Fachtagung zur Qualifizierung der Heimerziehung

12.03.2017 opener

Heute beginnt auf Sozialrecht heute unter der Rubrik "Tagungsbericht" eine neue Serie, mit der ich Sie über Veranstaltungen informieren werde, die ich in meiner Funktion als Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstages besucht habe. Ich wurde und werde zu einer Vielzahl von Veranstaltungen eingeladen und möchte Sie künftig durch Tagungsberichte darüber informieren.

Kinder- und Jugendhilfe

Mein erster Tagungsbericht betrifft die Kinder- und Jugendhilfe , die erst neuerdings Gegenstand des DSGT ist. Die Kommission SGB VIII ist unter Leitung von Herrn Prof. Dr.Wiesner, dem "Vater" des SGB VIII, auf dem 6. DSGT erstmals öffentlich in Erscheinung getreten. Ich gehöre dieser Kommission an und freue mich, dass ich die neue Serie mit dem Bericht über einen Fachtag zu einem Thema der Kinder- und Jugendhilfe am 17. Februar 2017 beginnen kann:

Fachtagung zur Qualifizierung der Heimerziehung "Ein Jahr Qualitätsagentur Heimerziehung - Aktueller Stand und Perspektiven"

Geschichte der Qualitätsagentur

Vielen, die mit der Kinder- und Jugendhilfe befasst sind, wird die "Haasenburg" noch in unguter Erinnerung sein. Bundesweit kam der unter diesem Namen in Brandenburg tätige freie Träger der Heimerziehung vor etwa fünf Jahren in die Schlagzeilen. Zur Untersuchung der gegen den Träger erhobenen massivsten Vorwürfe war vom zuständigen Ministerium für Bildung, Jugend und Sport eine "Unabhängige Untersuchungskommission" beauftragt worden, der ich angehörte. Diese Kommission legte ihren Abschlussbericht und ihre Empfehlungen im Oktober 2013 vor.

Die Erkenntnisse und Erfahrungen in Zusammenhang mit der Untersuchung der Vorkommnisse in der "Haasenburg GmbH" - sie wurde vom Ministerium geschlossen - veranlassten den Kommissionsvorsitzenden und seinen Stellvertreter zu Überlegungen, wie die Qualität der Heimerziehung nachhaltig und erfolgversprechend gesichert werden könne. Diese Überlegungen führten Herrn Dipl-Psychologen Dr. Martin Hoffmann, Projektleiter der Gesellschaft für Kommunikation und Kooperation mbH "Ruhe in Bewegung", Berlin, sowie Herrn Dipl. Pädagogen Prof. Dr. Karlheinz Thimm, Professor für Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Berlin, zur Gründung der Qualitätsagentur Heimerziehung, deren Träger das Institut für Innovation und Beratung an der Evangelischen Hochschule Berlin e.V. ist.

Für die Dauer einer zweijährigen Modellphase wird die weisungsunabhängige Agentur vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg gefördert. Sie hat zum 1. Februar 2016 ihre Arbeit aufgenommen. Ihr Aktionsradius ist nicht auf Berlin/Brandenburg beschränkt. Der Qualitätsagentur steht mit beratender Funktion ein Beirat zur Seite, dessen Mitglieder sich aus der Verwaltung (Ministerien, Jugendämter), Fachverbänden und anderen Experten und Expertinnen rekrutiert und dem ich angehöre.

Selbstverständnis und Aufgabensetzung der Qualitätsagentur

In der Beschreibung des Selbstverständnisses, der Aufgaben und der Leistungserbringung stellt die Qualitätsagentur den pädagogischen Alltag der von ihr visitierten Einrichtungen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit und benennt die teilnehmende Beobachtung als Methode ihrer Wahl. Die Qualitätsagentur ist angetreten, gemeinsam mit den Einrichtungen Stärken und Entwicklungspotentiale mittels vor- und nachbereiteter Visitationen zu eruieren, zu analysieren und zu beschreiben. Die Agentur sieht sich und ihre Arbeit in einem ergebnisoffenen Prozess, in dessen Rahmen sie sich auch Fragen nach ihrer Existenzberechtigung im Vergleich zu anderen "Qualitätshütern" im Bereich der Heimerziehung stellt und stellen lässt und nach der Definition eines allgemein verwertbaren Orientierungsrahmens für Qualität im Gesamtprojektkontext sucht.

Fachtagung am 17. Februar 2017

Gelegenheit zu einer Art erster "Evaluierung" bot der in Zusammenarbeit mit dem Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg am 17. Februar 2017 im Jagdschloss Glieniecke vorbereitete Fachtag "Ein Jahr Qualitätsagentur Heimerziehung - Aktueller Stand und Perspektiven". Unter den mehr als 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren freie Träger stationärer Einrichtungen vertreten, Jugendämter, die Ministerialverwaltungen Brandenburgs und Berlins und verschiedene Fachverbände. Während am Vormittag nach Sachstandberichten von Herrn Dr. Hoffmann und Herrn Prof. Dr. Thimm im Rahmen eines Podiums persönliche Erfahrungen mit der Qualitätsagentur vermittelt wurden, folgten am Nachmittag drei Workshops unter der Überschrift "Der Qualitätsrahmen der Agentur - prinzipiell und inhaltlich sinnvoll?"

