Erneuter Vorstoß der Bundesländer zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

30.04.2018 opener

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 02.02.2018 beschlossen, den vom Freistaat Sachsen eingebrachten Gesetzesvorschlag (BR-Drs. 29/18) für ein Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes gemäß Art. 76 Abs. 1 GG beim Deutschen Bundestag einzubringen. Die Bundeskanzlerin hat den Gesetzentwurf am 07.03.2018 mit einer den Entwurf ablehnenden Stellungnahme der Bundesregierung dem Präsidenten des Deutschen Bundestages zugeleitet mit der Bitte, die Beschlussfassung des Deutschen Bundestages herbeizuführen (BT-Drs. 19/1099). Der Deutsche Sozialgerichtstag e. V. lehnt den Gesetzentwurf ebenfalls ab.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Wie im Antrag des Freistaats Sachsen zutreffend formuliert, handelt es sich bei dem Gesetzentwurf um die wortgleiche Fassung des Beschlusses des Bundesrates vom 13.05.2016 (BR-Drs. 184/16), der im Bundestag in der 18. Wahlperiode nicht mehr abschließend behandelt worden ist und deswegen der Diskontinuität unterfallen ist. Der Bundesrat machte sich nicht einmal die Mühe, den Gesetzentwurf aus dem Jahre 2016 hinsichtlich der darin genannten statistischen Angaben zu aktualisieren und berücksichtigte in keiner Weise die Argumente der Bundesregierung aus deren ablehnender Stellungnahme vom 22.06.2016 bei der erneuten Einbringung.

Begründung des Gesetzentwurfs

Der Gesetzentwurf wird damit begründet, dass die Belastung der Sozialgerichtsbarkeit, insbesondere in der ersten Instanz, unverändert hoch sei. Diese Belastung solle durch die vorgeschlagenen Änderungen des Sozialprozessrechts abgemildert werden. Die Belastungssituation der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ist zwar bundesweit anhaltend hoch, die Entwicklung in den einzelnen Bundesländern ist dabei aber unterschiedlich.

Der Auffassung des Bundesrates, dass die im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen dazu geeignet wären, die Arbeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu erleichtern oder zu effektivieren, vermag der Deutsche Sozialgerichtstag e. V. jedenfalls nicht zuzustimmen. Insbesondere die mit dem Gesetzentwurf verbundene Einschränkung der Beteiligungsrechte ehrenamtlicher Richterinnen und Richter wird abgelehnt.

Leider nicht aufgegriffen hat der Bundesrat erneut den sowohl vom Deutschen Sozialgerichtstag e. V. als auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund in früheren Stellungnahmen zu Vorschlägen zur Entlastung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gemachten Vorschlag, die Pauschgebührenpflicht nach § 183 SGG auf die bislang hiervon befreiten Leistungsträger, insbesondere die Träger nach dem SGB II und XII, zu erstrecken, obwohl gerade über eine solche Regelung das Verwaltungshandeln dieser Träger und auch deren prozessuales Verhalten in Richtung einer Entlastung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit durchaus steuerbar wäre. Zu den Änderungsvorschlägen im Einzelnen:

Urteile ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter?

Der Vorschlag in Art. 1 Nr. 1 - § 12 Abs. 1 SGG soll Entscheidungen durch Urteile ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter ermöglichen, sofern die Beteiligten damit einverstanden sind. Zu diesem Vorschlag hat sich der Deutsche Sozialgerichtstag e. V. bereits in seiner Stellungnahme vom 03.08.2012 zu den von der 84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 13. und 14. Juni 2012 beschlossenen Änderungsvorschlägen auf dem Gebiet des Sozialprozessrechts ablehnend geäußert und hierzu ausgeführt:

„Dieser Vorschlag wird abgelehnt, insbesondere weil damit zum wiederholten Mal die Beteiligung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter an der Rechtsprechung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Frage gestellt wird, die jedoch aufgrund der Kenntnisse und Erfahrungen aus dem Erwerbsleben, die die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in die mündliche Verhandlung und die Beratung des Gerichts einbringen, als unverzichtbar angesehen wird. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat im Übrigen in seiner Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Hinausdrängen des ehrenamtlichen Elements aus der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit mit den Prinzipien eines demokratisch verfassten Sozialstaates nicht zu vereinbaren ist.

Im Übrigen bietet für einfach gelagerte Sachverhalte bereits jetzt die Möglichkeit, durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG zu entscheiden, ausreichenden Raum für eine beschleunigte Entscheidung von Rechtsstreiten durch den allein entscheidenden Vorsitzenden, ohne dass hierdurch der Grundsatz, dass Urteile unter Beteiligung von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern gefasst werden, in Frage gestellt wird. Der Änderungsvorschlag könnte dazu führen, dass die Beteiligten eines Rechtsstreits – wie dies derzeit aufgrund der Regelung des § 155 Abs. 3 und 4 SGG beim Landessozialgericht möglich ist – im Rahmen eines Erörterungstermins mit dem Hinweis, dass dann eine sofortige Entscheidung möglich ist, zur Erklärung des Einverständnisses mit einer Entscheidung allein durch den Vorsitzenden ,überredet‘ werden.“

Kein Anlass zur Änderung ersichtlich

Gründe, von dieser Ansicht abzuweichen, sind für uns nicht erkennbar. Zur Ergänzung erlauben wir uns aus einer Presseerklärung des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 06.03.2018 über die Ehrung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter zu deren Dienstjubiläum zu zitieren, wo u. a. ausgeführt wird:

