Verfassungsmäßigkeit der BaföG-Leistungen in Form eines Darlehens
Gründe:
Das Verfahren betrifft die Frage, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich gehindert war, Studierenden Leistungen für den Unterkunftsbedarf
nach dem Bundesausbildungsförderungsrecht nur als Darlehen zu gewähren und ihnen zugleich - als Zuschuß ausgestaltetes - Wohngeld
vorzuenthalten.
I. 1. Die staatlichen Leistungen der individuellen Ausbildungsförderung sind seit 1971 im
Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (
Bundesausbildungsförderungsgesetz -
BAföG; Erstfassung vom 26. August 1971, BGBl I S. 1409) geregelt. Ihre Gewährung dient sowohl der Heranbildung eines den Anforderungen
von Staat und Gesellschaft genügenden und zahlenmäßig ausreichenden Berufsnachwuchses als auch der Verwirklichung der Chancengleichheit
im Bildungsbereich.
a) Vor Erlaß des Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz
1983; in folgenden: HBeglG 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGBl I S. 1857) wurden Ausbildungsförderungsleistungen hauptsächlich
als - nicht rückzahlbarer - Zuschuß gewährt. Die insoweit maßgebliche Vorschrift lautete in der Fassung des Art. 1 Nr. 3 des
Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (4. BAföGÄndG) vom 26. April 1977 (BGBl I S. 653):
§ 17
Förderungsarten
(1) Ausbildungsförderung wird vorbehaltlich der Bestimmungen der Absätze 2 und 3 als Zuschuß geleistet.
(2) Bei dem Besuch von Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen sowie bei der Teilnahme an einem Praktikum, das im Zusammenhang
mit dem Besuch dieser Ausbildungsstätte steht, wird der monatliche Förderungsbetrag, der nach den anderen Vorschriften dieses
Gesetzes als Zuschuß berechnet worden ist,
1. wenn der Auszubildende bei seinen Eltern wohnt, in Höhe von 130 DM,
2. wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt, in Höhe von 150 DM, als Darlehen (Grunddarlehen) geleistet. Wenn
der Förderungsbetrag diesen Betrag nicht erreicht, wird er voll als Darlehen geleistet.
(3)...
Durch Art. 16 Abs. 1 Nr. 5 HBeglG 1983 wurde die Ausbildungsförderung für Studierende vollständig auf Darlehen umgestellt
(sogenannte Volldarlehensregelung). §
17 BAföG lautete nunmehr wie folgt:
Förderungsarten
(1) Ausbildungsförderung wird vorbehaltlich des Absatzes 2 als Zuschuß geleistet.
(2) Bei dem Besuch von Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen sowie bei der Teilnahme an einem Praktikum, das im Zusammenhang
mit dem Besuch dieser Ausbildungsstätten steht, wird Ausbildungsförderung als Darlehen geleistet.
(3)...
Für Studierende, die ihr Studium vor dem Wechsel der Förderungsart aufgenommen hatten, bestimmte Art. 38 HBeglG 1983:
(1) Dieses Gesetz tritt vorbehaltlich der Absätze 2 bis 13 am 1. Januar 1983 in Kraft.
(2) bis (11)...
(12) Artikel 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 5, 8 bis 11, 12 Buchstabe a und Nr. 13 tritt am 1. August 1983 mit der Maßgabe in Kraft,
daß die darin bestimmten Änderungen bei den Entscheidungen für alle Bewilligungszeiträume zu berücksichtigen sind, die nach
dem 31. Juli 1983 beginnen. Vom 1. Oktober 1983 an gelten die Änderungen in Artikel 16 Abs. 1 Nr. 5, 11 und 12 Buchstabe a
ohne die einschränkende Maßgabe des Satzes 1.
(13)...
