Bestimmung der Leistungsfähigkeit der Kinder im Rahmen des Elternunterhalts
Gründe:
A. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Bestimmung der Leistungsfähigkeit von Kindern, die aus übergegangenem Recht vom
Sozialhilfeträger zur Zahlung von Unterhalt für einen Elternteil herangezogen werden.
I. 1. Nach §
1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren, also auch Kinder gegenüber ihren Eltern. Voraussetzung
dafür ist einerseits, dass der Unterhalt beanspruchende Elternteil außerstande ist, sich aus eigenen Mitteln selbst zu unterhalten
(§
1602 Abs.
1 BGB), bei ihm damit Bedürftigkeit vorliegt. Andererseits muss das zum Unterhalt herangezogene Kind unter Berücksichtigung seiner
sonstigen Verpflichtungen imstande sein, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts dem Elternteil Unterhalt zu
gewähren (§
1603 Abs.
1 BGB), es muss also leistungsfähig sein. Dabei müssen Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit zeitgleich zusammenfallen. Nur wenn
und solange während der Zeit des Unterhaltsbedarfs der Unterhaltspflichtige leistungsfähig ist, entsteht ein Unterhaltsanspruch.
Diese Auslegung von §
1603 Abs.
1 BGB entspricht nicht nur der einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. BGH, FamRZ 1985, S. 155 [156]; Staudinger/Engler/Kaiser,
BGB, [2000] §
1603 Rn. 7), sondern wird schon von den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch gestützt, in denen ausgeführt wurde, dass für die
Dauer der Leistungsunfähigkeit eine Unterhaltsverpflichtung nicht zur Entstehung gelange. Es bedürfe deshalb keiner ausdrücklichen
Bestimmung, die im Falle eines späteren Vermögenszuwachses beim Leistungsunfähigen eine Verpflichtung zur Nachzahlung von
Unterhalt für die Vergangenheit ausschließe (vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche
Reich, Bd. IV, 2. Aufl. 1896, S. 687 f.).
Der eigene angemessene Unterhalt stellt somit unterhaltsrechtlich die Grenze dar, bis zu der vom unterhaltspflichtigen Kind
der Einsatz seines Einkommens und Vermögens verlangt werden kann. Was dem Unterhaltspflichtigen unter diesen Voraussetzungen
verbleiben muss, hat der Gesetzgeber nicht näher konkretisiert, es bedarf insofern der Auslegung durch die Gerichte.
Bis zur Begründung der Zuständigkeit der Familiengerichte für solche Unterhaltsstreitigkeiten durch das Gesetz zur Reform
des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2942) wurden zur Bestimmung des eigenen angemessenen Bedarfs des Unterhaltspflichtigen in der Rechtsprechung der bis dahin in
letzter Instanz zuständigen Landgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten. Das galt für die Höhe des beim Einkommen
zu berücksichtigenden Selbstbehalts des Unterhaltspflichtigen ebenso wie für die Frage, wie viel ihm von seinem Vermögen zu
belassen sei. Allerdings hob der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahre 1992 hervor, dass Eltern zwar regelmäßig
damit rechnen müssten, ihren Kindern auch über deren Volljährigkeit hinaus Unterhalt zu gewähren. Gleiches gelte aber nicht
für den Fall, dass Eltern nach Ausscheiden aus dem Berufsleben ihre Kinder, die selbst inzwischen Familien gegründet hätten,
auf Unterhalt in Anspruch nehmen könnten. Deren grundlegend andere Lebenssituation sei bei der Heranziehung zum Unterhalt
ihrer Eltern Rechnung zu tragen (vgl. BGH, FamRZ 1992, S. 795 [797]).
Inzwischen hat der Bundesgerichtshof diese Aussage mit weiteren Entscheidungen aus jüngerer Zeit präzisiert. Maßgebend für
den eigenen angemessenen Unterhalt des Unterhaltspflichtigen sei seine Lebensstellung, die seinem Einkommen, Vermögen und
sozialen Rang entspreche. Hiernach bestimme sich sein Lebensbedarf einschließlich einer angemessenen Altersversorgung. Sein
Eigenbedarf richte sich deshalb nicht an einer festen Größe aus. Jedenfalls müsse er eine spürbare und dauerhafte Senkung
seines berufs- und einkommenstypischen Lebensniveaus nicht hinnehmen, sofern er nicht einen unangemessenen Aufwand betreibe
und nicht in Luxus lebe (vgl. BGH, FamRZ 2002, S. 1698 [1700 ff.]). So sei auch eine Veräußerung oder Vermietung des Familienheims unterhaltsrechtlich nicht zumutbar, wenn dies
die bisherige Lebensführung des unterhaltspflichtigen Kindes grundlegend beeinträchtige. Auch sei zu prüfen, ob eine Verwertung
des selbstgenutzten Grundbesitzes aus Gründen der eigenen Altersversorgung nicht erwartet werden könne (vgl. BGH, aaO., S.
1179 [1180 ff.]). In diesem schwächer ausgestalteten Unterhaltsrechtsverhältnis von erwachsenem Kind mit eigener Familie zu
seinem betagten Elternteil brauche der Unterhaltsschuldner den Stamm seines Vermögens nicht zu verwerten, wenn dies für ihn
mit einem wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Nachteil verbunden wäre (vgl. BGH, FamRZ 2004, S. 1184 [1185 f.]).
2. Auch der Staat hat einem Bedürftigen in Erfüllung des verfassungsrechtlich verankerten Sozialstaatsgebots zu helfen. Er
tut dies in Form der Sozialhilfe, die er - in der hier maßgeblichen Zeit noch nach den §§ 68 ff. BSHG - als Hilfe zur Pflege auch denjenigen gewährt, die im Alter pflegebedürftig werden und die Kosten für die Pflege aus eigenen
oder den Mitteln der Pflegeversicherung nicht in vollem Umfang bestreiten können. Allerdings hat der Unterhaltsanspruch eines
Bedürftigen gegenüber einem leistungsfähigen Unterhaltspflichtigen Vorrang vor seinem Sozialhilfeanspruch (vgl. § 2 BSHG). Gewährt der Sozialhilfeträger Sozialhilfe, obgleich ein Unterhaltsanspruch besteht, konnte er deshalb bis zum 26. Juni
1993 nach den §§ 90, 91 BSHG durch schriftliche Anzeige gegenüber dem Unterhaltspflichtigen bewirken, dass der Unterhaltsanspruch bis zur Höhe der geleisteten
Sozialhilfe auf ihn überging. Seit seiner Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom
23. Juni 1993 (BGBl I S. 944) bestimmte § 91 BSHG, dass ein nach bürgerlichem Recht bestehender Unterhaltsanspruch eines Sozialhilfeempfängers für die Zeit, für die Hilfe
gewährt wird, kraft Gesetzes bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Sozialhilfeträger übergeht.
Das Sozialhilferecht enthält ebenfalls Bestimmungen zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen. Es regelte in § 91 Abs. 2 BSHG n.F. und § 91 Abs. 1 Satz 2 BSHG a.F., dass der Unterhaltsanspruch eines Sozialhilfeempfängers auf den Sozialhilfeträger nur insoweit übergeht beziehungsweise
übergeleitet werden durfte, als auch ein Hilfeempfänger sein eigenes Einkommen und Vermögen einzusetzen hat. Diese den Übergang
eines bestehenden Unterhaltsanspruchs begrenzende Gleichbehandlung des Unterhaltspflichtigen mit einem Hilfeempfänger erfolgte
hinsichtlich des Vermögens nach Maßgabe des § 88 BSHG, der in seinem Absatz 2 aufführte, was dem Hilfeempfänger als Schonvermögen zu belassen ist, sowie in Absatz 3 bestimmte, dass Vermögen nicht einzusetzen
ist, soweit dies für den Vermögenden und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist bei
der Hilfe in besonderen Lebenslagen vor allem der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer
angemessenen Alterssicherung andernfalls wesentlich erschwert würde (vgl. § 88 Abs. 3 Satz 2 BSHG). Schließlich eröffnete § 89 BSHG die Möglichkeit, jemandem, der sein Vermögen nach § 88 BSHG für seinen Unterhalt einzusetzen hat und deshalb Sozialhilfe nicht beanspruchen kann, dennoch Sozialhilfe als Darlehen zu
gewähren, wenn ihm eine sofortige Verwertung des Vermögens nicht zumutbar ist.
