Prüfungspflicht des Zivilgerichts hinsichtlich der sozialhilferechtlichen Vorfrage des Schuldnerschutzes
Entscheidungsgründe:
I.
Die Parteien streiten um Getrenntlebensunterhalt für die Zeit ab 1.5.1989. Im Hinblick auf den am 18.10.1988 geschlossenen
Zwischenvergleich haben sie die Anträge auf rückständigen und laufenden Kindes- und Ehegattenunterhalt im übrigen für erledigt
erklärt. Die Parteien haben am 30.7.1971 geheiratet. Aus der Ehe sind die Kinder ..., geb. 1972, und ..., geb. 1977, hervorgegangen.
Im November 1986 war die Klägerin aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen, kam aber im Juni 1987 wieder zurück. Die Klägerin hat
zwar in diesem Verfahren vorgetragen, dass die Parteien im Haus getrennt gelebt haben. Eine vollständige Trennung im Sinne
des §
1567 Abs.
1
BGB hat aber nicht vorgelegen, weil sie noch weitgehend - auch mit Rücksicht auf die Kinder und wegen der infolge der Hauskosten
beengten wirtschaftlichen Verhältnisse - gemeinsam wirtschafteten. Zum erneuten Auszug der Klägerin und damit zur vollständigen
Trennung kam es im Februar 1989. Das Haus wurde zum 1.3.1990 (Verrechnungstag) verkauft.
Der Beklagte ist Studienrat. Sein bereinigtes Nettoeinkommen geben die Parteien mit DM 4.200,-- an. Hierbei sind berücksichtigt:
DM 180,-- Fahrtkosten, DM 31,-- Gewerkschaftsbeitrag; DM 197,79 für Krankenversicherung und DM 60,-- Kirchenbeiträge für die
Kinder. Für die Hausfinanzierung waren nach der Zusammenstellung des Ehemanns vom 15.10.1989 monatlich DM 1.973,26 aufzuwenden.
Hinzu kamen monatlich DM 41,67 sogenannte technische Hauskosten und DM 203 für Gas, Wasser, Müll, so dass bis einschließlich
Februar 1990 allein das Wohnen insgesamt DM 2.217,93 monatlich kostete.
Die 1952 geborene Klägerin ist ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Eine 1969 begonnene Ausbildung als Erzieherin brach sie
wegen der Geburt des Sohnes ab. 1976 gründete sie eine private Spielgruppe, in der sie bis 1983 tätig war. Von Januar 1984
bis 1985 übernahm sie eine ebenfalls sozialversicherungsfreie Tätigkeit in einem Musikkindergarten. Anschließend arbeitete
sie bis 1987 zwei Tage in der Woche in einem Waldorfkindergarten. Eine Ausbildung hierfür hatte sie in drei Kursen zu je 4
Wochen erhalten. Im August 1987 nahm die Ehefrau zwei Stellungen als Reinigungskraft an. Sie erzielt sozialversicherungsfrei
monatlich DM 450 netto und bezieht ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt. Wegen der an die Klägerin gezahlten Sozialhilfe wird
auf die Auskunft des Bezirksamts Altona vom 20.3.1991 verwiesen (Bl. 280. Das Sozialamt hatte die Unterhaltsansprüche der
Klägerin gegen den Beklagten nach Rechtshängigkeit auf sich übergeleitet. Eine Rückübertragung der übergeleiteten Ansprüche
hat das Sozialamt "gemäß seiner Vorschriften" abgelehnt. Deshalb beantragt die Klägerin in Höhe der empfangenen Sozialhilfe
Zahlung an das Sozialamt.