Im Jahre 1990 wurde die Förderungsart für Studierende durch Art. 1 Nr. 16 des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
(12. BAföGÄndG) vom 22. Mai 1990 (BGBl I S. 936) erneut geändert. Ausbildungsförderung leistet der Staat seither je zur Hälfte
als Darlehen und als Zuschuß. Für die Förderungsfälle der Jahre 1983 bis 1990 verblieb es bei der bisherigen Regelung.
b) Die Höhe des Förderbetrags richtete sich bei allen genannten Fassungen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes stets nach
Bedarfsgrundsätzen. Die Leistung sollte den gesamten regelmäßigen Lebensbedarf des Auszubildenden unter Anrechnung eigenen
Einkommens und Vermögens des Förderungsempfängers und unter Berücksichtigung der finanziellen Situation der Eltern (Einkommen,
Vermögen) abdecken. Der förderungsfähige Gesamtbedarf Studierender setzte sich im fraglichen Zeitraum nach §
13 BAföG aus einem Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf und einem Sonderbetrag für die Unterkunft zusammen. Die Höhe des Unterkunftsbetrags
variierte je nachdem, ob der Berechtigte bei den Eltern wohnte. Nach §
8 und §
9 Abs.
1 Nr.
3 der Verordnung über Zusatzleistungen in Härtefällen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz (HärteV) vom 15. Juli 1974 (BGBl I S. 1449) in der Fassung der 3. Änderungsverordnung vom 24. Februar 1986 (BGBl I S. 315)
konnte hierzu ein Zuschlag zu den Unterkunftskosten gewährt werden.
2. Das Verhältnis der Ausbildungsförderung zu Sozialleistungen, die bedarfsabhängig sind und einen den Ausbildungsförderungsleistungen
vergleichbaren finanziellen Aufwand abdecken, wie etwa Sozialhilfe und Wohngeld, war nach Inkrafttreten des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
1971 zunächst uneinheitlich geregelt. Erst Ende der siebziger Jahre entschied sich der Gesetzgeber, der Ausbildungsförderung,
die im
Bundesausbildungsförderungsgesetz, aber auch in einzelnen Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) enthalten war, grundsätzlich den Vorrang gegenüber den anderen bedarfsabhängigen Sozialleistungen einzuräumen (Ausschlußmodell).
Öffentliche Mittel zu Zwecken der beruflichen Ausbildung sollten zukünftig nur noch auf der Grundlage und im Rahmen der als
abschließendes Sondersystem konzipierten Regelungen der staatlichen Ausbildungsförderung (
BAföG und Ausbildungsförderungsvorschriften des AFG) gewährt werden.
a) Entsprechend diesem Grundgedanken wurde zur Regelung der Konkurrenz zwischen Leistungen der staatlichen Ausbildungsförderung
und solchen der Sozialhilfe durch Art. 21 Nr. 8 des Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (2. Haushaltsstrukturgesetz
- 2. HStruktG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S. 1523) in das Bundessozialhilfegesetz die Vorschrift des § 26 eingefügt. Danach hatten Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach
förderungsfähig war, außer in besonderen Härtefällen keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt.
b) Eine vergleichbare Entwicklung hat die rechtliche Regelung des Verhältnisses von Wohngeldleistungen zur Ausbildungsförderung
genommen. Durch Art. 1 Nr. 26 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes vom 4. August 1980 (BGBl I S. 1159) wurde
in das Wohngeldgesetz (WoGG) die Vorschrift des § 41 Abs. 3 eingefügt. Auf Alleinstehende, die eine Ausbildung im Sinne der SS 2 und 3
BAföG oder des §
40 ARG durchführten, und auf Haushalte, zu denen ausschließlich Familienmitglieder rechneten, die Auszubildende in dem bezeichneten
Sinne sind, sollte das Wohngeldgesetz nicht angewendet werden (§41 Abs. 3 Satz 1 WoGG). Für studierende Auszubildende waren danach allein die Regelungen des
BAföG maßgeblich (vgl. Begründung der Gesetzentwürfe der Fraktionen der SPD und der FDP, BTDrucks 8/3702, S. 85, sowie der Bundesregierung,
BTDrucks 8/3903, S. 85).
