Überleitung von Unterhaltsansprüchen nach Gewährung öffentlicher Jugendhilfe
Tatbestand:
Der Kläger macht übergeleitete Unterhaltsansprüche des am 17. November 1969 geborenen Sohnes Knut des Beklagten aus geschiedener
Ehe geltend. Dieser wurde im Rahmen der Hilfe zur Erziehung nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) am 17. August 1980 in einem
pädagogischen Heim untergebracht. Die Kosten dafür übersteigen monatlich 3.000 DM.
Durch Schreiben des Kreisjugendamts K. vom 28. August 1980 wurde der Beklagte davon unterrichtet, daß sein Sohn "in Heimpflege
untergebracht" sei und daß die Eltern nach § 81 Abs. 1 JWG, soweit es ihnen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse zumutbar
sei, zu den Kosten beizutragen hätten. Das Schreiben enthielt weiter die Aufforderung, bis zum 22. September 1980 die Einkommensverhältnisse
durch Vorlage im einzelnen angeführter Belege nachzuweisen, damit der zumutbare Kostenbeitrag festgesetzt werden könne. Für
den Fall der Nichtvorlage der Unterlagen wurde angedroht, den Ersatz der gesamten entstehenden Aufwendungen zu verlangen.
Durch Leistungsbescheid vom 24. Oktober 1980 setzte das Kreisjugendamt K. den Kostenbeitrag des Beklagten ab 17. August 1980
auf monatlich 337 DM und ab 1. Dezember 1980 auf monatlich 361 DM fest. Der Bescheid beginnt mit dem Text: "Ihr Kind ... ist
seit dem 17.08.80 im Rahmen der Hilfe zur Erziehung auf Kosten der Kreisverwaltung K. untergebracht." Auf Widerspruch des
Beklagten wurde dieser Bescheid später zurückgenommen. Ein weiterer Leistungsbescheid vom 11. November 1982, der darauf gerichtet
war, den Beklagten zusammen mit seiner geschiedenen Ehefrau auf der Grundlage von § 122
BSHG zu gemeinsamen Kostenbeiträgen heranzuziehen, verfiel der Aufhebung durch Urteil des Verwaltungsgerichts N. vom 5. März 1985.
Durch Bescheid vom 29. August 1985 leitete das Kreisjugendamt K. den Unterhaltsanspruch des Sohnes des Beklagten für die Dauer
der Hilfegewährung und bis zur Höhe der Aufwendungen auf den Kläger über. Die Überleitung wurde mangels Anfechtung des Beklagten
bestandskräftig.
Mit der im November 1985 erhobenen Klage hat der Kläger vom Beklagten die Zahlung rückständigen Unterhalts für die Zeit vom
17. August 1980 bis 31. Oktober 1985 in Höhe von 17.114 DM (für die Zeit ab 1. Juli 1985 monatlich 200 DM) sowie laufenden
Unterhalts in Höhe von monatlich 200 DM ab 1. November 1985 verlangt. Der Beklagte hat den Klageanspruch für die Zeit ab 1.
September 1985 anerkannt. Das Amtsgericht hat ein entsprechendes Teilanerkenntnisurteil erlassen und durch Schlußurteil die
Klage im übrigen abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung und gegen deren Zurückweisung - zugelassene - Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
1. Das Oberlandesgericht geht zutreffend davon aus, daß der Kläger mit den übergeleiteten Unterhaltsansprüchen für die (noch
strittige) Zeit von 17. August 1980 bis 31. Oktober 1985 nur durchdringen kann, wenn der Beklagte sich in Verzug befunden
(§
1613 Abs.
1
BGB) oder seinerzeit unverzüglich eine schriftliche Mitteilung über die Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach dem JWG erhalten
hat (sogenannte Rechtswahrungsanzeige, § 91 Abs. 2
BSHG i.V. mit §
82 JWG). Die Voraussetzungen des §
1613 Abs.
1
BGB hat es rechtsfehlerfrei verneint. Entgegen der Auffassung der Revision hat es nicht verkannt, daß daneben § 91 Abs. 2
BSHG die Möglichkeit, Unterhalt für die Vergangenheit zu fordern, selbständig regelt und insoweit gegenüber den Voraussetzungen
