Stellungnahme zum Vorschlag einer EU-Erwachsenen-Schutzverordnung

21.09.2023 opener

Stellungnahme des Deutschen Sozialgerichtstages e.V. (DSGT) zum Vorschlag für eine „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Maßnahmen und die Zusammenarbeit in Fragen betreffend den Schutz Erwachsener“ (COM(2023) 280 final) und zu einem Vorschlag für einen „Beschluss des Rates zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, im Interesse der Europäischen Union Vertragsparteien des Übereinkommens vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen zu werden oder zu bleiben“ (COM(2023) 281 final).  

 

Der DSGT begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, den grenzüberschreitenden Schutz Erwachsener dadurch zu intensivieren, dass mit einer „Verordnung über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Maßnahmen und die Zusammenarbeit in Fragen betreffend den Schutz Erwachsener“ künftig in den Mitgliedstaaten einheitlich geltende und unmittelbar wirkende Regelungen geschaffen werden sollen.

 

Ebenfalls begrüßt wird die durch den vorgesehenen Beschluss des Rates begründete Empfehlung an die Mitgliedstaaten, Vertragspartei des Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13. Januar 2000 zu werden oder zu bleiben.

Da die Bundesrepublik Deutschland bereits Vertragspartei dieses Übereinkommens ist und dessen Regelungen durch das Erwachsenenschutzübereinkommens-Ausführungsgesetz vom 17. März 2007 (BGBl. I 2007, S. 314; 2009 II S. 39) umgesetzt hat, konzentriert sich die Stellungnahme des Deutschen Sozialgerichtstags auf den vorgelegten Verordnungsvorschlag.

 

I. Grundsätzliches

Regelungen zum Schutz solcher Erwachsener, die aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten außerstande sind, ihre Interessen zu schützen, sind nicht nur im Hinblick auf den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten der Betroffenen relevant, sondern – sofern Erwachsene mit Behinderungen betroffen sind – auch geeignet, die Grundsätze des Art. 12 UN-BRK umzusetzen.

Den so verstandenen Schutz Erwachsener sicherzustellen, ist auf nationaler Ebene im Wesentlichen Aufgabe des SGB IX, des BGG, des AGG und des Betreuungsrechts des BGB.

Der Schutz Erwachsener kann aber, insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, neben der nationalen eine internationale Dimension haben. Hier ist es Aufgabe des Haager Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13. Januar 2000, einheitliche Regelungen über die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung, die Vollstreckung und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei Maßnahmen zum Schutz Erwachsener zu treffen. Die Bundesrepublik Deutschland ist Vertragspartei dieses Übereinkommens und hat mit dem „Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen“ entsprechende Bestimmungen zur Ausführung des Übereinkommens getroffen.

 

Allerdings sind nicht alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union Vertragspartei des Haager Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass es bislang keine Rechtsakte der Europäischen Union über die grenzüberschreitenden Aspekte der Rechts- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen bzw. die zivilrechtlichen Aspekte des grenzüberschreitenden Schutzes von solchen Erwachsenen gibt, die aufgrund von Hindernissen bei der Wechselwirkung zwischen einer Beeinträchtigung oder Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten und einer Reihe ökologischer und persönlicher Faktoren nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen, oder die möglicherweise verlangen, dass die Unterstützung und die Garantien bei der Ausübung ihrer Rechts- und Geschäftsfähigkeit, die ihnen in einem Mitgliedstaat gewährt werden, in der gesamten Union fortgesetzt werden.

 

Aus diesem Grund ist die Schaffung einer unionsrechtlichen Erwachsenenschutzverordnung mit dem Ziel, die Koordinierungsvorschriften für grenzüberschreitende Sachverhalte für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu harmonisieren und effizienter zu gestalten, auch aus Sicht des DSGT richtig und notwendig. Eine solche Verordnung ist ein weiterer Baustein auf dem Weg der Europäischen Union zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte, in dem die Freizügigkeit gewährleistet ist.

 

Der DSGT befürwortet daher grundsätzlich das Ziel der vorgeschlagenen „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Maßnahmen und die Zusammenarbeit in Fragen betreffend den Schutz Erwachsener“ und die in ihr enthaltenen Instrumente und Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels. Diese finden sich in der Bundesrepublik vielfach bereits jetzt im „Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen“.

