Anrechnung des Kindergeldanspruchs auf die Sozialhilfe
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte (Bekl.) setzte gegenüber dem Kläger (Kl.) durch Bescheid vom 16.9.1999 ab Juli 1999 Kindergeld für das Kind A.
(geboren am 8.1.1979) fest. Zugleich teilte er mit, der Kindergeldanspruch für die Monate Juli bis September 1999 gelte nach
§
74 Abs.
5
EStG i.V.m. § 107
SGB X als erfüllt. Das Sozialamt der Stadt B. (Juli) bzw. der Stadt C. (ab August) habe insoweit einen Erstattungsanspruch nach
§ 74 Abs. 5 i.V.m. §§ 103, 104
SGB X geltend gemacht, weil für den Zeitraum Sozialhilfe ohne Anrechnung des Kindergeldes gezahlt worden sei.
Der gegen den Bescheid mit dem Ziel erhobene Einspruch, das Kindergeld für Juli bis September 1999 an den Kl. auszuzahlen,
blieb erfolglos. Mit Schreiben vom 20.12.1999 erhob der Kl. gegen die Einspruchsentscheidung (EE) vom 22.11.1999 Klage und
wendet sich gegen die Anrechnung des Kindergeldanspruchs auf die von ihm bezogene Sozialhilfe.
Zur Begründung macht er geltend, nach der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs und der Verankerung des Kindergeldes
im Einkommensteuerrecht müsse die Anrechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe entfallen. Auf der Grundlage des §
31
EStG sei zwischen der Steuervergütungsfunktion des Kindergeldes bei einkommensstarken Familien und dessen Sozialtransferfunktion
bei Familien mit geringem oder keinem steuerpflichtigen Einkommen zu unterscheiden. Komme dem Kindergeld eine Transferfunktion
zu, handele es sich um eine im Steuerrecht versteckte Sozialleistung zur Förderung der Familie. Die Zweckbestimmung des Kindergeldes
decke sich nicht mit der der Sozialhilfe. Daher dürfe das Kindergeld nicht auf die Sozialhilfe angerechnet werden.
Auch aus § 22 Abs. 3 Satz 2 BSHG könne die Anrechenbarkeit des Kindergeldes nicht abgeleitet werden. Die Berücksichtigung des Kindergeldes für die Regelsatzbemessung
sei durch die Neuregelung des Familienlastenausgleichs überholt. Der Gesetzgeber habe insoweit lediglich noch nicht die Konsequenzen
aus der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs gezogen.
Die generelle Nichtberücksichtigung des Kindergeldes im Rahmen der Sozialhilfe werde durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
angestrebt, weil das Kindergeld z.B. nicht als zweckgleich mit Unterhaltsleistungen zur Schulbildung beurteilt werde (§ 43
BSHG). Auch der Sozialzuschlag für öffentlich Bedienstete werde nicht als zweckgleich mit Leistungen zum Lebensunterhalt bei der
Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege (§ 39
SGB VIII) angesehen, weil er - wie das Kindergeld - den teilweisen Ausgleich kinderbedingter wirtschaftlicher Belastungen bezwecke,
nicht aber konkret die Abdeckung des Unterhaltsbedarfs der Kinder.
Der Kl. beantragt,
den Bekl. unter Aufhebung des Bescheides vom 16.9.1999 und der EE vom 22.11.1999 zu verpflichten, das Kindergeld für die Monate
Juli bis September 1999 in Höhe von monatlich 250,00 DM an den Kl. auszuzahlen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, im Streitfall hätten die Voraussetzungen für die Erstattung des Kindergeldes an die Sozialhilfeträger
nach §
74 Abs.
5
EStG i.V.m. § 104 Abs. 1
SGB X vorgelegen. Entgegen der Auffassung des Kl. sei das Kindergeld als Einkommen i.S.d. § 76 Abs. 1 Satz 1 BSHG auf die Sozialhilfe anzurechnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klagebegründung vom 6.6.2000 und die Klageerwiderung vom 2.8.2000 sowie auf die
Kindergeldakte Bezug genommen.
