehmenden Wechsel von abhängigen Beschäftigungen in selbstständige Tätigkeiten und zurück bzw. das Nebeneinander beider Erscheinungsformen stellten.

Fazit

Gerade dieser letzte Vortrag verdeutlichte: Die Hoffnung bzw. Heilserwartung auf einfache und eindeutige Antworten zur Statusbeurteilung im Gesundheitswesen und der sozialen Arbeit bleibt jedenfalls vorerst unerfüllt. Gefragt ist vielmehr der präzise Blick auf die jeweiligen Vereinbarungen und ihre tatsächliche Handhabung, gestützt auf die hierfür von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätze.

Autor: Bericht des Covorsitzenden VRLSG Dr. Ulrich Freudenberg

Anlass: Bundestagung des Deutschen Sozialgerichtstages e.V.

"Scheinselbstständigkeit im Gesundheits- und Sozialwesen" - warum ein Thema der Kommission Krankenversicherung? Zum einen sind es die Krankenkassen als Einzugsstellen, die – neben den Rentenversicherungsträgern – maßgeblich über Fragen der Versicherungspflicht zu entscheiden haben. Zum anderen löst die Forderung nach bestmöglicher medizinische Versorgung zu bezahlbaren Preisen einen ökonomischen Druck aus, der zur Suche nach neuen, möglichst sozialversicherungsfreien Kooperationsformen führt.

Rubrik:

Schlagwörter: Scheinselbständigkeit, Weisungsgebundenheit, Honorararzt, freiberufliche Pflegekraft, Jugendhilfe