Rechtstechnische Anmerkungen zum Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts

18.04.2017 opener

Im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode wurde die Neuordnung des Rechts der Sozialen Entschädigung und der Opferentschädigung in einem zeitgemäßen Regelwerk vereinbart. In Bezug auf diesen Auftrag hat das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Januar 2017 einen ersten Arbeitsentwurf zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vorgelegt. Die Kommission Soziales Entschädigungsrecht und Schwerbehindertenrecht des Deutschen Sozialgerichtstages begleitet das Vorhaben schon seit längerer Zeit. Beim 5. Deutschen Sozialgerichtstag im Jahre 2014 bildete das Thema den Schwerpunkt der Kommission. Mit einer aktuellen Stellungnahme zu einem Workshop des Bundesministeriums im April verdeutlicht die Kommission ihren Standpunkt und weist auf wichtige Problemfelder – Schutz bei Vernachlässigung von Kindern und die Kausalitätsbegutachtung einschließlich der fehlenden Grundsätze in der Versorgungsmedizin-Verordnung - hin. Im Folgenden zeigt der Beitrag einige weitere Diskussionspunkte aus der Sicht eines Richters auf.

§ 1 - Begriff: „unverschuldet“

In § 1 des Entwurfs wird der Begriff „unverschuldet“ aufgenommen. Es lässt sich aus der Begründung kein Anhaltspunkt entnehmen, welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Verschulden im Rahmen der weiteren Regelungen beimisst. Die früheren Regelungen im OEG kennen ein Verschulden oder Verschuldensprinzip nicht, da nach § 2 OEG die Versagungsgründe von der Verursachung oder Unbilligkeit abhängen. Das bewährte Regelungskonzept greift der Gesetzgeber mit der Neuregelung in §§ 17 und 18 des Entwurfs auf. Die Aufnahme des Begriffs „unverschuldet“ in § 1 des Entwurfs ist entbehrlich und könnte für neue Streitfragen sorgen.

§ 4 Abs. 5 - Definition von: Nahestehende

In der Definition von Nahestehenden wird auf die eheähnliche Gemeinschaft verwiesen. Hier dürften sich viele Abgrenzungsprobleme ergeben und es erscheint sinnvoll, dass vielleicht einige Kriterien im Gesetz mit aufgenommen werden, wann eine solche Gemeinschaft angenommen werden kann. Im § 7 Abs. 3 a des Zweiten Buches – Sozialgesetzbuch sind solche Kriterien benannt. Hieran könnte der Gesetzgeber sich orientieren und die spätere praktische Anwendung erleichtern, da insbesondere nach dem Tod des Geschädigten die Voraussetzungen einer eheähnlichen Gemeinschaft Schwierigkeiten in der tatsächlichen Aufklärung aufwerfen dürften.

§ 5 - Begriffe: „anerkannt“, „Ereignis“ und die Kausalität nach Abs. 4

In Absatz 1 wird auf die „anerkannten“ Folgen verwiesen. Dies könnte die Vermutung nahe legen, dass der Gesetzgeber von einem zweistufigen Verwaltungsverfahren ausgeht. Im Rahmen einer ersten Prüfung werden die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen anerkannt und im Rahmen der daran anschließenden Prüfung die Entschädigungsleistungen gewährt. Aufgrund der Regelung in § 11 Abs. 1 des Entwurfs dürfte dieses Verständnis nicht beabsichtigt sein, da ein so genannter Grundbescheid nur auf Antrag erlassen wird. Zur Vermeidung von Anwendungsunsicherheiten sollte auf den Begriff „anerkannt“ verzichtet werden, da eine Regelung damit wohl nicht gemeint ist.

Die Definition des schädigenden Ereignisses in Absatz 2 erscheint zirkulär. Das Bundessozialgericht hat im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung ausführlich eine weitgehend akzeptierte Begrifflichkeit herausgearbeitet, um die Geschehnisse bei einer Schädigung zu umschreiben, zum Beispiel in dem Urteil vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R. Es wäre eine Vereinfachung, wenn der Gesetzgeber auf diese Begrifflichkeit zurückgreift, obwohl natürlich Unterschiede zum Recht der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen, und statt von dem schädigenden „Ereignis“ von der schädigenden „Einwirkung“ spricht, welche wiederum auf einen der im Abschnitt 2 umschriebenen Tatbestände zurückgeht. Mit dem im Verständnis weiteren Begriff „Einwirkung“ könnte die Regelung geöffnet werden für viele Tatbestände, welche nur schwierig mit dem „Ereignisbegriff“ erfasst werden, zum Beispiel, wenn die Einwirkung aus sehr vielen Einzelereignissen besteht.

