Beschränkung der Zulassung einer Rechtsbeschwerde auf eine bestimmte Rechtsfrage - Prüfungspflicht des Vormundschaftsgerichts
vor Anordnung eines Rückgriffs der Staatskasse
Entscheidungsgründe:
I.
Die Betroffene steht seit Ende des Jahres 1995 unter Betreuung. (Berufs-)Betreuerin war zunächst Frau N.............. Seit
Juli 2000 sind die Beteiligten zu 1. und 2. zu (Berufs-)Betreuern bestellt. Dem Beteiligten zu 1. wurden durch Beschluss des
Amtsgerichts vom 8. August 2001 die Aufgabenkreise "Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung einschließlich Unterbringung,
Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden" übertragen und dem Beteiligten zu 2. die Aufgabenkreise "Vertretung
der Betroffenen gegenüber der Staatskasse und ihren Eltern im Zusammenhang mit etwaigen Kosten für Berufsbetreuung und Verfahrenspfleger,
nebst eventuellen Regressansprüchen der Staatskasse". Das Amtsgericht setzte zugunsten der ehemaligen Betreuerin N..................,
der Beteiligten zu 1. und 2. sowie eines Vertretungsbetreuers für Betreuungstätigkeiten in der Zeit vom 1. Dezember 1998 bis
zum 30. September 2002 Vergütungen und Aufwendungsersatz in Gesamthöhe von 4.252,12 EUR (8.316,43 DM) gegen die Staatskasse
fest. Mit Schreiben vom 19. Oktober 1999 teilte das Amtsgericht den Eltern der Betroffenen mit, dass Betreuervergütungen und
-aufwendungen aus der Staatskasse gezahlt worden seien, wies auf einen möglichen Rückgriff der Staatskasse wegen etwaiger
Unterhaltsansprüche der Betroffenen gegen ihre Eltern hin und forderte die Eltern zur Darlegung ihrer Einkommen- und Vermögensverhältnisse
auf. Nach Eingang einer Einkommens- und Vermögensaufstellung der Eltern hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 21. Oktober
2002 angeordnet, dass die Betroffene die von der Staatskasse an die Betreuer geleisteten 4.252,12 EUR "unter ausschließlicher
Einsetzung etwaiger Unterhaltsansprüche gem. §§
1601 ff
BGB gegen ihre Eltern [...] zurückzuzahlen hat". Mit seiner dagegen fristgemäß eingelegten sofortigen Beschwerde hat der Beteiligte
zu 2. unter anderem geltend gemacht: Das Amtsgericht habe nicht ausreichend geprüft, ob der Betroffenen Unterhaltsansprüche
gegen ihre Eltern zustünden. Im Übrigen sei ein Rückgriff der Staatskasse wegen etwaiger Unterhaltsansprüche allenfalls für
Betreuervergütungen und -aufwendungen seit dem Inkrafttreten des BtÄndG (1. Januar 1999) zulässig und entsprechend § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG auch nur wegen des Unterhalts, den die Eltern der Betroffenen gegebenenfalls seit dem Zugang der Leistungsmitteilung des
Amtsgerichts vom 19. Oktober 1999 schuldeten. Das Landgericht hat den amtsgerichtlichen Beschluss vom 21. Oktober 2002 mit
Beschluss vom 10. September 2004 unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde im Übrigen teilweise geändert. Es hat die vom
Amtsgericht angeordnete Rückzahlung auf Vergütungen und Aufwendungsersatz für Betreuungstätigkeiten in der Zeit vom 1. Januar
1999 bis zum 30. September 2002 und auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 2.483,86 EUR beschränkt. Das Landgericht hat die Teilzurückweisung
im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Rückzahlungsanordnung des Amtsgerichts sei gemäß §§ 56 g Abs. 1 Satz 2 und 3 FGG,
1908 i Abs.
1,
1836 e, 1836 c
BGB für die seit dem 1. Januar 1999 angefallenen Betreuervergütungen und -aufwendungen nicht zu beanstanden. Die Betroffene sei
gemäß §§
1908 i Abs.
1,
1836 d Nr.