Die Klägerin hält sich zur Zeit noch für arbeitsunfähig und regt die Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens an. Die
Krankheitssymptome und den Behandlungsverlauf von April 1986 bis Juli 1990 hat sie in einer achtseitigen Anlage zum Schriftsatz
vom 8.8.1990 zusammengestellt. Sie ist zu der überzeugung gelangt, dass die beklagten körperlichen Beschwerden (Schwindel,
Schwächegefühl, Herzjagen, Beschwerden im Magen und Verdauungsbereich, Atem- und Hustenbeschwerden, Nieren- und Rückenschmerzen,
Monatsbeschwerden und Kopfschmerzen) psychosomatischer Natur sind. Seit 1987 meide sie das Bahnfahren. Weitere Reizsituationen
seien das Anstehen in einem Geschäft, Fahrstuhlfahren, Betreten von Warenhäusern und fremden Gebäuden. Der Arzt für Neurologie
und Psychiatrie hat in dem Attest vom 15.2.90 eine chronifizierte phobische Neurose diagnostiziert und eine Psychotherapie
für notwendig gehalten. Um eine solche Behandlung hat sich die Klägerin bis zum Sommer 1990 auch bemüht. Es galt zunächst,
Kostenträger zu finden. Die Behandlung sollte der Verhaltenstherapeut Lünenschloss durchführen, der der Klägerin dann aber
erklärt habe - so die Klägerin im Termin vom 23.10.1990 -, dass zur Zeit eine Therapie nicht sinnvoll sei, sie - die Klägerin
- würde es jetzt schaffen, an sich selbst zu arbeiten, sie hätte die Sache eigentlich ganz gut im Griff. Mit ähnlichen Worten
war nach der Auflistung der Klägerin im März 1989 eine im Juli 1988 begonnene Behandlung durch Dr. ..., abgebrochen worden.
Der Senat hat die Klägerin in mehreren Terminen erlebt. Sie erscheint etwas blässlich, leidend, ruhig, vielleicht antriebsarm.
Sie berichtet sehr sachlich über ihre Situation. Der Senat ist überzeugt, dass die Aufstellung der Klägerin über ihre verschiedenen
psychosomatischen Beschwerden und die zahlreichen Versuche, von Ärzten, Therapeuten und Heilpraktikern Hilfe zu erhalten,
der Wahrheit entsprechen. Es bedarf insoweit nicht der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Für den Zeitraum
ab Oktober 1990 ist die Klägerin der Beurteilung des Therapeuten L., dass eine Therapie nicht mehr erforderlich sei, nicht
entgegengetreten. Bis zum Sommer 1990 durfte die Klägerin noch davon ausgehen, dass eine Therapie zur Herstellung ihrer Gesundheit
und vollen körperlichen Leistungsfähigkeit unumgänglich sei. Spätestens im Oktober 1990 musste sie davon ausgehen, dass sie
ärztlicherseits nicht mehr für behandlungsbedürftig gehalten wird. Damit war aber zugleich ein Grund weggefallen, der die
Klägerin bisher daran gehindert haben mag, sich tatkräftig mit ihrer beruflichen Zukunft zu befassen.
II.
Das Familiengericht hat den Beklagten am 7.11.1989 verurteilt, ab Mai 1989 monatlich DM 542,-- an die Klägerin zu zahlen.
Mit seiner formell nicht zu beanstandenden Berufung möchte der Beklagte erreichen, dass die Klage auf Zahlung von Getrenntlebensunterhalt
abgewiesen wird. Die Klägerin hat am 16.7.90 Anschlussberufung eingelegt, mit der sie ab 1.8.1990 einen monatlichen Trennungsunterhalt
von DM 1.119,-- fordert. Sie hat bezüglich des von der Anschlussberufung umfassten Zeitraums ausdrücklich beantragt, den Unterhalt
bis einschließlich März 1991 nach Maßgabe der Aufstellung des Sozialamts statt an sie an das Sozialamt zu zahlen. Dem Vortrag
der Klägerin ist aber zu entnehmen, dass sie auch bezüglich der Zeiträume vor dem 1.8.1990 mit einer Zahlung an das Sozialamt
einverstanden ist, um einer Klageabweisung insoweit zu entgehen. Die Anfrage der Klägerin beim Sozialamt wegen einer Rückübertragung
bezog sich ebenfalls auf den gesamten Unterhaltszeitraum.
Beide Berufungen sind teilweise begründet. Die Klägerin kann von dem Beklagten gemäß §
1361
BGB Unterhalt verlangen, der infolge der Überleitung der Unterhaltsansprüche der Klägerin gemäß §§ 90, 91
BSHG bis zur Höhe der in dem jeweiligen Unterhaltszeitraum geleisteten Sozialhilfe direkt an das Sozialamt zu leisten ist.