3. Mit dem Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3022) ist das Bundessozialhilfegesetz mit Wirkung zum 1. Januar 2005 aufgehoben worden. An seine Stelle ist das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe
- getreten, das hinsichtlich der hier maßgeblichen sozialhilferechtlichen Regelungen zu keiner inhaltlichen Änderung geführt
hat (vgl. §§ 61 ff., 93 f., 90 f. SGB XII).
In seinem Vierten Kapitel hat das SGB XII aber die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die über 65-Jährige beanspruchen
können, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können (§§ 41 ff. SGB XII), in
das Sozialhilferecht eingegliedert (vom 1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2004 geregelt in § 2 Abs. 1 Grundsicherungsgesetz).
Dabei bleiben nach § 43 Abs. 2 SGB XII Unterhaltsansprüche des Leistungsberechtigten gegenüber Kindern unberücksichtigt, sofern
deren jährliches Gesamteinkommen unter einem Betrag von 100.000 EUR liegt.
II. 1. Die Mutter der Beschwerdeführerin lebte wegen ihrer Pflegebedürftigkeit von Juli 1991 bis zu ihrem Tode im September
1995 in einem Alten- und Pflegeheim. Die Heimpflegekosten überstiegen bei weitem ihre aus eigenem Altersruhegeld und Witwenrente
bestehenden Einkünfte. Für die insoweit nicht abgedeckten Kosten leistete die Stadt B. als örtlicher Träger der Sozialhilfe
zu Lasten des überörtlichen Trägers Hilfe zur Pflege nach den §§ 68 ff. BSHG. Bis zum Tode der Mutter belief sich die Summe der gewährten Leistungen auf etwa 123.000 DM. Mit Bescheid vom selben Monat,
in dem die Mutter in das Pflegeheim aufgenommen wurde, zeigte der Sozialhilfeträger der Beschwerdeführerin nach den damals
geltenden §§ 90, 91 BSHG in rechtswahrender Form die Überleitung der gegen sie bestehenden Unterhaltsansprüche ihrer Mutter an und machte die übergeleiteten
Ansprüche gegen die Beschwerdeführerin später gerichtlich geltend.
Die im Jahre 1939 geborene Beschwerdeführerin war zu diesem Zeitpunkt kinderlos verheiratet und ging seit 1970 einer halbschichtigen
Tätigkeit nach, mit der sie zuletzt ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von etwa 1.100 DM erzielte. Im Jahre 1994 trennten
sich die Eheleute. Der seit 1990 nicht mehr erwerbstätige Ehemann der Beschwerdeführerin ging 1995 in Rente. Das Arbeitsverhältnis
der Beschwerdeführerin wurde zum Herbst 1996 aus betriebsbedingten Gründen gekündigt. Gemeinsam mit ihrem Ehemann war und
ist die Beschwerdeführerin je zur Hälfte Eigentümerin eines mit einem Vierfamilienhaus bebauten Grundstücks, das der gemeinsamen
Alterssicherung dienen sollte. Der Verkehrswert der Immobilie wurde mit 660.000 DM angegeben, wobei Anfang 1992 Belastungen
in Höhe von 168.000 DM bestanden. Eine der vier Wohnungen bewohnten die Eheleute bis zu ihrer Trennung als eheliche Wohnung,
danach lebte die Beschwerdeführerin dort allein. Die drei weiteren Wohnungen waren vermietet. Die monatlichen Belastungen
für das Hausgrundstück überstiegen die aus der Vermietung erzielten Einnahmen.
2. Im Verfahren vor dem Amtsgericht begehrte der Sozialhilfeträger, die Beschwerdeführerin zu verurteilen, an ihn für die
Zeit von Juli 1991 bis Januar 1995 Unterhalt in Höhe von 104.921,25 DM und ab Februar 1995 monatlich 2.640,95 DM für ihre
Sozialhilfe beziehende Mutter zu zahlen. Die Beschwerdeführerin habe mit dem ihr und ihrem Ehemann gehörenden Hausgrundstück
verwertbares Vermögen. Seiner Veräußerung bedürfe es nicht, da die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Unterhaltsschulden
ein Schuldanerkenntnis abgeben könne, auf Grund dessen der Sozialhilfeträger eine Sicherungshypothek in das Grundbuch des
Hausgrundstücks eintragen lassen könne.
Die Klage wurde vom Amtsgericht abgewiesen, weil die Beschwerdeführerin mangels Leistungsfähigkeit nicht zu Unterhaltsleistungen
verpflichtet sei. Ihre Einkünfte aus Erwerbstätigkeit und Vermietung lägen unterhalb des ihr zustehenden Selbstbehalts, der
jedenfalls mit einem höheren Betrag als 1.600 DM anzusetzen sei. Ihren hälftigen Miteigentumsanteil an dem Hausgrundstück
müsse die Beschwerdeführerin nicht zum Zwecke der Unterhaltsgewährung einsetzen. Zwar verpflichte §
1603 Abs.
1 BGB grundsätzlich auch zum Einsatz des Vermögensstamms, allerdings nur, soweit dadurch der eigene angemessene lebenslange Unterhalt
nicht gefährdet werde oder die Verwertung nicht zu wirtschaftlich unvertretbaren Nachteilen führe. Dies aber wäre im Fall
der Beschwerdeführerin die Folge einer Verwertung des Grundstücks. Wegen der vollständigen Vermietung des Hauses und seiner
deshalb nicht möglichen Selbstnutzung durch den Erwerber wäre nur mit einem realisierbaren Erlös zu rechnen, der im krassen
Missverhältnis zum Marktwert stünde. Außerdem würde der Ehemann der Beschwerdeführerin bei einer Teilversteigerung mittelbar
gezwungen, ebenfalls sein Eigentum zu verwerten.
Unzumutbar sei die Verwertung auch deshalb, weil das Grundstück zur Alterssicherung erworben worden sei. Es müsse berücksichtigt
werden, dass ihr Ehemann sich seit 1990 in vorgezogenem Ruhestand befinde, ihr selbst der Verlust des Arbeitsplatzes drohe
und sie angesichts ihres Alters kaum Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz habe, sodass sie auf Grund von Arbeitslosigkeit
demnächst noch deutlich geringere Einkünfte beziehe. Jede Verwertung ihres Immobilienanteils würde auch unter Berücksichtigung
der eingetretenen Trennung der Eheleute bei der Beschwerdeführerin in ihren weiteren Lebensjahren zu erheblichen wirtschaftlichen,
ihren eigenen Unterhalt gefährdenden Nachteilen führen.
3. Gegen das Urteil des Amtsgerichts legte der Sozialhilfeträger Berufung ein. Mit Beschluss vom 5. Dezember 1995 unterbreitete
das Landgericht den Beteiligten einen Vergleichsvorschlag. Danach sollte sich der Sozialhilfeträger verpflichten, die von
ihm geltend gemachten Unterhaltsbeträge in analoger Anwendung von § 89 BSHG als zinsloses Darlehen zu gewähren, und zwar hinsichtlich der rückständigen Leistungen bis Dezember 1995 in Höhe von insgesamt
132.500 DM und ab Januar 1996 in Höhe von monatlich 2.500 DM bis zu einer Gesamtdarlehenshöhe von maximal 245.000 DM, dem
Verkehrswert des Grundstücksanteils der Beschwerdeführerin abzüglich der Belastungen. Das Darlehen sollte mit Ablauf von drei
Monaten nach dem Tod der Beschwerdeführerin zur Rückzahlung fällig werden. Zugleich sollte sich die Beschwerdeführerin verpflichten,
zur Sicherung der Darlehensrückzahlung zu Gunsten des Sozialhilfeträgers die Eintragung einer Grundschuld auf ihren Miteigentumsanteil
zu bewilligen und zu beantragen.