des §
1613 Abs.
1
BGB erweitert (allgemeine Auffassung; vgl. etwa BGHZ 74, 121, 126 für den gleichlautenden §
37 Abs.
4
BAföG a.F.; Senatsurteil vom 6. März 1985 - IVb ZR 7/84 - FamRZ 1985, 586). Es hat geprüft, ob das Schreiben des Kreisjugendamts vom 28. August 1980 und dessen spätere Leistungsbescheide als Rechtswahrungsanzeigen
im Sinne des § 91 Abs. 2
BSHG gewertet werden können, und hat die Frage verneint, weil sie nicht auf die Überleitung von Unterhaltsansprüchen des Kindes
gegen den Beklagten, sondern auf einen Kostenbeitrag des Beklagten nach § 81 Abs. 1 JWG gerichtet gewesen seien.
2. Die gegebene Begründung trägt das angefochtene Urteil nicht. Will der Träger der öffentlichen Jugendhilfe wegen der Kosten
der Heimunterbringung eines Kindes Rückgriff nehmen, so kann er - wie hier zunächst geschehen - durch Leistungsbescheid den
öffentlich-rechtlichen Anspruch auf einen zumutbaren Kostenbeitrag nach § 81 Abs. 1 JWG geltend machen (vgl. dazu etwa BVerwGE
38, 302); er kann aber auch die Unterhaltsansprüche des Kindes gemäß §§ 90, 91
BSHG i.V. mit § 82 JWG auf sich überleiten und gegebenenfalls vor den Zivilgerichten einklagen. Welchen Weg er einschlägt, ist vielfach nur
Frage des Ermessens und der Zweckmäßigkeit (vgl. Frankfurter Kommentar zum JWG 3. Aufl. § 82 Anm. 1). Die vom Oberlandesgericht
vertretene Auffassung, daß eine rechtswirksame Rechtswahrungsanzeige nur im Rahmen eines von vornherein auf die Überleitung
des Unterhaltsanspruchs gerichteten Verfahrens abgegeben werden kann, findet in der gesetzlichen Regelung keine Stütze. §
91 Abs. 2
BSHG verlangt nur, daß dem Unterhaltspflichtigen die Gewährung der Sozialhilfe (hier der öffentlichen Jugendhilfe) unverzüglich
schriftlich mitgeteilt worden ist, ohne daß dabei zum Ausdruck kommen muß, Anlaß der Mitteilung sei ein auf die Überleitung
gerichtetes Verfahren. Es ist denkbar, daß die Behörde im Zeitpunkt der Mitteilung noch beide Arten des Rückgriffs erwägt
oder sich die Überleitung für den Fall vorbehalten will, daß der Leistungsbescheid nicht zum Ziele führt. Die Bezeichnung
der Mitteilung als "Rechtswahrungsanzeige" erfordert das Gesetz nicht. Nach Sinn und Zweck der Regelung soll sie unter dem
Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes eine der Mahnung vergleichbare Warnfunktion erfüllen, indem sie den Adressaten darauf
vorbereitet, einen Rückgriff gewärtigen zu müssen. Sein Vertrauen, seine Lebensführung unabhängig von etwaigen Unterhaltsansprüchen
einrichten zu können, wird dadurch zerstört (vgl. BGHZ 74, 121, 126). Auf welche Weise und in welchem Verfahren ein Rückgriff letztlich geschieht, muß aber vom Standpunkt des Empfängers
der Mitteilung eher unwesentlich erscheinen. Die Höhe der künftigen Inanspruchnahme bleibt dabei noch offen (vgl. dazu Senatsurteil
vom 15. Juni 1983 - IVb ZR 390/81 - FamRZ 1983, 895, 896). Der Senat trägt daher keine Bedenken, auch dann eine wirksame Rechtswahrungsanzeige anzunehmen, wenn der Träger der
öffentlichen Jugendhilfe - wie hier - für den Rückgriff zunächst den Weg des öffentlich-rechtlichen Leistungsbescheides beschreitet,
aber in diesem Rahmen dem später im Wege der Überleitung in Anspruch genommenen Elternteil eine schriftliche Mitteilung zukommen
läßt, die die Voraussetzungen des § 91 Abs. 2
BSHG erfüllt. Auch im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß die Rechtswahrungsanzeige etwa mit einem Leistungsbescheid
verbunden sein kann (vgl. Göppinger Unterhaltsrecht 5. Aufl. Rdn. 1446).
