Rentenversicherungsbericht 2017

21.03.2018 opener

Der von der Bundesregierung vorgelegte Rentenversicherungsbericht 2017 gibt ebenso wie die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD Anlass zu einer Positionierung des Deutschen Sozialgerichtstages e.V. (DSGT). Die wichtigsten und aus Sicht des DSGT für eine nachhaltige Sicherung der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) als tragende Säule der Alterssicherung im Vordergrund stehenden Ergebnisse des Berichts sind - neben der Schätzung der Nachhaltigkeitsrücklage und der Senkung des Beitragssatzes um 0,1 Prozentpunkte auf 18,6 % - die Aussagen zur Entwicklung des Eckrentenniveaus. Das Sicherungsniveau vor Steuern, das die Relation von Renten zu Löhnen zum Ausdruck bringt, beträgt derzeit 48,2 % und sinkt bei unveränderter Rechtslage nach dem Jahr 2024 unter 48 % bis auf rund 45 % im Jahr 2030 und 44,6 % im Jahr 2031. Die Beitragssatzentwicklung wird im Bericht bis 2022 als stabil beschrieben; anschließend steigt der Beitragssatz wieder schrittweise an bis auf 21,9 % im Jahr 2031.

Der DSGT sieht Anlass zur Sorge

Der Bericht gibt im Hinblick auf die langfristige Entwicklung des Rentenniveaus, die letztlich Ausfluss in der Vergangenheit realisierter Reformbestrebungen zur Sicherung der Finanzierungsgrundlagen und der Funktionsfähigkeit der GRV ist, Anlass zu berechtigter Sorge, zumal mit dem in naher Zukunft zu erwartenden Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge die demografische Herausforderung erstmals voll zum Tragen kommen wird. Die gesetzliche Rente wird, was auch in dem Bericht zutreffend – und wiederholt – festgestellt wird, unter Zugrundelegung der derzeitigen Rechtslage in absehbarer Zeit alleine nicht ausreichen, um den Lebensstandard des Erwerbslebens im Versorgungsfall auch nur annähernd zu erhalten.

Hieraus ergibt sich die zentrale Forderung des DSGT: Die Sicherung eines auch gesamtgesellschaftlich als auskömmlich angesehenen Rentenniveaus verbunden mit einer tragfähigen Sicherung der hierfür erforderlichen Liquiditätsgrundlagen der GRV stellen sich als die zentrale Herausforderung aus dem Rentenversicherungsbericht 2017 für die Zukunft dar. Auch die Politik hat dies erkannt und plant für die begonnene Legislaturperiode – wie dem Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD zu entnehmen ist – umfangreiche Maßnahmen im Bereich der GRV.

So wurden „Haltelinien“ für Beitragssatz und Rentenniveau vereinbart, deren Finanzierungslasten nach geltendem Recht auf Beitragszahler, Rentner und Bund zu verteilen wären, ohne die Finanzierungsquellen im Einzelnen aufzuzeigen. Soll das Rentenniveau bis 2025 trotzdem bei 48 % stabil bleiben, müsste der Beitragssatz im Gegenzug schneller steigen. Um den Beitragssatz bis 2025 nicht über 20 % ansteigen zu lassen, bedarf es ganz erheblicher zusätzlicher Steuermittel.

Der DSGT fordert eine ehrliche Finanzierungsdebatte

Hier fordert der DSGT – und er hat dies bereits vielfach in der Vergangenheit getan - eine ehrliche Debatte, welche Lasten der GRV aus Steuermitteln zu finanzieren sind und wie insoweit eine nachhaltige Finanzierung der GRV auch in absehbar wirtschaftlich weniger erfolgreichen Jahren gesichert werden kann. Dabei ist es unabdingbar, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben, wie die nunmehr beabsichtigte nochmalige Verbesserung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten, aus Steuermitteln erbracht werden müssen. Die Kosten für die Mütterrente II werden auf rund 3,5 Milliarden € pro Jahr geschätzt, für die Mütterrente I liegen sie bei rund 7,2 Milliarden € jährlich.

Der DSGT fordert eine steuerfinanzierte Mütter- und Grundrente

Der DSGT hatte bereits im Vorfeld des Rentenpakets 2014 eine steuerfinanzierte Mütterrente dringend angemahnt. Gleiches sollte ohne Abstriche für die – ganz erheblichen - Mehrkosten für die zwischen Union und SPD vereinbarte bedürftigkeitsgeprüfte Grundrente gelten, wobei sich hier auch die Frage stellt, ob diese letztlich dem Versicherungsprinzip fremde Leistung bei den Rentenversicherungsträgern anzusiedeln wäre. Bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen zur Armutsvermeidung sind nicht von den Beitragszahlern, sondern von der Gesellschaft insgesamt zu tragen. Hierbei erneuert der DSGT seine Kritik, dass eine Grund- bzw. die - in den vergangenen Legislaturperioden angedachte - Solidarrente bzw. Lebensleistungsrente mit gleicher Zielrichtung den unterbrochenen Erwerbsbiografien gerade von Frauen bzw. prekär Beschäftigten nicht gerecht wird, so dass das Hauptaugenmerk auf der allgemeinen Sicherung des Rentenniveaus liegen muss.