Zur Begründung dieses Vergleichsvorschlags führte das Gericht aus, die Beschwerdeführerin sei einerseits unstreitig nicht
leistungsfähig im Sinne von §
1603 BGB, da sie zur Unterhaltszahlung aus laufenden Einnahmen ohne Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhalts nicht in der
Lage sei. Sehr zweifelhaft sei auch, ob sie zur Verwertung ihres Miteigentumsanteils verpflichtet sei. Andererseits spreche
viel dafür, dass die Beschwerdeführerin nach Treu und Glauben verpflichtet sei, ein auf dem Rechtsgedanken des § 89 BSHG beruhendes Darlehensangebot des Sozialhilfeträgers anzunehmen, wenn sie dadurch ohne Gefährdung ihres Lebensunterhalts lediglich
auf Dauer gehindert werde, ihr Grundvermögen zu verwerten.
Die Beschwerdeführerin nahm diesen Vergleichsvorschlag nicht an. Daraufhin änderte der Sozialhilfeträger seine Klageanträge
und beantragte nunmehr festzustellen, dass die Beschwerdeführerin wegen der Pflegeaufwendungen für ihre mittlerweile verstorbene
Mutter einen Betrag von insgesamt 125.527,92 DM schulde, und die Beschwerdeführerin zur Annahme eines entsprechenden zinslosen
Darlehensangebots des Sozialhilfeträgers, fällig zur Rückzahlung drei Monate nach dem Tod der Beschwerdeführerin, zu dessen
Gewährung er sich verpflichte, sowie zur Bewilligung einer dinglichen Sicherheit zu verurteilen.
Mit Urteil vom 3. Mai 1996 entsprach das Landgericht im Wesentlichen diesen Anträgen. Es stellte fest, dass die Beschwerdeführerin
zur Zahlung eines ihrer Mutter geschuldeten und auf den Sozialhilfeträger übergeleiteten Unterhaltsbetrags in Höhe von 123.306,88
DM verpflichtet sei. Das Gericht verurteilte die Beschwerdeführerin, das vom Sozialhilfeträger angebotene zinslose Darlehen
in Höhe des geschuldeten Betrages anzunehmen und zu dessen Sicherung die Eintragung einer Grundschuld in Höhe von 123.000
DM auf ihren Miteigentumsanteil zu bewilligen. Ohne Gefährdung ihres eigenen Unterhalts und ihrer Altersversorgung sei die
Beschwerdeführerin in der Lage, ihren Miteigentumsanteil mit Hilfe des ihr vom Sozialhilfeträger angebotenen zinslosen und
erst nach ihrem Tod zurückzuzahlenden Darlehens für die ihrer Mutter geschuldeten Unterhaltsrückstände einzusetzen. Die Leistungsverpflichtung
eines Schuldners entfalle nicht, wenn der Gläubiger freiwillig oder aus rechtlicher Verpflichtung die Forderung erst zu einem
späteren Zeitpunkt geltend mache. So wie der Sozialhilfeträger einem Hilfebedürftigen, der sein Vermögen einzusetzen habe,
Sozialhilfe nach § 89 BSHG als Darlehen gewähren könne, könne er auch der Beschwerdeführerin als Unterhaltsschuldnerin die erforderlichen Mittel als
Darlehen zur Verfügung stellen. Ein Unterhaltspflichtiger müsse zur Erfüllung von Unterhaltsverpflichtungen auch seinen Vermögensstamm
angreifen, für dessen Verwertung es keine allgemeine Billigkeitsgrenze gebe. Deshalb sei die Beschwerdeführerin erst recht
zum Einsatz ihres Vermögens verpflichtet, wenn von ihr nicht dessen sofortige Verwertung, sondern lediglich dessen Belastung
mit einer Grundschuld verlangt werde.
Es sei nicht erforderlich, dass der Beschwerdeführerin eine Altersversorgung aus dem Vermögen sichergestellt werde und der
Vermögensstamm letztlich den Erben erhalten bleibe. Vielmehr müsse das Vermögen so eingesetzt werden, dass es bis zum voraussichtlichen
Lebensende des Unterhaltsschuldners verbraucht sei. Auch auf Grund ihrer Einkommenssituation, ihres mietfreien Wohnens und
der nicht genau dargelegten Mieteinnahmen und Zins- sowie Tilgungslasten könne nicht davon ausgegangen werden, die Beschwerdeführerin
sei auf Grund der Belastung mit der Grundschuld außerstande, ihren eigenen Unterhalt zu gewährleisten.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Verfassungsbeschwerde, mit der die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte
aus Art.
2 Abs.
1 und Art.
14 Abs.
1 GG rügt. Sie sei weder in der Lage, aus Erwerbseinkünften Unterhaltsleistungen zu erbringen, noch stehe ihr Miteigentumsanteil
zum Zwecke der Unterhaltsgewährung zur Verfügung. Die Immobilie sei von ihr und ihrem Ehemann als Alterssicherung erworben
worden. Durch die Eintragung eines Grundpfandrechts würden die Verwertbarkeit des Hauses massiv verschlechtert und das Vermögen
der Beschwerdeführerin so reduziert, dass es nicht mehr ausreiche, um ihre Defizite in der Altersversorgung auch nur annähernd
auszugleichen. Dadurch würde nicht nur ihre Lebensplanung, sondern auch ihr Altersunterhalt gefährdet. Ihr sei eine Unterhaltspflicht
auferlegt worden, obwohl sie nicht leistungsfähig sei und obwohl §
1603 BGB den Eigenschutz vor dem Fremdnutz sichere.
Zudem habe das Gericht unberücksichtigt gelassen, dass sie zur Zeit des Unterhaltsbedarfs auch deshalb nicht leistungsfähig
gewesen sei, weil ihr vom Sozialhilfeträger das Darlehensangebot erst nach dem Tode ihrer Mutter unterbreitet worden sei.
Das Unterhaltsrecht sei aber vom Grundsatz geprägt, dass gegenwärtiger Bedarf auch gegenwärtig erfüllt werde, und schließe
eine unterhaltsrechtliche Abschöpfung zukünftiger Liquidität des Unterhaltspflichtigen aus. Es verfolge das Ziel, das Überleben
eines Menschen, im vorliegenden Fall die Pflege der Mutter, sicherzustellen. Die landgerichtliche Entscheidung führe allein
zur Refinanzierung der öffentlichen Hand. Sie verstoße deshalb gegen Art.
2 Abs.
1 GG.
Außerdem sei der Beschwerdeführerin ohne Rechtsgrundlage ein Zwangsdarlehen auferlegt und sie sei zur Eintragung einer Sicherungshypothek
verpflichtet worden. Auch dies schränke ihre Dispositionsfreiheit ein und verletze ihr Eigentumsrecht aus Art.
14 GG. Weder § 89 BSHG noch §
1603 BGB rechtfertigten, ihre Vermögensdisposition einzuschränken, und böten keine Rechtsgrundlage für einen Eingriff in ihr Eigentum.
