Kein Pflege-Pauschbetrag für die Eltern eines Schwerbehinderten bei Weiterleitung von Pflegegeld an die Eltern
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Abziehbarkeit des Pflege-Pauschbetrags.
Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr (1998) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie haben einen Sohn, Hans,
der am 4. 5. 1972 geboren wurde und der von Geburt an mit einem Grad 100 geistig behindert ist. Im Schwerbehindertenausweis
sind die Merkmale "G.", "H." und "RF" eingetragen. Hans bedarf dauernder Hilfe, die von den Klägern selbst im eigenen Haushalt
geleistet wird. Hans ist werktäglich bis 15 Uhr in einer beschützten Werkstatt untergebracht. Im Streitjahr erhielt er ein
monatliches Pflegegeld in Höhe von 800 DM gemäß § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) XI (Pflegestufe II),
das unmittelbar an die Kläger ausgezahlt wurde.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragten die Kläger wegen der persönlichen häuslichen Pflege ihres Sohnes
den Abzug des Pflege-Pauschbetrags nach §
33 b Abs.
6 des Einkommensteuergesetzes (
EStG). Der Beklagte (das Finanzamt) lehnte das wegen des erhaltenen Pflegegeldes ab und setzte die Einkommensteuer 1998 fest,
ohne den Pauschbetrag zu berücksichtigen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie tragen zur Begründung vor, das Pflegegeld aus der Pflegeversicherung
dürfe nicht angesetzt werden, weil es nicht der Einnahmeerzielung, sondern allein zur Sicherung der erforderlichen Grundpflege
und der hauswirtschaftlichen Versorgung des Pflegebedürftigen diene.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 2. 9. 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. 2. 2000 zu ändern und die Einkommensteuer
1998 unter Berücksichtigung eines Pauschbetrags in Höhe von 1.800 DM neu festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, jegliche Einnahmen im Zusammenhang mit der Durchführung der Pflege stünde der Inanspruchnahme des Pauschbetrags
entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
Zutreffend hat der Beklagte die Einkommensteuer für das Streitjahr festgesetzt, ohne einen Pflege-Pauschbetrag vom Gesamtbetrag
der Einkünfte abzuziehen
Die Kläger erfüllen nicht die Voraussetzungen des §
33 b Abs.
6 EStG. Nach dieser Vorschrift kann der Steuerpflichtige wegen der außergewöhnlichen Belastungen, die ihm durch die Pflege einer
Person erwachsen, unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen an Stelle einer Steuerermäßigung nach §
33 EStG einen Pauschbetrag von 1.800 DM im Kalenderjahr geltend machen, wenn er dafür keine Einnahmen erhält. Einnahme ist jeder
Vermögenszufluss in Geld oder Geldeswert, §
8 Abs.
1 EStG. Dazu gehören auch weitergeleitete Pflegegelder im Sinne von §
3 Nr.
26 EStG.
Damit folgt der Senat der überwiegenden Rechtsauffassung in Rechtsprechung, Finanzverwaltung und Schrifttum (vgl. Schleswig-Holsteinisches
Finanzgericht, Urteil vom 8. 12. 1999 - V 557/98, EFG 2000, 1131; Mellinghoff in Kirchhof,
EStG, §
33 b Rn. 20; Schmidt/Glanegger,
EStG, 20. Aufl. 2001, §
33b Rz. 19; Blümich/Oepen,
EStG, §
33b Rz. 84, BMF in BStBl I 1996, 1433) und befürwortet eine Einschränkung der Vorschrift auf Fälle des Aufwendungsersatzes (so aber Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach,
§ 33b Anm. G. 4) ebensowenig wie ihr Nichtanwenden bei weitergeleitetem Pflegegeld (so aber FG Bremen, Urteil vom 1. 8. 2000.
EFG 2000, 1132).
Der Wortlaut der Norm läßt eine derartige Beschränkung ihrer Anwendbarkeit nicht zu; denn rechtshindernd ist danach jede im
Zusammenhang mit der Pflege gewährte Leistung. "Dafür" bezieht sich auf die außergewöhnlichen Belastungen, die dem Steuerpflichtigen
durch die Pflege erwachsen. Das Pflegegeld, das der Pflegebedürftige nach §
37 Abs.
1 Nr.
2 SGB XI in Höhe von 800 DM pro Monat erhält, soll gemäß §
36 Abs.
1 SGB XI den Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erfüllen. Leitet der Pflegebedürftige diese Leistungen an
den Steuerpflichtigen weiter, der ihn pflegt, so sind sie in dessen Person Einnahmen.
Diese Folge ergibt sich auch aus dem Zusammenspiel der Vorschriften über die Leistungen bei häuslicher Pflege. Grundsätzlich
hat der Pflegebedürftige nach §
36 Abs.
1 SGB XI Anspruch auf häusliche Grundpflege, die in Natur, also durch persönliche Dienstleistungen erbracht wird. Der Pflegebedürftige
kann aber anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Dieser Anspruch setzt nach §
37 Abs.
1 Satz 2
SGB XI voraus, daß der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter
Weise selbst sicherstellt und das kann er tun, wenn er, der etwa durch seine Eltern im Familienhaushalt gepflegt wird, das
Pflegegeld an sie weiterleitet, um ihre durch die Pflegeleistungen bedingten Belastungen auszugleichen. In diesem Fall erhalten
die Eltern das Pflegegeld "für" die außergewöhnlichen Belastungen, die ihnen durch die Pflege ihres Kindes erwachsen. Diese
Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, der wie §
33 EStG das Belastungsprinzip zugrunde liegt, wonach der Steuerpflichtige durch die Aufwendungen tatsächlich und endgültig belastet
werden muß (vgl. dazu Mellinghoff in Kirchhof,
EStG, §
33b Rn. 20 und §
33 Rz. 11 ff. m.w.N.). Werden dem Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit der Pflege indes Leistungen zugewandt und erhält er
vom Pflegebedürftigen das Pflegegeld, mit dem dieser seine häusliche Grundpflege selbst sicherstellt, so kompensiert das weitergeleitete
Geld seinem Zweck nach die pflegebedingten Belastungen des Steuerpflichtigen. Davon ist auch der Gesetzgeber des Jahressteuergesetzes
1997 ausgegangen, mit dem die Vorschrift in das Gesetz eingefügt wurde. "Soweit die Pflegeperson für ihre Pflegeleistung und
die damit verbundenen Aufwendungen Einnahmen erhält", heißt es in den Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucksache 13/1558 - Zu
Nummer 26a - §
33b EStG -), "verbleibt ihr keine Belastung".
Im Streitfall können die Kläger den Pflege-Pauschbetrag nicht abziehen. Denn sie haben das von Hans an sie weitergeleitete
Pflegegeld in Empfang genommen und dadurch Einnahmen erhalten, die mit der Pflege ihres behinderten Sohnes im Zusammenhang
stehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hält es für sachgerecht, nach § 90a FGO durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.