II. 1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens studierte vom Wintersemester 1981/1982 bis zum 2. Dezember 1988 an der Universität
H. in der Fachrichtung "Lehramt an Gymnasien". Bis September 1983 wurde ihm Ausbildungsförderung in Form von Zuschuß und Grunddarlehen
gewährt, ab Oktober 1983 ausschließlich als Volldarlehen.
Das Studentenwerk lehnte den Antrag des Klägers vom 29. April 1992 ab, die bestandskräftigen Bewilligungsbescheide für den
Zeitraum Oktober 1983 bis Dezember 1988 in der Weise abzuändern, daß die Ausbildungsförderung nicht als Volldarlehen, sondern
als Zuschuß gewährt wird. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. In dem sich anschließenden
Verwaltungsstreitverfahren hat der Kläger beantragt, die Bewilligungsbescheide des Studentenwerks insoweit abzuändern, als
sie unterkunftsbezogene Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe des für den Kläger geltenden Bedarfssatzes gemäß §
13 Abs.
2 BAföG sowie der §§
8 und
9 HärteV in der jeweils geltenden Fassung als Darlehen gewährten.
2. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt,
ob Art. 16 Abs. 1 Nr. 5 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I S. 1857) verfassungswidrig ist, soweit
dort §
17 Abs.
2 BAföG dahin geändert wird, daß die Ausbildungsförderung bei dem Besuch von Hochschulen auch hinsichtlich der zur Deckung der Unterkunftskosten
vorgesehenen Leistungen als Darlehen gewährt wird.
Die Vorschrift des §
17 Abs.
2 BAföG sei mit Art.
3 Abs.
1 GG insoweit nicht vereinbar, als diese Vorschrift in Zusammenwirken mit § 41 Abs. 3 Satz 1 WoGG die Gruppe der studierenden Auszubildenden von einem Zuschuß zum Wohnbedarf ausschließe.
Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des §
17 Abs.
2 BAföG in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 sei für die zu treffende Entscheidung erheblich, da die Norm Grundlage der
darlehensweisen Gewährung von Ausbildungsförderung für die Zeit von Oktober 1983 bis Dezember 1988 sei.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts verstößt §
17 Abs.
2 BAföG in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 gegen Art.
3 Abs.
1 in Verbindung mit Art.
20 Abs.
3 GG, soweit auch die Teile der Ausbildungsförderungsleistungen für den Besuch von Hochschulen, die zur Deckung der Unterkunftskosten
dienen sollten, nur darlehensweise gewährt wurden. Die Vorschrift benachteilige Empfänger von Ausbildungsförderung gegenüber
Wohngeldberechtigten, indem sie keinen Zuschuß, sondern lediglich ein Darlehen für die Deckung der Unterkunftskosten vorsehe.
Auch wenn der Subventionswert des Ausbildungsförderungsdarlehens mit 77 vom Hundert angesetzt würde, verbliebe es dennoch
bei der grundsätzlich bestehenden Verpflichtung zur Rückzahlung der erhaltenen Beträge. Die beiden Sozialleistungen seien
daher nicht gleichwertig.
Die aufgezeigte Ungleichbehandlung sei auch nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Die verfassungsrechtlichen
Bedenken könnten insbesondere nicht mit dem Hinweis zurückgewiesen werden, der Auszubildende habe es in der Hand, den Nachteil
dadurch zu vermeiden, daß er keinen
BAföG-Antrag stelle, sondern die Wohngeldleistung in Anspruch nehme. Diese Erwägungen scheiterten bereits daran, daß die zur Wahl
gestellten Möglichkeiten nicht gleichwertig seien, insbesondere der Bedarf des Auszubildenden umfassend nur durch Leistungen
nach dem
BAföG abgedeckt werden könne. Im übrigen gebe der Wortlaut des § 41 Abs. 3 Satz 1 WoGG für die Annahme eines Rechts des Auszubildenden zu wählen, welche der Sozialleistungen er in Anspruch nehmen wolle, nichts
her.