Der Senat entscheidet bei einem Streitwert von 750,00 DM nach § 94 a
FGO ohne mündliche Verhandlung, weil ihm dies angesichts des Streitstoffes angemessen erscheint.
Die Klage ist unbegründet.
Der Bekl. ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kindergeldanspruch des Kl. für die Monate Juli bis September 1999 durch
(unstreitige) Auszahlung der nicht um das Kindergeld gekürzten Sozialhilfe durch die Stadt B. bzw. C. nach § 107 Abs. 1
SGB X als erfüllt gilt.
§
74 Abs.
5
EStG 1999 stellt sicher, daß die zitierten Vorschriften des SGB X auch nach der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs weiterhin anwendbar sind. Danach sind die Familienkassen im Verhältnis
zu den sonstigen Trägern von Sozialleistungen hinsichtlich des Kindergeldes als vorrangig verpflichtete Leistungsträger anzusehen.
Im Streitfall ergibt sich daraus, daß das Kindergeld an die Träger der Sozialhilfe auszuzahlen ist, wenn sie die Sozialhilfe
ungekürzt erbracht haben.
Soweit der Kl. geltend macht, Kindergeld sei kein Einkommen i.S.d. § 76 Abs. 1
BSHG und daher nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen, folgt der Senat dem nicht (ebenso: OVG Hamburg, Urteil vom 23. April 1999
Bf IV 3/97, Sammlung fürsorgerechtlicher Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte - FEVS - 51, 263; OVG Lüneburg, Beschluß
vom 2. März 1998 4 M 4114/97, FEVS 48, 527; FG Sachsen-Anhalt, Beschluß vom 12. November 1999 2 K 56/99, EFG 2000, 324; Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, § 76 Tz. 3, Schellhorn, BStHG § 76, Tz. 28).
Das Kindergeld gehört nicht zu den in § 76 Abs. 1
BSHG angeführten, ausdrücklich anrechnungsfrei gestellten Geldleistungen. Es ist auch nicht - wie z.B. das Erziehungsgeld (§ 8
Bundeserziehungsgeldgesetz) - nach anderen gesetzlichen Vorschriften von der Anrechnung freigestellt.
Auch § 77 Abs. 1
BSHG hindert die Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen auf den Bezug von Sozialhilfe nicht. Der im Streitfall allein in Betracht
kommende Transferanteil des Kindergeldes dient nach dem Wortlaut des §
31 Satz 2
EStG "der Förderung der Familie". Zu welchen Zwecken Familien ohne und mit nur geringem Erwerbseinkommen das ausgezahlte Kindergeld
einsetzen, ist ihnen überlassen. Eine von der des Sozialhilferechtes verschiedene Zweckbestimmung im Sinne des § 77
BSHG kann §
31 Satz 2
EStG nicht entnommen werden. Dem Ziel der Familienförderung kann auch dadurch Rechnung getragen werden, daß mit dem Kindergeld
der notwendige Lebensbedarf des Kindes bestritten wird. Eine ausschließliche gesetzliche Zweckbestimmung dahingehend, daß
Kindergeld, soweit es der Familienförderung dient, nicht für den notwendigen Lebensunterhalt des Kindes, sondern ausschließlich
für darüber hinausgehende Aufwendungen verwendet werden soll, kann nicht festgestellt werden.
Schließlich zeigt auch der § 22 Abs. 4
BSHG, daß Kindergeldzahlungen sozialhilferechtlich weiterhin als Einkommen zu berücksichtigen sind.
Im übrigen ergibt sich aus §
74
EStG, daß mit der Kindergeldleistung vornehmlich der unterhaltsrechtliche Bedarf des Kindes sichergestellt werden soll und das
Kindergeld ganz allgemein der Sicherung des Lebensunterhalts dient. Die Regelungen in §
74 Abs.
1 Satz 3, Abs.
2 bis
4
EStG 1999 sollen unabhängig davon, ob das Kindergeld den Charakter einer echten Steuervergütung oder Transfercharakter hat, bewirken,
daß die Kindergeldzahlungen dem Kind zur Sicherung seines Unterhaltsbedarfs direkt zukommen, wenn dies nicht durch die Unterhaltsleistungen
des Kindergeldberechtigten mittelbar gesichert ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1
FGO.