Sozialhilfeansprüche sogenannter Konventionsflüchtlinge
Gründe:
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob einem Konventionsflüchtling, für den ein Abschiebungsverbot besteht und der
über eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis in der Bundesrepublik Deutschland verfügt, laufende Sozialhilfe außerhalb
des Bundeslandes, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist, verweigert werden darf.
1. Der Beschwerdeführer ist Kurde türkischer Staatsangehörigkeit und Haushaltsvorstand einer zehnköpfigen Familie. Das Asylverfahren
endete mit einer Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz - AuslG) vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354). § 51 Abs. 1 AuslG regelt in Anlehnung an die Vorschriften des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl 1953
II S. 559) ein Abschiebungsverbot. In der Folgezeit wurde dem Beschwerdeführer vom Landkreis Altenkirchen/Betzdorf (Rheinland-Pfalz)
eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG erteilt. Wegen schulischer Probleme seines jüngsten Sohnes und zum Zwecke der Kontaktaufnahme mit kurdischen Landsleuten
zog die Familie des Beschwerdeführers im März 1996 nach Bremen um, beantragte dort die Gewährung von Sozialhilfeleistungen
und erhielt diese zunächst für zehn Monate. Mit Bescheid vom 5. Dezember 1996 stellte die Stadtgemeinde Bremen die laufende
Sozialhilfe unter Hinweis auf § 120 Abs. 5 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in der Fassung des Art. 2 des Gesetzes zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften vom 30. Juni 1993
(BGBl I S. 1062) ein. Der Beschwerdeführer erhob Widerspruch und suchte um vorläufigen Rechtsschutz nach. Das Verwaltungsgericht
der Freien Hansestadt Bremen lehnte den Eilantrag ab und ließ die Beschwerde nicht zu. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft
gemacht. Dem Begehren stehe die eindeutige Regelung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG entgegen, wonach Ausländern, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis besitzen, im Bundesgebiet außerhalb
des Bundeslandes, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist, nur die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe
geleistet werden darf. Keine andere Beurteilung der Rechtslage ergebe sich daraus, daß zunächst - in Verkennung der Rechtslage
- Sozialhilfe gewährt worden sei. Das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen lehnte den Antrag auf Zulassung
der Beschwerde unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung ab.
2. Der Beschwerdeführer hat unmittelbar gegen die Gerichtsentscheidungen und mittelbar gegen § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG Verfassungsbeschwerde erhoben und eine Verletzung der Art.
2 Abs.
1, Art.
3 Abs.
1 und Art.
20 Abs.
3 GG gerügt. Außerdem hat er einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gestellt und um die Gewährung von Prozeßkostenhilfe
unter Beiordnung eines Rechtsanwalts nachgesucht. § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG sei verfassungswidrig ausgelegt worden, soweit die Vorschrift auch auf Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Konventionsflüchtlinge) angewandt worden sei. Die wegen der räumlich nicht beschränkten Aufenthaltsbefugnis bestehende Freizügigkeit
werde dadurch verfassungswidrig eingeschränkt. Ihm - dem Beschwerdeführer - und seiner Familie drohe nun in Bremen Obdachlosigkeit,
weil sie keine laufende Sozialhilfe mehr erhielten. Eine Rückkehr in den Landkreis Altenkirchen/Betzdorf sei für ihn und seine
Familie unzumutbar.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt. So
ist entschieden, daß die Anwendung der Vorschriften über den vorläufigen Rechtsschutz verfassungsgerichtlich nur dann beanstandet
werden kann, wenn sie Fehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung der Grundrechte
des jeweiligen Antragstellers und seines Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz beruhen (BVerfGE 79, 69 [74 f.]). Das Bundesverfassungsgericht hat auch geklärt, unter welchen Voraussetzungen die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes
Art.
3 Abs.
1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot verletzen kann (BVerfGE 87, 273 [278 f.]; stRspr). Schließlich bedarf keiner weiteren Klärung, in welchen Grenzen Nichtdeutschen nach Art.
2 Abs.
1 GG das Recht gewährleistet ist, Aufenthalt und Wohnsitz in Deutschland frei zu wählen (vgl. BVerfGE 35, 382 [399 ff.]; Beschluß vom 10. April 1997, 2 BvL 45/92, Umdruck S. 16 ff.).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Rechte des Beschwerdeführers
angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen nicht
Grundrechte des Beschwerdeführers.
