Einstweiliger Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren; Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung; besonderes
öffentliches Vollziehungsinteresse
Gründe:
Die am 13. Mai 2008 beim Hessischen Landessozialgericht eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Frankfurt am Main (SG) vom 14. April 2008 mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. April 2008 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage des
Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 5. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August
2007 anzuordnen,
ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung liegen nach §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG nicht vor.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner ist formell rechtmäßig, insbesondere die Begründung genügt
den besonderen Erfordernissen.
Gleichermaßen wie bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach §
80 Abs.
2 Nr.
4 VwGO bedarf sie auch im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren einer besonderen Begründung. §
86a Abs.
2 Nr.
5 SGG bestimmt ausdrücklich, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen ist. Die Pflicht zur schriftlichen
Begründung ist Ausfluss der Rechtsschutzgarantie des Art.
19 Abs.
4 S. 1
GG. Die Begründungspflicht gewährleistet nicht nur, dass die Behörde sich selbst kontrolliert und eine Übersicht über die Interessengegensätze
gewinnt. Die Begründung schafft insbesondere auch Transparenz und Rechtsklarheit für den Betroffenen und eröffnet ihm die
Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten. An die Begründungspflicht nach §
86a Abs.
2 Nr.
5 SGG sind daher hohe Anforderungen zu stellen. Die schriftliche Begründung muss nicht nur sämtliche Gesichtspunkte enthalten,
die die Behörde in ihre Entscheidung einbezogen hat. Sie muss außerdem erkennen lassen, warum in diesem konkreten Einzelfall
das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Betroffenen überwiegt (s. zu Vorstehendem auch Hessisches
Landessozialgericht, 23.12.2005 - L 7 AL 228/05 ER - m.w.N.). Schließlich muss die Behörde darlegen, inwieweit die Anordnung der sofortigen Vollziehung im konkreten Fall
dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht (LSG Niedersachsen-Bremen, 10.8.2006 - L 8 SO 69/06 ER; 30.9.2002 - L 4 KR 122/02 ER).
Nach diesem Maßstab ist die Begründung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. Juni 2007 nicht zu beanstanden, weil sie auf
den Einzelfall bezogen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit verdeutlicht hat. Zwar lässt die Begründung
keine gesonderte Prüfung erkennen, ob die Anordnung der Verhältnismäßigkeit entspricht. Das ist im vorliegenden Fall aber
noch gerade als unschädlich anzusehen, weil der Antragsgegner nicht mit einem milderen Mittel das Auskunftsziel erreichen
kann.
Auch im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht vor.
Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage
sieht §
86b Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGG nicht vor. Ist Gegenstand des Antrags eine behördliche, nicht gesetzliche Anordnung der sofortigen Vollziehung, ist gerichtlich
allein zu klären, ob entgegen der gesetzlichen Grundregel der Leistungsträger die Voraussetzungen hierfür nach §
86a Abs. 2. Nr. 5
SGG eingehalten hat. Entscheidungserheblich ist, ob im Rahmen einer offenen Interessenabwägung einem öffentlichen Interesse an
der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang gegenüber schützenswerten Interessen des Adressaten einzuräumen ist
(vgl. Krodel, NZS 2001, S. 449 ff. m.w.N.). Sind Widerspruch oder Klage in der Hauptsache offensichtlich zulässig und begründet, ist dem Antrag stattzugeben,
weil dann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht. Sind hingegen Widerspruch oder Klage in der Hauptsache
offensichtlich unzulässig oder unbegründet, verbleibt es bei der gebotenen Abwägung im Einzelfall, weil allein die Rechtmäßigkeit
des angefochtenen Bescheides ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung entgegen der gesetzlichen Grundregel
des §
86a Abs.
1 SGG nicht zu begründen vermag; die Anforderungen können sich in diesem Fall allerdings im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung
verringern. Anders als bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Verwaltung darf die gerichtliche Entscheidung
verstärkt auf den Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache abstellen, weil sie bereits eine richterliche Kontrolle der
Sach- und Rechtslage einbezieht (Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 9. Aufl., §
86a Rn. 22a). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage
im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Interesse bis zu
einer Entscheidung in der Hauptsache Vorrang einzuräumen ist. Dabei hat in die Abwägung einzufließen, dass der Gesetzgeber
für den Regelfall die aufschiebende Wirkung vorgesehen hat. Der Antrag ist nur abzulehnen, wenn das öffentliche Interesse
an der Vollziehung gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Bescheidadressaten überwiegt. Ein weniger einschneidendes Mittel
zur Wahrung des Vollziehungsinteresses darf nicht zur Verfügung stehen (Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 9. Aufl., §
86a Rn. 20a m.w.N.).
Der anderslautende Maßstab des §
86a Abs.
3 S. 2
SGG, nach dem der Sozialleistungsträger von sich aus die Vollziehung aussetzen soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des angegriffenen Verwaltungsaktes im Sinne des §
86a II Nr. 1
SGG bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche
Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§
86a III S. 2
SGG), ist zwar im Rahmen des gerichtlichen Rechtsschutzes nach §
86b Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGG zu beachten, gilt aber als spezialgesetzliche Regelung nur für die ausdrücklich in §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG genannten Bescheide, insbesondere Versicherungs-, Beitrags- und Umlagebescheide (Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 8. Aufl., §
86b Rn. 12b m.w.N. auch zur Gegenansicht).
