Verfassungsmäßigkeit des Kumulierungsverbots bei Vollwaisen rentenversicherter Eltern
Gründe:
A.
Das Verfahren betrifft die Frage, ob es mit Art
3 Abs.
1 GG vereinbar ist, daß Vollwaisen, deren verstorbene Eltern beide rentenversichert waren, nur die höhere der beiden Waisenrenten
erhalten.
I.
1. Nach § 1267 Abs. 1 Satz
RVO in der Fassung des Art 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz
- ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 45) erhalten die Kinder eines Versicherten nach dessen Tod Waisenrente.
Die Höhe der Waisenrente ist in § 1269
RVO in der Fassung des Art 1 ArVNG geregelt, dessen Abs. 1 lautet:
Die Waisenrente beträgt bei Halbwaisen ein Zehntel, bei Vollwaisen ein Fünftel der nach § 1253 Abs. 2 berechneten Versichertenrente
ohne Kinderzuschuß zuzüglich Rententeilen aus der Höherversicherung. § 1254 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend. Die Waisenrente
erhöht sich um den Kinderzuschuß (§ 1262 Abs. 4).
Danach ist die Waisenrente aus der Rente des Versicherten zu berechnen, die dieser erhalten hätte, wenn er im Zeitpunkt seines
Todes erwerbsunfähig geworden wäre. Der Kinderzuschuß beträgt jährlich ein Zehntel der für die Berechnung der Rente nach §
1255 Abs. 2
RVO maßgebenden allgemeinen Bemessungsgrundlage. Er nimmt als Sockelbetrag der Waisenrente an den jeweiligen Rentenanpassungen
teil.
Für den Fall, daß in der Person einer Waise mehrere Waisenrenten zusammentreffen, bestimmt § 1280 Abs. 2
RVO in der Fassung des Art 1 des ArVNG:
Treffen mehrere Waisenrenten zusammen, so wird nur die höchste Rente gewährt. Die übrigen Renten ruhen.
In der Angestelltenversicherung (§ 46, § 57 Abs. 2 AVG) und in der Rentenversicherung des Bergbaus (§ 69 Abs. 6, § 77 Abs. 2 RKG) gelten entsprechende Regelungen (§ 1280 Abs. 4
RVO).
2. Auch in anderen Rechtsbereichen, die der Arbeiterrentenversicherung darin ähnlich sind, daß die Eltern bei Lebzeiten finanzielle
Leistungen erhalten, gibt es Regelungen, durch die den hinterbliebenen Halbwaisen oder Vollwaisen Waisenrenten oder Waisengelder
in verschiedener Ausgestaltung gewährt werden.
In der gesetzlichen Unfallversicherung beträgt die Halbwaisenrente ein Fünftel, die Vollwaisenrente drei Zehntel des letzten
Arbeitsverdienstes des Versicherten (§ 595 Abs. 1 Satz 1
RVO).
Im Versorgungsrecht wird Waisen eine Grundrente und Ausgleichsrente in einer derzeitigen Höhe von 98 bzw 174 DM bei Halbwaisen
und 186 bzw 242 DM bei Vollwaisen gewährt (§§ 46, 47 BVG idF des Achten Anpassungsgesetzes - KOV vom 14. Juni 1976 (BGBl I S 1481)).
Im öffentlichen Dienstrecht wird Kindern verstorbener Beamten Waisengeld gewährt. Die Halbwaise erhält 12 vom Hundert, die
Vollwaise 20 vom Hundert des Ruhegehaltes des Beamten, das sich ergeben würde, wenn er im Zeitpunkt seines Todes in den Ruhestand
getreten wäre (§ 127 Abs. 1 Satz 1 BBG, § 75 Abs. 1 Satz 1 BRRG).
In allen diesen Fällen kann bei mehreren aus demselben Bereich zusammentreffenden Waisenrenten oder Waisengeldern jeweils
nur der höhere Anspruch geltend gemacht werden (§ 595 Abs. 3
RVO, § 45 Abs. 4 BVG, § 127 Abs. 3 BBG, § 75 Abs. 3 BRRG). Diese Regelungen unterscheiden sich also nicht von den Vorschriften in der gesetzlichen Rentenversicherung.