1. Bis zum Verkauf des Hauses hatte der Beklagte die Kosten für das gemeinsame Haus allein getragen. Die Klägerin war nicht
in der Lage, sich hieran zu beteiligen. Die Hauskosten sind daher als ehebedingte Verbindlichkeit vorweg abzuziehen. Damit
deckte der Beklagte aber zugleich seinen Wohnbedarf. Unterhaltsrechtlich vorweg zu berücksichtigen sind außerdem die Aufwendungen
für den Unterhalt der beiden gemeinsamen minderjährigen Kinder.
a) Wegen der hohen Belastungen, die sich die Klägerin entgegenhalten lassen muss, kann auf eine Bedarfsberechnung verzichtet
werden. Der Beklagte ist ersichtlich nur in geringem Umfang leistungsfähig. Zu berücksichtigen sind:
Aufwand für Wohnen (DM 1.973,26 Hausfinanz.;
DM 41,67 technische Hauskosten; DM 203,-- für Gas,
Wasser, Müll) DM 2.217,93
Kindesunterhalt M. (DM 385,-- Tabellenunterhalt;
DM 125,-- Schulgeld; DM 34,-- Fahrgeld) DM 544,--
Kindesunterhalt M. (DM 347,--; DM 16,-- Unfallvers.) DM 363,---
DM 3.124,93
Diesen Ausgaben steht ein Einkommen von rund DM 4.250,-- (einschließlich DM 50,-- Kindergeld) gegenüber, so dass nur DM 1.125,--
für den Beklagten und die Klägerin verfügbar waren. Hiervon benötigte der Beklagte DM 875 für sich. Dieser Betrag errechnet
sich, wenn von dem voll berufstätigen Beklagten gegenüber der Ehefrau zu belassenden Eigenbedarfsbetrag von DM 1.250,-- der
in diesem Betrag berücksichtigte Wohnkostenanteil von rund 30 % (= DM 375,--) abgezogen wird, weil die Wohnkosten bereits
voll in dem Ausgabenbetrag erfasst worden sind. Soweit die Klägerin von einem höheren Wohnvorteil für den Beklagten ausgeht,
folgt dem der Senat nicht. In Rechtsprechung und Literatur ist weithin anerkannt, dass die Obergrenze des Wohnvorteils mit
etwa einem Drittel des Betrages anzusetzen ist, der für die Deckung des Unterhaltsbedarfs insgesamt zur Verfügung steht (BGH,
FamRZ 1989, 1160, 1163; 1990, 989, 991). Für die Klägerin konnten daher vom 1.5.1989 bis Ende Februar 1990 statt der vom Familiengericht ausgeurteilten
DM 542,-- nur monatlich DM 250,-- aufgewendet werden. Den Betrag von DM 250,-- benötigt die Klägerin selbst dann für ihren
eigenen Unterhalt, wenn ihr über die tatsächlich bezogenen Einkünfte von DM 450,-- hinaus weitere DM 400,-- zugerechnet werden,
die sie bei Anspannung aller Kräfte und entsprechendem Bemühen vielleicht hätte erzielen können; denn bei unterstellter Berufstätigkeit
hat sie einen Mindestbedarf von DM 1.100,-- Sie bezieht zwar auch noch DM 100,-- Kindergeld, doch benötigt sie dieses für
den notwendigen Unterhalt weil ihr von den DM 347,-- die der Beklagte für die gemeinsame Tochter aufgewendet hat, wegen der
Direktzahlung des Schul- und Fahrgeldes nur DM 188,-- zugeflossen sind.
b) Der Betrag von monatlich DM 250,-- vom 1.5.89 bis einschließlich Februar 1990 geht, weil die Klägerin für diesen Zeitraum
monatlich über DM 300,-- Sozialhilfe erhalten hat, infolge der Überleitung voll an das Sozialamt. Die Überleitung nach Rechtshängigkeit
hatte die Prozessführungsbefugnis der Klägerin unberührt gelassen (§
265 Abs.
2
ZPO). Weil das Sozialamtaber eine Rückübertragung der Ansprüche auf die Klägerin abgelehnt und ihr auch keine materielle Einzugsermächtigung
erteilt hat, war die Klägerin gehalten, ihren Klageantrag der materiellen Rechtslage anzupassen. Eine solche Klageänderung
ist auch in der zweiten Instanz zulässig (§§
523,
263
ZPO), ohne dass der Berufungskläger sein Rechtsmittel erweitern oder der Rechtsmittelbeklagte Anschlussberufung einlegen müsste.