Es stelle keinen hinreichenden sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung dar, wenn man für Studenten nach Beendigung des
Studiums ein typischerweise überdurchschnittlich hohes Einkommen prognostiziere. unabhängig davon, ob eine derartige Erwartung
bei Inkrafttreten des Haushaltsbegleitgesetzes berechtigt gewesen sei, stelle dieser Gesichtspunkt jedenfalls in bezug auf
die Leistungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfs kein zulässiges Differenzierungskriterium dar, das den Ausschluß vom Vorteil
der Gewährung von Wohngeld als Zuschuß rechtfertigen könne. Das Wohngeldgesetz kenne insbesondere keine Rückzahlungsverpflichtung für den Fall einer erheblichen Verbesserung der Einkommenssituation, selbst
wenn diese Verbesserung noch während des laufenden Bewilligungszeitraums eintrete.
III. Zur Vorlage haben das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie namens der Bundesregierung
sowie der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen.
1. Das Bundesministerium hält die zur Prüfung gestellte Vorschrift für verfassungsgemäß. Zwar gewährten sowohl das
Bundesausbildungsförderungsgesetz als auch das Wohngeldgesetz staatliche Leistungen zur Finanzierung des Wohnbedarfs. sie seien jedoch im ganzen von ihrer Zielrichtung und der Art der
finanziellen Ausgestaltung so verschieden, daß die unterschiedliche Behandlung der Normadressaten nicht gegen Art.
3 Abs.
1 GG verstoße.
Das Wohngeldgesetz bezwecke die Unterstützung der einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten. Ihnen solle es trotz Freigabe der Mieten wirtschaftlich
ermöglicht werden, über angemessenen und familiengerechten Wohnraum zu verfügen. Die Bundesausbildungsförderung gewähre dagegen
Leistungen zur Deckung des Bedarfs des Auszubildenden, wozu auch Aufwendungen für die Unterkunft gehörten. Sie habe die Funktion,
den einzelnen jungen Menschen in den Stand zu setzen, sich frei, insbesondere ohne wirtschaftliche Zwänge, in einer qualifizierten
Ausbildung persönlich zu entfalten und auf sein Berufsleben vorzubereiten. In Vordergrund der Leistungsgewährung stehe mithin
die Förderung eines Eigeninteresses des Leistungsempfängers, der durch das Studium seine späteren Erwerbschancen verbessere.
Auch sei der beträchtliche Subventionswert der Ausbildungsförderungsleistungen zu berücksichtigen. Er könne in bestimmten
Fällen bis zu 77 vom Hundert des ausbezahlten Darlehens betragen. Bis zu einer Miete von 300,00 DM - die von Studierenden
im Zeitraum 1983 bis 1988 üblicherweise nicht überschritten worden sei - entspreche der Subventionswert des Darlehens somit
den in etwa erzielbaren Wohngeldbeträgen.
Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Änderung der Förderungsart im Jahre 1983 fielen ferner die finanziellen Zwänge,
in denen sich die Bundesregierung damals befunden habe, ins Gewicht. Bereits sie allein stellten eine ausreichende Rechtfertigung
für die Änderung der Förderungsart dar. Zur Bewältigung der schwersten Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland
seien einschneidende Maßnahmen bei weniger wichtigen Sozialleistungen erforderlich gewesen. Da die staatliche-Ausbildungsförderung
im Gegensatz zum Wohngeld eine gehobene Sozialleistung dargestellt habe, sei sie eher einer Einschränkung zugänglich gewesen.
Die Einführung der Rückzahlungsverpflichtung für erhaltene Fördermittel habe die finanziellen Anforderungen aus steigenden
Studentenzahlen ausgleichen und auf diese Weise in Zeiten knapper Haushaltsmittel das System der staatlichen Ausbildungsförderung
absichern sollen. Hätte man das alte System der Zuschußförderung beibehalten, wären zwangsläufig immer weniger Studenten in
den Genuß einer staatlich finanzierten Ausbildung gelangt. Überdies hätten sich diese mit immer geringeren Mitteln zufrieden
geben müssen.