3. Für den Fall, daß Waisenrenten oder Waisengelder aus einem der genannten Regelungsbereiche mit ähnlichen Ansprüchen aus
einem anderen Bereich zusammentreffen, gelten Bestimmungen, die für bezugsberechtigte Waisen zu verschiedenen Ergebnissen
führen.
Trifft eine Waisenrente aus der Rentenversicherung mit einer Waisenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung desselben
Versicherten zusammen, so ruht die Waisenrente ohne Kinderzuschuß aus der Rentenversicherung nur insoweit, als sie zusammen
mit der Rente aus der Unfallversicherung jährlich ein Fünftel, bei einer Vollwaise drei Zehntel der allgemeinen Bemessungsgrundlage,
die für das Todesjahr des Versicherten gilt, übersteigt (§ 1279 Abs. 4
RVO).
Im Versorgungsrecht erhält die Waise die Grundrente unverkürzt neben der Waisenrente aus der Rentenversicherung. Die Ausgleichsrente
verringert sich jedoch, weil die Waisenrente aus der Rentenversicherung als eigenes Einkommen der Waise berücksichtigt wird
(§ 47 Abs. 2, § 33 Abs. 6 BVG).
Trifft eine Waisenrente aus der Rentenversicherung mit einem Waisengeld des öffentlichen Dienstes zusammen, so wird die Waisenrente
voll, das Waisengeld, wenn das Beamtenverhältnis nach dem 31. Dezember 1965 begründet worden ist, nur bis zu einer Höchstgrenze
bezahlt, die sich aus § 160a BBG, § 85a BRRG ergibt.
II.
1. Die heute 17 und 11 Jahre alten Kläger des Ausgangsverfahrens sind Geschwister. Ihre Eltern kamen im Jahre 1967 bei einem
Autounfall ums Leben. Ihr Vater, ein Kraftfahrzeugmechaniker, war damals 33 Jahre, ihre Mutter, eine Friseuse, 26 Jahre alt.
Beide Eltern waren im Zeitpunkt ihres Todes bei der Landesversicherungsanstalt Württemberg arbeiterrentenversichert.
Die Kinder hatten nach dem Unfall aus beiden Versicherungen Anspruch auf Vollwaisenrente. Die Landesversicherungsanstalt berechnete
diese Renten für das Jahr 1967 mit je 134,40 DM aus der Versicherung des Vaters und mit je 117,40 DM aus der Versicherung
der Mutter. Aufgrund der Vorschrift des § 1280 Abs. 2
RVO zahlte sie jedoch nur die höhere Rente aus.
Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben Klage mit dem Ziel, auch die Waisenrente aus der Versicherung ihrer Mutter zu erhalten.
Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos.
2. Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht gem Art
100 Abs.
1 GG das Verfahren ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber beantragt,
ob § 1280 Abs. 2
RVO in der Fassung des ArVNG mit Art
3 Abs.
1 GG vereinbar ist, soweit danach eine der einer Vollwaise zustehenden Waisenrenten in vollem Umfang auch dann ruht, wenn die
Summe der Halbwaisenrenten höher ist als die höchste Vollwaisenrente.
Zur Begründung führt das Gericht aus: Eine willkürliche Ungleichbehandlung sei darin zu sehen, daß für Vollwaisen, deren beide
Elternteile die Voraussetzungen für die Gewährung von Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt hätten, eine nachteiligere
Regelung im Vergleich zu jenen Vollwaisen gelte, deren einer Elternteil eine Anwartschaft auf Hinterbliebenenversorgung nach
anderen gesetzlichen Vorschriften, etwa aus dem Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung, des Versorgungsrechts oder des
öffentlichen Dienstes, erworben habe.
Es verstoße auch gegen Art
3 Abs.
1 GG, daß die nach § 1280 Abs. 2
RVO zu gewährende Vollwaisenrente häufig niedriger sei als die Summe der hypothetischen Halbwaisenrenten nach jedem Elternteil.
Im Ausgangsfall ergebe sich bei dieser Berechnung eine Differenz von 62,20 DM zugunsten jedes Klägers. Ein solches Ergebnis
widerspreche dem Grundsatz, daß die durch die Waisenrente ersetzten Unterhaltsansprüche gegenüber beiden Elternteilen gleichwertig
seien. Der gänzliche Fortfall einer Waisenrente könne dabei nicht durch die Gewährung einer nicht ausreichend erhöhten Vollwaisenrente
ausgeglichen werden. Diese werde auch dann gezahlt, wenn nur ein Elternteil versichert gewesen sei.