Die Klageänderung ist auch ohne Einwilligung des Gegners sachdienlich, weil nur so eine befreiende Zahlung des Schuldners
an den richtigen Gläubiger gewährleistet wird.
Das Sozialamt hat allerdings den Unterhaltsanspruch der Klägerin am 23.2.1989 nur dem Grunde nach übergeleitet und sich die
spätere Bezifferung vorbehalten. Dieses Vorgehen wird vom Bundesverwaltungsgericht aber für zulässig gehalten(BVerwGE 42,
198; krit. hierzu Giese, Zeitschrift für Fürsorgewesen (ZfF) 1989, 1993). Es verhindert, dass der Schuldner für vergangene Zeiträume befreiend an den Gläubiger zahlt, und verschafft dem Sozialamt
Zeit, sich die für die Geltendmachung des Regresses notwendigen Informationen zu beschaffen. Im vorliegenden Fall hat das
Sozialamt - offenbar mit Rücksicht auf diesen Verfahren - eine eigene Bezifferung da& Regresses, die der Form nach einen Verwaltungsakt
erfordert (vgl. VG Hannover, FamRZ 1989, 905; weitere Nachw. - bei Künkel, FamRZ 1991, 14, 24 Fn. 90), unterlassen. Bei der Inanspruchnahme des Schuldnern hätte das Sozialamt unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes
den Fall sowohl sozialhilferechtlich als auch unterhaltsrechtlich beurteilen und die dem Schuldner günstigste Berechnung zugrundelegen
müssen (hierzu Schellhorn, FuR 1990, 20, 23). Im Verwaltungsverfahren mit anschließender Überprüfungsmöglichkeit durch die Verwaltungsgerichte könnte, eine bindende
Regelung aber nur wegen dei sozialhilferechtlichen Fragen des § 91 Abs. 1 und Abs. 3
BSHG erfolgen, während über die Höhe den Unterhaltsanspruchs bindend die Zivilgericht entscheiden. Diese Zweigleisigkeit des Rechtswegs
ist misslich und lässt lange Zeit offen, welcher Unterhaltsteil dem Sozialamt gebührt und in welcher Höhe ungeachtet der Überleitung
befreiend an den Gläubiger gezahlt werden darf. Probleme entstehen vor allem dann, wenn der sozialhilferechtliche Freibetrag
über dem Richtsatz liegt, der unterhaltsrechtlich als Selbstbehalt oder Eigenbedarf pauschal aus Tabellen oder Leitlinien
entnommen wird. Im Einzelfall ist ein Regräß nach § 91 Abs. 1
BSHG oder den das Sozialamt bindenden fachlichen Weisungen, die vielfach die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche
und private Fürsorge (zuletzt NDV 1987, 273) berücksichtigen, sogar ganz oder teilweise ausgeschlossen. Dann kann Sozialhilfe trotz ihres subsidiären Charakters bedarfsdeckend
wirken, weil der Staat selbst in diesen Fällen den Nachranggrundsatz nicht durchsetzen will (vgl. zu § 91 Abs. 1 Satz 1 BSHG Adlerstein/Wagenitz, FamRZ 1990, 1171: der Staat habe seit 1974 sein Selbstverständnis gewandelt).
Wenn in Fällen des Sozialhilfebezugs ein Überleitungsakt entweder ganz fehlt oder nur eine Überleitung dem Grunde nach vorliegt,
die die Grenzen der Inanspruchnahme des Schuldners noch offen lässt, obliegt es dem Zivilgericht die sozialhilferechtliche
Vorfrage des Schuldnerschutzes selbständig zu prüfen (hierzu Künkel, FamRZ 1991, 14, 24; Derleder, FuR 1991, 1, 11). Der Senat hat daher vom Sozialamt eine Auskunft über die Berechnung des sozialhilferechtlichen Freibetrages für den
Beklagten eingeholt, die das Bezirksamt Altona unter dem 22.11.90 erteilt hat (Bl. 259). Der Freibetrag für den Beklagten
setzt sich danach zusammen aus dem Regelsatz gem. § 22
BSHG für den Haushaltsvorstand von DM 457, einem allgemeinen Mehrbedarf von 25 % hiervon (- DM 114,25), einem Mehrbedarf von 50
% wegen Erwerbstätigkeit gem. § 23 Abs. 4 Nr. 1
BSHG (- DM 228,50), dem Regelsatz für den beim Beklagten lebenden Sohn ... von DM 366,-- sowie den tatsächlichen Kosten für Unterkunft
und Heizung (vgl. hierzu §§ 1, 3 RegelsatzVO zu § 22 Abs. 2
BSHG).