2 BGB zunächst als mittellos behandelt worden, obwohl ihr möglicherweise Unterhaltsansprüche gegen ihre Eltern zustünden. In einem
solchen Fall könne ein auf die Unterhaltsansprüche beschränkter Rückgriff grundsätzlich ohne vorherige Prüfung dieser Ansprüche
angeordnet werden. Etwas anderes gelte nur dann, wenn die fraglichen Unterhaltsansprüche offensichtlich nicht bestünden. Ausreichende
Anhaltspunkte dafür seien im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Zulässigkeit des Rückgriffs sei auch nicht auf den Unterhalt
beschränkt, den die Eltern der Betroffenen gegebenenfalls seit dem Zugang der Leistungsmitteilung des Amtsgerichts vom 19.
Oktober 1999 schuldeten. § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG finde auf den Rückgriff der Staatskasse gegen Betreute keine Anwendung. Diese Vorschrift gelte ausdrücklich nur für Sozialhilfeträger.
§
1836 c BGB sehe eine entsprechende Anwendung nicht vor. Das Landgericht hat die sofortige weitere Beschwerde zugelassen, "soweit es
um die Frage der entsprechenden Anwendung des § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG geht". Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungen der Vorinstanzen wird auf die Beschlüsse vom 21. Oktober 2002 (Bl.
182 des Vergütungshefts) und 10. September 2004 (Bl. 260 - 263 des Vergütungshefts) Bezug genommen. Gegen den Beschluss des
Landgerichts hat der Beteiligte zu 2. form- und fristgerecht sofortige weitere Beschwerde eingelegt - mit dem erklärten Ziel,
eine entsprechende Anwendung des § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG zu erreichen.
II.
Die gemäß §§ 69 Abs. 2, 56 g Abs. 5 Satz 2, 27 Abs. 1, 29, 22 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer
Rechtsverletzung (§§ 27 Abs. 1 FGG,
546 ZPO).
Der Senat ist - ungeachtet der anders lautenden Rechtsbeschwerdezulassung des Landgerichts - nicht auf die Prüfung der Rechtsfrage
beschränkt, ob § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG (jetzt: § 94 Abs. 4 Satz 1 SGB XII) im vorliegenden Fall entsprechende Anwendung findet. Die Zulassung eines Rechtsmittels wie der Rechtsbeschwerde
kann nicht auf eine bestimmte Rechtsfrage beschränkt werden, sondern nur auf selbständige abtrennbare Teile des Streitgegenstands
(Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Auflage, Vorb. §§ 19-30, Rn. 30 - Fn. 129; BGHReport 2004, 1583). Bei unzulässigen Zulassungsbeschränkungen gilt die Zulassung als unbeschränkt (BGH
NJW 1984, 615). Eine Auslegung kann zwar ergeben, dass es sich bei einer auf eine bestimmte Rechtsfrage beschränkten Rechtsmittelzulassung
der Sache nach um eine wirksame Zulassung nur für einen selbständigen Teil des Streitgegenstands handelt (BGHZ 101, 276). In einem solchen Fall hat das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung über diesen Teil des Streitgegenstands
jedoch ebenfalls unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen und nicht nur Im Hinblick auf die in der Rechtsmittelzulassung
bestimmte Rechtsfrage. Im vorliegenden Fall kommt allenfalls in Betracht, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde auf einen
zeitlich abgrenzbaren Teil der Rückgriffsforderung der Staatskasse (Rückgriff nur für die Betreuervergütungen und -aufwendungen
in der Zeit seit dem Zugang der Leistungsmitteilung des Amtsgerichts vom 19. Oktober 1999) beschränkt ist. Diese Frage bedarf
jedoch letztlich keiner abschließenden Erörterung, weil sämtliche zur Entscheidung anstehenden Rechtsfragen auch für diesen
Teil des Streitgegenstands erheblich und deshalb in jedem Fall im Rechtsbeschwerdeverfahren zu prüfen sind.
Die angefochtene Entscheidung lässt indessen keinen Rechtsfehler erkennen.
