Beschränkung der Abrechenbarkeit kassenärztlicher Tätigkeiten durch die maßgebende Gebührenordnung
Tatbestand:
Der an der Ersatzkassenpraxis beteiligte Kläger wendet sich dagegen, daß die Beklagte bei ihren Honorarforderungen für die
Quartale IV/83 und I/84 in mehreren Behandlungsfällen die Gebührennummer 253 E-GO (Injektionen, intravenös oder intraarteriell) abgesetzt hat.
Für einen TRH-Test hatte der Kläger bei Ersatzkassenpatienten Blut entnommen, eine Testsubstanz injiziert und nach einer halben
Stunde erneut Blut abgenommen. Diese Proben hatte er an den Beigeladenen zu 2) - Laborarzt - übersandt, der die radioimmunologische
Bestimmung vorgenommen und die Leistung nach Nr. 5508 E-GO abgerechnet hatte. Die Beklagte lehnte mit den angefochtenen Bescheiden die Vergütung der Injektionen ab, weil sie Bestandteil
der Leistungen nach Nr. 5508 E-GO seien.
Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide aufgehoben. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen und in den Gründen
ausgeführt, der Vertragsarzt habe Anspruch auf eine Gebühr, sobald er eine im Gebührenverzeichnis aufgeführte Leistung erbracht
hat. Zwar sei nach der Bestimmung in Abschnitt O II A 3 E-GO beim TRH-Test (Nr. 5508) das Injizieren der Testsubstanz Bestandteil der eigentlichen Hauptleistung und deshalb nicht abrechnungsfähig.
Dieses Aufgehen der Leistung nach Gebührenposition 253 E-GO in der Laboruntersuchung sei aber nach Sinn und Zweck der Regelung nur dann anzunehmen, wenn der Laborarzt selbst die vorbereitenden
Leistungen erbracht hat. Nur dann sei es gerechtfertigt, sie als unselbständige und nicht abrechnungsfähige Leistungen einzuordnen,
da der Laborarzt durch den erhöhten Gebührenansatz in Nr. 5508 mittelbar auch diese vorangehenden Leistungen vergütet erhalte.
Die Beklagte macht mit der Revision geltend, in der E-GO werde nicht danach differenziert, welcher Vertragsarzt welche Leistungen erbracht bzw abgerechnet habe. Vielmehr sei die
E-GO leistungsbezogen konzipiert.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 14. Januar 1987 - L 7 Ka 3/86 - und des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar
1986 - S 71 Ka 15/85 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG das der Klage stattgebende Urteil des SG bestätigt. Die Klage ist nicht begründet, die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Dem Kläger steht der geltend gemachte
Anspruch auf die Vergütung nach Nr. 253 E-GO nicht zu.
Die vom Kläger erbrachten Injektionen sind keine abrechnungsfähigen Leistungen. Ihre Abrechnungsfähigkeit ist nach Abschnitt
O II A Nr. 3 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (E-BMÄ) in der hier anzuwendenden Fassung ausgeschlossen. Die Injektionen
und danach die Blutentnahmen hat der Kläger durchgeführt, um Proben für die quantitative radioimmunologische Bestimmung des
thyreoideastimulierenden Hormons (Nr. 5508 E-BMÄ) zu gewinnen. Diese hat der Beigeladene zu 2) abgerechnet. Bei der Injektion
hat es sich um die Applikation von zur Diagnostik erforderlichen Substanzen im Sinn des Abschnitts O II A Nr. 3 E-BMÄ gehandelt.
Sie ist wie die danach erforderlich gewesene Blutentnahme in der zum Abschnitt 0 gehörenden abrechnungsfähigen Leistung nach
Nr. 5508 E-BMÄ enthalten, denn etwas anderes ist insoweit nicht bestimmt.