„Sowohl in der ordentlichen als auch in der Fachgerichtsbarkeit kommt den Schöffinnen und Schöffen sowie den ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern eine besondere Bedeutung zu. Sie repräsentieren die Bürger, die Unternehmen und Verbände und die Sozialpartnerschaft innerhalb des gerichtlichen Verfahrens. Sie bringen nicht nur ihren Sachverstand und ihre Lebenserfahrung in das gerichtliche Verfahren ein. Ihre Teilnahme an den Entscheidungen erfordert ein intensives Erklären richterlicher Entscheidungen, erleichtert es aber auch, diese den Beteiligten und in der Öffentlichkeit besser zu vermitteln und damit Vertrauen beim Bürger zu schaffen.“

Weiter wird dort ausgeführt, ehrenamtliche Richter seien im deutschen Recht traditionell verankert und die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit hätten die Aufgabe, als sach- und fachverständige Richterinnen und Richter die Berufsrichter zu unterstützen und die Auffassungen der von ihnen repräsentierten Berufs- und Sozialgruppen zur Geltung zu bringen.

Diese immerhin von einer Landesregierung veröffentlichte Betonung der Bedeutung der Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter u. a. in der Sozialgerichtsbarkeit steht im offenkundigen Gegensatz zu den vom Bundesrat als Vertretung der Bundesländer im hier diskutierten Gesetzentwurf gemachten Vorschlägen zur Änderung des SGG.

Beschränkung richterlicher Überprüfungspflicht mittels Elementarfeststellungsklagen?

Auch die Regelung unter Art. 1 Nr. 2, 3, 5 und 6 - §§ 123, 130, 157a und 163 SGG  wird vom Deutschen Sozialgerichtstag e. V. abgelehnt. Ein entsprechender Vorschlag war bereits im Referentenentwurf zum 4. SGB IV-Änderungsgesetz enthalten gewesen und ist seinerzeit aufgrund der darin vorgebrachten Einwände, die im Wesentlichen verfassungsrechtlicher Art waren, nicht umgesetzt worden. Auch zu der mit diesem Vorschlag beabsichtigten inhaltlichen Beschränkung der gerichtlichen Überprüfungspflicht im Sinne einer Elementenfeststellungsklage hatte sich der Deutsche Sozialgerichtstag e. V. in seiner bereits oben angesprochenen Stellungnahme vom 03.08.2012 ablehnend geäußert:

„Dieser Vorschlag wird abgelehnt. Er entspricht dem Vorschlag im Referentenentwurf für ein 4. SGB IV-ÄndG, von dem im Gesetzgebungsverfahren schließlich Abstand genommen worden ist. Der Vorschlag könnte zwar zu einer Entlastung der Gerichte, insbesondere der 2. Instanz im Hinblick auf den Umfang der notwendigen Tatsachenfeststellung zur Vermeidung von zurückverweisenden Entscheidungen des BSG, beitragen. Allerdings dürfte die Handhabung der vorgeschlagenen Regelung, insbesondere im Hinblick auf die Hinweispflichten, die gleichwohl vom Gericht zu treffende Ermessensentscheidung über die Anwendung der Regelung und schließlich die nur eingeschränkte Bindung des BSG nach § 163 Abs. 2 SGG des Änderungsvorschlags, so kompliziert sein, dass sie sich voraussichtlich als nicht praxistauglich erweisen wird.“

Landessozialgerichte sollen u.U. auch ohne ehrenamtliche Richter/innen entscheiden

Auch die Aufnahme einer Regelung in Art. 1 Nr. 4 - § 153 SGG, wonach das Landessozialgericht ohne die Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter durch Beschluss entscheiden kann, wenn die Berufsrichter die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten, wird vom Deutschen Sozialgerichtstag e. V. abgelehnt.

Hierfür gelten die gleichen Argumente, die wir gegen die vorgeschlagene Änderung des § 12 SGG vorgebracht haben. Zu Recht hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf darauf hingewiesen, dass die vorgeschlagene Regelung zur Folge hätte, dass eine vorinstanzliche gerichtliche Entscheidung, die unter Mitwirkung ehrenamtlicher Richter erfolgt ist, aufgehoben werden könnte, ohne dass ehrenamtliche Richter die Möglichkeit hätten, in die zweitinstanzliche Entscheidung ihren Sachverstand einzubringen.

Autor: RiSG (Frankfurt a.M.) Susanne Weßler-Hoth, Vorsitzende der SGG/SGBX-Kommission

Der Bundesrat hat im Februar 2018 beschlossen, den vom Freistaat Sachsen eingebrachten Gesetzesvorschlag (BR-Ds. 29/18) für ein Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen. Der Gesetzentwurf wird damit begründet, dass die Belastung der Sozialgerichtsbarkeit unverändert hoch sei. Der Auffassung des Bundesrates, dass die im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen dazu geeignet wären, die Arbeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu erleichtern oder zu effektivieren, vermag der Deutsche Sozialgerichtstag e. V. nicht zuzustimmen. Nicht aufgegriffen hat der Bundesrat den sowohl vom Deutschen Sozialgerichtstag e. V. als auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund gemachten Vorschlag, die Pauschgebührenpflicht nach § 183 SGG auf die die Träger nach dem SGB II und XII, zu erstrecken.

Rubrik:

Schlagwörter: Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit, Elementarfeststellungsklage, Pauschgebührenpflicht, Beteiligung ehrenamtlicher Richter/innen