Im Übrigen stelle sich die Frage, ob es angehe, sie mit ihrem Vermögen zur Unterhaltszahlung heranzuziehen, das sie sich bei
kleinem Einkommen durch Verzicht auf Urlaub und sonstige Dinge erspart und jede Mark in die Immobilie gesteckt habe, um eine
vernünftige Alterssicherung zu erlangen, während derjenige, der sein Einkommen konsumiere, mangels Vermögens von derartigen
Unterhaltsleistungen verschont bleibe.
III. Zu dem Verfahren haben die Bundesregierung durch das Bundesministerium der Justiz, der Bundesgerichtshof, die Wissenschaftliche
Vereinigung für Familienrecht sowie die Klägerin des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
1. Die Bundesregierung hat darauf hingewiesen, in der Gesellschaft sei die Verpflichtung, im Bedarfsfall für die Eltern zu
sorgen, allseits akzeptiert. Es stelle sich aber die Frage nach den Grenzen dieser Verpflichtung. Bei der Auslegung von §
1603 BGB hinsichtlich der Leistungsfähigkeit von Kindern, die zum Unterhalt für ihre Eltern herangezogen werden, müsse, worauf der
Bundesgerichtshof in seinen jüngeren Entscheidungen zutreffend hingewiesen habe, auch im Lichte des Grundgesetzes Berücksichtigung
finden, dass es nicht zu einer Überforderung der Generationensolidarität kommen dürfe, zumal die Kinder mit ihren Sozialabgaben
schon zur Finanzierung der Elterngeneration beitrügen. Der Elternunterhalt sei deshalb auch nachrangig. Außerdem müssten beim
Pflichtigen Unterhaltsleistungen an andere Berechtigte, Darlehensschulden, Zahlungen für die eigene Altersabsicherung sowie
ein erhöhter Selbstbehalt bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit Berücksichtigung finden. Schließlich seien inzwischen
nach der Rechtsprechung vom danach verbleibenden anrechenbaren Einkommen nur 50 % für den Elternunterhalt einzusetzen.
Ebenso restriktiv sei zu verfahren, wenn es um die Verwertung des Vermögensstammes des Unterhaltspflichtigen gehe. Bei einem
auf den Sozialhilfeträger übergegangenen Anspruch auf Elternunterhalt könne auf das Vermögen des Kindes zudem nur in dem Umfang
Zugriff genommen werden, in dem es bei Sozialhilfebedürftigkeit herangezogen werden könne. Die Bundesregierung teile im konkreten
Fall die Auffassung, dass die Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin mittels der Gewährung eines zinslosen Darlehens erst
viel zu spät hergestellt worden sei, und zwar erst, als mit dem Tod der Mutter deren Bedürftigkeit nicht mehr bestanden habe.
Das Landgericht habe damit den unterhaltsrechtlichen Grundsatz der Gleichzeitigkeit nicht berücksichtigt. Aber auch wenn das
Darlehen noch zu Zeiten der Bedürftigkeit der Mutter angeboten worden wäre, hätte geprüft werden müssen, ob die Belastung
des Grundstücks mit einer Grundschuld die eigene Altersvorsorge der Beschwerdeführerin nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt
hätte. Eine solche Prüfung fordere bei einem Anspruchsübergang auch § 88 Abs. 3 BSHG. Es spreche viel dafür, dass die Beschwerdeführerin zu Unrecht in Anspruch genommen worden sei. § 89 BSHG sei hier nicht anwendbar. Er sei eine Schutzvorschrift zu Gunsten des Sozialhilfeempfängers und dürfe für einen Unterhaltspflichtigen
nicht in sein Gegenteil verkehrt werden. Insofern habe das Landgericht jedenfalls weder das Unterhalts- noch das Sozialhilferecht
zutreffend angewandt.
2. Der Bundesgerichtshof hat durch die Vorsitzende des für Familiensachen zuständigen XII. Zivilsenats mitgeteilt, der Senat
halte die vom Landgericht vertretene Rechtsauffassung nicht für zutreffend. Sie laufe darauf hinaus, auf das nach dem Tod
noch vorhandene Vermögen zuzugreifen. Dann sei die Beschwerdeführerin aber nicht mehr unterhaltspflichtig.
Aus ihrem Einkommen sei die Beschwerdeführerin unstreitig nicht leistungsfähig. Zwar müsse ein Unterhaltsschuldner grundsätzlich
auch seinen Vermögensstamm zur Unterhaltsbestreitung einsetzen. Eine Verwertung könne aber nicht verlangt werden, wenn dies
den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneide, die er zur Erfüllung weiterer Verbindlichkeiten oder zur
Bestreitung seines eigenen Unterhalts benötige. Eine Verwertung komme auch dann nicht in Betracht, wenn dies mit wirtschaftlich
nicht vertretbaren Nachteilen verbunden wäre. Richtig sei insofern die Auffassung des Landgerichts, dass im vorliegenden Fall
allenfalls eine Belastung des Grundstücksanteils der Beschwerdeführerin, nicht dagegen eine ihr unzumutbare Veräußerung in
Frage kommen könne. Auch scheide eine Belastung im Rahmen der Aufnahme eines Darlehens zu banküblichen Bedingungen aus, da
die Beschwerdeführerin zur Leistung des erforderlichen Schuldendienstes finanziell nicht in der Lage wäre.
Der vom Landgericht mit der Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Annahme des zinslosen Darlehens des Sozialhilfeträgers
eingeschlagene Weg begegne erheblichen rechtlichen Bedenken. Eine Unterhaltspflicht setze die Leistungsfähigkeit in dem Zeitraum
voraus, für den Unterhalt beansprucht werde. In diesem Zeitraum habe die Beschwerdeführerin weder über einsetzbares Einkommen
noch über in zumutbarer Weise verwertbares Vermögen verfügt. Mangels Leistungsfähigkeit habe sie deshalb vor Darlehensaufnahme
nichts geschuldet, sodass auch keine Schuld in ein Darlehen habe umgewandelt werden können. Vielmehr habe die Leistungsfähigkeit
der Beschwerdeführerin erst durch die Darlehensaufnahme begründet werden sollen. Auch könne § 89 BSHG zur Begründung einer Verpflichtung zur Darlehensaufnahme nicht entsprechend herangezogen werden, da er verwertbares Vermögen
voraussetze. Daran habe es bei der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung ihrer Einkommensverhältnisse und ihrer Angewiesenheit
auf das Haus zur angemessenen Altersversorgung aber gefehlt. Außerdem werde § 89 BSHG als Schuldnerschutzvorschrift in sein Gegenteil verkehrt, wenn durch seine Heranziehung eine andernfalls nicht vorhandene
Leistungsfähigkeit begründet werden könnte.
3. Die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht hat ausgeführt, die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung
sei wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichzeitigkeit von Unterhaltsbedarf und Leistungsfähigkeit unterhaltsrechtlich
nicht haltbar. Die Gesetzesauslegung verletze die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Art.
2 Abs.
1 und Art.
14 Abs.
1 GG.
Eine Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin habe im streitbefangenen Unterhaltszeitraum nicht vorgelegen. Zwar bestehe
auch beim Elternunterhalt grundsätzlich eine Obliegenheit der Vermögensverwertung zur Deckung des Unterhaltsbedarfs, die auch
durch eine weniger belastende Beleihung erfüllt werden könne. Da die Beschwerdeführerin jedoch unstreitig mit ihrem Einkommen
keinen Bankkredit habe finanzieren können, sei ihr auch eine Beleihung nicht zuzumuten gewesen. Auf das zinslose Darlehensangebot
des Sozialhilfeträgers habe das Gericht nicht abstellen dürfen, da es erst nach Ablauf des Unterhaltszeitraums unterbreitet
worden sei. Stelle sich die Leistungsfähigkeit erst nach Wegfall des Unterhaltsbedarfs ein, habe dies keine Rückwirkung auf
verstrichene Zeiträume.
