Anwaltskanzlei auf dem Weg ins digitale Zeitalter

06.09.2017 opener

Auf dem Deutschen Anwaltstag im Frühjahr 2017 in Essen, zu dem ich für den DSGT als Ehrengast eingeladen war, nahm ich u.a. an der Veranstaltung "Legal Tech im Sozialrecht" teil. Dort ging es um die Digitalisierung der Rechtsberatung, so will ich es einmal verkürzt ausdrücken. Der (junge) Vertreter einer (jungen) Bremer Rechtsanwaltskanzlei mit gewöhnungsbedürftigem Namen stellte dort das Konzept einer für manche der Teilnehmer und Teilnehmerinnen nicht weniger gewöhnungsbedürftigen IT-gestützten anwaltlichen Beratung im Bereich von SGB II vor. Es gab viele kritische Fragen, Skepsis und auch einfach nur ungläubiges Staunen. So sollen Mandanten ordentlich beraten werden können? Das kann doch nicht gut sein. Bleibt die gerade bei sozialrechtlichen Mandaten wichtige persönliche Beziehung zwischen Anwalt und Rechtsuchendem nicht auf der Strecke?          

Revolution oder  Evolution der Rechtsdienstleistung

Jedenfalls hat eine Gruppe junger Juristen aus Bremen mit der Online-Überprüfung von Hartz IV-Bescheiden begonnen, die Art und Form anwaltlicher Beratung grundlegend zu verändern und damit die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant. Mittlerweile verfügt die Rechtsanwaltsgesellschaft mbH als Startup im Bereich Legal Tech bundesweit über mehr als 10 000 Mandate (die meisten davon in Berlin).

So wird im digitalisierten Anwaltsbüro gearbeitet

Der Kontakt zur Kanzlei erfolgt grundsätzlich online und telefonisch. Sobald ein Mandat zur Bearbeitung eines Hartz IV-Bescheides vorliegt, reiht es sich automatisch nach den Regeln der Verfristung und einer internen Chronologie in die Bearbeitungsschleife ein. Ist das Mandat an der Reihe, ruft der Rechtsanwalt im System die digitale Akte auf, die alle relevanten Daten/Informationen enthält. Der zuständige Bearbeiter/die Bearbeiterin überprüft die Angaben des Mandanten, die bereits im Vorfeld automatisch abgefragt wurden, und gibt in der Akte mögliche Fehler des Bescheides an. Die Fehlerliste ist lang; den größten Teil machen 25 immer wieder kehrende Fehler aus.

Im weiteren Verlauf kennzeichnet der Rechtsanwalt, welche Daten (z.B. tatsächliches Einkommen) nochmals nachgefragt werden müssen. Die noch offenen Fragen gehen automatisch über ein System an eine Abteilung, deren juristische Mitarbeiter/innen die ungeklärten Daten im Telefongespräch mit dem Mandanten verifizieren. Die Ergebnisse werden wiederum im System vermerkt, das alsdann automatisch den Rechtsanwalt benachrichtigt, wenn weiterer Klärungsbedarf besteht. Werden hingegen die Annahmen des Rechtsanwalts bestätigt, fertigt das System alle im Widerspruchsverfahren benötigten Dokumente und faxt diese an die zuständige Behörde.

Stirbt damit die anwaltliche Betreuung des Einzelfalls ?

Wenn Technologie, Automatisierung, Digitalisierung Einzug halten in ein Metier, das klassischerweise, zumal im Sozialrecht, geprägt ist von dem persönlichen Kontakt zwischen dem Rechtskundigen und dem Rechtsuchenden in einem Gespräch vis à vis in der Kanzlei, wie steht es da um den Einzelfall? Kann Software den Besonderheiten des individuellen Anliegens gerecht werden? Müssen wir uns das digitalisierte Anwaltsbüro als eine Art Rechtsfabrik mit Callcenter vorstellen und den Anwalt als Programmierer oder Systemverwalter?

Nein: Die Software bildet lediglich das Fundament, indem sie die Daten des Mandanten aggregiert, auch individuelle Informationen (selbst jene über Kanäle wie Facebook oder You Tube). Die Sammlung von Informationen ist digitalisiert, auch die Fehlersuche. Es bleibt aber auch hier dabei, dass der Rechtsanwalt den juristischen Prüfungsvorbehalt hat, dass er bei Bedarf in persönlichen Kontakt mit der Mandantschaft tritt, Widerspruchsschreiben formuliert. Kein Widerspruch verlässt die Kanzlei unbegründet. Kontakt besteht nicht nur mit den Leistungsempfängern, sondern auch mit der "Gegenseite", den Jobcentern.

Ziel ist, im Interesse des Mandanten zu einer raschen Einigung mit dem Leistungsträger im Widerspruchsverfahren zu kommen, und in einer großen Zahl der Fälle gelingt dies auch. Das ist und bleibt die anwaltliche Leistung im IT-gestützten Verfahren. Sobald das System keinen "Mehrwert" mehr bietet, wird in den "manuellen Modus" gewechselt. Aber auch an dieser Stelle wird das System mit weiteren Daten gespeist, etwa der Formulierung einer rechtlichen Begründung, so dass wieder ein Baustein entsteht für die vollautomatisch ablaufende zentrale Administration.

