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BGH, Urteil vom 19.02.1986 - IVb ZR 71/84
a-c. Mögliche Schadensersatzhaftung wegen sittenwidrigen vorsätzlichen Ausnutzens eines unrichtigen rechtskräftigen Vollstreckungstitels
(b-c) bei Verletzung einer zwischen den Partnern eines Unterhaltsrechtsverhältnisses in Ausnahmefällen nach Treu und Glauben bestehenden Verpflichtung zu ungefragter Information,
(c) so für den Fall, daß der Gläubiger eine rechtskräftig zuerkannte Unterhaltsrente weiter entgegennimmt, ohne die zwischenzeitliche Ä unerwartete Ä Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu offenbaren.
Fundstellen: DRsp I(145)309a-c, FamRZ 1986, 450 , MDR 1986, 655 , NJW 1986, 1751
Normenkette:
BGB § 826
Der Senat bestätigt das Berufungsurteil des OLG Düsseldorf (Ä 6 UF 201/83 Ä v. 8. 5. 1984, FamRZ 85, 599) mit Ä auszugsweise Ä folgender Begründung:
(a) »... Die Vorschrift des § 826 BGB verschafft nicht nur die Möglichkeit, unter bestimmten Umständen auf Unterlassung der Vollstreckung aus einem erschlichenen oder unrichtig gewordenen Urteil zu klagen und der Berufung auf die Rechtskraft einer solchen Entscheidung mit dem Einwand der Arglist zu begegnen. Vielmehr knüpft das Gesetz an eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung die Rechtsfolge der Schadensersatzpflicht. Es gelten die Bestimmungen der §§ 249 ff. BGB. Ein eingetretener Vermögensschaden ist danach in Geld zu entschädigen (§ 251 Abs. 1 BGB). Demgemäß ist in der Rechtspr. des BGH anerkannt, daß die sittenwidrige Ausnutzung eines unrichtigen Urteils zu der Verpflichtung führen kann, Schadensersatz zu leisten (BGH, NJW 1951, 759; FamRZ 1957, 210; FamRZ 1960, 358 = NJW 1960, 1460). ...
Allein die vorsätzliche Ausnutzung des als unrichtig erkannten Titels rechtfertigt noch nicht die Anwendung des § 826 BGB. Sittenwidrig im Sinne dieser Vorschrift ist das Ä für sich bereits anstößige Ä Verhalten vielmehr erst dann, wenn besondere Umstände hinzutreten, nach denen es in hohem Maße unbillig und geradezu unerträglich wäre, die Ausnutzung zuzulassen. Nur in einem solchen Fall muß der Grundsatz der Rechtskraft zurücktreten (vgl. Senatsurteil v. 13. 7. 1983, FamRZ 1983, 995 [hier: I (145) 284 a-b]; BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 826 Rz. 83).