 

II. Kritische Betrachtung der geplanten Vernetzung der Schutzregister der Mitgliedstaaten

Ein Instrument zur Erreichung des Ziels der vorgeschlagenen Erwachsenenschutzverordnung ist aus Sicht des Verordnungsgebers die Vernetzung der zu schaffenden Schutzregister der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Art. 45 Abs. 1 des Verordnungsentwurfs verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, spätestens bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Anwendungsbeginn nationale Schutzregister einzurichten, in denen Informationen über Schutzmaßnahmen und, sofern ihr nationales Recht die Bestätigung von Vertretungsmachten durch eine zuständige Behörde vorsieht, über solche Vertretungsmachten gespeichert werden.

Art. 45 Abs. 2 des Verordnungsentwurfs benennt die Informationen, die als „obligatorische Angaben“ verpflichtend im Schutzregister zu erfassen sind. Dies umfasst:

a) die Angabe, dass eine Maßnahme getroffen wurde oder gegebenenfalls eine Vertretungsmacht erteilt oder bestätigt wurde,

b) das Datum der ersten Maßnahme sowie anschließender Maßnahmen oder gegebenenfalls das Datum, an dem die Vertretungsmacht von einem Erwachsenen erteilt oder von einer zuständigen Behörde bestätigt wurde,

c) das Datum, an dem eine Frist für die Anfechtung der Maßnahme oder Entscheidung über die Vertretungsmacht endet, sofern eine Maßnahme oder Entscheidung über eine Vertretungsmacht vorläufig anwendbar ist,

d) gegebenenfalls das Datum des Ablaufs oder der Überprüfung der Maßnahmen oder Vertretungsmachten,

e) die zuständige Behörde, die die Maßnahme ergriffen, geändert oder beendet oder die Vertretungsmacht registriert, bestätigt, geändert oder beendet hat,

f) Name, Geburtsort und -datum des Erwachsenen und gegebenenfalls nationale Identifikationsnummer.    

 

Darüber hinaus verpflichtet Art. 47 Abs. 1 die Kommission dazu, ein dezentrales System zur Vernetzung („Vernetzungssystem“) einzurichten, das Folgendes umfasst:

a) die Schutzregister der Mitgliedstaaten für die in Artikel 45 genannten Maßnahmen und gegebenenfalls die Schutzregister der Mitgliedstaaten für die in Artikel 45 genannten bestätigten Vertretungsmachten sowie die Register der Mitgliedstaaten für die in Artikel 46 genannten anderen Vertretungsmachten,

b) einen zentralen elektronischen Zugangspunkt für den Zugriff auf die Informationen im System.

 

Der DSGT bittet um Prüfung, ob die vorgesehene Schaffung nationaler Schutzregister und deren unionsweite Vernetzung tatsächlich erforderlich ist. Gegen eine Erforderlichkeit könnte sprechen, dass – auch wenn keine konkreten Zahlen vorliegen – mit den von der Europäischen Kommission geschätzten unionsweit 145.000 bis 780.000 grenzüberschreitenden Sachverhalten eine eher geringe Anzahl von Fällen betroffen ist. Dieser begrenzten Fallzahl dürften erhebliche Kosten für die Errichtung und Verwaltung der Schutzregister und für deren Vernetzung gegenüberstehen. Nach Art. 62 Abs. 2 des Verordnungsentwurfs sind die Kosten, die mit der Einrichtung und Anpassung der Schutzregister, mit der Herstellung der Interoperabilität mit dem dezentralisierten System zur Registervernetzung sowie mit der Verwaltung, dem Betrieb und der Instandhaltung dieser Systeme verbunden sind, von den Mitgliedstaaten zu tragen. Die Einrichtung, Instandhaltung und Weiterentwicklung des Vernetzungssystems soll nach Art. 62 Abs. 1 des Verordnungsentwurfs aus dem Gesamthaushalt der Union finanziert werden.

Für den DSGT stellt sich hierbei die Frage, ob Kosten und Nutzen der vernetzten Schutzregister in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen. Mangels geeigneter Anhaltspunkte sieht sich der DSGT allerdings nicht in der Lage, diese Kosten zu schätzen.

