6. DSGT: Schwerpunkte der SGB VI Kommissionsarbeit

04.01.2017 opener

Das Thema der diesjährigen, mit 34 Fachteilnehmerinnen und –teilnehmern gut besuchten Kommissionstagung hat sowohl an das Leitmotiv des 6. DSGT als auch die aktuellen Gesetzgebungsverfahren angeknüpft, indem es sich mit Fragen der Erwerbsminderung durch psychosomatische Erkrankungen befasst hat, die essentiell nicht nur für die Gewährung entsprechender Rentenleistungen, sondern gerade auch für Leistungen der Teilhabe sind. Dabei hat die Kommission, wie es dem Thema angemessen ist, neben den medizinischen und rentenrechtlichen Fragen auch über den „Tellerrand“ hinausgeschaut und sich mit den damit verbundenen Herausforderungen für die betriebliche Personalpolitik befasst. Schließlich waren auch die aktuellen Gesetzgebungsvorhaben, namentlich das Bundesteilhabegesetz und das Flexirentengesetz, Gegenstand der Vorträge hochkarätiger Referentinnen und Referenten als auch der engagierten Diskussionen innerhalb der Kommission, die damit ihre fachübergreifende Kompetenz einmal mehr unter Beweis gestellt hat.                      

Ärztliche Begutachtung von psychosomatischen Erkrankungen und Schmerzerkrankungen im Erwerbsminderungsrentenverfahren

Zunächst hat Dr. Jan-Peter Jansen, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin vom Institut für Sozialmedizinische Begutachtung und Fortbildung Berlin, in unterhaltsamer Weise über die Begutachtung von psychosomatischen Erkrankungen und Schmerzerkrankungen im Erwerbsminderungsrentenverfahren referiert, ein Problemkreis, der für alle damit befassten Stellen der Verwaltung wie auch für Prozessvertreter und Tatsachenrichter der Sozialgerichtsbarkeit vielfältige Fragen aufwirft und in seiner Bedeutung immer mehr zunimmt.

An den Anfang stellte er zwei Thesen: Bei rund 380 Mrd. € Ausgaben im Gesundheitssystem werden Patienten immer häufiger nur noch als Teil der Wertschöpfungskette betrachtet. Die Begutachtung von Klägerinnen und Klägern auf schmerzmedizinischem Gebiet hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen.

Dr. Jansen hat hierzu plastisch dargelegt, dass diese oftmals über den Rentenanspruch entscheidende Begutachtung aufgrund der „Leitlinie zur Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen“ erfolgen solle, an deren Entwicklung die wichtigsten Fachgesellschaften mitgewirkt hätten. Konkret erhielten seine Probanden etwa zwei Wochen vor dem Begutachtungstermin einen Link zu einer validierten Fragebogensuite namens „painDETECT“, die zur Messung bei chronischen Schmerzpatienten in verschiedenen Ebenen und Dimensionen entwickelt und in allen Qualitäten validiert worden sei. Bei der Untersuchung selbst würden die dabei erfassten Werte mit den Ergebnissen der Exploration, Anamnese und Untersuchung zusammengeführt. Der Untersucher könne dabei aufgrund seiner beruflichen Erfahrung und Expertise Unstimmigkeiten, aber auch die Konsistenz der gemachten Angaben feststellen.

Die Begutachtung erfolge insbesondere unter Berücksichtigung der psychosozialen Komponenten, die sich bei chronischen Schmerzpatienten auf typische Art und Weise veränderten. Beim Vorliegen eines chronischen Schmerzsyndroms komme es immer auch zu einer Persönlichkeitsveränderung, die auch im ICD-10 kodiert werde. Eine körperliche Untersuchung komplettiere den Untersuchungsgang. Der Referent hat auch auf das Problemfeld „nicht-organischer Rückenschmerzen“ hingewiesen. Häufig korrelierten ein bildgebender Befund und die angegebenen Schmerzen nicht miteinander. Entweder müsste der Proband nach dem Bild starke Schmerzen haben oder diese lassen sich in den Bildern nicht nachweisen.

