Obliegenheit zur Verwertung des Vermögens zur Aufbringung von Unterhalt
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Trennungsunterhalt.
Sie haben im Jahr 1958 die Ehe geschlossen, aus der zwei in den Jahren 1958 und 1961 geborene Söhne hervorgegangen sind. Seit
Anfang 1981 leben die Parteien getrennt. Inzwischen ist ihre Ehe durch Urteil vom 2. Mai 1984 - rechtskräftig seit Ende Juni
1984 - geschieden.
Der im Jahre 1934 geborene Beklagte ist Landwirt. Er bewirtschaftet einen Hof, den sein Vater nach der Vertreibung aus Pommern
im Jahre 1958 mit Hilfe öffentlicher Aufbaudarlehen für die Landwirtschaft als landwirtschaftliche Siedlerstelle von 21 ha
aufgebaut hat und der dem Beklagten 1970 übertragen wurde. Die Wirtschaftsfläche, die früher etwa 30 ha betrug, beläuft sich
jetzt auf 40,2 ha, wovon 8,2 ha zugepachtet sind. Die Parteien haben den Betrieb, dessen Schwergewicht auf der Milchwirt schaft,
daneben auf Rindermast und Getreideanbau liegt, ohne fremde Hilfe geführt. Seit dem Wegzug der Klägerin arbeitet der ältere
Sohn, der gelernter Landmaschinenmechaniker ist, voll auf dem Hof mit. Der jüngere, als Kraftfahrzeugmechaniker berufstätige
Sohn hilft nach der Arbeit auf dem Hof mit und erhält dafür freie Wohnung und Verpflegung. Neben Einkünften aus dem landwirtschaftlichen
Betrieb bezieht der Beklagte eine Unfallrente, die 1981 monatlich 377,90 DM betrug und sich seit Januar 1982 auf monatlich
402,50 DM beläuft.
Die im Jahre 1935 geborene Klägerin, die 20 Jahre lang auf dem Hof mitgearbeitet und sonst keinen Beruf erlernt hat, geht
seit ihrem Wegzug keiner Erwerbstätigkeit mehr nach und ist ohne Einkommen. Für die Zeit vom 1. März bis 31. August 1981 hat
ihr der Beklagte aufgrund einstweiliger Verfügung monatlichen Unterhalt von 750 DM gewährt.
Auf ihre Klage hat das Amtsgericht den Beklagten für verpflichtet erachtet, an die Klägerin ab 8. Januar 1981 eine Unterhaltsrente
in Höhe des Mindestbedarfs von 750 DM monatlich zu zahlen, und ihn - unter Berücksichtigung der geleisteten Beträge - für
die Zeit bis 28. Februar 1981 zur Zahlung rückständigen Unterhalts von 1.330,65 DM und ab 1. September 1981 zur Zahlung laufenden
Unterhalts von 750 DM monatlich verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht, dessen Urteil in FamRZ
1985, 809 veröffentlicht ist, das Urteil des Amtsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die - zugelassene
- Revision der Klägerin, mit der diese die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe:
1. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß die Klägerin, von der an sich wegen ihrer früheren Mitarbeit auf dem landwirtschaftlichen
Anwesen und nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien weiterhin eine Erwerbstätigkeit erwartet werden könne, aus
gesundheitlichen Gründen außerstande sei, ihren Unterhalt selbst zu verdienen. Gleichwohl hat es einen Unterhaltsanspruch
nach §
1361 Abs.
1
BGB verneint, weil der Beklagte nicht leistungsfähig sei.
a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Einkünfte des Beklagten seien unzureichend. Nachdem der (steuerliche) Gewinn aus
dem landwirtschaftlichen Betrieb 1980 noch 17.034 DM betragen habe, sei er 1981 auf 5.954 DM zurückgegangen. Das Jahr 1982
habe sogar einen Verlust von 8.012 DM erbracht. 1983 habe sich die negative Entwicklung fortgesetzt. Auch wenn man den Selbstbehalt
des Beklagten niedriger als sonst üblich ansetze, reichten die Einkünfte des Beklagten nicht aus, um daraus eine Verpflichtung
zu Unterhaltsleistungen an die Klägerin abzuleiten.
Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen.
b) Diese wendet sich vielmehr gegen die weitere Beurteilung des Berufungsgerichts, daß der Beklagte auch nach seinen Vermögensverhältnissen
nicht als leistungsfähig angesehen werden könne. Insoweit hat das Berufungsgericht ausgeführt: Durch Beleihung des Grund-
und Betriebsvermögens könne der Beklagte den Unterhalt der Klägerin nicht aufbringen, weil in Anbetracht der ungünstigen wirtschaftlichen
Entwicklung der Landwirtschaft in absehbarer Zeit nicht mit einer Verbesserung der Ertragslage des Hofes zu rechnen sei und
der Beklagte deshalb nicht einmal die Mittel zum Ausgleich der Zinsen aufbringen könne. Da von der Fortdauer der Unterhaltsbedürftigkeit
der Klägerin auszugehen sei, sei abzusehen, daß auf diesem Wege die Substanz des Betriebes aufgezehrt werde. Aus dem gleichen
Grunde sei es ausgeschlossen, den Beklagten auf den Verkauf einzelner Grundstücksflächen zu verweisen. Der Beklagte könne
sich die Mittel, die zur Unterhaltung der Klägerin auf längere Zeit erforderlich seien, nur durch Veräußerung des gesamten
Hofes verschaffen. Ein derartiger Schritt, mit dem für den Beklagten zugleich die Aufgabe seiner beruflichen Existenz verbunden
sei, sei ihm jedoch während der Trennungszeit nicht zuzumuten gewesen. Sogleich mit der Trennung treffe den unterhaltspflichtigen
Ehegatten die Obliegenheit zu einer derart schwerwiegenden Maßnahme ohnehin nicht; vielmehr müsse sich zunächst herausstellen,
ob die Trennung von Dauer sei. Zudem sei dem Unterhaltspflichtigen, bevor er einen solchen Schritt tue, eine angemessene Überlegungsfrist
einzuräumen. Im vorliegenden Fall gehe es nur um Unterhalt für eine Übergangszeit. Während ihres Ablaufes, in dem sich für
den Beklagten erst zunehmend die mangelnde Rentabilität seines Hofes ergeben habe, habe ihm die Veräußerung billigerweise
nicht angesonnen werden können. Erst mit dem Abschluß des Berufungsverfahrens sei für ihn die Obliegenheit zur Veräußerung
des Hofes ersichtlich geworden. Damit könne seine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit aber nicht für die zurückliegende
Zeit begründet werden.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß ein Rückgriff des verpflichteten Ehegatten auf den Vermögensstamm
in Betracht kommen kann, um den Trennungsunterhalt aufzubringen. Der im Schrifttum vereinzelt vertretenen Ansicht, daß der
Verpflichtete im Rahmen von §
1361
BGB den Stamm seines Vermögens nicht einzusetzen brauche (Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts 6. Aufl. Rdn. 224), kann nicht
gefolgt werden.
Bei der Beurteilung, ob und inwieweit ein auf Trennungsunterhalt in Anspruch genommener Ehegatte, der den Unterhalt aus seinen
Einkünften nicht oder nicht voll aufbringen kann, sich wegen verwertbaren Vermögens als leistungsfähig behandeln lassen muß,
bietet das Gesetz in §
1581 Satz 2
BGB einen Anhalt (vgl. dazu Rolland, 1. EheRG 2. Aufl. Rdn. 9; Soergel/Lange,
BGB 11. Aufl. Rdn. 12, jeweils zu §
1361
BGB; anders wohl Gernhuber, Familienrecht 3. Aufl. §
21 II S. 232). Nach dieser Vorschrift, die den nachehelichen Unterhalt regelt, braucht der Verpflichtete den Stamm seines Vermögens
nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen
Verhältnisse unbillig wäre. Bei der Heranziehung dieser Grundsätze für den Unterhaltsanspruch nach §
1361
BGB sind allerdings die Besonderheiten zu berücksichtigen, die das Verhältnis der Ehegatten zueinander während des Getrenntlebens
im Vergleich zu demjenigen nach der Scheidung kennzeichnen. So tragen die Ehegatten während der Ehe füreinander mehr Verantwortung
als nach der Scheidung. Diesen Gesichtspunkt hat der Senat bereits im Urteil vom 16. Januar 1985 (IVb ZR 60/83 - FamRZ 1985, 360) hervorgehoben, in dem er sich mit der Obliegenheit des getrenntlebenden unterhaltsbedürftigen Ehegatten auseinandergesetzt
hat, seinen Unterhaltsbedarf aus dem Stamm seines Vermögens zu decken. Er hat dargelegt, daß diese Obliegenheit im allgemeinen