Weil das Gericht die Beschwerdeführerin somit für leistungsfähig erachtet habe, obwohl sie in Wirklichkeit im streitbefangenen
Zeitraum keine Möglichkeit zur Kreditaufnahme gehabt habe, und weil die Beschwerdeführerin Zinslasten ohne Gefährdung ihres
Existenzminimums nicht habe tragen können, verstoße die Entscheidung gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,
der eine übermäßige Inanspruchnahme des Unterhaltsschuldners verbiete. Das Gericht verlange einen Einkommenseinsatz, der zur
Unterschreitung des Existenzminimums führe. Zudem sei zu bezweifeln, ob der der Beschwerdeführerin nach der landgerichtlichen
Entscheidung verbleibende Vermögenswert ausreiche, um ihr bei einer Rente in Höhe von 800 DM das Existenzminimum zu sichern.
4. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, der Sozialhilfeträger, hält die angegriffene Entscheidung nicht für verfassungswidrig.
Das Landgericht habe zu Recht bejaht, dass bei der Beschwerdeführerin Vermögen vorgelegen habe, das zwar gebunden und insoweit
nicht ohne weiteres verwertbar gewesen sei, auf Grund dessen die Beschwerdeführerin aber zur Darlehensaufnahme unter Beleihung
des Grundstücks verpflichtet gewesen sei. Der Sozialhilfeträger habe ihr ein zinsloses Darlehen mit der Sicherung durch eine
Grundschuld angeboten, sodass die Heranziehung des Vermögens bei der Beschwerdeführerin nicht zu einer Belastung ihrer Einkommenssituation
geführt hätte. Insoweit sei die Beschwerdeführerin leistungsfähig und zur Unterhaltszahlung für ihre Mutter verpflichtet gewesen.
Dies werde durch §
1603 BGB gestützt. Der Gesetzgeber habe die Verwertung von Vermögen wegen der unterschiedlichen Arten von Vermögensanlagen nicht im
Einzelnen geregelt, sondern ihr dort eine Grenze gezogen, wo die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nicht mehr gewahrt
sei. Dies habe das Landgericht gesehen und nach Abwägung richtigerweise angenommen, dass mit der Eintragung einer Grundschuld
die Beschwerdeführerin weder in ihrem eigenen Unterhalt noch in ihrer Möglichkeit beeinträchtigt werde, ihr Eigentum zu nutzen
oder zu veräußern.
Die Beschwerdeführerin sei nicht in ihrer Handlungsfreiheit nach Art.
2 Abs.
1 GG oder in ihrem Eigentumsrecht nach Art.
14 Abs.
1 GG verletzt. Zwar sei eine analoge Anwendung von § 89 BSHG problematisch, weil sie das Bestehen eines bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs voraussetze. Dennoch habe eine Verpflichtung
der Beschwerdeführerin zur Annahme des zinslosen Darlehens und seiner grundbuchlichen Absicherung bestanden. Daran ändere
auch die Ungleichzeitigkeit von Anspruchsübergang und Darlehensabschluss nichts. Ansonsten könne der Unterhaltspflichtige
in einem solchen Fall durch Weigerung oder Herauszögern einer Darlehensaufnahme seine Leistungsunfähigkeit weiter aufrechterhalten
und sich so seiner Pflicht zur Unterhaltszahlung entziehen.
B. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art.
2 Abs.
1 GG. Die der Beschwerdeführerin auferlegte Verpflichtung zur Annahme eines zinslosen Darlehens und zur Bewilligung einer Grundschuld
auf ihrem Miteigentumsanteil entbehrt jeder Rechtsgrundlage. Die vom Gericht getroffene Feststellung, die Beschwerdeführerin
sei zur Zahlung eines ihrer Mutter geschuldeten und auf den Sozialhilfeträger übergeleiteten Unterhaltsbetrages verpflichtet,
weil sie auf Grund des ihr vom Sozialhilfeträger angebotenen zinslosen Darlehens leistungsfähig sei, ist unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt zu begründen. Damit schränkt die Entscheidung die von Art.
2 Abs.
1 GG geschützte finanzielle Dispositionsfreiheit der Beschwerdeführerin in verfassungswidriger Weise ein.
I. 1. Art.
2 Abs.
1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne, allerdings nur in den von dieser Grundrechtsnorm genannten
Schranken. Sie steht insbesondere unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung und kann durch diese eingeschränkt werden
(vgl. BVerfGE 6, 32 [37 ff.]; 74, 129 [151 f.]; 80, 137 [152 f.]). Hierzu gehören die vom Normgeber gesetzten Rechtsnormen unter Einschluss ihrer
Auslegung durch die Gerichte, soweit die Normen und ihre Interpretation mit dem
Grundgesetz in Einklang stehen (vgl. BVerfGE 57, 361 [378]; 74, 129 [152]). Insofern setzen auch das Unterhaltsrecht und das Sozialhilferecht in ihrer Auslegung durch die Gerichte der Handlungsfreiheit
Grenzen. Allerdings darf die Auslegung und Anwendung verfassungsgemäßer unterhaltsrechtlicher und sozialhilferechtlicher Regelungen
nicht zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen (vgl. BVerfGE 80, 286 [294]).
2. Die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den Einzelfall sind Sache der dafür zuständigen Gerichte. Nur
wenn hierbei durch die Gerichte Verfassungsrecht verletzt wird, kann das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde
hin eingreifen. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn eine Entscheidung am einfachen Recht gemessen objektiv fehlerhaft
ist (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]). Setzt sich die Auslegung jedoch in krassen Widerspruch zu allen zur Anwendung gebrachten Normen und werden damit
Ansprüche begründet, die keinerlei Grundlage im geltenden Recht finden, so beanspruchen die Gerichte Befugnisse, die von der
Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber übertragen sind. Die Gerichte begeben sich damit aus der Rolle des Normanwenders in die
einer Norm setzenden Instanz, entziehen sich also der Bindung an Recht und Gesetz im Sinne von Art.
20 Abs.
3 GG (vgl. BVerfGE 96, 375 [394 f.]). Dies führt im Ergebnis zu einer nicht mehr durch die verfassungsmäßige Ordnung legitimierten Beschränkung der
durch Art.
2 Abs.
1 GG geschützten Handlungsfreiheit. So liegt der Fall hier.
3. Die Rechtsauffassung des Landgerichts, die der angegriffenen Entscheidung zu Grunde liegt, lässt sich mit keiner der anerkannten
Auslegungsmethoden (vgl. dazu BVerfGE 93, 37 [81]) begründen. Sowohl die vom Landgericht vorgenommene Auslegung von §
1603 Abs.
1 BGB als auch die der §§ 90, 91, 88 und 89 BSHG widersprechen dem Wortlaut der Normen und ihrer systematischen Einbindung in den jeweiligen Normkontext (a), ihrer Zwecksetzung
(b) und der mit ihnen verbundenen gesetzgeberischen Intention (c).
a) Das Landgericht hat die Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin allein darauf gestützt, diese sei zum Einsatz ihres Vermögens
durch Belastung ihres Miteigentumsanteils mit einer Grundschuld zur Sicherung des ihr vom Sozialhilfeträger angebotenen zinslosen
Darlehens verpflichtet. Dieses Angebot müsse sie annehmen, um damit ohne Gefährdung ihres Unterhalts oder ihrer Altersvorsorge
der Unterhaltspflicht ihrer Mutter gegenüber nachzukommen. Da das Darlehensangebot der Beschwerdeführerin nach dem Vergleichsvorschlag
des Landgerichts unterbreitet worden ist, ist die vom Gericht angenommene Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin erst zu
diesem Zeitpunkt entstanden, also nach dem Tod der Mutter der Beschwerdeführerin. Das Gericht hat damit einen Unterhaltsanspruch
für einen vergangenen Zeitraum mit einer Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin begründet, die eingetreten ist, nachdem
mit dem Tod die Bedürftigkeit der Mutter schon zum Wegfall gekommen war.