Diskusion über die neue Version des DSM

Diskutiert wurde abschließend die seit 2013 vorliegende neue Version des DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), im der es keine „Somatoforme Schmerzstörung“ mehr gebe, vielmehr die Trennung von Körper und Seele diesbezüglich aufgehoben worden sei. Der Begriff „somatic symptom disorder“ ersetze die bisherige Bezeichnung. Dies sei auch bei der Begutachtung zu beachten. Dr. Jansen hat abschließend das Fibromyalgie-Syndrom als eine Erkrankung beleuchtet, die bei schweren Verläufen auch eine Aufhebung des Leistungsvermögens zur Folge haben könne, und entsprechende Testverfahren erläutert. Aus der Diskussion ergab sich die Feststellung, dass Richter und Gutachter mehr gemeinsame Gespräche führen müssten und sich Gutachter mehr Feedback zu ihren Gutachten wünschen.

Die Bedeutung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen bei Erwerbsminderungsrenten

Als zweiter Referent hat Dr. UIrich Eggens, Leitender Arzt der Abteilung Rehabilitation und Gesundheitsförderung bei der DRV Berlin/Brandenburg, die Zunahme psychischer Erkrankungen in der Reha und Frühberentung anhand von Statistiken dargestellt. Dazu werde kontrovers diskutiert, ob die Zunahme auf reale Anstiege durch vermehrte Stressoren aus Gesellschaft und Arbeitswelt oder scheinbare Anstiege wie diagnostische Änderungen, höhere Akzeptanz (Awareness) oder Demographie zurückzuführen sei.

Anschließend zeigte er anhand weiterer Schaubilder und Statistiken die Dauer, den Verlauf und die Kosten dieser Erkrankungen auf. Deutlich war zu erkennen: je länger die Arbeitsunfähigkeit dauert, desto seltener kommt es zu einer Rückkehr in die Erwerbstätigkeit. Nur bei rund 6 % der Fälle geschehe dies. Danach stellte er das Positionspapier der DRV zur Bedeutung psychischer Erkrankungen in der Rehabilitation und bei Erwerbsminderung und die BERATER-Studie (Befristete Erwerbsminderungsrente und Rückkehr in das Erwerbsleben – Themen und Erwartungen von ErwerbsminderungsrentnerInnen) vor. In diesem Zusammenhang wurden auch die Begrifflichkeiten der Rehabilitation klarstellend erläutert.

Zum Schluss postulierte er Handlungsbedarf bei den Beteiligten: In der GKV in Bezug auf frühe Diagnostik und leitliniengerechte Behandlung sowie frühzeitige Feststellung eines ggf. bestehenden Reha-Bedarfs, in der GRV in Bezug auf Schaffung weiterer Präventionsangebote in der Fläche und eine stärkere Einbeziehung der Hausärzte in den Reha-Prozess, bei den Arbeitgebern in Bezug auf eine Gefährdungsanalyse psychischer Belastungen sowie für die Gesellschaft in Bezug auf die Stärkung des Salutogeneseprinzips und Stärkung der Resilienz. Aufgrund der Diskussion wurde die These aufgestellt, dass eine trägerübergreifende Rehabilitation vor einem Rentenbezug die Inklusion fördere.

Herausforderungen psychosomatischer Belastungen für die betriebliche Personalpolitik

Psychosomatische Belastungen und daraus resultierende Erkrankungen bedingen Handlungsbedarf bereits auf der Ebene betrieblicher Personalpolitik, um schon dort die Grundlagen für ein gesundes Arbeiten während des gesamten Berufslebens zu schaffen bzw. zu gewährleisten. Frau Prof. Dr. Ursula Engelen-Kefer, Mitglied im Bundesvorstand des SoVD, illustrierte diese These eindringlich am Beispiel der Pflegeberufe. Insbesondere hier seien im Wege des betrieblichen Gesundheitsmanagements die Belastungen aus Schichtarbeit, dem Verlust sozialer Kontakte, der geringen Entlohnung, teilweise fehlender Wertschätzung und Eingrenzung der persönlichen Ausführung der Tätigkeit sowie Angst vor Fehlern durch menschlichere Arbeitsbedingungen auszugleichen.