(b-c) Von diesen Grundsätzen ist das OLG ausgegangen. Es hat ausgeführt, wenn in dem der Entscheidung v. 13. 7. 1983 zugrunde liegenden (Fluchthilfe-)Fall der inhaftierte Unterhaltsschuldner durch Abschirmung und falsche behördliche Beratung an der Erhebung der Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO gehindert gewesen sei, so habe hier der Kl. aus Gründen, die in der Sphäre der Bekl. lägen, keinen begründeten Anlaß gehabt, gegen sie im Wege der Abänderungsklage vorzugehen. Dazu hat es im wesentlichen erwogen (s. im einzelnen FamRZ 1985, 599, 602 ff.):
Nach dem für ihn ergebnislosen Abschluß des 1976/77 geführten Unterhaltsabänderungsverfahrens habe der Kl. davon ausgehen müssen, daß er zukünftig mit Erfolg eine weitere Abänderungsklage gegen die Bekl. nicht mehr werde erheben können. [Wird ausgeführt] ... Indessen sei die Bekl. spätestens zu Beginn des Jahres 1980 aufgrund der besonderen Verhältnisse des vorl. Falles verpflichtet gewesen, das Vertrauen des Kl. in die Unveränderlichkeit ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse zu zerstören. Denn sie habe .. bei ihm die Überzeugung begründet und bestärkt, daß sie in Zukunft aus Alters- und gesundheitlichen Gründen keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen werde. ... [Das] (objektiv begründete) Vertrauen des Kl. in die Unveränderlichkeit ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse habe die Bekl. weiter dadurch bestärkt. daß sie trotz eigenen Einkommens, das dem Kl. nicht zur Kenntnis gelangt sei und ersichtlich ihren angemessenen Unterhalt überstiegen habe, die Unterhaltsrenten fortlaufend stillschweigend in Empfang genommen habe. Ä Schließlich sei der Umstand bedeutsam, daß die Bekl. aus den Vorprozessen den eingeschränkten finanziellen Spielraum des Kl. im wesentlichen gekannt habe und ihr daher auch bewußt gewesen sei, daß die weitere Inanspruchnahme der Unterhaltsrente die finanziellen Verhältnisse der Parteien nicht nur umgekehrt, sondern in ein grobes Mißverhältnis verwandelt habe. Ä Nach allem sei sie nicht berechtigt gewesen und habe sich auch nicht für berechtigt halten dürfen, dem Kl. die ganze wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse zu verschweigen. ...
Diese Ausführungen bekämpft die Revision ohne Erfolg. Obwohl dem deutschen Recht eine allgemeine Auskunftspflicht fremd ist (s. Senatsurteil FamRZ 1983, 352), haben Rechtspr. und Schrifttum schon vor der gesetzl. Regelung des Auskunftsanspruchs durch das 1. EheRG in § 1605 BGB (i. V. m. § 1361 Abs. 4 Satz 4 und § 1580 Satz 2 BGB) einen Auskunftsanspruch für die Partner eines Unterhaltsrechtsverhältnisses entwickelt und aus § 242 BGB abgeleitet [folgen Hinw.].
Auch die jetzt in den genannten Bestimmungen gesetzlich geregelte Pflicht zur Auskunftserteilung beruht letztlich auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (Senatsurteile FamRZ 1982, 1189 und 1983, 473).
Für den Ä früher Ä noch nicht kodifizierten Auskunftsanspruch wurde vertreten, daß Auskunft nur zu erteilen brauche, wer darum gebeten werde; (auch) im Unterhaltsrecht gebe es keine Pflicht zur unaufgeforderten Offenlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse (Mutschler, Anmerkung in FamRZ 1976, 219, 221). Die jetzige gesetzl. Regelung sieht ebenfalls nur eine Auskunft auf Verlangen vor (§§ 1605, 1580 BGB), also einen »verhaltenen Anspruch«, der jeweils der Aktualisierung durch den Gläubiger bedarf (Gernhuber, Familienrecht, 3. Aufl., § 41 IV 2, S. 605).
Gleichwohl kann neben dieser Pflicht zur Auskunftserteilung auf Verlangen in besonderen Fällen eine Verpflichtung zur ungefragten Information des Partners des Unterhaltsrechtsverhältnisses bestehen. Sie stellt ebenfalls eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Rahmen des gesetzl. Unterhaltsrechtsverhältnisses dar (vgl. zu dem insoweit zwischen Ehegatten und Geschiedenen bestehenden Gebot der Schonung der Interessen des anderen bereits BGH, FamRZ 1977, 38 und Senatsurteil FamRZ 1983, 576 [hier: I (166) 117 a]).