Außerdem sei § 1280 Abs. 2
RVO zumindest in einer bestimmten Fallkonstellation mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar. Eine willkürliche ungleiche
Behandlung liege nämlich dann vor, wenn der überlebende Elternteil zu einer eigenen Rente einen Kinderzuschuß erhalte, während
der Halbwaise Rente einschließlich eines Kinderzuschusses gewährt werde. Sei in diesen Fällen - was häufig vorkomme - der
Kinderzuschuß höher als ein Zehntel der Rente, nach der sich die Vollwaisenrente berechne, so erhalte die Vollwaise eine geringere
finanzielle Unterstützung als die Halbwaise, die den Unterhaltsanspruch gegenüber einem Elternteil behalten habe.
III.
Zu der Vorlage haben sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung namens der Bundesregierung sowie der 12. Senat des
Bundessozialgerichts geäußert.
1. Der Bundesminister hält die beanstandete Regelung für verfassungsgemäß. Nach seiner Auffassung ist es nicht willkürlich,
daß von zwei Waisenrenten aus der Rentenversicherung nur die höhere gewährt wird, während beim Zusammentreffen einer Waisenrente
aus der Rentenversicherung mit Leistungen aus anderen Sachbereichen mehrere Leistungen teilweise nebeneinander gezahlt werden.
Dabei sei die Möglichkeit, eine Rente aus der Unfallversicherung mit einer Waisenrente aus der Rentenversicherung begrenzt
zu kumulieren, berechtigt, weil die Unfallversicherung auf dem Gedanken der Entschädigung beruhe. Im Verhältnis der Rentenversicherungsregelung
zu der Regelung des Bundesversorgungsgesetzes sei es sachgerecht, daß dort die Grundrente ungekürzt bleibe, weil die Kriegsopferversorgung
dem Aufopferungsprinzip folge. Soweit im öffentlichen Dienstrecht eine Kumulierung beim Zusammentreffen von Ansprüchen aus
dem Beamtenverhältnis mit Ansprüchen der Rentenversicherung nicht ausgeschlossen sei, erkläre sich das daraus, daß das Waisengeld
vom Alimentationsprinzip geprägt sei.
Ein Vergleich der Vollwaisenrente mit der Summe zweier Halbwaisenrenten dürfe nur in der Weise angestellt werden, daß der
Kinderzuschuß nur bei einer Halbwaisenrente berücksichtigt werde. Dann aber sei die Vollwaisenrente immer höher als die Summe
beider Halbwaisenrenten.
Art
3 Abs.
1 GG sei auch nicht deswegen verletzt, weil für die Halbwaise, deren noch lebender Elternteil Rente beziehe, zwei Kinderzuschüsse
gezahlt würden. Tatsächlich erhalte die Halbwaise nämlich nur einen Kinderzuschuß. Der andere Kinderzuschuß stehe dem versicherten
Rentner zu und habe die Zielsetzung, ihm die Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtung zu erleichtern. Diese Leistung sei unvergleichbar
mit der der Vollwaise gewährten Vollwaisenrente.
2. Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hält die beanstandete Bestimmung für verfassungsmäßig. Ein im Hinblick auf Art
3 Abs.
1 GG rechtlich relevanter Vergleich mit Kumulierungen, die Bezüge aus anderen Bereichen als der Rentenversicherung betreffen,
müsse von vornherein ausscheiden, weil Einzelregelungen aus verschieden strukturierten Regelungsbereichen einander nicht isoliert
gegenübergestellt werden dürften.
Auch wenn man sich auf die Wertung der Sachverhalte innerhalb des Regelungssystems der gesetzlichen Rentenversicherung beschränke,
sei Art
3 Abs.
1 GG nicht verletzt. Es sei verfassungsrechtlich nicht geboten, zwei Leistungen, von denen jede allein den Verlust an Unterhalt
von beiden Elternteilen voll ersetzen solle, aus beiden Versicherungen zu gewähren.