Der Senat folgt insbesondere der Auffassung (BayObLG FamRZ 2002, 417; OLG Düsseldorf Rpfleger 2003, 28; OLG Hamm FamRZ 2003, 1873), dass das Vormundschaftsgericht vor der Anordnung eines Rückgriffs der Staatskasse wegen möglicher Unterhaltsansprüche eines
Betreuten grundsätzlich nicht zu prüfen hat, ob diese Unterhaltsansprüche bestehen. Eine solche Prüfung wäre nicht sachgerecht,
weil das Vormundschaftsgericht ohnehin nicht verbindlich über Unterhaltsansprüche entscheiden kann. Dem Vormundschaftsgericht
obliegt gemäß §§ 56 g Abs. 1 Satz 2 und 3 FGG,
1908 i Abs.
1,
1836 e, 1836 c
BGB nur die Entscheidung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Betreute der Staatskasse Betreuervergütungen und -aufwendungen
zu erstatten haben. Wenn diese Frage - wie im vorliegenden Fall - vom Bestehen und vom Umfang eines Unterhaltsanspruchs abhängt,
könnte das Vormundschaftsgericht die unterhaltsrechtlichen Fragen zwar grundsätzlich auch selbst klären und sodann nach Maßgabe
des §
1836 c BGB festsetzen, welchen Teil des Unterhalts der Betreute gegebenenfalls für die Betreuervergütungen und -aufwendungen einzusetzen
hat. Diese Entscheidung würde jedoch gegenüber dem Unterhaltsschuldner keinerlei Wirkungen entfalten. Die Staatskasse erlangt
mit der Festsetzung des Rückgriffsbetrags vielmehr nur einen Titel gegen den Betreuten (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 b JBeitrO), aus dem sie vollstrecken und so in die Lage versetzt werden kann, den Unterhaltsanspruch des Betreuten im Wege der Pfändung
und Überweisung (§§
829,
835 ZPO) einzuziehen. Wenn der Unterhaltsschuldner dann nicht freiwillig leistet, muss er vor dem Familiengericht verklagt werden,
und nur dieses Gericht entscheidet verbindlich über den Unterhaltsanspruch. Eine gerichtliche Durchsetzung wird bei Unterhaltsansprüchen
regelmäßig erforderlich sein, weil Betreuervergütungen und -aufwendungen bei bestehenden Unterhaltsansprüchen in der Regel
nur dann aus der Staatskasse zu zahlen sind, wenn die Unterhaltansprüche nur im Wege der gerichtlichen Geltendmachung realisiert
werden können (§
1836 d Nr. 2
BGB). Wenn das Vormundschaftsgericht diese Unterhaltsansprüche ebenfalls zu prüfen hätte, wäre also regelmäßig eine doppelte
Prüfung erforderlich. Das widerspräche dem Grundsatz der Verfahrensökonomie, zumal die Vormundschaftsgerichte in der Regel
nicht so gut in das Unterhaltsrecht eingearbeitet sein werden wie die ständig damit befassten Familiengerichte. Außerdem bestünde
bei doppelter Prüfung die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen. Diese Gefahr gilt es im Interesse der Rechtssicherheit
zu vermeiden.
Dem Betreuten entstehen keine unzumutbaren Nachteile, wenn der Rückgriff ohne vorherige Prüfung der Unterhaltsansprüche angeordnet
wird. Das hat für ihn insbesondere nicht zur Folge, dass er den festgesetzten Betrag in jedem Fall zurückzuzahlen hätte. Eine
Rückzahlungspflicht besteht vielmehr nur insoweit, als die fraglichen Unterhaltsansprüche realisierbar und nach §
1836 c BGB auch von ihm einzusetzen sind. Die Staatskasse kann daher im Wege der Vollstreckung nur Rückgriff auf den Unterhalt nehmen,
der dem Betreuten nicht nach sozialhilferechtlichen Vorschriften verbleiben muss. Das versteht sich für die an Recht und Gesetz
gebundene öffentlich-rechtliche Staatskasse von selbst und bedarf deshalb auch keiner besonderen Erwähnung in dem Beschluss,
mit dem der Rückgriffsbetrag festgesetzt wird.