Das System "lernt" durch den Input aus dem Einzelfall immer weiter dazu und stellt ein wachsendes zentrales Knowhow-Management zur Verfügung. Das Zusammenwirken zwischen rechtlichem Knowhow-Management und elektronischer Datensammlung strukturiert den "Output" (Schriftsätze, Kommunikation mit den Beteiligten). Endet ein Widerspruchverfahren mit Erlass eines Widerspruchsbescheides, kommen weitere Daten/Informationen hinzu; schließt sich ein Rechtsstreit vor dem Sozialgericht an, ist der manuelle Modus dann allerdings prozentual wesentlich häufiger nötig.

Das Interesse ist es hier aber gerade nicht, auf jeden Fall in das Klageverfahren zu gelangen - wie es eine Reihe von Rechtsanwälten (bemerkenswerterweise keine Rechtsanwältinnen) bekanntlich in einigen Regionen mittels zweifelhafter Methoden in extenso praktiziert.

Legal Tech im Sozialrecht - Wer braucht denn sowas ?

Alle Lebensbereiche der Menschen - das Privatleben ebenso wie die Arbeitswelt - sind von der Digitalisierung erfasst. Sie ist eines der großen Themen unserer Zeit. Längst ist eine Generation herangewachsen, die sich eine analoge Welt nicht mehr vorstellen kann. Und die online per PC und smartphone kommuniziert. Wer es gewohnt ist, das Netz zu nutzen, Produkte zu bestellen, Informationen jeder Art zu beschaffen, schnell und damit zeitsparend von zu Hause aus, dem kommt es entgegen, die Überprüfung eines Hartz-IV-Bescheides ohne Zeitaufwand und unkompliziert online und telefonisch einem Anwalt übergeben zu können.

Einer jungen alleinerziehenden Mutter wird es leichter fallen, auf elektronischem Wege ihren Beratungsbedarf zu decken, statt erst einen Besprechungstermin beim Anwalt, der Anwältin zu erfragen, sich auf den Weg in die Kanzlei zu machen, dort vielleicht auch noch warten zu müssen, um dann schließlich ins anwaltliche Besprechungszimmer vorgelassen zu werden. Wo bleiben die Kinder, das Kind? Wie kommt sie in die Kanzlei? Der Anteil Alleinerziehender an der Mandantschaft ist hoch, erfuhren wir in Bremen. Der Anteil in der Großstadt lebender Mandanten und Mandantinnen auch.

Ein Bedarf für Kommunikation dieser Art ist offenbar vorhanden. Er betrifft Verfahren, in denen repetitives Arbeiten in der Anwaltskanzlei, ob administrativ oder inhaltlich, automatisierbar ist und damit schnell und einfach Rechtsdienstleistungen erbracht werden können.

Grenzenlose Digitalisierung ?

Nein, natürlich nicht. Nicht alles kann automatisiert werden, weder in der Rechtsberatung noch wird das je in der Rechtsprechung der Fall sein. Der "Mehrwert" von Automatisierung und Digitalisierung hat Grenzen. Die liegen dort, wo der Einzelfall kompliziert ist, wo es auf viele persönliche Informationen ankommt, die nicht eben mal am Telefon oder PC geklärt werden können, wo die Beratung in den "manuellen Modus" übergehen muss. Bei schwierigen Sachverhalten geht nichts schnell und ist nichts einfach. Das ausführliche Beratungsgespräch wird nicht überflüssig.

Fazit

Automatisierung und Digitalisierung in der Anwaltskanzlei haben Zukunft, ohne Frage. Der Zugang zur und die Erbringung auch der Rechtsdienstleistung online und per Smartphone erscheint weniger ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass es dem Alltag der Menschen entspricht, online zu kommunizieren. Das digitalisierte Anwaltsbüro ist insofern keine Revolution, sondern die konsequente Nutzung von verfügbarer und sich stets weiter entwickelnder Technologie in der Anwaltskanzlei und Ingebrauchnahme durch Bescheidempfänger in dafür geeigneten Fällen. Es geht um Systematisierung und Strukturierung mittels Datensammlung, um Vereinfachung und Beschleunigung in Fällen, in denen es technisch möglich ist und Sinn macht.

Das "klassische" Beratungsgespräch in der Kanzlei, die herkömmliche persönliche Betreuung im Einzelfall sind durch die Digitalisierung und Automatisierung nicht bedroht und stehen nicht in Gefahr, gar abgeschafft werden zu sollen. Die jungen Rechtsanwälte in Bremen wissen, wann sie einem Mandanten raten müssen, einen "klassischen" Rechtberater aufzusuchen.

Autor: Monika Plaulat, Präsidentin des LSG a.D., Präsidentin des Deustchen Sozialgerichtstages e.V.

Anlass: Bericht der Präsidentin

Auf dem Deutschen Anwaltstag im Frühjahr 2017 in Essen ging es in der Veranstaltung "Legal Tech im Sozialrecht" um die Digitalisierung der Rechtsberatung. Eine Gruppe junger Juristen aus Bremen hat mit der Online-Überprüfung von Hartz IV-Bescheiden begonnen, die Art und Form anwaltlicher Beratung grundlegend zu verändern und damit die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant.

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Schlagwörter: Legal Tech, Digitalisierung, Sozialrecht, Anwaltskanzlei