2. Der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts weist darauf hin, daß nach seiner Rechtsprechung die Umstellung der Förderung
von Vollzuschuß auf Volldarlehen weder unter den Gesichtspunkten des allgemeinen Gleichheitssatzes und des Art.
12 Abs.
1 GG noch im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes
verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Das Gericht sei bei dieser Rechtsprechung davon ausgegangen, daß auch die Einbeziehung
des Anteils für Unterkunftsaufwendungen in die Darlehensförderung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, obwohl andere
Sozialleistungsempfänger Unterkunftsleistungen in Form von Wohngeld und damit als Zuschuß erhielten. Der Umstand, daß seit
dem Inkrafttreten des 12.
BAföG-Änderungsgesetzes vom 22. Mai 1990 Ausbildungsförderung wieder teilweise als Zuschuß gewährt werde, könne an der Verfassungsmäßigkeit
der zuvor gültig gewesenen gesetzlichen Regelung und damit auch der - jedem Darlehen immanenten - Rückzahlungspflicht nichts
ändern. Daraus folge ohne weiteres, daß der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sei, mit dem 12.
BAföG-Änderungsgesetz eine Regelung zu treffen, nach der eine für die zurückliegende Zeit als Volldarlehen geleistete Ausbildungsförderung
dem Empfänger zur Hälfte als Zuschuß verbleibe.
B. Die zur Prüfung gestellte Norm des §
17 Abs.
2 BAföG in der Fassung des Art.
16 Abs.
1 Nr.
5 HBeglG 1983 verstieß nicht gegen das
Grundgesetz, soweit danach Ausbildungsförderung für den Besuch von Hochschulen auch hinsichtlich der zur Deckung der Unterkunftskosten
vorgesehenen Leistungen als Darlehen gewährt wurde.
I. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß nach der zur Prüfung gestellten Norm Leistungen für Studierende ab
1. Oktober 1983 ausschließlich als Darlehen gewährt wurden.
1. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß zur Prüfung der Frage, ob aus dem
Grundgesetz und insbesondere aus Art.
2 Abs.
1 und Art.
12 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art.
20 Abs.
1, Art.
28 Abs.
1 Satz 1
GG) eine Pflicht des Gesetzgebers folgt, staatliche Leistungen zur individuellen Ausbildungsförderung vorzusehen. Jedenfalls
wäre es mit einer solchen Pflicht vereinbar, wenn der Gesetzgeber ein bestehendes Förderkonzept zum Nachteil der Studierenden
Ändert und sich dabei auf gewichtige Gründe des Gemeinwohls berufen kann. Solche Gründe waren 1983 gegeben. Der Gesetzgeber
sah sich durch die schwierige Haushaltslage veranlaßt, im Haushaltsbegleitgesetz 1983 eine Vielzahl von Sparmaßnahmen vorzunehmen,
um das Haushaltsdefizit zu senken, der Inflation entgegenzuwirken und eine Absenkung der Zinsen herbeizuführen. In dieses
Sparprogramm waren auch die Leistungen an Studierende aufgrund des Bundesausbildungsförderungsgesetzes einbezogen; sie wurden
in Darlehen umgewandelt. Die Geförderten sollten an der Finanzierung ihrer besonders qualifizierenden Ausbildung beteiligt
und dadurch zugleich stärker zur verantwortlichen Inanspruchnahme der Fördermittel angehalten werden. Ferner sollten sie mit
der Rückzahlung zur langfristigen Sicherung des Systems staatlicher Ausbildungsförderung beitragen (BTDrucks 9/2074 S. 91).
Ob der Gesetzgeber beim Erlaß des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 die Situation in jeder Hinsicht zutreffend eingeschätzt und
die einzelnen Sparmaßnahmen ausgewogen vorgenommen hat, entzieht sich einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht
(vgl. auch BVerfGE 79, 311 (342, 343 f.).