Das Auskunftsverlangen des Antragsgegners ist, gestützt auf § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII, rechtmäßig. Insoweit wird zunächst
gemäß §
142 Abs.
2 S. 3
SGG auf die Gründe des Beschlusses des SG verwiesen.
Soweit der Antragsteller rügt, das Auskunftsverlangen dürfe sich nicht gegen ihn richten, weil er als Schwiegersohn der Unterhaltsberechtigten
nicht unterhaltsverpflichtet sei, ist dem nicht zu folgen. Seine Auskunftspflicht nach § 117 Abs. 1 SGB XII beruht nicht auf
der eigenen Unterhaltsverpflichtung, sondern ist angeordnet, weil sein Einkommen und Vermögen für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit
seiner unterhaltsverpflichteten Ehefrau ausschlaggebend sein kann (Schoch in LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 117 Rn. 13).
Ob hingegen aufgrund des Einkommens und Vermögens des Antragstellers ein Unterhaltsanspruch der unterhaltsberechtigten Hilfebedürftigen
gegenüber der Ehefrau des Antragstellers zusteht, ist im sozialrechtlichen Auskunftsverfahren nicht zu prüfen.
Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass wegen der familienrechtlichen Unterhaltsregelungen die Ehefrau des Antragstellers
gegen ihn hinreichende Ansprüche hat, um ihrerseits aus eigenem Einkommen ihrer Mutter gegenüber leistungsfähig zu sein. Dass
Ehepartner mit einem Einkommen wie dem der Ehefrau des Antragstellers von vornherein und damit offensichtlich keinen Unterhaltsanspruch
gegen den anderen Ehepartner haben, ist nicht ersichtlich (hierzu: Entscheidung des BGH zur Unterhaltspflicht der Ehefrau
des Antragstellers, 17.12.2003 - XII ZR 224/00). Eine nähere Prüfung von Unterhaltsansprüchen nach §
1360a BGB (Umfang der Unterhaltspflicht der Ehegatten untereinander) hat der Senat nicht vorzunehmen; eine solche Prüfung bleibt nach
dem in verschiedene Gerichtszweige aufgegliederten Rechtsschutzsystem vielmehr ggf. den Zivilgerichten vorbehalten, sollte
der Antragsgegner im Anschluss an die Auswertung der vom Antragsteller zu erbringenden Auskünfte einen auf sie nach näherer
Maßgabe des § 94 SGB XII übergegangenen Anspruch der Hilfebedürftigen gegen die Ehefrau des Antragstellers annehmen und das
Bestehen dieses Anspruchs zwischen den Beteiligten streitig sein.
Allerdings bewirkt § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in erster Linie, dass der Leistungsträger aufgrund der eingeholten Auskünfte
prüfen kann, ob der ggf. zum Unterhalt Heranzuziehende (hier also die Ehefrau des Antragstellers) dem Auskunftserteilenden
möglicherweise vorrangig Unterhalt schuldet (§
1609 BGB) und seine Einstandspflicht nach §
94 SGB XII deswegen geringer ausfällt oder ganz entfällt (vgl. Schlette in Nauck/Noftz, SGB XII, Stand: XII 2007, § 117 Rn.
10). Eine Einschränkung dahingehend, dass die Auskunft nur zu möglichen Gunsten des Unterhaltsverpflichteten (hier: der Ehefrau
des Antragstellers) verlangt werden kann, kommt gleichwohl in §
117 Abs.
1 Satz 1
SGG nicht zum Ausdruck und wäre mit Blick auf den Nachrang der Sozialhilfe (§
2 Abs. 1 SGB XII) auch fernliegend; eine solche Einschränkung besteht deshalb nicht (so: LSG NRW, 9.6.2008 - L 20 SO 36/07).
Der Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens steht nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des BGH die verlangten Daten
ggf. zur Feststellung einer Unterhaltsverpflichtung der Ehefrau des Antragstellers nicht ausreichen, weil weitere Ermittlungen
zum Familienunterhalt erforderlich sein können. Insoweit ist es dem Antragsgegner nicht verwehrt, in einem gestuften Verfahren
zunächst festzustellen, ob solche weiteren Ermittlungen vorliegend überhaupt angezeigt sind.
Ist damit das Auskunftsverlangen rechtmäßig, ist ein besonderes Vollziehungsinteresse schon deshalb zu bejahen, weil allein
eine zeitnahe Geltendmachung ggf. übergangener Unterhaltsansprüche den Nachrang der der Schwiegermutter des Antragstellers
erbrachten Sozialhilfeleistungen sicherstellt. Die fiskalischen Interessen des Leistungsträgers sind bei der gebotenen Abwägung
zu berücksichtigen (Keller in Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Aufl., §
86a Rn. 20 mwN). Dabei reicht vorliegend die bloße Verwirklichung des Nachranggrundsatzes ohne weitere Anhaltspunkte für eine
spätere Vereitelung der Durchsetzung eines Unterhaltsanspruchs schon aus, weil dem Antragsteller aufgrund der gerichtlich
festgestellten Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens kein Nachteil droht, der sein Aussetzungsinteresse zu rechtfertigen
vermag.
Die Kostenentscheidung beruht auf dem Ausgang des Rechtsstreits entsprechend §
193 Abs.
1 S. 1
SGG.
Dieser Beschluss kann gemäß §
177 SGG nicht mit einer weiteren Beschwerde angefochten werden.