 

Im Rahmen der Erforderlichkeit von vernetzten Schutzregistern stellt sich für den DSGT insbesondere die Frage, ob die Regelungen des Kapitels VI des Verordnungsentwurfs zur Zusammenarbeit (Art. 18 bis Art. 32 VO-E) nicht bereits ausreichend sind, um die Ziele, die mit den Schutzregistern und ihrer Vernetzung verfolgt werden, zu erreichen. Diese werden in Absatz 44 der Erwägungsgründe wie folgt beschrieben:

Um einen kontinuierlichen Schutz von Erwachsenen in grenzüberschreitenden Situationen in der Union zu gewährleisten, sollten die zuständigen Behörden und die Zentralen Behörden Zugang zu einschlägigen Informationen über das Bestehen von Maßnahmen anderer Behörden haben, einschließlich der Maßnahmen, die in einem anderen Mitgliedstaat ergriffen wurden. Darüber hinaus ist es für die Wahrung des Rechts auf Autonomie und der Freiheit, seine eigenen Entscheidungen zu treffen, von entscheidender Bedeutung, dass der von einem Erwachsenen in einer Vertretungsmacht zum Ausdruck gebrachte Wille respektiert wird, selbst wenn diese Vertretungsmacht von dem Erwachsenen in einem anderen Mitgliedstaat erteilt oder von den zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats bestätigt wurde. Um die Unterrichtung der jeweils zuständigen Behörden und der Zentralen Behörden zu verbessern und zu verhindern, dass parallele Verfahren eingeleitet werden oder die Vertretungsmacht nicht berücksichtigt wird, sollten die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, ein oder mehrere Register einzurichten und zu führen, in denen Daten im Zusammenhang mit dem Schutz von Erwachsenen erfasst werden. In den Registern der Schutzmaßnahmen sollten verpflichtende Informationen über die von ihren Behörden ergriffenen Maßnahmen und, wenn das nationale Recht eine Bestätigung der Vertretungsmacht durch eine zuständige Behörde vorsieht, verpflichtende Informationen über diese bestätigte Vertretungsmacht erfasst werden.

Der Zugang von Behörden zu einschlägigen Informationen über das Bestehen von Maßnahmen anderer Behörden könnte jedoch auch über einen – ggf. zu ergänzenden – Informationsaustausch nach Art. 25 des Verordnungsentwurfs erreicht werden. Der Schutz der Vertretungsmacht könnte auch ausreichend über die Regelungen des Kapitels VII des Verordnungsentwurfs zum Europäischen Vertretungszertifikat (Art. 34 bis Art. 44 VO-E) erreicht werden, das über Art. 40 Abs. 1 und 2 des Verordnungsentwurf Gutglaubensschutz entfaltet.

 

Dem DSGT ist es abschließend wichtig darauf hinzuweisen, dass er die Ziele, die mit der Schaffung und Vernetzung nationaler Schutzregister verfolgt werden, als richtig und wichtig erachtet und nur deren konkrete Umsetzung im Hinblick auf die Erforderlichkeit kritisch hinterfragt.         

Kassel, 21. September 2023

 

Dr. Miriam Meßling

Präsidentin Deutscher Sozialgerichtstag

 

Autor: Dr. Miriam Meßling, Präsidentin Deutscher Sozialgerichtstag e.V.

Anlass: Stellungnahme zu einem EU-Verordnungsentwurf

Der DSGT begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, den grenzüberschreitenden Schutz Erwachsener dadurch zu intensivieren, dass mit einer „Verordnung über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Maßnahmen und die Zusammenarbeit in Fragen betreffend den Schutz Erwachsener“ künftig in den Mitgliedstaaten einheitlich geltende und unmittelbar wirkende Regelungen geschaffen werden sollen.

Rubrik:

Schlagwörter: Erwachsenenschutz, Art. 12 UN-BRK , Kostenabschätzung, Erforderlichkeit, Informationsaustausch, grenzüberschreitende Vernetzung, Schutzregister, internationaler Schutz von Erwachsenen, Erwachsene mit Behinderungen, Betreuungsrecht