Kurzbericht der Kommission Verfahrensrecht beim 8. DSGT am 3.11.2022

09.11.2022 opener

  • „Arbeits- und Sozialgericht und Sozialverwaltung in der Pandemie“
  • „Aktuelle prozessuale Fragestellungen zum elektronischen Rechtsverkehr“
  • „Vertretungsbefugnis von Rentenberatern nach Rechtsänderung und aktueller Rechtsprechung“

Die Sitzung der Kommission Verfahrensrecht stand unter dem Generalthema "Gewährleistung der Verfahrensrechte bei voranschreitender Digitalisierung". Die in den letzten Jahren deutlich vorangeschrittene Digitalisierung in der Sozialverwaltung und bei den Sozialgerichten hat durch die Corona-Pandemie einen zusätzlichen Schub erfahren. Die Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten und die Führung von Gerichts- und Verwaltungsakten erfolgen zu einem großen Teil bereits elektronisch. Mündliche Verhandlungen unter Einsatz von Videokonferenztechnik gehören vielerorts schon zum gerichtlichen Alltag. Dies ermöglicht im Interesse aller Beteiligten eine effektive Verfahrensführung, birgt aber auch Nachteile und Risiken, etwa wenn es um die Einhaltung von Formvorschriften, die Gewährung von Akteneinsicht oder die Gestaltung und den reibungslosen Ablauf der mündlichen Verhandlung geht. Dabei sind die Verfahrensrechte der Beteiligten stets im Blick zu behalten, insbesondere die Ansprüche auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz sowie das durch die EMRK verbürgte Recht auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Einige der in diesem Zusammenhang stehenden aktuellen Fragestellungen hat die Kommission Verfahrensrecht näher beleuchtet.

Begonnen hat die Sitzung mit dem traditionellen Bericht aus dem "Maschinenraum" der Gesetzgebung durch Dr. Danny Hochheim aus dem Referat IVa1 (Sozialgesetzbuch, Sozialgerichtsbarkeit, Digitale Transformation) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Er berichtete unter anderem über die anstehende Revision der eIDAS-Verordnung (VO EU 910/2014), mit der zur europaweit einheitlichen Identifikation die Einführung einer "europäischen Brieftasche" geplant sei, sowie über die vonseiten des Bundesministeriums des Innern und für Heimat angedachte allgemeine Once-Only-Generalklausel, die auf ausdrückliches Ersuchen des Bürgers eine nur einmalige Datenerfassung bei diesem mit anschließendem Austausch von erforderlichen Nachweisen zwischen Behörden vorsehe und wahrscheinlich auch Änderungen im Sozialgesetzbuch erfordere. Das Bundesministerium der Justiz erarbeite außerdem Änderungen der gesetzlichen Regelungen zur Videoverhandlung. Neben der Anordnung der Teilnahme an einer Videoverhandlung werde auch nachgedacht über die Möglichkeit einer "Vollvideoverhandlung", bei der weder das Gericht noch die Beteiligten physisch im Gerichtssaal anwesend sind. Das BMAS erwäge für das SGG demgegenüber - wie die Parlamentarische Staatssekretärin Griese in ihrem Grußwort am Vormittag bereits angedeutet hat - eine weniger weitgehende Änderung des § 110a SGG, die die Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens berücksichtige und eine "exkludierte Digitalisierung" einzelner Rechtsschutzsuchender möglichst vermeide. Über die Vor- und Nachteile des Einsatzes von Videokonferenztechnik in mündlichen Verhandlungen wurde in der Kommission intensiv und zum Teil kontrovers diskutiert.

Der Direktor des Sozialgerichts Darmstadt, Prof. Dr. Henning Müller, gab als ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet einen Überblick über die aktuellen prozessualen Fragestellungen zum elektronischen Rechtsverkehr. Er berichtete unter anderem, dass die Kommunikation mit Anwälten und Behörden über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) und das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) in der Praxis recht gut funktioniere, dass es jedoch bei vielen - vor allem kommunalen - Behörden noch deutliche Umsetzungsdefizite gebe. Für Bürgerinnen und Bürger sei die De-Mail eher ein Auslaufmodell und das elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) mit Kosten verbunden. Eine kostenlose Alternative sei das auf der Grundlage des Onlinezugangsgesetzes eingerichtete OZG-Portal. Problematisch und zum Teil umstritten seien derzeit unter anderem Fragen im Zusammenhang mit der Nutzungspflicht des beA durch Syndikusanwälte (§ 65d Satz 1 SGG), der Ausnahme von der Nutzungspflicht bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit (§ 65d Satz 3 SGG) sowie der Eröffnung elektronischer Zugangswege durch Behörden (§ 36a Abs. 1 SGB I). Große praktische Probleme gebe es nach wie vor hinsichtlich der Übermittlung elektronisch geführter Behördenakten.

Prof. Dr. Armin Höland vom Zentrum für Sozialforschung Halle und Prof. Dr. Felix Welti von der Universität Kassel berichteten über ihr gemeinsames Forschungsprojekt zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit und die Sozialverwaltung, wobei sie ihren Fokus vor allem auch in die Zukunft richteten. Behörden und Sozialgerichte hätten Infektionsschutzmaßnahmen rasch und erfolgreich umgesetzt, was allerdings zu Einschränkungen des Rechtsschutzes geführt habe. Es seien während der Pandemie deutlich weniger mündliche Verhandlungen durchgeführt worden und die Erreichbarkeit von Mitarbeitenden der Behörden und der Gerichte im Homeoffice sei von den im Rahmen der Untersuchung Befragten vielfach bemängelt worden. Die zu Beginn der Pandemie eingeführte Sonderregelung des § 211 SGG habe kaum praktische Bedeutung erlangt. Allerdings habe die Pandemie insgesamt einen deutlichen Digitalisierungsschub bewirkt. Insofern bestehe ein dringender Diskussions- und weiterer Forschungsbedarf zu der Frage, wie Verwaltungs- und Gerichtsverfahren künftig ausgestaltet werden sollen, in welchem Verhältnis mündliche, schriftliche und elektronische Verfahrensführung dabei stehen sollen und in welchem Umfang Videokonferenztechnik zum Einsatz kommen soll.

Abgerundet wurde die Kommissionssitzung durch einen Vortrag des Rentenberaters und 1. Stellvertretenden des Präsidenten des Bundesverbandes der Rentenberater e.V. Rudi Werling. Er stellte die historische Rechtsentwicklung und die Rechtsprechung dazu dar und gelangte zu der Einschätzung, dass trotz einer zwischenzeitlichen gesetzlichen Klarstellung zentrale Fragen nach wie vor umstritten und nicht geklärt seien. Eine aktuelle Entscheidung des Bundessozialgerichts zu diesem Thema habe nicht die erhoffte Klärung gebracht, sondern neue Fragen aufgeworfen. Insofern bestehe aus seiner Sicht auch weiterer gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

 

Autor: RiLSG Jörn Hökendorf, Pressesprecher DSGT e.V.

Anlass: Kommission Verfahrensrecht beim 8. DSGT

Die Sitzung der Kommission Verfahrensrecht stand unter dem Generalthema "Gewährleistung der Verfahrensrechte bei voranschreitender Digitalisierung". Dabei sind die Verfahrensrechte der Beteiligten stets im Blick zu behalten, insbesondere die Ansprüche auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz sowie das durch die EMRK verbürgte Recht auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Einige der in diesem Zusammenhang stehenden aktuellen Fragestellungen hat die Kommission Verfahrensrecht näher beleuchtet.

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