Eine solche Rückbewirkung eintretender Leistungsfähigkeit auf davor liegende Zeiträume eines Unterhaltsbedarfs zur Begründung
von Unterhaltsansprüchen für diese Zeiträume widerspricht schon in Wortlaut und Systematik den hier maßgeblichen unterhalts-
und sozialhilferechtlichen Regelungen.
aa) Zwar enthalten §
1602 Abs.
1 und §
1603 Abs.
1 BGB keine ausdrückliche Aussage über das zeitliche Verhältnis von Bedürftigkeit beim Unterhaltsberechtigten und Leistungsfähigkeit
beim Unterhaltspflichtigen als Voraussetzung für das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs. Wenn §
1603 Abs.
1 BGB formuliert, dass nicht unterhaltspflichtig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist,
ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren, dann kommt damit jedoch zum Ausdruck, dass für die
Dauer der Leistungsunfähigkeit ein Unterhaltsanspruch nicht entstehen kann. Dies wurde schon in den Motiven zum Bürgerlichen
Gesetzbuch (aaO.) hervorgehoben. Da aber nach §
1602 Abs.
1 BGB wiederum ein Unterhaltsanspruch nur bei Bedürftigkeit des Berechtigten besteht, kann ein Unterhaltsanspruch nach §
1601 BGB allein gegeben sein, wenn beide Voraussetzungen zeitgleich vorliegen.
bb) § 90 Abs. 1 BSHG a.F. und § 91 Abs. 1 BSHG n.F. gingen nach Wortlaut und normativem Kontext bei der Überleitung von Unterhaltsansprüchen ebenfalls von einer zeitlichen
Kongruenz zwischen Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit aus. Sie ermöglichten die Überleitung von Unterhaltsansprüchen, die
dem Hilfeempfänger für die Zeit zustehen, für die Hilfe gewährt wird. Damit kommt zum Ausdruck, dass der Unterhaltsanspruch
während des Zeitraums der Hilfegewährung bestehen muss, was voraussetzt, dass in diesem Zeitraum Leistungsfähigkeit beim Unterhaltspflichtigen
vorliegt.
Entgegen diesen gesetzlichen Voraussetzungen für die Überleitung eines bestehenden Unterhaltsanspruchs hat das Landgericht
angenommen, ein solcher Anspruch bestehe gegen die Beschwerdeführerin, obwohl sie im Zeitraum der Sozialhilfegewährung an
ihre Mutter auch nach eigener Auffassung des Landgerichts mangels Darlehensangebots noch nicht leistungsfähig gewesen ist.
Dabei ist das Argument des Landgerichts nicht überzeugend, die grundsätzliche Verpflichtung, zur Erfüllung von Unterhaltsverpflichtungen
auch seinen Vermögensstamm, gegebenenfalls durch Beleihung und Aufnahme eines Darlehens, anzugreifen, führe ebenfalls dazu,
dass der Unterhaltspflichtige erst später selbst auf die Unterhaltsschuld zahle und damit seiner Verpflichtung erst nach Ablauf
der Bedarfszeiträume nachkomme. Es kommt nach den §§
1601,
1603 BGB wie nach den §§ 90, 91 BSHG nicht auf die Art und Weise an, in der ein Unterhaltspflichtiger zur Begleichung eines ihm gegenüber bestehenden Unterhaltsanspruchs
herangezogen wird, sondern allein darauf, ob der Unterhaltspflichtige während der Zeit der Bedürftigkeit des Berechtigten
leistungsfähig (gewesen) ist, ob es ihm also gegebenenfalls während dieser Zeit ohne Gefährdung seines eigenen Unterhalts
möglich gewesen ist, zum Beispiel durch Beleihung seines Vermögens den Unterhaltsbedarf zu befriedigen. Eine solche Möglichkeit
ist der Beschwerdeführerin jedoch auch nach Auffassung des Landgerichts erst durch das Angebot eines zinslosen Darlehens des
Sozialhilfeträgers und damit nach Ablauf des Bedarfszeitraums eröffnet worden.
cc) Auch § 89 BSHG ist vom Landgericht zur Begründung eines Unterhaltsanspruchs gegen die Beschwerdeführerin in einer Weise herangezogen worden,
die in klarem Widerspruch zum Wortlaut dieser Norm und zu deren systematischer Einbindung in das sozialhilferechtliche Normgefüge
steht. Die Regelung verwies auf § 88 BSHG, der bestimmte, welches eigene Vermögen zum Einsatz zu bringen ist, bevor jemand wegen Bedürftigkeit Sozialhilfe beanspruchen
kann. Ist einsetzbares Vermögen vorhanden, liegt also Bedürftigkeit nicht vor, konnte nach § 89 BSHG, falls das Vermögen nicht sofort verwertet werden kann oder wenn dies eine Härte bedeuten würde, dennoch Sozialhilfe als
Darlehen gewährt werden. Die Anwendbarkeit des § 89 BSHG setzte demnach voraus, dass eine Bedürftigkeit nicht besteht. Seine analoge Anwendung auf einen Unterhaltspflichtigen mit
Vermögen kann folgerichtig allenfalls in Betracht kommen, wenn auch dieser sein Vermögen einzusetzen hätte und deshalb leistungsfähig
wäre, ihm aber zur Vermeidung einer Härte an Stelle dessen ein Darlehen angeboten würde, mit Hilfe dessen er seine Unterhaltsschulden
begleichen könnte. Ebenso wenig wie eine darlehensweise Gewährung von Sozialhilfe die Bedürftigkeit eines Hilfesuchenden und
damit dessen Sozialhilfeanspruch zum Wegfall bringen kann, kann mittels einer analogen Anwendung von § 89 BSHG bei einem Unterhaltspflichtigen durch Gewährung eines Darlehens dessen Leistungsfähigkeit begründet werden.
Die Unanwendbarkeit von § 89 BSHG ergibt sich auch aus § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG a.F. und § 91 Abs. 1 Satz 1 BSHG n.F., nach denen nur ein Unterhaltsanspruch auf den Sozialhilfeträger übergeleitet werden konnte, der während des Zeitraums
der Hilfegewährung auch wirklich bestand. Sein Übergang wurde durch § 91 Abs. 1 Satz 2 BSHG a.F. und § 91 Abs. 2 Satz 1 BSHG n.F., der auf den 4. Abschnitt des BSHG und damit auch auf die §§ 88, 89 BSHG verwies, nochmals auf das Maß begrenzt, das einem Hilfesuchenden an Einkommens- und Vermögenseinsatz zugemutet wird. Bestand
ein Unterhaltsanspruch dagegen nicht, konnte auch eine Überleitung nach den §§ 90, 91 BSHG nicht erfolgen.
b) Die Auslegung des Landgerichts widerspricht auch dem Zweck der zur Anwendung gebrachten Normen. Die Unterhaltspflicht von
in gerader Linie Verwandten wird in den §§
1601 ff.
BGB statuiert und dient der gegenseitigen Unterhaltssicherung im familiären Verband. Dabei gilt der Grundsatz, dass jeder zunächst
selbst für seinen eigenen Unterhalt zu sorgen hat. So ist nur unterhaltsberechtigt, wer dazu außerstande ist (§
1602 Abs.
1 BGB), und unterhaltspflichtig, wer über die eigene angemessene Bedarfsdeckung hinaus in der Lage ist, Unterhalt zu zahlen (§
1603 Abs.
1 BGB). Zugleich bestimmen die §§
1606 ff.