Daß eine solche, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitete Pflicht zur unaufgeforderten Mitteilung (allgemein: Palandt/Heinrichs, BGB, 45. Aufl., § 242 Anm. 4 B d, m. w. N.) auch im Unterhaltsrecht bestehen kann und neben die dort geregelte Pflicht zur Auskunft auf Verlangen tritt, wird zwar bisweilen geleugnet (vgl. etwa DIV-Gutachten v. 8. 4. 1982, DAVorm 1983, 114, das nach der Art der vorliegenden Unterhaltstitel differenzieren will), in der neueren Rechtspr. und im Schrifttum jedoch zunehmend anerkannt (neben dem Berufungsurteil: AG Rüsselsheim, FamRZ 1985, 605; AG Hersbruck, FamRZ 1985, 633, 634 f.; BGB-RGRK/Mutschler, 12. Aufl., § 1605 Rz. 2; Brüne, FamRZ 1983, 657, 658; Göppinger, Unterhaltsrecht, 4. Aufl., Rz. 1404 ..). ...
Die Pflicht zur unverlangten Information des anderen Teiles besteht allerdings nicht bereits dann, wenn eine i. S. des § 323 Abs. 1 ZPO wesentliche Änderung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse eingetreten ist. Die Vorschrift des § 1605 Abs. 2 BGB zeigt vielmehr, daß es auch in einem solchen Falle im Grundsatz bei einem verhaltenen, vom Auskunftsgläubiger zu aktualisierenden Auskunftsanspruch bleibt: Vor Ablauf von zwei Jahren kann Auskunft erneut nur verlangt werden, wenn glaubhaft gemacht wird, daß der zur Auskunft Verpflichtete wesentlich höhere Einkünfte oder weiteres Vermögen erworben hat. Es ist also auch dann Sache des anderen Teils, sich Gewißheit über eingetretene Änderungen zu verschaffen. Die Annahme einer allgemeinen Pflicht zur ungefragten Offenbarung solcher Veränderungen (mit der möglichen Folge der Schadensersatzpflicht bei ihrer Verletzung) wäre mit dieser Entscheidung des Gesetzes nicht zu vereinbaren. Die Pflicht muß deshalb auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen das Schweigen über eine günstige, für den Unterhaltsanspruch ersichtlich grundlegende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse evident unredlich erscheint. Das kann jedenfalls dann angenommen werden, wenn der Unterhaltsschuldner aufgrund vorangegangenen Tuns des Unterhaltsgläubigers sowie nach der Lebenserfahrung keine Veranlassung hatte, sich des Fortbestandes der anspruchsbegründenden Umstände durch ein Auskunftsverlangen zu vergewissern, der Unterhaltsgläubiger sodann trotz einer für den Schuldner nicht erkennbaren Veränderung in seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, die den materiell-rechtlichen Unterhaltsanspruch ersichtlich erlöschen läßt, eine festgesetzte Unterhaltsrente weiter entgegennimmt und dadurch den Irrtum befördert, in seinen Verhältnissen habe sich erwartungsgemäß nichts geändert.
Zu dieser Fallgruppe gehört .. der Streitfall, der durch die hervorgehobenen besonderen Umstände im Zusammenhang mit dem von der Bekl. erzeugten Vertrauen auf die Endgültigkeit ihrer Erwerbsunfähigkeit sowie durch die Höhe der später gleichwohl unerwarteterweise von ihr noch erzielten Einkünfte im Verhältnis zu dem Kl. bleibenden Beträgen sein Gepräge erhält. Unter diesen besonderen Umständen bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Annahme, daß für die Bekl. eine Pflicht zur Information bestanden hat, deren Verletzung die weitere Entgegennahme der nach dem Titel zu zahlenden Unterhaltsrente als sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Kl. erscheinen läßt. Es wäre .. in besonderem Maße unbillig und geradezu unerträglich, die bewußte Ausnutzung des unrichtig gewordenen Titels durch die Bekl. hinzunehmen. Das trägt die Beurteilung, die Schadenszufügung sei in einer nach dem Urteil aller billig und gerecht Denkenden gegen die guten Sitten verstoßenden Weise erfolgt (§ 826 BGB). ...«