nicht so weit geht, wie die eines Geschiedenen nach §
1577 Abs.
3
BGB. Die in dieser Vorschrift bestimmten Billigkeits- und Wirtschaftlichkeitsmaßstäbe setzen eine äußerste Grenze, bis zu der
der getrennt lebende unterhaltsberechtigte Ehegatte allenfalls auf die Verwertung seines Vermögensstammes verwiesen werden
darf (aaO. S. 361). Die stärkere Verantwortung, welche die Ehegatten füreinander tragen, kann es dem Verpflichteten gebieten,
dem anderen durch Unterhaltsleistungen den Verbrauch eigenen Vermögens auch dann zu ersparen, wenn dieser sich nach der Scheidung
gemäß §
1577 Abs.
3
BGB auf die Verwertung seines Vermögensstammes verweisen lassen müßte.
Diese stärkere Verantwortung der Ehegatten während der Ehe beeinflußt auch die Entscheidung, ob und inwieweit es einem Ehegatten
obliegt, Unterhalt für den getrennt lebenden Ehepartner durch Verwertung seines Vermögens aufzubringen. Um die für Unterhaltsleistungen
erforderlichen Mittel zu beschaffen, kommen verschiedene Arten der Vermögensverwertung in Betracht, nämlich nicht allein ein
mit einer Substanzverringerung einhergehender Verbrauch, sondern auch - wie gerade im vorliegenden Fall - eine "Umschichtung"
des Vermögens mit dem Ziel, durch eine andere Art der Vermögensanlage Erträge zu erzielen, aus denen der Unterhalt geleistet
werden kann. Um welche Art der Vermögensverwertung es aber auch geht: die Obliegenheit zum Einsatz des Vermögens wird während
der Ehe durch ein höheres Maß an Verantwortung gegenüber dem unterhaltsbedürftigen Ehegatten bestimmt, als sie unter Geschiedenen
besteht. Das ist auch bei der in Anlehnung an die Grundsätze des §
1581 Satz 2
BGB vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen und kann dazu führen, daß die Obliegenheit des Unterhaltsverfplichteten zum Einsatz
seines verwertbaren Vermögens während des Getrenntlebens weiter geht als nach der Scheidung.
Auf der anderen Seite erlegt die besondere Verbundenheit, von der das Verhältnis der Ehegatten während der Ehe gesprägt wird,
auch dem Unterhaltsberechtigten während des Getrenntlebens ein höheres Maß an Rücksichtnahme auf die Interessen des Verpflichteten
auf als nach der Scheidung. Diese Pflicht kann einem der Vermögensverwertung entgegenstehenden besonderen Interesse des Verpflichteten
überwiegendes Gewicht verleihen und dazu führen, daß dem Verpflichteten die Verwertung seines Vermögens nicht zugemutet werden
kann, während er es nach der Scheidung für den Unterhalt des anderen einsetzen müßte.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß sich die Ehegatten während des Getrenntlebens in einem Stadium befinden, in dem
die Ehe noch nicht aufgelöst und eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht ausgeschlossen ist. In dieser
Situation dürfen die Ehegatten bei der Regelung ihrer unterhaltsrechtlichen Beziehungen im Interesse der Aufrechterhaltung
ihrer Ehe möglichst nicht zu Änderungen ihrer Lebensverhältnisse gedrängt werden, die sich zerrüttungsfördernd auswirken oder
sonst die Aussichten für eine Wiederaufnahme der Lebensgemeinschaft beeinträchtigen können. Eine solche Beeinträchtigung kann
sich auch aus einer irreversiblen Vermögensverwertung auf seiten des unterhaltsverpflichteten Ehegatten ergeben (vgl. auch
Gernhuber, aaO. i.V. mit § 21 I 5 S. 224 f.; Göppinger/Wenz, Unterhaltsrecht 4. Aufl. Rdn. 1206). Das gilt etwa für die Veräußerung
des Familienheims, kommt aber auch sonst in Betracht, wenn der Vermögensgegenstand den Ehegatten während des Zusammenlebens
(mit) als Existenzgrundlage gedient hat und diese Einsatzmöglichkeit durch die in Frage kommende Verwertung ihr Ende fände.