BGB das Rangverhältnis der jeweils Unterhaltspflichtigen zu den jeweils Bedürftigen. Diese Begründung wie Begrenzung von Unterhaltspflichten
zwischen Verwandten ist im Bürgerlichen Gesetzbuch abschließend geregelt. Das Sozialhilferecht setzt die mit ihm eröffneten
Ansprüche zu diesen zivilrechtlichen Unterhaltspflichten in Verhältnis, lässt sie aber unberührt, wie § 2 Abs. 2 Satz 1 BSHG ausdrücklich hervorhob. Die Unterhaltspflichten haben damit keine sozialhilferechtliche Rechtsgrundlage. Vielmehr ist Zweck
der Sozialhilfe, jemandem, der sich selbst nicht helfen kann und der die erforderliche Hilfe nicht von anderen, zum Beispiel
von einem zur Unterhaltsgewährung verpflichteten Verwandten, erhält (vgl. § 1 Abs. 1 BSHG), die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (vgl. § 1 Abs. 2 BSHG).
aa) Diese Nachrangigkeit der Sozialhilfe gegenüber bestehenden Unterhaltsansprüchen kommt auch in den §§ 90, 91 BSHG zum Ausdruck, die beim Übergang von Unterhaltsansprüchen des Hilfeempfängers sicherstellten, dass die Sozialhilfeträger im
Ergebnis nur die Sozialhilfekosten zu tragen haben, für die dem Hilfeempfänger zu Unterhaltszahlungen Verpflichtete nicht
herangezogen werden können. Die hiermit eröffnete Möglichkeit der Refinanzierung gewährter Sozialhilfeleistungen mittels der
Geltendmachung übergegangener Unterhaltsansprüche besteht aber dort nicht, wo ein Unterhaltsanspruch mangels Leistungsfähigkeit
des Unterhaltspflichtigen gar nicht gegeben ist. Dann verliert die Sozialhilfe ihre Nachrangigkeit, und der Rechtsanspruch
auf sie kommt zum Tragen.
bb) Dem Grundsatz des Sozialhilferechts, einen Rechtsanspruch auf Hilfe - wenn auch gegenüber einem Unterhaltsanspruch nur
nachrangig - zu geben, läuft zuwider, mittels eines vom Sozialhilfeträger gewährten Darlehens einen zivilrechtlich nicht gegebenen
Unterhaltsanspruch sozialhilferechtlich begründen zu wollen. Diese rechtliche Konstruktion würde letztlich Sozialhilfeansprüche
gänzlich zum Wegfall bringen. Denn wenn mit Hilfe eines Darlehens die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen hergestellt
werden könnte, läge es in der Hand des Sozialhilfeträgers, einen Sozialhilfeanspruch nicht zum Tragen kommen zu lassen. Er
könnte sich mit Hilfe der Darlehensgewährung die gewährten Sozialleistungen durch Abtragen der Darlehensschuld seitens des
Unterhaltspflichtigen immer wieder refinanzieren lassen. Damit hinge die Entstehung eines Unterhaltsanspruchs und infolgedessen
auch eines Sozialhilfeanspruchs des Bedürftigen vom Handeln des Sozialhilfeträgers ab, mit der Folge, dass ein Bedürftiger
zwar selbst mit der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs gegenüber einem auf Grund seines Einkommens und Vermögens nicht
leistungsfähigen Unterhaltspflichtigen scheitern würde, der Sozialhilfeträger jedoch mit einem entsprechenden Darlehensangebot
den Unterhaltsanspruch begründen und sich damit von seiner Verpflichtung zur Sozialhilfegewährung befreien könnte. Dies führte
nicht nur zum Wegfall des in den §§ 1, 2 BSHG statuierten Sozialhilfeanspruchs, sondern verstieße auch gegen den Zweck des Sozialhilferechts, bei der Hilfegewährung nicht
der freien Entscheidung des staatlichen Sozialhilfeträgers ausgesetzt zu sein, sondern unter den im Gesetz bestimmten Voraussetzungen
einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe zu begründen. Es liefe außerdem dem Sozialstaatsgebot des Art.
20 Abs.
1 GG in Verbindung mit Art.
1 Abs.
1 GG zuwider, Menschen einen Anspruch auf staatliche Hilfe zukommen zu lassen, um so ihr Existenzminimum zu sichern.
Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber gerade nicht den Weg eröffnet, einem Hilfebedürftigen ein Darlehen zu geben, um so dessen
Bedürftigkeit zu beseitigen und damit den Sozialhilfeanspruch zum Wegfall kommen und sich die gewährten Leistungen später
wieder zurückzahlen zu lassen. Er hatte vielmehr mit § 89 BSHG nur dort ermöglicht, die Sozialhilfe darlehensweise zu gewähren, wo auf Grund eigenen einzusetzenden Vermögens eine Bedürftigkeit
des Hilfesuchenden gerade nicht vorliegt. Diese Vorschrift, die zu Gunsten eines hilfesuchenden Nichtbedürftigen bestand,
im Wege der Analogie zur Begründung eines Unterhaltsanspruchs und damit zu Lasten des Unterhaltspflichtigen heranzuziehen,
verkehrt den Zweck dieser Regelung in sein Gegenteil.
c) Schließlich widerspricht die Auslegung des Landgerichts auch dem Willen des Gesetzgebers. Trotz der in den letzten Jahren
geführten rechtspolitischen Diskussion über die Aufrechterhaltung des Elternunterhalts (vgl. Schwenzer, Verwandtenunterhalt
und soziodemographische Entwicklung, FamRZ 1989, S. 685; Diederichsen, Die Sandwich-Generation: Zwischen Kindesunterhalt und Elternunterhalt, zwischen den Zwängen von Sozialrecht
und Familienrecht, Forum Familien- und Erbrecht, Sonderheft 2000, S. 7 ff.; Verhandlungen des 59. Deutschen Juristentages
1992, Beschlüsse M 259 f.; Verhandlungen des 64. Deutschen Juristentages 2002, Beschlüsse L 225 ff.) hat der Gesetzgeber die
familienrechtlichen Regelungen zum Verwandtenunterhalt in den §§
1601 ff.
BGB keiner Änderung unterzogen. Er geht nach wie vor von der zwischen Eltern und Kindern bestehenden familiären Verantwortlichkeit
füreinander aus, die in der nach §
1618 a BGB bestehenden wechselseitigen Pflicht zu Beistand und Rücksicht und der Pflicht zur Gewährung von Unterhalt ihren gesetzlichen
Niederschlag findet (vgl. BVerfGE 57, 170 [178]).
aa) Allerdings begründet die Verfassung in Art.
6 Abs.
2 GG ausdrücklich allein das Recht wie die Pflicht der Eltern, ihren Kindern Pflege und Erziehung zukommen zu lassen und damit
ihnen auch Unterhalt zu gewähren (vgl. BVerfGE 108, 52 [72]; Badura in: Maunz/Dürig, Komm. zum
GG, Art.
6 Rn. 123 [Stand: Oktober 2002]). Eine Pflicht der Kinder, ihren Eltern Unterhalt zu gewähren, ist dagegen dem Wortlaut der
Verfassung nicht zu entnehmen. Art.