Im Vergleich hierzu hat der Senat zugunsten des Beklagten berücksichtigt: den vollen Wohnbedarf, DM 875,-- für den sonstigen
Lebensbedarf des Beklagten und DM 544,-- für M. Diese Beträge liegen über der sozialhilferechtlichen Freigrenze.
2. Ab 1.8.1990 haben sich die finanziellen Verhältnisse des Beklagten als Folge des Hausverkaufs entspannt, so dass der Beklagte
höheren Unterhalt an die Klägerin zahlen kann.
a) Das um die Werbungskosten und Aufwendungen u.a. für Kirchensteuer und Krankenversicherung bereinigte Nettoeinkommen des
Beklagten beträgt unstreitig DM 4.200,--. Als berufstätigem Unterhaltsverpflichteten ist dem Beklagten nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs schon bei der Bedarfsberechnung ein Erwerbstätigenbonus von 1/7 als Erwerbsanreiz und zur pauschalen
Abgeltung des mit der Berufstätigkeit allgemein verbundenen Aufwands zu belassen. Wegen der Gleichbehandlung mit anderen Unterhaltspflichtigen
und dem berechtigten Ehegatten ist der Erwerbstätigenbonus vor einer etwaigen weiteren Einkommensbereinigung durch den Abzug
von Unterhaltslasten und sonstigen Verbindlichkeiten in die Berechnung einzustellen (Senat in dem zur Veröffentlichung in
der FamRZ vorgesehenen Urteil vom 18.12.90 - 12 UF 32/89 -).
Als Kindesunterhalt sind von den DM 3.600,-- (6/7 von DM 4.200,--) abzusetzen DM 580,-- für ... und DM 800,-- (DM 850,--
- DM 50,-- Kindergeld) für den im Februar 1990 volljährig gewordenen Markus. Außerdem ist hinreichend glaubhaft gemacht, dass
der Beklagte einen den ehelichen Lebensverhältnissen zuzuordnenden Überziehungskredit von DM 7.000,-- mit monatlich DM 140,--
zurückführen muss. Werden von den verbleibenden DM 2.080,-- 6/7 von DM 450,-- (= DM 386,--) abgezogen, ergeben sich DM 1.694,--,
von denen der Klägerin als Unterhaltsbedarf die Hälfte (= DM 8471,-- zusteht. Für die Zeit vom 1.3.1990 bis 31.7.1990 können
der Klägerin nur die vom Familiengericht titulierten DM 542,-- zugesprochen werden, weil über ihren Antrag insoweit nicht
hinausgegangen werden darf (§
308 Abs.
1 Satz 1
ZPO). Vom 1.8.1990 bis 31.3.1991 sind die errechneten DM 847,-- monatlich in die Abrechnung einzustellen. Ab 1.4.1991 ergeben
sich die DM 504,-- monatlich, die der Senat bereits in seinem Prozesskostenhilfe-Beschluss vom 21.12.1990 errechnet hat, weil
sich die Klägerin zumindest vom 1.4.1991 an weitere DM 400,-- als erzielbar anrechnen lassen muss. Wegen des auch der Klägerin
zu gewährenden Erwerbstätigenbonus sind auf den Betrag von DM 847,-- nur 6/7 von DM 400,-- (= DM 343,--) anrechenbar.
Die Anwendung der Anrechnungsmethode beruht darauf, dass die ehelichen Lebensverhältnisse vom Erwerbseinkommen den Beklagten
als Lehrer und von sozialversicherungsfreien Nebeneinkünften der Klägerin geprägt waren. Diese sind mit DM 450,-- in Anwendung
der sog. Differenzmethode bereits erfasst. Das darüber hinaus erzielte Einkommen der Klägerin ist bei der Bedarfsrechnung,
weil es die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt hat und bei fortbestehender Ehe auch nicht zu erwarten war, unberücksichtigt
zu lassen und erst bei Feststellung der unterhaltsrechtlichen Bedürftigkeit abzusetzen.
b) Für die Zeit vom 1.3.1990 bis zum 31.3.1991 sind der Klägerin keine Einkünfte zuzurechnen, die über das tatsächlich erzielte
Einkommen von DM 450,-- als Reinigungskraft hinausgehen.