Eine Prüfung der Unterhaltsansprüche durch das Vormundschaftsgericht ist auch nicht etwa deshalb geboten, weil die Anordnung
des Rückgriffs wegen möglicher Unterhaltsansprüche entsprechend § 91 Abs. 2 Satz 2 BSHG (jetzt: § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII) ausgeschlossen wäre, wenn sie eine unbillige Härte bedeutete. Die Frage einer unbilligen Härte ist nach der gesetzlichen
Aufgabenverteilung nicht schon vom Vormundschaftsgericht im Festsetzungsverfahren nach § 56 g Abs. 1 Satz 2 und 3 FGG zu prüfen, sondern allenfalls im Vollstreckungsverfahren (§ 2 des Gesetzes über Gebührenfreiheit, Stundung und Erlass von Kosten im Bereich der Gerichtsbarkeiten des Landes Schleswig-Holstein
- LGebBefrG).
Im Rahmen der vorliegenden Entscheidung bedarf es auch keiner abschließenden Erörterung, ob eine Rückzahlungsanordnung wegen
eines Unterhaltsanspruchs zumindest dann ausnahmsweise ausgeschlossen ist, wenn ein Unterhaltsanspruch offenkundig nicht besteht.
Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Es spricht zwar einiges dafür, dass etwaige Unterhaltsansprüche der Betroffenen gegen
ihre Eltern für den Zeitraum, in dem die hier in Rede stehenden Betreuungstätigkeiten (1. Januar 1999 bis 30. September 2002)
angefallen sind, gegebenenfalls nach §
1613 BGB erloschen sind. Das ist jedoch unerheblich, weil die Staatskasse nach den §§
1908 i Abs.
1,
1836 e, 1836 c
BGB nicht nur auf Unterhaltsansprüche Rückgriff nehmen kann, die in derselben Zeit entstanden sind wie die von ihr verauslagten
Betreuervergütungen und -aufwendungen. §
1836 e BGB enthält eine solche Einschränkung - anders als z.B. § 91 BSHG - gerade nicht. Die Staatskasse kann hier daher grundsätzlich auch auf früher entstandene oder später entstehende Unterhaltsansprüche
Rückgriff nehmen (Palandt/Diede-richsen, 64. Auflage, §
1836 e Rn. 3), soweit sie nach §
1836 c BGB einzusetzen sind. Im vorliegenden Fall liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass sämtliche gegebenenfalls
einzusetzenden Unterhaltsansprüche der Betroffenen gegen ihre Eltern - insbesondere auch gegenwärtige - bereits erloschen
sein könnten.
Das Landgericht hat schließlich auch mit zutreffender Begründung angenommen, dass § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG keine Anwendung auf den Rückgriff der Staatskasse nach den §§
1908 i Abs.
1,
1836 e, 1836 c
BGB findet. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift ist im Gegensatz zur Auffassung des Beteiligten zu 2. nicht zum Schutz
des Unterhaltsschuldners geboten - im Gegenteil. § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG erweitert die Möglichkeiten des Sozialhilfeträgers, den Unterhaltsschuldner für die Vergangenheit auf Unterhalt in Anspruch
zu nehmen, d.h. der Sozialhilfeträger kann nicht nur unter den Voraussetzungen des §
1613 BGB Unterhalt für die Vergangenheit fordern, sondern auch dann, wenn lediglich die Voraussetzungen des § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG vorliegen (Staudinger/Engler, Neuberarbeitung 2000, § 1613 Rn. 65 m.w.N. aus der Rspr.; BGH NJW-RR 1987, 1220 zu § 91 Abs. 2 a.F. BSHG). § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG privilegiert also den Sozialhilfeträger und nicht den Unterhaltsschuldner. Im Übrigen wird die von dem Beteiligten zu 2.
angesprochene Warnfunktion der Leistungsmitteilung nach § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift auch hinreichend durch §
1613 Abs.
1 BGB gewährleistet. Danach setzt die Geltendmachung von Unterhalt für die Vergangenheit grundsätzlich einen Verzug des Unterhaltsschuldners,
eine Rechtshängigkeit des Unterhaltsanspruchs oder eine Aufforderung an den Unterhaltsschuldner voraus, über seine Einkünfte
und sein Vermögen Auskunft zu erteilen.
Es wäre daher allenfalls zu erwägen, ob eine entsprechende Anwendung des § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG im Interesse der Staatskasse geboten ist. Auch das ist jedoch zu verneinen, weil §
1613 BGB ihr ausreichende Möglichkeiten eröffnet, Unterhalt für die Vergangenheit geltend zu machen.