2. Der Gesetzgeber des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 hat das
Grundgesetz auch nicht dadurch verletzt, daß er in den Anwendungsbereich der Volldarlehensregelung solche Personen einbezog, die im Zeitpunkt
des Inkrafttretens des Gesetzes bereits eine nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz geförderte Ausbildung aufgenommen hatten.
a) Zwar hat der Gesetzgeber damit auf den noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt des Studiums und seiner Finanzierung durch
eine staatliche Leistung für die Zukunft zum Nachteil der Betroffenen eingewirkt. Jedoch sind Regelungen, die eine solche
unechte Rückwirkung herbeiführen, verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig (vgl. BVerfGE 30, 392 (402 f.); stRspr). Einschränkungen können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art.
12 Abs.
1 i.V.m. Art.
20 Abs.
3 GG) und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben. Das ist dann der Fall, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung
zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die
Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl. BVerfGE 95, 64 (86); stRspr).
b) Die Einbeziehung aller geförderten Personen in die Neuregelung war geeignet und erforderlich, die angestrebten Ziele zu
erreichen. Nach der Einschätzung des Gesetzgebers hätte eine Beschränkung des Wechsels zur Volldarlehensförderung auf den
Personenkreis der Studienanfänger des Jahres 1983 nicht zu dem aus seiner Sicht notwendigen Einsparvolumen geführt. Auch die
höheren Studienjahrgänge sollten durch die Rückzahlung der Darlehen zur langfristigen Sicherung des Systems der Ausbildungsförderung
beitragen.
c) Das Interesse der bereits nach den
Bundesausbildungsförderungsgesetz geförderten Studierenden an einer Beibehaltung des bis dahin geltenden Rechtszustandes ist nicht höher zu bewerten als die
Gründe, die den Gesetzgeber bei seiner Entscheidung für einen sofortigen Wechsel der Förderungsart bewogen haben. Dabei kann
offenbleiben, ob sich mit Rücksicht auf die grundsätzlich erforderliche jährliche Neubewilligung von Förderungsleistungen
(vgl. §
50 Abs.
3 BAföG) ein schutzwürdiges Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand von Art und Umfang der Förderung bilden konnte. Die Studierenden
konnten jedenfalls darauf vertrauen, daß ihnen auch in Falle einer gesetzlichen Neukonzeption der Förderungsart eine Ausbildungsförderung
erhalten blieb, die eine Beendigung des Studiums ohne wesentliche Verringerung des monatlich verfügbaren Geldbetrages ermöglichen
würde.
Diesem berechtigten Vertrauen ist der Gesetzgeber gerecht geworden. Er hat die Förderung der bereits Studierenden nicht aufgegeben,
sondern lediglich sein Förderungskonzept geändert. Diese Umstellung stellte nicht die Möglichkeit in Frage, das Studium mit
Hilfe staatlicher Mittel zu beenden. Zu jedem Zeitpunkt war sichergestellt, daß alle bereits Studierenden weiterhin die bisherigen
Auszahlungsbeträge - wenn auch nunmehr als Darlehen - erhielten.
II. Schließlich war der Gesetzgeber nicht durch den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.
3 Abs.
1 GG) verpflichtet, die ab 1990 in Rahmen der staatlichen Ausbildungsförderung wieder vermehrt zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel
- jedenfalls teilweise - für eine rückwirkende Besserstellung der Studierenden der Jahrgänge seit Oktober 1983 zu verwenden.