3. Es kommt somit darauf an, ob in den schriftlichen Erklärungen, die im Verfahren nach § 81 Abs. 1 JWG abgegeben worden sind,
eine wirksame Rechtswahrungsanzeige gesehen werden kann.
a) Das kann schon bei dem Schreiben des Kreisjugendamts vom 28. August 1980 der Fall sein. Dem Beklagten wurde hier eingangs
mitgeteilt, daß sein Kind am 17. August 1980 in "Heimpflege" untergebracht worden ist; die Passagen über einen zumutbaren
Kostenbeitrag und den möglichen Ersatz der gesamten Aufwendungen machten hinreichend deutlich, daß für die Heimunterbringung
öffentliche Mittel eingesetzt worden sind. Von einer "Gewährung" der Sozialleistung im Sinne von § 91 Abs. 2
BSHG kann allerdings erst nach ihrer förmlichen Bewilligung ausgegangen werden. So hat der Senat entschieden, daß eine bereits
vor der förmlichen Bewilligung von Ausbildungsförderung (vorsorglich) ergangene Mitteilung nicht die Inanspruchnahme des Unterhaltsschuldners
für die Vergangenheit gemäß §
37 Abs.
4
BAföG a.F. ermöglichte (Urteil vom 24. Juni 1981 - IVb ZR 596/80 - FamRZ 1981, 866 ff.). Öffentliche Jugendhilfe nach dem JWG wird gemäß § 63 des Gesetzes auf schriftlichen Antrag des oder der sorgeberechtigten
Personen vom Landesjugendamt bewilligt, und zwar durch einen dem Antragsteller bekannt zu machenden Bescheid, der einen Verwaltungsakt
darstellt (vgl. dazu Frankfurter Kommentar zum JWG aaO. § 63 Anm. 6). Vorliegend hat der Kläger zwar vorgetragen, daß die
Heimunterbringung des Sohnes des Beklagten auf einen Antrag der personensorgeberechtigten Mutter zurückgeht, es fehlen aber
substantiierte Darlegungen zum Zeitpunkt des Erlasses und der Bekanntmachung des ergangenen Bewilligungsbescheids, so daß
das Oberlandesgericht auch keine entsprechenden Feststellungen getroffen hat. Es bedarf daher weiterer Aufklärung zu diesem
Punkt, um die Frage einer wirksamen Rechtswahrungsanzeige abschließend beantworten zu können.
b) Die inhaltlichen Anforderungen des § 91 Abs. 2
BSHG erfüllt auch der Leistungsbescheid des Kreisjugendamts K. vom 24. Oktober 1980. Der Eingangssatz enthält die klare Mitteilung,
daß das Kind des Beklagten "im Rahmen der Hilfe zur Erziehung auf Kosten der Kreisverwaltung K." untergebracht worden ist.
Es ist wahrscheinlich, wenn auch bisher nicht festgestellt, daß zuvor der Bewilligungsbescheid wirksam geworden ist. Soweit
die Revisionserwiderung geltend macht, durch die spätere Rücknahme des Leistungsbescheides auf den Widerspruch des Beklagten
(vgl. §
72
VwGO) sei auch eine damit verbundene Rechtswahrungsanzeige wieder entfallen, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Entfallen ist
lediglich der Verwaltungsakt des Leistungsbescheides. Die Rechtswahrungsanzeige als solche stellt keinen Verwaltungsakt dar
(vgl. BVerwGE 50, 64, 66; 56, 300, 303). Die Tatsache, daß der Beklagte in einer dem § 91 Abs. 2
BSHG entsprechenden Weise von der Heimunterbringung des Kindes auf öffentliche Kosten in Kenntnis gesetzt worden ist, ist durch
die Aufhebung des Leistungsbescheids nicht aus der Welt geschafft worden. Wenn der Beklagte deswegen darauf vertraute, er
werde nicht mehr in Anspruch genommen, so ist dieses Vertrauen jedenfalls nicht durch die Sach- und Rechtslage gerechtfertigt.