Einen Anspruch auf Getrenntlebensunterhalt hatte die Klägerin frühestens ab März 1989. Wie das Familiengericht richtig entschieden
hat, war sie in der ersten echten Trennungsphase angesichts der langen Ehezeit ohne nennenswerte Berufstätigkeit nicht gehalten,
eine weitergehende Beschäftigung, als sie sie weiter ausübte, zu suchen. Eine lange Dauer des Getrenntlebens oder die auf
sonstige Weise erkennbare Zerrüttung der Ehe kann dann aber für den unterhaltsbedürftigen Ehegatten die Obliegenheit begründen,
sich auf die neue Lage einzustellen und sich nach seinen Möglichkeiten um eine (Wieder-)Eingliederung in das Erwerbsleben
zu bemühen (BGH, FamRZ 1985, 782, 784). Mit zunehmender Trennungsdauer oder wenn sich die Zerrüttung aus anderen Gründen verfestigt - z.B. wenn beide Ehegatten
nachdrücklich und ernsthaft die Scheidung wollen verschärft sich der Maßstab, nach dem zu beurteilen ist, ob dem bedürftigen
Ehegatten die Aufnahme oder Ausweitung einer Erwerbstätigkeit zugemutet werden kann. Dies kann im Rahmen des §
1361 Abs.
2
BGB zu einer weitgehenden Einbeziehung der für den nachehelichen Unterhalt geltenden Vorschriften und im Einzelfall auch dazu
führen, dass, wie es §
1574 Abs.
3
BGB für die Zeit nach der Scheidung vorsieht, der bedürftige Ehegatte sich einer Ausbildung unterziehen muss, die zur Erlangung
einer im Sinne des §
1574 Abs.
2
BGB angemessenen Erwerbstätigkeit erforderlich ist (BGH, FamRZ 1985, 782, 784).
Die Klägerin, die wegen der Geburt des ersten Kindes ihre Ausbildung als Erzieherin abbrechen musste, hätte gegen den Beklagten
den Anspruch auf unterhaltsrechtliche Finanzierung einer angemessenen Berufsausbildung. Die Aufnahme einer Berufsausbildung
hat nur Sinn und ist dem Unterhaltsschuldner auch nur zuzumuten, wenn mit ihrem erfolgreichen Abschluss zu rechnen ist. Solange
die Klägerin die durch die Trennung ausgelöste Lebenskrise nicht in etwa bewältigt hatte, versprach eine Ausbildung keinen
Erfolg. Die Klägerin verstieß daher auch nicht gegen eine im Rahmen des §
1361 Abs.
2
BGB gemäß §
1574 Abs.
3
BGB denkbare Ausbildungsobliegenheit. Sie durfte zunächst die ihr von dem Neurologen und wohl auch von Dr. ... und dem Therapeuten
L. nahegelegte Psychotherapie in die Wege leiten. Erst als L. - für die Klägerin möglicherweise überraschend - eine Therapie
als nicht mehr notwendig ansah, musste sich der Klägerin verstärkt die Frage nach ihrer beruflichen Zukunft aufdrängen. Auch
die wiederholten Erörterungen dieses Punktes in den mündlichen Verhandlungen und die Berücksichtigung fiktiver Einkünfte in
den PKH-Beschlüssen, in denen allerdings auf die für den Beklagten als Antragsteller günstigste Entwicklung abgestellt werden
musste, hätten für die Klägerin Anlass sein müssen, ihre bisherige Einstellung zu überdenken. Die Klägerin hatte aber Anspruch
darauf, dass ihr für diesen Überlegungsprozess und zur weiteren Stabilisierung ihrer Gesundheit eine angemessene Überlegungszeit
eingeräumt wird, die auch unter Berücksichtigung der Belange des auf Unterhalt in Anspruch genommenen Beklagten nicht länger
als 6 Monate und damit bis zum Ende des 1. Quartals 1991 zu bemessen war.