In der sich anschließenden lebhaften Diskussion forderte Prof. Dr. Engelen-Kefer humanere und gesündere Arbeitsplätze. Aus dem Teilnehmerkreis wurde vorgeschlagen, die Minijobs zu verringern, die Gehälter zu erhöhen und den Schutz der Beschäftigten aus dem Arbeitsschutzrecht stärker zu überwachen.

Die Auswirkungen aktueller Gesetzgebung aus Sicht der gesetzlichen Rentenversicherung

Schließlich hat Frau Gundula Roßbach, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund, den Teilnehmern in prägnanter Weise die Sicht der gesetzlichen Rentenversicherung auf die aktuellen, z.T. vom Bundestag bereits beschlossenen Gesetzesänderungen dargelegt und deren Folgen für die Rentenversicherung aufgezeigt. Zunächst wurden die Regelungen des Flexirentengesetzes vorgestellt.

Zentrale Punkte dieses Gesetzes seien Regelungen für arbeitende Altersvollrentner vor Regelaltersgrenze, das neue Hinzuverdienstrecht sowie Änderungen im Bereich Rehabilitation. Die komplizierten Regelungen wurden vorgestellt und kritisch diskutiert. Das Bundesteilhabegesetz war der zweite Hauptpunkt des Vortrages. Das herausführen der Eingliederungshilfe aus dem bisherigen Fürsorgesystem, die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht, die Begrenzung der Ausgabendynamik bei den Trägern der Eingliederungshilfe sowie die Weiterentwicklung des gesetzgeberischen Ziels „Kernsanierung des SGB IX“ sind Kernpunkte dieses Gesetzes.

Zuletzt gab Frau Roßbach einen Ausblick über die Themen des Dialogprozess Alterssicherung: Die Lebensleistungsrente werde wohl nicht mehr weiter verfolgt. Gegenwärtig würden Haltelinien für das Rentenniveau und den Beitragssatz diskutiert, weil neue Hochrechnungen bis zum Jahr 2045 vorlägen. Eine Ost-West-Angleichung des aktuellen Rentenwerts und weiterer Rentenparameter werde angedacht. Weitere Themen seien die Absicherung von Selbständigen und die Verbesserung der betrieblichen Alterssicherung.

Fazit

In der schließenden Diskussion über alle Vorträge ergab sich eine zentrale Forderung der Teilnehmer: Bessere und frühere Zusammenarbeit aller Sozialversicherungsträger, der Betriebe, der ärztlichen Dienste und behandelnden Ärzte um einen Verbleib oder eine Rückkehr in die Erwerbstätigkeit zu erreichen.

Autor: Kommissionsbericht des Rentenberaters Martin Reißig

Anlass: Bundestagung des Deutschen Sozialgerichtstages e.V.

Psychische und psychosomatische Erkrankungen wirken sich zunehmend auf die Erwerbsminderungsrenten und die betriebliche Personalpolitik aus. Die Anfang der 2000er Jahre eingeleitete Absenkung des Rentenniveaus und in der Folge drohende Altersarmut hat die zuständige Bundesministerin zu weiteren Reformplänen bewogen, die zunächst im Bereich der betrieblichen Altersversorgung ansetzen sollen. Zielrichtung ist eine „Haltelinie“ sowohl für das Rentenniveau als auch die Beitragssatzentwicklung. Das Flexirentengesetz sieht eine grundlegende Neuregelung des Hinzuverdienstes bei Alters- und Erwerbsminderungsrenten vor.

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Schlagwörter: Erwerbsminderungsrente, Erwerbsminderungsrentenverfahren, psychische Erkrankung, psychosomatische Erkrankung, betriebliche Personalpolitik, Flexirentengesetz