Bei dem vom Landessozialgericht herangezogenen Vergleich, nach dem ein Kinderzuschuß an die Halbwaise, ein anderer als Kinderzuschuß
zur Rente an den überlebenden Elternteil gezahlt werde, handele es sich um eine atypische Fallgestaltung. Nur wenn man diese
Gruppe aus dem Gesamtsystem der Waisenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung herauslöse, könne man überhaupt von
einer gewissen Ungleichbehandlung sprechen. Jedoch summierten sich auch dann nicht in der Person des Kindes zwei Kinderzuschüsse,
sondern der eine Kinderzuschuß stehe nur dem überlebenden Elternteil zu.
B.
Der Ausschluß von Kumulierungen von Waisenrenten für Vollwaisen, deren verstorbene Eltern rentenversichert waren, ist mit
Art
3 Abs.
1 GG vereinbar.
I.
Die Fürsorge für Hilfsbedürftige gehört zu den selbstverständlichen Verpflichtungen eines Sozialstaates (vgl BVerfGE 35, 202 (236); 40, 121 (133)). Dies schließt die Verpflichtung ein, jugendlichen Waisen, die sich nicht selbst unterhalten können,
Hilfe zu leisten. Dabei wird eine Vollwaise eher der Fürsorge bedürfen als die Halbwaise, deren überlebender Elternteil in
persönlicher und finanzieller Hinsicht für sein Kind eintreten kann.
Die Entscheidung darüber, wie den Waisen Schutz zu gewähren ist, obliegt dem Gesetzgeber, dem die Verfassung einen Spielraum
für seine Gestaltung beläßt. Grundsätzlich gewährt er den Kindern von Eltern, die bei Lebzeiten soziale Leistungen erhielten
oder als Beamte alimentiert wurden, finanzielle Unterstützungen. Dabei berücksichtigt der Gesetzgeber in der Regel auch das
gegenüber der Halbwaise höhere Schutzbedürfnis der Vollwaise hinreichend dadurch, daß er für sie höhere finanzielle Zuwendungen
vorsieht. Im einzelnen mag es dabei Regelungen geben, die nicht zu in jeder Hinsicht befriedigenden Ergebnissen führen. Eine
derartige Vorschrift sieht der Vorlagebeschluß in § 1280 Abs. 2
RVO. Diese Bestimmung besagt, daß beim Zusammentreffen mehrerer Waisenrenten die niedrigere Rente ruht. Sie schließt aber praktisch
beim Tode beider versicherten Eltern den Anspruch der Vollwaise auf eine der beiden Waisenrenten auf Dauer aus.
II.
Der Auffassung des vorlegenden Gerichts, der Gesetzgeber habe bei dieser Vorschrift in einer dem Gleichheitssatz widersprechenden
Weise die höhere Schutzbedürftigkeit der Vollwaise gegenüber der Halbwaise verkannt, kann nicht gefolgt werden.
1. Die Regelung des § 1280 Abs. 2
RVO hat allerdings oft zur Folge, daß die finanziellen Ansprüche, die einer Vollwaise zustehen, deren beide Elternteile rentenversichert
waren, geringer sind als die Ansprüche einer Vollwaise, bei der nur ein Elternteil rentenversichert war, während für den Verlust
des anderen Elternteils ein anderer Leistungsträger zur Zahlung von Waisenrente oder Waisengeld verpflichtet ist. Derartige
Ungleichheiten ergeben sich im Verhältnis der Vorschriften der Rentenversicherung zu den entsprechenden Regelungen im Bereich
der gesetzlichen Unfallversicherung, des Versorgungsrechts und des Beamtenrechts. In diesen Bereichen bestehen zwar auch Vorschriften
wie § 1279 Abs. 4
RVO, §§ 47, 33 BVG, § 160a BBG, § 85a BRRG, die ausschließen, daß Waisen neben der Waisenrente aus der Rentenversicherung eine weitere volle Waisenrente erhalten. Es
gibt dort jedoch keine Regelungen, die in so absoluter Weise, wie das in § 1280 Abs. 2
RVO geschieht, beim Zusammentreffen mehrerer Waisenrenten nur den Bezug der höheren Waisenrente zulassen.
Diese Ungleichheit im Verhältnis der verschiedenen Sachbereiche zueinander verletzt nicht den Art
3 Abs.
1 GG. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält der allgemeine Gleichheitssatz kein verfassungsrechtliches
Gebot, ähnliche Sachverhalte in verschiedenen Ordnungsbereichen mit anderen systematischen und sozial-geschichtlichen Zusammenhängen
gleich zu regeln (vgl BVerfGE 40, 121 (139f) mit weiteren Nachweisen).
