Neue Hoffnung für Langzeitarbeitslose und Langzeitleistungsbezieher

04.07.2018 opener

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil hat mit Vorlage des Entwurfs eines Teilhabechancengesetzes einen ersten deutlichen Eckpunkt für das ernsthafte Bemühen um Langzeitarbeitslose und Langzeitleistungsbezieher in der Grundsicherung für Arbeitsuchende gesetzt.

Umsetzung bisheriger Erfahrungen

Das Zehnte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetz zur Schaffung neuer Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose auf dem allgemeinen und sozialen Arbeitsmarkt (10. SGB II-ÄndG – Teilhabechancengesetz; RefE vom 11. Juni 2018) setzt im Wesentlichen die bisherigen Erfahrungen, insbesondere mit dem ESF Bundesprogramm für Langzeitarbeitslose, und die Hinweise aus der Praxis der Jobcenter und der Arbeitsmarktexperten um.

In dem nun vorgelegten Referentenentwurf vom 11. Juni 2018 werden zwei wesentliche Stellschrauben zur Förderung von Langzeitleistungsbeziehern (§ 16i SGB II) und von Langzeitarbeitslosen (§ 16e SGB II Neufassung) vorgesehen. Auch wenn der Referentenentwurf noch nicht mit allen Ressorts – insbesondere dem Bundeskanzleramt – abgestimmt ist, dokumentiert der sozialdemokratische Bundesminister hier seinen Willen, die Erfahrungen der vergangenen Jahre und die Hinweise insbesondere der Praxisexperten ernst zu nehmen und in geltendes Recht umzuwandeln.

Herabsetzung der Fördervoraussetzungen

Neu geschaffen wird § 16i SGB II – Teilhabe am Arbeitsmarkt – mit deutlich herabgesetzten Fördervoraussetzungen (sechs Jahre Leistungsbezug innerhalb der letzten sieben Jahre, Unschädlichkeit von Unterbrechung durch kurzzeitige sozialversicherungspflichtige, geringfügige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit). Der Beschäftigungszuschuss beträgt 100 Prozent in den ersten 24 Monaten und schmilzt dann weiter jährlich um 10 Prozent ab. Bemessungsgrundlage soll der Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz sein. Es ist eine beschäftigungsbegleitende Betreuung vorgesehen, für die der jeweilige Arbeitgeber eine Freistellung erteilen muss.

§ 16i SGB II wird insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Bundesprogramm für Langzeitarbeitslose verändert. Voraussetzung ist weiterhin eine zweijährige Arbeitslosigkeit. Der Arbeitgeberzuschuss beträgt im ersten Jahr 75 Prozent und im zweiten Jahr 50 Prozent des Arbeitsentgelts bei einer Mindestbeschäftigungszeit von zwei Jahren. Es wird eine Nachbeschäftigungspflicht von sechs Monaten eingeführt. Auch hier wird eine beschäftigungsbegleitende Betreuung für die ersten sechs Monate vorgeschrieben, für die der Arbeitgeber eine Freistellung zu erteilen hat.

Offene Fragen

Insbesondere zu § 16i SGB II stellen sich Fragen. Darunter die, ob hinsichtlich der Zielgruppe der Förderung ein langer Leistungsbezug ohne Festschreibung etwaiger weiterer konkreter Vermittlungshemmnisse ausreichend ist und welche Korrektive bei Verzicht auf die Kriterien Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und öffentliches Interesse greifen, um Verdrängungseffekten vorzubeugen. Außerdem wird aus der Praxis massiv bemängelt, dass die Bemessung des Lohnkostenzuschusses am Mindestlohn – wie im Koalitionsvertrag vorgesehen – ansetzt. Die Praxis weist darauf hin, dass eine Bemessung am tatsächlich zu zahlenden Arbeitsentgelt nötig erscheint, damit das neue Instrument auch für tarifgebundene Unternehmen und Kommunen attraktiv ist und der notwendige Abstand zu § 16e SGB II neu gewahrt bleibt.

„Passiv-Aktiv-Tausch“

Noch nicht in diesem Gesetzesentwurf enthalten ist allerdings das angekündigte Regelungsvorhaben des BMAS zum Passiv-Aktiv-Tausch. Nach Angabe des Bundesministeriums sollen die Voraussetzungen dafür im entsprechenden Einzelplan des Bundeshaushalts geschaffen werden. Dabei soll vorgesehen sein, dass die durch die Maßnahmen nach § 16i SGB II eingesparten Ausgabemittel des Bundes für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zusätzlich für die Finanzierung der Maßnahmen nach § 16i SGB II zur Verfügung gestellt werden können (Passiv-Aktiv-Tausch). Dieses Vorhaben soll in einem weiteren Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden.

Auffassung des Deutschen Sozialgerichtstags e.V.

Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. begrüßt ausdrücklich diese ersten Schritte, die auf den Abbau des Sockels an Langzeitarbeitslosen und Langzeitleistungsbeziehern zielen. Insbesondere stimmt der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. dem wesentlichen Zweck dieser Beschäftigungsinitiativen zu, den Menschen die Möglichkeit zur Teilhabe zu eröffnen, die schon über einen langen Zeitraum Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten und arbeitslos bzw. geringfügig beschäftigt sind. Es ist zu hoffen, dass diese erfreuliche, aber auch überfällige Initiative, die weitgehend auf bürokratische Hürden verzichtet, nicht durch neue Hürden blockiert oder erschwert wird.

Darüber hinaus hat der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. die Erwartung, dass der Bundesarbeits- und sozialminister dieser Initiative alsbald weitere folgen lässt. Hier insbesondere eine weitere Entbürokratisierung und Vereinfachung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die auch die Bedarfsdeckung für Wohnen und Heizung betreffen müsste.

Autor: Gerd Goldmann, Niedersächsischer Landkreistag, Vorsitzender der SGB II Kommission des DSGT e.V.

Anlass: Gesetzesentwurf

Der vorliegende Gesetzesentwurf setzt die bisherigen Erfahrungen, insbesondere mit dem ESF Bundesprogramm für Langzeitarbeitslose, den Hinweisen aus der Praxis der Jobcenter sowie der Arbeitsmarktexperten um und soll die Förderung von Langzeitleistungsbeziehern und Langzeitarbeitslosen verbessern. Insbesondere sollen die Fördervoraussetzungen herabgesetzt werden. Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. begrüßt, trotz offener Fragen und des im Gesetzesentwurf nicht enthaltenen "Passiv-Aktiv-Tauschs", diese ersten Schritte, die auf den Abbau des Sockels an Langzeitarbeitslosen und Langzeitleistungsbeziehern zielen.

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Schlagwörter: Langzeitarbeitslose, Passiv-Aktiv-Tausch, Teilhabechancengesetz, Langzeitleistungsbezieher