Zwar hatte der erneute Modellwechsel im Jahre 1990 zur Folge, daß Studierende, die zwischen 1983 und 1990 Förderungsleistungen
erhielten, benachteiligt waren gegenüber denjenigen, die zuvor oder danach gefördert wurden. Jedoch ist diese Ungleichbehandlung
auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs (vgl. BVerfGE 88, 87 (97); stRspr) gerechtfertigt. Seit der Einführung der Volldarlehenslösung im Jahre 1983 ging die Zahl der neu geförderten
Studierenden deutlich zurück. Der Gesetzgeber sah die mit der Ausbildungsförderung verfolgten Ziele durch das starke Absinken
der Förderungszahlen gefährdet (vgl. BTDrucks 11/5961 S. 13 ff.). Es stand dem Gesetzgeber angesichts begrenzter finanzieller
Mittel frei, diese ausschließlich einzusetzen, um das von ihm für die Zukunft angestrebte Ziel einer Steigerung der Förderzahlen
wirksam zu erreichen (vgl. auch BVerfGE 95, 267 (309 f.). Zudem hätte eine rückwirkende Verbesserung der Förderung der Studierenden der Jahrgänge zwischen 1983 und 1990
nicht diejenigen erreicht, die von einer Förderung nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz im Hinblick auf das Volldarlehenskonzept Abstand genommen hatten.
III. Es verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art.
3 Abs.
1 GG, daß der Gesetzgeber in §
17 Abs. 2
BAföG in der Fassung des Art. 16 Abs. 1 Nr.
5 HBeglG 1983 Leistungen für die Deckung der Unterkunftskosten an die Studierenden als Darlehen gewährte und sie zugleich vom
Bezug des Wohngeldes ausschloß (§ 41 Abs. 3 WoGG), das andere Sozialleistungsempfänger als Zuschuß erhielten. Die Vorschrift des § 41 Abs. 3 WoGG hat zum Ziel, die beiden Sozialleistungssysteme nach dem Ausbildungsförderungsrecht und dem Wohngeldgesetz voneinander abzugrenzen und Doppelleistungen auszuschließen, soweit sie - wie bei der Finanzierung von Unterkunftskosten
- einen vergleichbaren Zweck aufweisen. Diese Abgrenzung ist am Maßstab des Art.
3 Abs.
1 GG nicht zu beanstanden.
1. Die Gruppe der Studierenden erhielt den Beitrag zur Finanzierung der Unterkunftskosten ausschließlich als Darlehen; sie
wurde damit gegenüber Personen ungleich behandelt und benachteiligt, die Wohngeld als Zuschuß erhielten. Zwar verringert sich
der Unterschied zwischen beiden Leistungen erheblich, wenn man den Subventionswert des Darlehens als Summe der Vorteile aus
Zinsverzicht und Geldentwertung durch Zeitablauf in die Betrachtung einbezieht. Dabei konnte aufgrund der unterschiedlichen
Berechnungsmethoden für beide Sozialleistungen die Situation eintreten, daß der darlehensweise Bezug von Ausbildungsförderung
unter Berücksichtigung des Subventionswerts gegenüber dem Bezug von Wohngeld rechnerisch günstiger ausfiel. Es ist aber davon
auszugehen, daß die Empfänger von Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz durch das Zusammenwirken der genannten Regelungen auch unter Berücksichtigung des Subventionswerts überwiegend wirtschaftlich
ungünstiger gestellt wurden als die Bezieher von Wohngeld.
2. Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ein besonderes Sozialleistungssystem geschaffen,
das Möglichkeiten und Grenzen einer individuellen Förderung der Hochschulausbildung durch den Staat grundsätzlich abschließend
bestimmt. Seine Regelungen über Förderungsvoraussetzungen sowie Art, Höhe und Dauer der Leistungen sind auf die besondere
Lebenssituation der Studierenden zugeschnitten, die auf öffentliche Hilfe bei der Finanzierung ihres Studiums angewiesen sind.
Sichergestellt werden soll insbesondere, daß an Hochschulen mit staatlichen Mitteln nur studiert, wer dazu geeignet ist (vgl.
§
9 BAföG), und daß das Studium möglichst zügig beendet wird (vgl. §§
15 ff.