Dem Kläger steht die Vergütung nach Nr. 253 E-GO auch nicht deshalb zu, weil ein anderer Arzt die abrechnungsfähige Leistung nach Nr. 5508 E-GO erbracht hat. Der Ausschluß der Abrechnungsfähigkeit ist in der Bestimmung des Abschnitts O II A Nr. 3 E-BMÄ leistungsbezogen
geregelt. Nach dieser Vorschrift sind die näher beschriebene Applikation und die Blutentnahme "in den abrechnungsfähigen Leistungen
enthalten". Die Leistungen sind nicht auf den ausführenden Arzt bezogen oder an ihn gebunden. Auch die allgemeine Bestimmung
A I Nr. 1 E-BMÄ, die der Nr. 3 des Abschnitts O II A E-BMÄ zugrunde liegt, enthält keinen Bezug auf die Person des leistenden
Arztes. Das entspricht der Vorschrift des § 368g Abs 4 Satz 2
Reichsversicherungsordnung (
RVO), nach der die Bewertungsmaßstäbe den Inhalt der abrechnungsfähigen ärztlichen Leistungen bestimmen.
Den sonstigen Bewertungsvorschriften ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß die Applikation und die Blutentnahme im
Fall des Abschnitts O II A Nr. 3 E-BMÄ, wenn sie von einem Arzt als einzige Leistung erbracht werden, gesondert berechnungsfähig
wären. Der E-BMÄ und die dazu ergangenen Abrechnungsbestimmungen enthalten eine ganze Reihe von Vorschriften, in denen die
Berechnungsfähigkeit wegen des Zusammentreffens mehrerer Leistungsnummern ausgeschlossen oder modifiziert wird. Meist lehnen
sich die Formulierungen an die allgemeine Bestimmung A I Nr. 1 an, so zB die Eingangsbestimmungen der Abschnitte B IV, C V
und O I A 1. Nach einigen Vorschriften sind Leistungen neben bestimmten anderen Leistungen nicht berechnungsfähig (vgl Abschnitt
B V E-BMÄ am Ende; § 3a E-GO). Der Ausschluß der Berechnungsfähigkeit beim Zusammentreffen mehrerer Leistungen wird teilweise näher eingegrenzt, so auf
den Behandlungsfall (Abrechnungsvorschrift zu Nr. 18 E-GO), auf Leistungen, die in zeitlichem Zusammenhang erbracht werden (Abschnitt B V E-BMÄ am Ende); es wird aber auch ein ursächlicher
oder sich aus dem Zweck ergebender Zusammenhang als für den Ausschluß der Berechnungsfähigkeit maßgebend bestimmt (Abschnitt
F des E-BMÄ am Ende). Zur letzten Gruppe gehören die Abrechnungsbestimmungen zu Abschnitt C II und die hier streitige Nr.
3 in Abschnitt O II A. Damit wird die Leistung nach Nr. 253 E-BMÄ nach ihrem Zweck der Leistung nach Nr. 5508 E-BMÄ zugeordnet.
Wenn sich die Bestandteilseigenschaft aus dem Zweck der Leistung ergibt, ist dafür unerheblich, welcher Arzt die Leistung
ausgeführt hat, sie wird der Hauptleistung nach dem Zweck und nicht nach der Person des leistenden Arztes zugeordnet.
Eine vom demgemäß eindeutigen Wortlaut abweichende Auslegung des E-BMÄ dahin, daß die Injektion selbständige Leistung und
abrechnungsfähig ist, wenn sie nicht vom Laborarzt vorgenommen wird, ist auch nicht nach übergeordneten Rechtsgrundsätzen
geboten. Bei der Auslegung des E-BMÄ haben die Gerichte zurückhaltend vorzugehen. Es ist grundsätzlich nicht ihre Aufgabe,
mit punktuellen Entscheidungen zu einzelnen Leistungen in ein umfassendes Tarifgefüge einzugreifen. Ausnahmen sind nur in
engen Grenzen denkbar, etwa wenn die in erster Linie zur Bewertung der ärztlichen Leistungen berufenen Selbstverwaltungsorgane
ihre Bewertungskompetenz mißbräuchlich ausgeübt haben. Insbesondere können die Gerichte nicht die Angemessenheit der Vergütung
selbst bestimmen (BSGE 58, 35, 37 = SozR 5557 Nr. 1 E-GO Nr. 1). Das LSG nimmt offenbar an, daß der einzelne Kassen- oder Vertragsarzt für jede von ihm erbrachte, im E-BMÄ beschriebene
Leistung entschädigt werden müsse. Dazu weist es auf die Bestimmung des § 4 Abs 2 der Gebührenordnung für Ärzte vom 12. November 1982 (BGBl I 1522) hin. Der Arzt kann danach für eine Leistung, die Bestandteil einer anderen Leistung nach
dem Gebührenverzeichnis ist (nur dann), keine Gebühr berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Für
den kassen- und den vertragsärztlichen Bereich gibt es keine solche Bestimmung. Im E-BMÄ hätte sie keinen Platz. Die Bewertungsmaßstäbe
bestimmen den Inhalt der abrechnungsfähigen ärztlichen Leistungen und ihr wertmäßiges in Punkten ausgedrücktes Verhältnis
zueinander. Dagegen obliegt die Verteilung der Gesamtvergütung den Kassenärztlichen Vereinigungen (§ 525c Abs 2 iVm § 368f Abs 1
RVO).
