Gewährung von Versorgungsrente und Berufsschadensausgleich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen
Verfahren; Kein Rechtsschutzbedürfnis bei unterbliebenem Antrag im Verwaltungsverfahren; Annahme eines Anordnungsgrundes bei
Unzumutbarkeit des Abwartens einer Entscheidung in der Hauptsache
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Versorgungsrente nach einem Grad der
Schädigung (GdS) von 80 ab 1974 und nach einem GdS von 100 ab 19.12.2007 sowie von Berufsschadensausgleich ab dem 09.06.2008.
Er erhält als Kriegsbeschädigter Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Mit Bescheid vom 19.02.2014 lehnte der Antragsgegner den "Verschlimmerungsantrag" des Antragstellers vom 12.08.2013 auf Aufhebung
der mit Bescheid vom 20.01.1975 zur Versorgung getroffenen Entscheidung (Versorgung nach einem GdS von 50) und Gewährung einer
Versorgung nach einem höheren GdS ab. Der Antragsgegner begründet dies damit, dass sich eine wesentliche Änderung im Sinn
des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht ergeben habe.
Widerspruch und Klage dagegen blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 03.06.2014, Urteil des Sozialgerichts [SG] München
vom 09.09.2014), derzeit ist die Berufung des Antragstellers beim Senat anhängig.
Mit Schreiben vom 26.11.2014 hat der Antragsteller beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) "Antrag auf Erlass einer baldigen
Entscheidung ... und Erlass einer Regulierungsanordnung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes" gestellt. Begründet hat
er diesen Antrag lediglich damit, dass die Entscheidungen des Antragsgegners und des SG offenkundig rechtsfehlerhaft seien.
Im Übrigen wird zum Sachverhalt ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten des Bayer. LSG auch im Berufungsverfahren und des
SG München sowie der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutz ist, sofern er nicht bereits unzulässig ist, unbegründet.
Soweit es nicht schon am Rechtsschutzbedürfnis fehlt und der Antrag deshalb unzulässig ist, ist jedenfalls ein Anordnungsgrund
nicht gegeben.
1. Ziel des Antragstellers
Der Beschwerdeführer begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß §
86 b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) die Gewährung von Versorgung nach dem BVG auf der Grundlage eines höheren GdS als bislang seit 1974 bis heute sowie die Gewährung von Berufsschadensausgleich seit
dem 09.06.2008.
2. Voraussetzungen einer einstweilige Anordnung - Allgemeines
Nach §
86 b Abs.
2 Satz 2
SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung).
Eine solche Regelungsanordnung setzt sowohl einen Anordnungsgrund (Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung) als auch einen
Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) voraus. Sowohl der Anordnungsgrund
als auch der Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§
86 b Abs.
2 Satz 2 und
4 SGG i.V.m. §§
920 Abs.
2,
294 Zivilprozessordnung; vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
86 b, Rdnr. 41).
3. Prüfung der Voraussetzungen im vorliegenden Fall
3.1. Sofern der Antragsteller die Gewährung von Versorgung auf der Grundlage eines höheren GdS seit 1974 bis zum Verschlimmerungsantrag
vom 12.08.2013 sowie die Gewährung von Berufsschadensausgleich seit dem 09.06.2008 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
begehrt, fehlt bereits das Rechtsschutzbedürfnis; sein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist insofern unzulässig.
Zwar ist es gemäß §
86 b Abs.
3 SGG nicht erforderlich, dass die Hauptsache bereits bei Gericht anhängig ist. Gleichwohl ist aber der Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anforderung regelmäßig unzulässig, wenn der Antragsteller vorher sein Begehren nicht an den zuständigen Verwaltungsträger
herangetragen hat. Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 30.10.2009, Az.:
1 BvR 2442/09, wie folgt begründet:
"Es ist von Verfassung wegen nicht zu beanstanden, wenn der Zugang zu Gericht davon abhängig gemacht wird, dass für das Rechtsschutzbegehren
ein Rechtsschutzbedürfnis besteht (vgl. BVerfGE 96, 27 ; 104, 220 ). Wenn die Fachgerichte dabei auch berücksichtigen, ob sich der Rechtsschutzsuchende schon an die Verwaltung gewandt hat,
und das Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich verneinen, wenn dies unterblieben ist (vgl. dazu Keller, in: Meyer-?Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn. 26b; Kopp/Schenke,
VwGO, 16. Aufl. 2009, §
123 Rn. 22 m.w.N.), stößt dies auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Insofern gebietet Verfassungsrecht keine andere Handhabung
des Zugangs zum fachgerichtlichen Rechtsschutz als für das Verfassungsbeschwerdeverfahren (vgl. insoweit BVerfGK 6, 276 ).
Ob ausnahmsweise eine Vorbefassung der zuständigen Behörde entbehrlich ist, haben zuvörderst die Fachgerichte zu beurteilen."
Eine derartige Situation - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorhergegangene Befassung des Antragsgegners
- liegt hier vor. Der Antragsgegner hat, dem Antrag des Antragstellers vom 12.08.2013 folgend, die Frage der Verschlimmerung
mit Wirkung ab Antragseingang geprüft, nicht aber gemäß § 44 SGB X die Frage der Versorgung auf der Grundlage eines höheren GdS seit 1974 bis zum Verschlimmerungsantrag vom 12.08.2013 sowie
die Gewährung von Berufsschadensausgleich seit dem 09.06.2008; beides hat der Antragsteller erstmals im sozialgerichtlichen
Verfahren mit Zielrichtung auf die dortige Urteilsfindung beantragt, bisher aber zu keinem Zeitpunkt beim Antragsteller. Ein
Grund, ausnahmsweise vom Gebot einer der Beantragung gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes vorhergehenden Antragsstellung
beim Antragsgegner abzusehen, ist nicht ersichtlich.
Dass dem Begehren des Antragstellers nach Versorgung nach einem höheren GdS vor seinem Verschlimmerungsantrag ab 1974 (gewünschter
GdS 80) bzw. ab dem 19.12.2007 (gewünschter GdS 100) im Übrigen auch die Erfolgsaussichten im Rahmen eines bislang nicht gestellten
Überprüfungsantrags gemäß § 44 SGB X fehlen würden, kann den Feststellungen im Urteil des Senats vom 18.08.2011, Az.: L 15 VK 7/10, das in Sachen des Antragstellers
ergangen ist, zweifelsfrei entnommen werden.
3.2. Wenn der Antragsteller die Gewährung von Versorgung auf der Grundlage eines höheren GdS ab dem Verschlimmerungsantrag
vom 12.08.2013 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt, ist kein Anordnungsgrund ersichtlich; der Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung ist insofern unbegründet.
Ein Anordnungsgrund wäre nur dann gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft machen könnte, dass ihm ein Abwarten bis zur Entscheidung
in der Hauptsache nicht zumutbar wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Eine besondere Eilbedürftigkeit bezüglich der Erhöhung
der Versorgungsrente nach dem BVG ist nicht erkennbar; es ist nicht ersichtlich, welche schwerwiegenden Nachteile dem Beschwerdeführer drohen sollten, wenn
seinem Begehren nicht sofort entsprochen wird. Vor diesem Hintergrund ist es dem Beschwerdeführer zuzumuten, dass die Klärung
seiner Ansprüche dem gerichtlichen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt (vgl. Beschlüsse des Senats vom 30.10.2013, Az.:
L 15 VG 35/13 ER, und vom 11.02.2014, Az.: L 15 VK 2/13 B ER).
Gemäß §
124 Abs.
3 SGG bedurfte es keiner mündlichen Verhandlung.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.