Die nachfolgenden Bemühungen des Kreisjugendamts um einen Rückgriff auf andere Weise lassen auch keinen Raum für die Annahme,
es habe auf zu seinen Gunsten gemäß § 91 Abs. 2
BSHG eingetretene Rechtswirkungen verzichtet (vgl. auch zu den Folgen der Zurücknahme einer Mahnung Senatsurteil vom 17. September
1986 - IVb ZR 59/85 - FamRZ 1987, 40).
c) Allerdings eröffnet eine Rechtswahrungsanzeige die Inanspruchnahme auf Unterhalt für die Vergangenheit nach der ausdrücklichen
Regelung des Gesetzes nur dann, wenn sie "unverzüglich" auf die Bewilligung der Sozialleistung folgt (vgl. dazu BGHZ 74, 121, 126 f; BVerwGE 42, 198, 205; 50, 64, 68; Göppinger aaO. Rdn. 1445; Schellhorn/Jirasek/Seipp BSHG 12. Aufl. § 91 Rdn. 37). Der Träger der Sozialhilfe muß ohne schuldhaftes Zögern handeln, nachdem ihm die für § 91 Abs. 2
BSHG erheblichen Umstände, nämlich die Bewilligung der Sozialleistung sowie die Person des Unterhaltspflichtigen, bekannt geworden
sind (vgl. BVerwGE 29, 229, 232). Ob dies für den Leistungsbescheid vom 24. Oktober 1980 bejaht werden kann, hängt wesentlich davon ab, welcher Zeitraum
seit Erlaß des Bewilligungsbescheids (vgl. oben a) verstrichen war, als er an den Beklagten hinausgegeben wurde. Denn der
richtige Adressat der Rechtswahrungsanzeige war bereits geraume Zeit bekannt, wie das vorausgegangene Schreiben an den Beklagten
vom 28. August 1980 zeigt. Dieses Schreiben selbst kann nach dem Vorangegangenen nur genügen, wenn es dem Bewilligungsbescheid
nachgefolgt ist. Auch die Frage, ob der Leistungsbescheid als Rechtswahrungsanzeige gewertet werden kann, kann letztlich erst
beantwortet werden, wenn Näheres zum Erlaß des Bewilligungsbescheids festgestellt ist.
4. Nach allem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben, weil es durch die gegebene Begründung nicht getragen wird
und sich auch nicht mit anderer Begründung als richtig erweist. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil
es weiterer Aufklärung bedarf. Soweit es im weiteren Verfahren zu dem Ergebnis gelangt, daß eine wirksame Rechtswahrungsanzeige
vorliegt, wird darauf hingewiesen, daß entsprechend den Grundsätzen der Entscheidung BGHZ 74, 121, 127 eine Inanspruchnahme des Beklagten nur für die Zeit ab Erlaß des Bewilligungsbescheids in Betracht kommt, nicht auch
für eine etwaige rückwirkende Bewilligung (vgl. Göppinger aaO. Rdn. 1445). Kommt es auf den Leistungsbescheid an und kann
dieser nicht als "unverzügliche" Rechtswahrungsanzeige angesehen werden, scheidet die Inanspruchnahme des Beklagten für die
noch strittige Zeit ganz aus, da § 91 Abs. 2
BSHG wie §
37 Abs.
4
BAföG a.F. unterhaltsrechtlich eine Ausnahmeregelung darstellt, die eng auszulegen ist (vgl. Senatsurteil vom 24. Juni 1981 aaO.).
Eine verspätete Rechtswahrungsanzeige ist wirkungslos und begründet nicht etwa die Inanspruchnahme auf Unterhalt für die Zeit
von ihrem Zugang an (vgl. SchlHOLG SchlHA 1978, 197).