Allerdings ist auch in den Bewertungsmaßstäben das Gebot des § 368g Abs 1
RVO zu beachten, daß die ärztlichen Leistungen angemessen zu vergüten sind. Auch insoweit ist aber eine Überschreitung des Regelungsspielraums
für die Bewertungsmaßstäbe oder eine mißbräuchliche Ausübung der Bewertungskompetenz nicht zu erkennen. Dem Arzt, der die
für die Leistung nach Nr. 5508 E-BMÄ erforderlichen Substanzen appliziert, die Bestimmung des Hormons aber nicht selbst vornimmt,
wird allerdings seine Tätigkeit in Anwendung der Vorschrift in Abschnitt O II A Nr. 3 E-BMÄ überhaupt nicht vergütet. Dies
ist ihm aber zumutbar, weil er andererseits zu der streitigen Vorbereitungshandlung für die Bestimmung nach Nr. 5508 E-BMÄ
nicht verpflichtet ist. Ihm steht es frei, den Patienten für die Injektion und die Blutentnahme zu dem Laborarzt zu schicken.
Angemessen zu vergüten sind die ärztlichen Leistungen im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung. Der Kassenarzt hat den Berechtigten
die ärztliche Versorgung zuteil werden zu lassen, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig
und ausreichend ist (§ 4 Abs 2 des Bundesmantelvertrags-Ärzte). Medizinisch war es nicht geboten, daß der Kläger die Injektion
selbst durchführte und nicht dem Laborarzt überließ - jedenfalls ist dafür nichts vorgetragen -. Aus dem E-BMÄ ergibt sich,
daß der Kläger dies auch nicht als zweckmäßig ansehen muß. Der E-BMÄ in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung weist
den Weg, daß der Laborarzt die ganze Leistung einschließlich der Injektion durchführt. Auch bei anderen Leistungen wird dem
Arzt zugestanden, daß er sie unterläßt, um dem Ausschluß der Abrechnungsfähigkeit zu entgehen (vgl BSG SozR 5557 Nr. 1 E-GO Nr. 1 S 3). Bestimmungen, nach denen Leistungen neben anderen Leistungen am selben Tag nicht berechnungsfähig sind (s zB
§ 5a E-GO), legen es zB dem Arzt nahe, sie zunächst zurückzustellen und an einem anderen Tag abrechnungsfähig zu erbringen.
Der Anspruch des Klägers ergibt sich schließlich nicht aus dem Arzt/Ersatzkassenvertrag (EKV-Ärzte) oder aus den Abrechnungsbestimmungen
der E-GO. Nach § 9 EKV-Ärzte wird die ambulante vertragsärztliche Tätigkeit auf der Grundlage des Bewertungsmaßstabes nach Einzelleistungen
nach Maßgabe der für die Ersatzkassenpraxis geltenden Gebührenordnung in der jeweils vereinbarten Fassung mit befreiender
Wirkung über die jeweils zuständige Kassenärztliche Vereinigung vergütet. Der Vergütungsanspruch ergibt sich danach aus der
Abrechnungsfähigkeit nach dem E-BMÄ, die hier nicht gegeben ist.
Die Revision hat aus diesen Gründen Erfolg. Die Kostenentscheidung wird auf §193 des Sozialgerichtsgesetzes gestützt.