Sozialhilfeansprüche sogenannter Konventionsflüchtlinge
Gründe:
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob einem Konventionsflüchtling, für den ein Abschiebungsverbot besteht und der
über eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis verfügt, laufende Sozialhilfe außerhalb des Bundeslandes, in dem
die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist, verweigert werden darf.
1. Der Beschwerdeführer ist kubanischer Staatsangehöriger. Im November 1994 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge fest, daß bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz - AuslG) vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354) vorliegen. § 51 Abs. 1 AuslG regelt in Anlehnung an die Vorschriften des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl 1953
II S. 559) ein Abschiebungsverbot. In der Folgezeit wurde dem Beschwerdeführer von der sächsischen Landeshauptstadt Dresden eine räumlich
nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG erteilt. Nach Beendigung des Asylverfahrens zog der Beschwerdeführer nach Berlin um. Zu den Umzugsgründen sind in der Verfassungsbeschwerde
keine Angaben gemacht. Mit Bescheid vom 21. August 1996 und Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 1996 lehnte das Land Berlin
den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung laufender Sozialhilfe ab. Der Beschwerdeführer suchte um vorläufigen Rechtsschutz
nach. Das Verwaltungsgericht Berlin lehnte den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ab. Ein Anordnungsanspruch sei
nicht glaubhaft gemacht. Dem Begehren stehe die Regelung des § 120 Abs. 5 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in der Fassung des Art. 2 des Gesetzes zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften vom 30. Juni 1993
(BGBl I S. 1062) entgegen. Die Vorschrift sei auch auf Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge(Konventionsflüchtlinge) anzuwenden. Das verstoße weder gegen Völkervertragsrecht noch gegen Verfassungsrecht. Das Oberverwaltungsgericht
Berlin wies die Beschwerde des Beschwerdeführers aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses zurück.
2. Der Beschwerdeführer hat gegen die Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen Verfassungsbeschwerde erhoben und eine Verletzung
der Art.
2 Abs.
1 und
2, Art.
3 Abs.
1 und Art.
20 Abs.
1 GG gerügt. § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG sei verfassungswidrig auch auf Konventionsflüchtlinge angewandt worden. Dadurch werde ihm - dem Beschwerdeführer - der notwendige
Lebensunterhalt entzogen. Er gehöre zu der Gruppe privilegierter Ausländer, denen über § 120 Abs. 1 Satz 3 BSHG ein erhöhter Sozialhilfestandard gewährleistet sei.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt. So
ist entschieden, daß die Anwendung der Vorschriften über den vorläufigen Rechtsschutz verfassungsgerichtlich nur dann beanstandet
werden kann, wenn sie Fehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung der Grundrechte
des jeweiligen Antragstellers und seines Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz beruhen (BVerfGE 79, 69 [74 f.]). Das Bundesverfassungsgericht hat auch geklärt, unter welchen Voraussetzungen die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes
Art.
3 Abs.
1 GG in seiner Bedeutung . als Willkürverbot verletzen kann (BVerfGE 87, 273, [278 f.]; stRspr). Schließlich bedarf keiner weiteren Klärung, in welchen Grenzen Nichtdeutschen nach Art.
2 Abs.
1 GG das Recht gewährleistet ist, Aufenthalt und Wohnsitz in Deutschland frei zu wählen (vgl. BVerfGE 35, 382 [399 ff.]; Beschluß vom 10. April 1997, 2 BvL 45/92, Umdruck S. 16 ff.).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Rechte des Beschwerdeführers
angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht
gegen Grundrechte des Beschwerdeführers.
Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht haben die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unter anderem davon abhängig
gemacht, daß der Beschwerdeführer das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft macht. Das entspricht einer ständigen
Praxis der Verwaltungsgerichte und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfGE 79, 69 [74]). Soweit die Verwaltungsgerichte bei der Prüfung der Erfolgsaussichten die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs
unter Hinweis auf § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG verneint haben, ist auch diese Rechtsanwendung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Die angegriffenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen sind nicht willkürlich.