Solange die Ehe besteht, ist dem Unterhaltsver pflichteten daher grundsätzlich eine Vermögensverwertung, die ihm die Grundlage
seiner beruflichen Existenz entziehen und die gemeinsame Lebensgrundlage im Falle einer Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft
gefährden würde, nicht zuzumuten (vgl. auch OLG Koblenz FamRZ 1985, 812). Insoweit ergeben sich für den Trennungsunterhalt Einschränkungen gegenüber dem Geschiedenenunterhalt, in dessen Rahmen
eine Obliegenheit zur Verwertung des Vermögens nicht schon deshalb ausscheidet, weil der Unterhaltsverpflichtete dadurch seinen
Beruf verlöre.
Danach bestehen hier keine rechtlichen Bedenken dagegen, daß das Berufungsgericht während der Trennungszeit der Parteien eine
Obliegenheit des Beklagten zur Veräußerung des gesamten landwirtschaftlichen Anwesens verneint hat, weil mit der Aufgabe der
vormaligen gemeinsamen Lebensgrundlage der Parteien eine Verschlechterung der Aussichten auf eine Fortsetzung der Ehe verbunden
gewesen wäre.
Dennoch hat die angefochtene Entscheidung keinen Bestand. Auch wenn dem Beklagten nicht angesonnen werden konnte, den landwirtschaftlichen
Betrieb während der Trennungszeit aufzugeben und das Anwesen zu veräußern, wäre doch die Möglichkeit einer Teilverwertung,
etwa in Form von Verkäufen aus dem auf dem Hof gehaltenen Viehbestand oder auch einer Veräußerung einzelner Grundstücke zu
prüfen gewesen. Eine solche Teilverwertung war entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht deshalb unwirt schaftlich
oder sonst unzumutbar, weil die Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin auch in Zukunft fortbesteht. Die Befürchtung des Oberlandesgerichts,
daß Teilverwertungen zur Aufzehrung des Hofes führten, trifft für die Zeit des Getrenntlebens der Parteien schon deshalb nicht
zu, weil die dem Beklagten in dieser Zeit zuzumutenden Verwertungsmaßnahmen nach den vorstehenden Ausführungen die Fortführung
des Betriebes als Existenzgrundlage einer bäuerlichen Familie gerade nicht in Frage stellen durften. Ob und in welcher Weise
der Beklagte sein Vermögen nach der Scheidung einzusetzen hat, um die fortbestehende Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin
zu decken, ist eine andere Frage, die nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist und deren Beantwortung auch nicht
dadurch vorausbestimmt wird, daß für die Trennungszeit eine Obliegenheit zur Teilverwertung des Vermögens bejaht wird.
Sonstige Umstände, die einer entsprechenden Obliegenheit nach dem Maßstab des §
1581 Satz 2
BGB entgegengestanden hätten, sind nicht ersichtlich. Vor allem war es unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen
Verhältnisse nicht unbillig, wenn der Beklagte sein Vermögen angreifen mußte, um den Trennungsunterhalt der Klägerin aufzubringen.
Im Gegenteil erschiene es unerträglich, die mittellose Klägerin nach über 20jähriger Ehe und ebenso langer voller Mitarbeit
auf dem Hof ohne Trennungsunterhalt zu lassen, wenn der Beklagte in der Lage gewesen wäre, den Unterhalt in der geschilderten
Weise durch eine teilweise Verwertung des Vermögensstammes aufzubringen. Im Gegensatz zur Verwertung des gesamten Hofes waren
dem Beklagten für eine solche Teilverwertung auch keine längeren Überlegungs- und Sondierungsfristen einzuräumen; vielmehr
traf ihn eine dahingehende Obliegenheit alsbald nach der Trennung der Ehegatten.
3. Hiernach kann die auf mangelnde Leistungsfähigkeit des Beklagten gestützte Abweisung der Unterhaltsklage nicht bestehen
bleiben. Eine abschließende Beurteilung und Entscheidung des Rechtsstreits in der Sache selbst ist dem Senat indessen nicht
möglich, weil es weiterer Feststellungen bedarf, ob und in welchem Umfang die ins Auge gefaßte Teilverwertung ohne Gefährdung
der Fortführung des Betriebes möglich war und etwa im Blick auf dingliche Belastungen des Grundbesitzes eine Veräußerung einzelner
Grundstücke in Frage kam.
Dazu Näheres vorzutragen erhalten die Parteien mit der Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht Gelegenheit (vgl.
auch Baumgärtel/Laumen, Beweislast §
1581
BGB Rdn. 4).