Für den Bereich des nachehelichen Unterhalts ist streitig, welche Folgen eine Verletzung der Ausbildungsobliegenheit hat (vgl.
hierzu Schwab/Borth, Handbuch, 2. Aufl., IV 167 ff.). Der Senat folgt der Auffassung des OLG Hamburg (2. FamS, FamRZ 1985,
1260), dass die geschiedene Ehefrau, die einer Fortbildungsobliegenheit nicht nachkommt, auch auf die Aufnahme einer nicht angemessenen
Erwerbstätigkeit verwiesen werden darf, aus der ihr gegebenenfalls auch fiktive Einkünfte zugerechnet werden können.
Der Klägerin ist für die Zeit ab 1.4.1991 zuzumuten, ihre Erwerbstätigkeit auszuweiten, indem sie sich um eine Halbtagsstellung
oder wenigstens um eine weitere sozialversicherungsfreie Tätigkeit bemüht. Der Senat hält daran fest, dass es der Klägerin
bei der jetzigen Situation auf dem Arbeitsmarkt bei entsprechendem Bemühen gelungen wäre und noch gelingen wird, einen Nettoverdienst
von DM 850,-- zu erzielen. Für die Zeit vor dem 1.4.1991 war der Klägerin die Ausweitung ihrer Tätigkeit als Reinigungskraft
nicht zumutbar. Putzen ist für die Klägerin als Ehefrau eines Studienrats keine angemessene Tätigkeit, wie nicht näher begründet
werden muss. Für die stundenweise Tätigkeit im Haushalt des Ehepaars Dr. ..., dem die Klägerin seit 1987 hilft und von dem
sie sehr geschätzt wird, und auch für die weitere ausgewählte Tätigkeit in einem Privathaushalt, die der Klägerin entgegenkommen,
weil sie die Stellen mit dem Fahrrad erreichen kann und sich nicht in großen Gebäuden aufhalten muss, mag noch etwas anderes
gelten. ohne die ab 1.4.1991 anzunehmende Verletzung der Ausbildungsobliegenheit käme eine Ausweitung der bisherigen Haushaltstätigkeit
unterhaltsrechtlich aber nicht in Betracht.
3. Bei der Aufteilung des Unterhalts zwischen der Klägerin und dem Sozialamt ist auf den aus § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG folgenden zeitlichen Gleichlauf von Unterhalt und Sozialhilfe zu achten ("für die Zeit, für ..."). Die in der Aufstellung
des Sozialamts für die Zeit vom 1.2.1989 bis 30.4.1989 aufgeführten Beträge haben außer Betracht zu bleiben, weil Unterhalt
erst ab 1.5.1989 eingeklagt wird. Der Höhe nach können für die Zeit bis Ende Februar 1990 auch nur monatlich DM 250,-- berücksichtigt
werden, obwohl das Sozialamt mehr an Hilfe zum Lebensunterhalt geleistet hat. Die Fehlbeträge dürfen nicht den Monaten hinzugeschlagen
werden, für die der Beklagte mehr Unterhalt zu zahlen hat, als die Klägerin Sozialhilfe bekommen hat. Die einmaligen Zahlungen
an Weihnachts- und Bekleidungshilfe, die ebenfalls Bestandteil der Hilfe zum Lebensunterhalt sind, müssen allerdings in dem
jeweiligen Jahr angemessen und notfalls in Teilbeträgen berücksichtigt werden. Der Gesamtrückstand vom 1.5.1989 bis 31.3.1991
setzt sich zusammen aus: 10 x DM 250,-- (5/89 - 2/90), 5 x DM 542,-- (3/90 -7/90), 8 x DM 847,-- (8/90 - 3/91). Dies ergibt
DM 11.986,--. Das Sozialamt hat zu erhalten DM 7.035,53: 10 x DM 250,-- (5/89 - 2/90), 4 x DM 351,32 (3/90 - 6/90), DM 378,15
(7/90), 2 x DM 389,65 (8 u. 11/90); ferner DM 130,-- Weihnachtsbeihilfe für 12/90 sowie DM 177,-- und DM 337,35 Bekleidungshilfen
(16.3. und 28.11.90); DM 420,15 (1/91), 2 x DM 454,15 (2 u. 3/91). Die Differenz von DM 4.950,47 zwischen DM 11.986,-- und
DM 7.035,53 ist an die Klägerin zu zahlen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91a, 92, 97, 98
ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§
708 Nr. 10,
713
ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht gegeben.