6 Abs.
1 GG stellt allerdings die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. In Ausgestaltung familiärer Verantwortlichkeit
ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verwehrt, nicht nur den Eltern Unterhaltspflichten gegenüber ihren Kindern
aufzuerlegen, sondern auch Kindern gegenüber Eltern, wenn diese zur eigenen Unterhaltssicherung nicht in der Lage sind.
bb) Der Gesetzgeber hat mit seiner Festlegung des Rangverhältnisses von Unterhaltsansprüchen innerhalb verwandtschaftlicher
Beziehungen in gerader Linie die jeweiligen Unterhaltspflichten graduell abgestuft. Während nach §
1609 Abs.
1 BGB Eltern ihren Kindern gegenüber zuvörderst zur Unterhaltsgewährung verpflichtet sind und darüber hinaus nach §
1603 Abs.
2 BGB gegenüber unverheirateten minderjährigen und unverheirateten volljährigen Kindern bis 21 Jahren auch in die Pflicht genommen
werden, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden, sind Kinder ihren Eltern gegenüber
zwar vor den Verwandten der aufsteigenden Linie unterhaltspflichtig (§
1606 Abs.
1 BGB). Der Anspruch der Eltern ist aber allen anderen Ansprüchen der Kinder, Ehegatten sowie der übrigen Abkömmlinge des Unterhaltspflichtigen
nachrangig (§
1609 BGB); zudem darf das unterhaltspflichtige Kind nur insoweit zur Unterhaltszahlung herangezogen werden, als ihm ein angemessener
eigener Unterhalt verbleibt (§
1603 Abs.
1 BGB).
Damit hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er den beiden Unterhaltsverpflichtungen im unterhaltsrechtlichen Gefüge
einen unterschiedlichen Stellenwert beimisst. Er hat dem Elternunterhalt gegenüber dem Kindesunterhalt nicht nur nachrangiges
Gewicht verliehen, sondern auch den Umfang der Verpflichtung deutlich gegenüber der Pflicht zur Gewährung von Kindesunterhalt
eingeschränkt. Der Gesetzgeber hat nicht nur der unterschiedlichen Abhängigkeit und Rolle der Unterhaltsbedürftigen im Unterhaltsverband
Rechnung getragen. Die nachrangige Behandlung des Elternunterhalts entspricht, wie der Bundesgerichtshof hervorgehoben hat
(vgl. BGH, FamRZ 1992, S. 795), auch der grundlegend anderen Lebenssituation, in der die Unterhaltspflicht jeweils zum Tragen kommt. Eltern haben für ihre
Kinder zu sorgen und müssen regelmäßig damit rechnen, ihnen auch über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus Unterhalt zu
gewähren, bis die Kinder nach ihrer Ausbildung durch eigenes Einkommen in der Lage sind, sich selbst zu unterhalten. Demgegenüber
kommt die Pflicht zum Elternunterhalt zumeist zum Tragen, wenn die Kinder längst eigene Familien gegründet haben, sich Unterhaltsansprüchen
ihrer eigenen Kinder und Ehegatten ausgesetzt sehen, sowie für sich selbst und die eigene Altersabsicherung zu sorgen haben.
Dazu tritt nun ein Unterhaltsbedarf eines oder beider Elternteile im Alter hinzu, der mit deren Einkommen, insbesondere ihrer
Rente, vor allem im Pflegefall nicht abgedeckt werden kann.
Diesen sich kumulierenden Anforderungen hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er nicht nur den Elternunterhalt nachrangig
eingestuft, sondern mit §
1603 BGB auch sichergestellt hat, dass dem Kind ein angemessener, das heißt seinen Lebensumständen entsprechender eigener Unterhalt
verbleibt. Auf diese Intention des Gesetzgebers hat auch die Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung hingewiesen und
erklärt, die nachrangige und eingeschränkte Heranziehung zum Elternunterhalt solle zugleich dem Umstand Rechnung tragen, dass
die Kinder zur Abdeckung des Altersunterhalts ihrer Eltern schon über ihre Beiträge zur Rentenversicherung in Anspruch genommen
werden.
cc) Diese vom Gesetzgeber dem Elternunterhalt zugewiesene, relativ schwache Rechtsposition wird durch die neuere Entwicklung
der Gesetzgebung aus jüngerer Zeit noch untermauert.
Mit der schrittweisen Reduzierung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung und der Einführung der gesetzlich geförderten
privaten Altersvorsorge (so genannte Riester-Rente) durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur
Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz) vom 26. Juni 2001 (BGBl I S. 1310) und das Altersvermögensergänzungsgesetz vom 21. März 2001 (BGBl I S. 403) hat der Gesetzgeber die Verantwortung jedes Einzelnen hervorgehoben, für seine Alterssicherung neben der gesetzlichen Rentenversicherung
rechtzeitig und ausreichend vorzusorgen. Dies unterstreicht einerseits den auch in §
1602 Abs.
1 BGB verankerten Grundsatz, für seinen Unterhalt vorrangig selbst sorgen zu müssen. Andererseits wird damit die Erwartung verbunden,
dass die Eigenvorsorge sich auch auf Zeiten in der Zukunft erstreckt, in denen kein Erwerbseinkommen mehr zu erwarten ist,
und deshalb vorher entsprechende finanzielle Vorkehrungen ergriffen werden sollen, um sich einen eigenen, den bisherigen Lebensverhältnissen
angemessenen Altersunterhalt zu sichern, den die gesetzliche Rente allein nicht mehr gewährleistet. Damit wird dem Elternunterhalt
für die Altersabsicherung ein noch geringerer Stellenwert beigemessen und gleichzeitig vom erwachsenen unterhaltspflichtigen
Kind erwartet, zusätzlich zu den anderen Unterhaltslasten und der Altersversorgung früherer Generationen noch die Belastung
der eigenen Altersvorsorge zu tragen. Dies muss konsequenterweise bei der Bestimmung seines ihm verbleibenden angemessenen
Unterhalts nach §
1603 Abs.
1 BGB Berücksichtigung finden (vgl. BGH, FamRZ 2002, S. 1698; FamRZ 2004, S. 1184).
Insbesondere aber hat der Gesetzgeber mit der Einführung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 1. Januar
2003 durch das Grundsicherungsgesetz und seit dem 1. Januar 2005 durch die §§ 41 ff. SGB XII verdeutlicht, dass die Belastung
erwachsener Kinder durch die Pflicht zur Zahlung von Elternunterhalt unter Berücksichtigung ihrer eigenen Lebenssituation
in Grenzen gehalten werden soll. Mit § 43 Abs. 2 SGB XII ist nunmehr eine Einkommensgrenze von 100.000 EUR jährlich eingeführt
worden, bis zu der Kinder Einkommen beziehen können, ohne dass Unterhaltsansprüche ihrer Eltern gegen sie bei der Gewährung
von Grundsicherung im Alter berücksichtigt werden. Zudem gilt die gesetzliche Vermutung, dass das Einkommen des unterhaltspflichtigen
Kindes diese Grenze nicht überschreitet.
Auch hieraus wird die Intention des Gesetzgebers deutlich, Kinder ihren Eltern gegenüber zwar nicht aus der Pflicht zur Unterhaltsgewährung
gänzlich zu entlassen, bei der Frage aber, ob ein Unterhaltsanspruch gegen sie besteht, die Nachrangigkeit dieses Anspruchs
ebenso wie die besondere Belastungssituation des Unterhaltspflichtigen zu beachten.
II. Mit seiner rechtschöpferischen Annahme eines Unterhaltsanspruchs, die dem Wortlaut sämtlicher für die Entscheidung maßgeblicher
Gesetzesnormen und deren Normenkontext sowie den anerkannten Auslegungsmethoden entgegensteht, hat das Landgericht nach allem
den Boden des geltenden Rechts verlassen. Seine Interpretation der angewandten Rechtsnormen widerspricht dem vom Gesetzgeber
bestimmten Verhältnis von Unterhalts- und Sozialhilferecht und greift mit der Heranziehung eines auf Grund seines eigenen
Einkommens und Vermögens nicht Leistungsfähigen zu Unterhaltszahlungen ohne gesetzliche Grundlage in dessen Handlungsfreiheit
nach Art.
2 Abs.
1 GG ein. Die Entscheidung des Landgerichts findet damit in der verfassungsmäßigen Ordnung, die allein der in Art.
2 Abs.
1 GG geschützten Handlungsfreiheit Grenzen setzt, keinerlei Grundlage und verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art.
2 Abs.
1 GG. Die Entscheidung ist aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
C. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.