Das Verwaltungsgericht hat die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unter anderem davon abhängig gemacht, daß der Beschwerdeführer
das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft macht. Das entspricht der ständigen Praxis der Verwaltungsgerichte und ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfGE 79, 69 [74]). Soweit das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der Erfolgsaussichten die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs
unter Hinweis auf § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG verneint hat, ist auch diese Rechtsanwendung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen sind nicht willkürlich.
Zwar hat die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG praktisch zur Folge, daß der Beschwerdeführer trotz seiner räumlich unbeschränkten Aufenthaltsbefugnis seinen Lebensmittelpunkt
in Rheinland-Pfalz aufrechterhalten muß, weil ihm nur dort die Sozialhilfe erhalten bleibt. Die Regelung stellt damit faktisch
eine Hürde für den Umzug in ein anderes Bundesland auf, beläßt dem Beschwerdeführer aber die Freiheit des Umzugs innerhalb
des Bundeslandes Rheinland-Pfalz und damit die Möglichkeit, besonderen Lebensumständen und besonderen Lebensvorstellungen
durch Verlagerung des Lebensmittelpunktes innerhalb eines Flächenstaates hinreichend Rechnung zu tragen. Das Umzugshindernis
besteht auch nur während der zweijährigen Geltungsdauer der Aufenthaltsbefugnis. Zieht der Beschwerdeführer vor ihrem Ablauf
in ein anderes Bundesland um, so sind die dortigen Behörden für ihre Verlängerung und in der Folge auch für die Gewährung
von Sozialhilfe zuständig. Bei dieser Sachlage ist es nicht willkürlich, wenn Verwaltung und Gerichte in einem solchen Fall
dem Zweck des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG den Vorrang eingeräumt haben, die hohen und langdauernden Sozialhilfelasten auf die Bundesländer angemessen zu verteilen
und aus diesem Grund eine Verlagerung von Sozialhilfelasten in andere Bundesländer durch Binnenwanderung zu verhindern (BRDrucks.
11/90 S. 91; BTDrucks. 11/6321 S. 90). Zugleich soll mißbräuchlicher (mehrfacher) Inanspruchnahme von Sozialhilfe entgegengewirkt
werden. Mit diesen Erwägungen hat sich das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des § 120 BSHG und unter Berücksichtigung der Entwicklungen im Aufenthaltsrecht sowie der besonderen Rechtsstellung des Beschwerdeführers
als Konventionsflüchtling eingehend auseinandergesetzt. Soweit es dabei die Bestimmungen des Abkommens über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge nicht als Sonderregelungen angesehen hat, die eine Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG ausschließen, und die mit dem Verbleib in Rheinland-Pfalz verbundenen, oben beschriebenen Nachteile auch bei dem Beschwerdeführer
als Konventionsflüchtling für zumutbar gehalten hat, ist eine Auslegung gewählt, die weder auf sachfremden Erwägungen beruht
noch offensichtlich einschlägige Normen unberücksichtigt läßt oder kraß mißdeutet (vgl. BVerfGE 87, 273 [278 f.]).
b) Die Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG auf den Beschwerdeführer verletzt auch nicht dessen Grundrecht aus Art.
2 Abs.
1 GG. Das auch Nichtdeutschen zustehende Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das die freie Wahl des Aufenthaltsortes
und des Wohnsitzes in Deutschland einschließt (BVerfGE 35, 382 [399]), ist durch die verfassungsmäßige Ordnung begrenzt, zu der auch § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG gehört. Im Hinblick auf das öffentliche Interesse an einer angemessenen Verteilung der Sozialhilfekosten unter den Bundesländern
sind die mit einer Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG für den Beschwerdeführer verbundenen Nachteile verhältnismäßig, zumal das mit einer Aufenthaltsbefugnis gewährte Recht, sich
in Deutschland frei zu bewegen, durch § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG nicht eingeschränkt wird.
Im übrigen wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.
3. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird damit gegenstandslos. Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist in entsprechender Anwendung der §§
114 ff.
ZPO abzulehnen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.