In der Begründung zum Absatz 4 finden sich viele Ausführungen zur Kausalitätslehre, wie sie vom Bundessozialgericht im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts entwickelt wurden. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist die Begrifflichkeit zur Kausalitätslehre, nämlich Wesentlichkeit, identisch, aber die notwendigen Wertungsfragen werden unterschiedlich gelöst. Für die Rechtsanwendung wäre es wünschenswert, wenn die Kriterien aus der Rechtsprechung des BSG zum sozialen Entschädigungsrecht und der Kausalitätslehre sich im Gesetzestext und nicht nur in der Begründung wieder finden würde.

§ 6 - Ermächtigung für die medizinischen Erkenntnisse

Für eine einheitliche Rechtsanwendung ist eine Darstellung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unerlässlich. Gerade im Bereich der Kausalitätsbeurteilung von Impfschäden mangelt es an solchen einheitlichen Vorgaben. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob eine Verrechtlichung in der Versorgungsmedizin-Verordnung hierfür die richtige Vorgehensweise ist. Es dürfte eine schnellere Anpassung an die sich ändernden Erkenntnisse der Medizin möglich sein, wenn auf die vor der Verrechtlichung vorhandenen Wege zurückgegriffen wird und hierfür Anhaltspunkte vom Sachverständigenbeirat herausgegeben werden.

§ 11 - Grundbescheid auf Antrag

Die Regelung in Absatz 1 sollte an die bestehende Praxis angepasst werden, da im Rahmen der Leistungsgewährung häufig die Anspruchsvoraussetzungen festgestellt werden. Eine solche Feststellung sollte der Behörde in Zukunft auch möglich sein, wenn kein Antrag des Betroffenen auf Feststellung vorliegt.

§ 13 - psychische Gewalt

Die Aufzählung der Straftaten und die Nennung der Bedrohung nach § 241 des Strafgesetzbuchs führen zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten für die Öffnung der Regelung hinsichtlich Taten vergleichbarer Schwere, da die Strafandrohung in diesem Beispiel nicht sehr hoch ist. Weiterhin ist die Vernachlässigung von Kindern nicht ohne größere Probleme als ein unmittelbar gegen die freie Willensentscheidung einer Person gerichtetes Verhalten zu subsumieren. Damit verbleibt es bei den Fragen, ob und in welchen Fällen diese Tatbestände vom Schutz erfasst werden. Hier wäre eine gesetzgeberische Klarstellung wünschenswert.

§ 89 - Begründung

Die Ausführungen zur Begründung von § 89 des Entwurfs sind überholt, da das Bundessozialgericht mit seiner Entscheidung vom 15. Dezember 2016 – B 9 V 3/15 R nicht mehr an seiner vorhergehenden Rechtsprechung festhält.

Autor: RiSG Jörn Hökendorf (Sozialgericht Potsdam)

Anlass: Arbeitsentwurf des BMAS

Bereits im Jahre 2014 beim 5. Deutschen Sozialgerichtstag bildete die Neuordnung des Rechts der Sozialen Entschädigung und der Opferentschädigung einen Schwerpunkt der Kommissionsarbeit der "SGB IX/SER/SB Kommission". Ferner verdeutlichte die Kommission in einer aktuellen Stellungnahme zu einem Workshop des BMAS ihren Standpunkt und wies auf wichtige Problemfelder – Schutz bei Vernachlässigung von Kindern und die Kausalitätsbegutachtung einschließlich der fehlenden Grundsätze in der Versorgungsmedizin-Verordnung - hin. Dieser Beitrag stellt einige weitere Diskussionspunkte aus der Sicht eines Richters dar.

Rubrik:

Schlagwörter: SGB XIII n.F., Soziale Entschädigung, Opferentschädigung