Der Koalitionsvertrag ist teilweise unzureichend

Der Koalitionsvertrag erschöpft sich hier in einem Ausblick (nur) bis 2025, während die größten demografischen Herausforderungen indes erst nach diesem Zeitpunkt zu bewältigen sein werden. Nach den aktuellen Vorausberechnungen der Deutschen Rentenversicherung Bund werden für das Jahr 2045 ein gesetzliches Rentenniveau von 42,2 % und ein Beitragssatz von 23,2 % erwartet. Der Gesetzgeber sollte kritisch prüfen, ob damit noch ein gesellschaftlich akzeptables Rentenniveau und ein akzeptabler Beitragssatz gewährleistet sind, insbesondere auch im Hinblick auf die Entwicklungen der zweiten und dritten Säule der Alterssicherung.

Deshalb ist hier nochmals darauf hinzuweisen: Eine langfristige Liquiditätsplanung für die GRV gerade unter dem Gesichtspunkt einer nicht ausufernden Beitragssatzentwicklung tut jetzt not, nicht erst nach Ablauf einer weiteren Legislaturperiode. In Anbetracht der prognostizierten demografischen Herausforderungen und der sich nach geltender Rechtslage abzeichnenden ungünstigen Entwicklung von Rentenniveau und Beitragssatz ist unabdingbar, dass Leistungen der GRV, und zwar neue wie auch laufende, für die keine Beiträge gezahlt wurden und die Ausfluss gesamtgesellschaftlicher Aufgaben sind, in vollem Umfang aus Steuermitteln aufzubringen sind.

Eine Rentenkommission soll es richten

Dass die einzusetzende Rentenkommission einen Vorschlag erarbeiten soll, welche Mindestrücklage erforderlich ist, um die ganzjährige Liquidität der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern, ist dabei ein zu begrüßender Ansatz. Die Mindestrücklage bedarf nach Ansicht des DSGT auch in Ansehung einer nicht als sicher anzunehmenden gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einer deutlichen Erhöhung. Die Deutsche Rentenversicherung fordert insoweit eine Verdoppelung auf 0,4 Monatsausgaben. Der DSGT unterstützt diese Forderung.

Altersarmut und Erwerbsminderungsarmut

Armut im Alter, aber auch „Erwerbsminderungsarmut“ sind zentrale Themen des DSGT, der schon mehrfach einen Wegfall der sachlich nicht zu rechtfertigenden Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten gefordert hat. Der Rentenversicherungsbericht 2017 erhellt, dass das Niveau der Erwerbsminderungsrenten zwar stabil geblieben ist, gerade aber Frauen, vor allem in den alten Bundesländern, erheblich niedrigere Zahlbeträge erhalten. Die Gründe hierfür sind bekannt. Gerade deswegen ist der Gesetzgeber hier gefordert. Eine Abschaffung der Abschläge wäre neben der im Koalitionsvertrag angestrebten beschleunigten Anhebung der Zurechnungszeit im Bereich der Erwerbsminderungsrenten ein Schritt zu einer besseren Absicherung von Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentnern. Gleichzeitig wären damit nicht unerhebliche Kosten verbunden, die hier allerdings Ausfluss einer gesamtgesellschaftlich breit akzeptierten Verbesserung des Sicherungsniveaus gerade bei diesem Personenkreis wären.

Kommt die „Opt-out-Lösung“ für Selbstständige?

Ein weiteres Augenmerk ist in Ansehung des Rentenversicherungsberichts darauf zu richten, dass viele Selbstständige bislang nicht verpflichtend in ein Alterssicherungssystem einbezogen sind. Vermeidung von Altersarmut muss auch für diese Personenkreise Richtschnur staatlichen Handelns sein, ggfs. durch eine Einbeziehung in die GRV. Nach den Daten der Rentenversicherung ist das Risiko von Selbständigen, im Alter auf Grundsicherung angewiesen zu sein, doppelt so hoch wie bei abhängig Beschäftigten. Der Koalitionsvertrag hat, und dies ist besonders positiv zu bewerten, hierzu eine verpflichtende Absicherung von Selbstständigen („Opt-out-Lösung“) vereinbart.

Eine Absicherung in der GRV böte mannigfache Vorteile: Wer bei der Rentenversicherung Beiträge zahlt, erhält neben der Rentenzahlung im Alter etwa auch Reha-Leistungen und ist im Fall der Erwerbsminderung ebenfalls abgesichert. Ggfs. sind hier Mindestbeiträge mit staatlichen Zuschüssen anzudenken. Ferner sollte nicht nur, aber insbesondere für Selbstständige, die Möglichkeit zusätzlicher Einzahlungen in die GRV eröffnet werden. Warum soll das nur in privaten Systemen (PRV) möglich sein aber nicht in der starken GRV? Dabei ist insgesamt ein breiter politischer Konsens anzustreben, damit die Einbeziehung Selbständiger auch bei den Betroffenen auf möglichst breite Akzeptanz trifft.

Autor: Jürgen Mälicke, VRiLSG Berlin-Brandenburg; Vorsitzender der SGB VI-Kommission des DSGT e.V.

Anlass: Positionspapier

Der Rentenbericht gibt im Hinblick auf die langfristige Entwicklung des Rentenniveaus Anlass zu Sorge, zumal mit zum erwartenden Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge die demografische Herausforderung erstmals voll zum Tragen kommen wird. Der DSGT fordert eine ehrliche Finanzierungsdebatte, insbesondere für die steuerfinanzierte Mütter- und Grundrente und unterbreitet weitere Vorschläge zur Bekämpfung der Erwerbsminderungsarmut. Er begrüßt die im Koalitionsvertrag vereinbarte "Opt-out-Lösung" für Selbstständige.

Rubrik:

Schlagwörter: Rentenbericht 2017, gesetzliche Rentenversicherung, Altersarmut und Erwerbsminderungsarmut, Rentenfinanzierung, Koalitionsvertrag 2018