Workshop "Zwischen Beratung und kontrollierender Prüfung"

Die Moderation teilte ich mir mit Herrn Dr. Hoffmann. Schon am Vormittag war angeklungen, dass die Qualitätsagentur zumindest teilweise und anfänglich eher skeptisch betrachtet wurde, weil man sie - wegen der Identität einiger handelnder Personen – als "Verlängerung" der Untersuchungskommission zur "Haasenburg", als "kontrollierende" Instanz verstand. Die Frage wurde gestellt, ob die Qualitätsagentur der Partner, sozusagen ein "kritischer Freund" der von ihr visitierten Einrichtung sei oder der "verlängerte Arm" der Aufsicht. Dies war offenbar nicht in vollständiger Klarheit vermittelt worden. Von "Kontrollangst" war die Rede. Für problematisch wurde der Begriff "Kontrolle" im Kontext mit Qualitätsentwicklung gehalten.

Im Workshop fanden sich Skeptiker ebenso wie diejenigen wieder, die einen unüberwindbaren Konflikt zwischen den Begriffen Beratung und Kontrolle verneinten. Nur wenn die Einrichtung der Heimerziehung genau angeschaut werde, könnten wirklich eine zielführende Beratung stattfinden und zielführende Empfehlungen gegeben werden; Beratung setze kontrollierende Nachprüfung, Untersuchung, Qualitätserkundung oder wie die "Tatsachenbeschaffung" als Grundlage der Beratung auch immer genannt werde, geradezu voraus. Der Begriff Kontrolle treffe dabei die Sache nicht, weil es der Qualitätsagentur nicht um Kontrolle im Sinne von Aufsicht gehe und auch nicht gehen dürfe. Die Arbeit der Qualitätsagentur müsse sich an deren - auch verschriftlichtem - Selbstverständnis, an ihren Aufgaben und am Auftrag der Einrichtung orientieren. Da die Qualitätsagentur - jedenfalls in der Regel - auf Initiative der Einrichtung selbst tätig wird, spiele das Element der Freiwilligkeit bei der Beurteilung des Spannungsfeldes zwischen Beratung und "Kontrolle" eine Rolle. Wichtig sei die Entwicklung von Kritikkultur in den Einrichtungen, insbesondere bei den Führungskräften (schon auf dem Podium war am Vormittag kolportiert worden, dass Kritik in der sozialen Arbeit nicht gut vertragen werde).

Die überwiegende Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops sortierte sich ein in den Kreis derer, die den Schwerpunkt der Arbeit der Qualitätsagentur in der eine Prüfung implizierenden Beratung sah. Zur Diskussion stand des Weiteren die Frage eines fachlichen Qualitätsrahmens und dessen Verbindlichkeit. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fachtages hatten im Vorfeld eine Shortlist mit 14 Dimensionen für einen (vorläufigen) Qualitätsrahmen zugesandt erhalten, die aus 60 wichtigen möglichen Untersuchungsdimensionen des Expertenteams der Qualitätsagentur entwickelt worden waren. Im Workshop bestand im Wesentlichen Einigkeit, dass diese 14 Dimensionen für einen Qualitätsrahmen geeignet seien. Ob der Rahmen Verbindlichkeit haben, ob es eine Art "Qualitätssiegel" für Heimerziehung geben sollte, konnte angesichts der fortgeschrittenen Zeit nicht vertieft bis zu einem Ergebnis hin diskutiert werden. Die Meinungen darüber - so viel ließ sich jedenfalls feststellen – gehen auseinander. Ein Gedanke war, dass die Akteure im Bereich Heimerziehung eine gemeinsame Form kollektiver Selbstkontrollsysteme finden sollten. Hier war die Grundstimmung wahrnehmbar, dass die Qualitätsagentur eine sinnvolle Einrichtung sei und über das zweijährige Modellprojekt hinaus weiter bestehen solle.

Andere Workshops und Fazit

So verhielt es sich auch in den beiden anderen Workshops, die sich mit den Spannungsfeldern "Zwischen Beschreibung und kritischer Bewertung" und "Zwischen ausgehandeltem Einrichtungs- und vorgegebenem Programmrahmen" beschäftigten. Man darf gespannt sein auf das zweite Projektjahr und kann der Qualitätsagentur für ihre Arbeit nur Erfolg wünschen. Vorausgesetzt ist dabei, dass sie den vorhandenen Kapazitäten entsprechend beauftragt wird. Auf dem Fachtag zeigten sich in beeindruckend transparenter und überzeugender Weise die guten Absichten der Agentur und deren Initiatoren, zum Wohl von Kindern und Jugendlichen in der Heimerziehung in Partnerschaft mit den Einrichtungen und deren Trägern zu wirken. Weitergehende Informationen über die Qualitätsagentur Heimerziehung finden Sie auf deren Internetseite: http://www.qualitaetsagentur-heimerziehung.de

Autor: Monika Plaulat, Präsidentin des LSG a.D., Präsidentin des Deustchen Sozialgerichtstages e.V.

Anlass: Fachtagung

Die Fachtagung zur Qualifizierung der Heimerziehung "Ein Jahr Qualitätsagentur Heimerziehung - Aktueller Stand und Perspektiven" fand am 17. Februar 2017 im Jagdschloss Glienicke in Berlin statt. Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte der Qualitätsagentur Heimerziehung kommt die Präsidentin des DSGT e.V. zum Selbstverständnis und der Aufgabensetzung der Agentur. In den Workshops wurde u.a. heiß diskutiert, ob die Qualitätsagentur als "kritischer Freund" oder eher als "verlängerter Arm" der staatlichen Aufsicht zu bewerten sei.

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Schlagwörter: Kinder- und Jugendhilfe, Qualitätsagentur Heimerziehung, Heimerziehung