Zwar hat die von den Gerichten vorgenommene Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG praktisch zur Folge, daß der Beschwerdeführer trotz seiner räumlich unbeschränkten Aufenthaltsbefugnis seinen Lebensmittelpunkt
in Sachsen aufrechterhalten muß, weil ihm nur dort die Sozialhilfe erhalten bleibt. Die Regelung stellt damit faktisch eine
Hürde für den Umzug in ein anderes Bundesland auf, beläßt dem Beschwerdeführer aber die Freiheit des Umzugs innerhalb Sachsens
und damit die Möglichkeit, besonderen Lebensumständen und besonderen Lebensvorstellungen durch Verlagerung des Lebensmittelpunktes
innerhalb eines Flächenstaates hinreichend Rechnung zu tragen. Das Umzugshindernis besteht auch nur während der zweijährigen
Geltungsdauer der Aufenthaltsbefugnis. Zieht der Beschwerdeführer vor ihrem Ablauf in ein anderes Bundesland um, so sind die
dortigen Behörden für ihre Verlängerung und in der Folge auch für die Gewährung von Sozialhilfe zuständig. Bei dieser Sachlage
ist es nicht willkürlich, wenn Verwaltung und Gerichte in einem solchen Fall dem Zweck des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG den Vorrang eingeräumt haben, die hohen und langdauernden Sozialhilfelasten auf die Bundesländer angemessen zu verteilen
und aus diesem Grund eine Verlagerung von Sozialhilfelasten in andere Bundesländer durch Binnenwanderung zu verhindern (BRDrucks.
11/90 S. 91; BTDrucks. 11/6321 S. 90). Zugleich soll mißbräuchlicher (mehrfacher) Inanspruchnahme von Sozialhilfe entgegengewirkt
werden. Mit diesen Erwägungen haben sich Verwaltung und Gerichte unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des § 120 BSHG und unter Berücksichtigung der Entwicklungen im Aufenthaltsrecht sowie der besonderen Rechtsstellung des Beschwerdeführers
als Konventionsflüchtling eingehend auseinandergesetzt. Soweit sie dabei die Bestimmungen des Abkommens über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge nicht als Sonderregelungen angesehen haben, die eine Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG ausschließen, und die mit dem Verbleib in Sachsen verbundenen, oben beschriebenen Nachteile auch bei dem Beschwerdeführer
als Konventionsflüchtling für zumutbar gehalten haben, ist eine Auslegung gewählt, die weder auf sachfremden Erwägungen beruht
noch offensichtlich einschlägige Normen unberücksichtigt läßt oder kraß mißdeutet (vgl. BVerfGE 87, 273 [278 f.]).
b) Die Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG auf den Beschwerdeführer verletzt auch nicht dessen Grundrecht aus Art.
2 Abs.
1 GG. Das auch Nichtdeutschen zustehende Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art.
2 Abs.
1 GG, das die freie Wahl des Aufenthaltsortes und des Wohnsitzes in Deutschland einschließt (vgl. BVerfGE 35, 382 [399]), ist durch die verfassungsmäßige Ordnung begrenzt, zu der auch § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG gehört. Im Hinblick auf das öffentliche Interesse an einer angemessenen Verteilung der Sozialhilfekosten unter den Bundesländern
sind die mit einer Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG für den Beschwerdeführer verbundenen Nachteile verhältnismäßig, zumal das mit einer Aufenthaltsbefugnis gewährte Recht, sich
in Deutschland frei zu bewegen, durch § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG nicht eingeschränkt wird.
c) Dem Beschwerdeführer erwächst durch die Nichtannahme seiner Verfassungsbeschwerde auch kein besonders schwerer Nachteil
im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Die von der Verwaltung und den Gerichten vorgenommene Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG stellt den Sozialhilfeanspruch als solchen nicht in Frage, weil der Beschwerdeführer laufende Sozialhilfeleistungen jedenfalls
von Sozialhilfeträgern in Sachsen erhalten kann. Er hat nicht vorgetragen, warum ihn eine Rückkehr nach Sachsen besonders
schwer treffen würde.
Im übrigen wird von einer Begründung des Nichtannahmebeschlusses gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.