BAföG). Mit dem Wohngeldgesetz hat der Gesetzgeber dagegen neben der Sozialhilfe ein Grundsicherungssystem geschaffen, um diejenigen Personen zu unterstützen,
die trotz Erwerbsanstrengungen und unter Berücksichtigung des eigenen Einkommens (§§ 9 ff. WoGG) und des eigenen Vermögens (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 WoGG) nicht in der Lage sind, sich angemessenen Wohnraum selbst zu beschaffen (vgl. §§ 1, 2 WoGG). Beide Systeme verweisen in das
Bundesausbildungsförderungsgesetz den - anders gelagerten Fall, daß der Grund für die mangelnde Fähigkeit zur wirtschaftlichen Selbsthilfe in der Aufnahme
und Durchführung eines Studiums liegt. Diese Erwägungen sind sachgerecht. Sie rechtfertigen die Entscheidung des Gesetzgebers,
Studierende auch zur Finanzierung ihrer Unterkunftskosten auf ein staatliches Darlehen zu verweisen und sie von der Gewährung
eines Zuschusses nach dem Wohngeldgesetz auszuschließen.
Die Ungleichbehandlung von Studierenden und Empfängern von Wohngeld im fraglichen Zeitraum wurde aber auch durch den Gesichtspunkt
gerechtfertigt, daß der in die Förderung nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz einbezogene Personenkreis mit dem Abschluß der aus öffentlichen Mitteln unterstützten Ausbildung seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt
deutlich verbesserte und typischerweise mit einem höheren Einkommen rechnen durfte (vgl. auch BVerwG, Buchholz 454.71, Nr.
2 zu § 41 WoGG). Diese Erwartung ist nach wie vor begründet. So wird in der Studie von Parmentier/Schreyer/Tessaring (Aktuelle Befunde zur
Beschäftigung und Arbeitsmarktsituation von Akademikerinnen und Akademikern, in: Tessaring (Hrsg.), Die Zukunft der Akademikerbeschäftigung,
1996, S. 66) dargelegt, daß die Verdoppelung des Bestands an erwerbstätigen Akademikern im Zeitraum 1976 bis 1993 auf knapp
4 Millionen sowie des Akademisierungsgrades auf fast 14 vom Hundert bislang keine grundsätzliche Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation
dieser Personengruppe zur Folge gehabt hat. Zwar seien einige Akademikergruppen, insbesondere Berufsanfänger und Frauen, im
Vergleich zu früher heute ungünstigeren Arbeitsmarktbedingungen ausgesetzt; dennoch verbleibe es im wesentlichen bei dem relativen
Vorteil im Vergleich zu anderen Qualifikationsgruppen. Sofern Studierenden dieser Vorteil aus einer Ausbildung zuwächst, die
mit öffentlichen Mitteln unterstützt wurde, ist es unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes (Art.
3 Abs.
1 GG) gerechtfertigt, sie - anders als die Empfänger sonstiger Sozialleistungen - mit der Verpflichtung zur Rückzahlung der als
Darlehen gewährten Fördermittel zu belasten.
Der Gesetzgeber war auch verfassungsrechtlich nicht gehalten, die Verpflichtung zur Rückzahlung des Darlehens davon abhängig
zu machen, ob der Empfänger von Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz im Einzelfall aus seiner durch das Studium erworbenen Qualifikation Nutzen in der Gestalt eines überdurchschnittlichen Einkommens
und einer hervorgehobenen beruflichen Position zieht und der Nutzen gerade auf dieser Qualifikation beruht. Er konnte, ohne
Art.
3 Abs.
1 GG zu verletzen, bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie sie die staatliche Ausbildungsförderung darstellt, typisierende
Regelungen treffen (BVerfGE 63, 119 (128); 71, 146 (157); stRspr). Der Gesetzgeber hat im übrigen durch eine Reihe von Vorschriften dazu beigetragen, daß diese
Belastung für den Einzelnen wirtschaftlich zumutbar bleibt (vgl. etwa §
18 Abs.
3 Satz 3, §§
18 a und
18 b BAföG).