6. DSGT: Schwerpunkte der SGB VII Kommissionsarbeit

16.01.2017 opener

Die Kommission Unfallversicherung des DSGT befasste sich mit Überlegungen zur Reform des Berufskrankheitenrechts.

"Fehler im System - Die Reform des Berufskrankheitenrechts ist überfällig"

Heinz Fritsche, Ressort Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz, IG Metall Vorstandsverwaltung, Frankfurt am Main, stellte sein Referat unter den Titel: „Fehler im System – Die Reform des Berufskrankheitenrechts ist überfällig“. Seiner Meinung nach hat sich das Listenprinzip bewährt, aber es gebe Reformbedarf. Es dauere zu lange, bis neue Erkenntnisse aufgenommen werden. Eine mehr und breiter aufgestellte Forschung, etwa wenn es um Synkanzerogenese gehe, oder wenn arbeitsbedingte Erkrankungen nicht ausreichend abgebildet würden, sei erforderlich. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten müsse besser ausgestattet werden. Der sog. Unterlassungszwang müsse abgeschafft werden, er habe keine präventive Wirkung.

Analog zu den Arbeitsschutzausschüssen, die das BMAS beraten, solle es einen sozialpolitischen Ausschuss Berufskrankheiten geben. Seine Aufgaben wären u.a. eine Klärung des Umgangs mit Erkrankungen herbeizuführen, zu denen empirische Befunde unmöglich sind. Ferner könne er Grenzwerte setzen bei widersprüchlichen Forschungsergebnissen und Forschungsbedarf aufzeigen. Nach fünf Jahren solle eine Evaluierung der Reform erfolgen.

Reformvorschläge des Spitzenverbandes der Unfallversicherungsträger

Dr. Römer, Mitglied der Geschäftsleitung der Berufsgenossenschaft Holz und Metall, erläuterte die Reformvorschläge des Spitzenverbandes der Unfallversicherungsträger. Auch er sprach sich für eine Professionalisierung der Arbeit des Ärztlichen Sachverständigenbeirats und für mehr Transparenz der Beratungsergebnisse aus. Die Grundprinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung zum Nachweis der Einwirkung und Kausalität müssten erhalten bleiben.

Die Möglichkeiten der Unfallversicherungsträger im Rahmen ihrer Amtsermittlung müssten durch Erarbeitung einheitlicher Qualitätsmaßstäbe und Werkzeuge für die Expositionsermittlung und durch Schaffung einer Rechtsgrundlage zum Aufbau und zur übergreifenden Nutzung von Expositionskatastern verbessert werden. Die mit dem Unterlassungszwang verfolgten Zwecke könnten mit anderen Regelungen auch und teilweise sogar zielgenauer erreicht werden. Unerlässlich seien hierzu die Intensivierung der Präventionsaktivitäten und die aktive Mitwirkung der Betroffenen bei allen Berufskrankheiten. Dies erfordere eine Erweiterung der gesetzlichen Mitwirkungspflichten.

Für die Abgrenzung von Bagatellerkrankungen sei eine Präzisierung der betroffenen BK-Tatbestände unverzichtbar. Alle Erkrankungen seien unabhängig vom Zeitpunkt ihres erstmaligen Auftretens anzuerkennen, sobald ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse für die „BK-Reife“ vorlägen. Leistungen sollten aber erst ab dem Zeitpunkt des Vorliegens der wissenschaftlichen Erkenntnisse (§ 9 Abs. 2 SGB VII) bzw. nach Einführung des neuen BK-Tatbestandes gewährt werden.

Aus der Konferenz der Arbeits- und Sozialministerien der Länder

Ministerialrätin Isabelle Steinhauser vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales erläuterte die Eckpunkte, die in der Konferenz der Arbeits- und Sozialministerien der Länder vertreten werden. Dazu gehörten eine Präzisierung der Berufskrankheitenverordnung und der dort normierten Berufskrankheitentatbestände sowie die Einführung von Beweiserleichterungen. Ferner solle geprüft werden, ob der Unterlassungszwang als Voraussetzung durch andere, weniger einschneidende Mittel ersetzt werden könne. Für seltene Erkrankungen solle eine Härtefallregelung eingeführt werden. Die rückwirkende Anerkennung von Berufskrankheiten solle einheitlich geregelt werden. Leistungen sollten einheitlich längstens vier Jahre rückwirkend von dem Zeitpunkt an gewährt werden, an dem die Berufskrankheit dem Unfallversicherungsträger erstmalig bekannt geworden ist. Auch die Rentenzahlung solle der im Sozialrecht üblichen Rückwirkung von vier Jahren unterliegen.

Anregungen aus der sozialgerichtlichen Praxis

Dr. Oliver Schur, Richter am Landessozialgericht Niedersachsen, sprach sich ebenfalls für eine Reform der Berufskrankheitentatbestände mit Unterlassungszwang aus. Er regte an, die Verschlimmerungs- oder Wiedererkrankungsgefahr durch Verwaltungsakt festzustellen. Bei gerichtlichen Ermittlungen in BK-Sachen wäre eine erweiterte Aktenöffentlichkeit wünschenswert, um gerichtliche Gutachten und nachfolgende Entscheidungen auf eine breitere Tatsachengrundlage zu stellen. Gesetzliche Beweiserleichterungen führten vermutlich weder zu einer wesentlich verbesserten Dokumentation noch zu einer nennenswerten Ausweitung der arbeitsmedizinischen Forschung. Die Aufnahme dosisabhängiger Kausalitätsvermutungen in BK–Tatbeständen solle deshalb auch für bestehende Berufskrankheiten nachgeholt werden.

Lebhafte Diskussion der Teilnehmer

In der folgenden Diskussion forderten die Teilnehmer eine Verbesserung der Qualität der Ermittlungen zur Einwirkungskausalität bei Berufskrankheiten. Es sollten Standards festgelegt werden, die eine gleichbleibende Qualität der Ermittlungen sicherten. Vor allem sollten die Versicherten einbezogen und sie zu den einzelnen Ermittlungsergebnissen angehört werden. Die Auswirkungen einer Abschaffung des Unterlassungszwanges auf die Feststellung des Versicherungs- und Leistungsfalles wurden lebhaft diskutiert; sie sind derzeit noch nicht absehbar.

Die Einführung von Beweiserleichterungen sahen zahlreiche Teilnehmer kritisch. Es sei im Übrigen noch unklar, ob es sich hierbei um tatbestandliche Vermutungen, um Glaubhaftmachung oder eidesstattliche Versicherung handeln solle. Es wurde darauf hingewiesen, dass in Fällen der Beweisnot nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Anforderungen an den Vollbeweis reduziert werden könnten. Die Einführung von Härtefallregelungen bei seltenen Erkrankungsfällen wurde ebenfalls kontrovers diskutiert. Es blieb offen, inwieweit dies mit den gesetzlichen Definitionen in § 9 SGB VII konform gehen könne.

Autor: Bericht des Kommissionsvorsitzenden VRLSG Hans-Peter Jung

Anlass: Bundestagung des Deutschen Sozialgerichtstages e.V.

Das Listenprinzip hat sich nach Ansicht der Kommission zwar bewährt, es wird aber Reformbedarf gesehen. Dabei sollen jedoch die Grundprinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung zum Nachweis der Einwirkung und Kausalität erhalten bleiben. Sollten im Rahmen der Reform auch Beweiserleichterungen eingeführt werden?

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Schlagwörter: Berufskrankheitenrecht, Beweiserleichterungen, Reformbedarf, Listenprinzip