Daran ist auch angesichts der verschiedenartigen Regelungen über die Auswirkungen von Kumulierung von Waisenrenten festzuhalten.
Besonders auffallend ist allerdings, daß die Kumulierungsregelungen innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherungen sich von
der Regelung des § 1279 Abs. 4
RVO für den Fall des Zusammentreffens von Waisenrenten aus der Rentenversicherung und Unfallversicherung unterscheiden. Beide
Sachbereiche sind Teil des Systems der gesetzlichen Sozialversicherung, so daß eine gleichartige Regelung naheliegen mag.
Verfassungsrechtlich erscheint die verschiedenartige Regelung noch hinnehmbar, weil die Hinterbliebenenrente aus der Unfallversicherung
nicht nur dem Ersatz für Unterhalt dient, sondern auch das Ziel der Entschädigung hat.
Die beim Zusammentreffen mehrerer Waisenrenten noch günstigere Regelung im Verhältnis des Versorgungsrechts zur Rentenversicherung
trägt in einer nach Art
3 Abs.
1 GG nicht zu beanstandenden Weise dem Umstand Rechnung, daß bei der Kriegsopferversorgung der Gedanke der Aufopferung besondere
Vergünstigungen rechtfertigen kann.
Auf die Dauer vermögen diese verschiedenartigen Regelungen über die Kumulierung von Waisenrenten im Bereich von Sozialleistungen
nicht voll zu überzeugen. Die nach der Rentenversicherung und der Unfallversicherung geleisteten Waisenrenten, aber auch die
entsprechenden Renten der Kriegsopferversorgung (vgl BVerfGE 17, 38 (45f); 29, 57 (66); 40, 121 (139)) haben als Ersatz von Unterhalt für die bezugsberechtigten Waisen jeweils die gleiche Funktion.
Für die Betroffenen wird daher die sehr verschiedene Auswirkung der jeweiligen Regelung auf ihre Ansprüche schwerlich verständlich
sein.
Das gilt auch, soweit im öffentlichen Dienstrecht Kumulierungen von Waisengeldern mit Waisenrenten aus der Rentenversicherung
zulässig sind. Die verschiedene Behandlung einer Waise eines Sozialversicherten und eines Beamten ist zwar noch verfassungsrechtlich
hingenommen worden, weil beide Regelungen wegen der besonderen Zweckbestimmung und Grundlage der beamtenrechtlichen Versorgung
nicht vergleichbar sind (vgl BVerfGE 21, 329 (349, 352f); 39, 169 (185); 40, 121 (139)). Indessen bleibt es bei der Frage, inwieweit Waisenrenten oder Waisengelder kumuliert
werden dürfen, nicht einsehbar, warum der Alimentationsgedanke des Beamtenrechts insoweit zu derart anderen Ergebnissen führt
als der Gedanke des Rentenrechts, nach dem die Waisenrente einen Ausgleich für den Fortfall von Unterhalt bieten soll. Vor
allem scheint diese Regelung wenig überzeugend, wenn beide Eltern Angehörige des öffentlichen Dienstes waren. Im Falle ihres
Todes können dann infolge der unterschiedlichen Kumulierungsregelungen die Ansprüche der Waisen erheblich voneinander abweichen,
je nachdem ob beide Elternteile rentenversicherte Angestellte oder beide Beamte waren oder ob einer Beamter, der andere aber
Angestellter war.
Soweit sich aus derartigen Überlegungen die sozialpolitische Zielsetzung ergibt, ähnlichen Zwecken dienende soziale Leistungen
zu vereinheitlichen, ist es angesichts der Verzweigtheit und Vielgestaltigkeit der historisch ohne einheitlichen Plan gewachsenen
Regelungen grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen, in welcher Zeitfolge er die gebotenen Änderungen auf den verschiedenen
Einzelgebieten vornehmen will (vgl BVerfGE 40, 121 (140)). Indessen sollte der Gesetzgeber diese Aufgabe jedenfalls in den Teilbereichen innerhalb vertretbarer Zeiträume lösen,
in denen damit zu rechnen ist, daß das ohne erhebliche Eingriffe in die Systematik verschiedener Regelungsbereiche und ohne
nennenswerte finanzielle Auswirkungen gelingen kann. Ersichtlich gehören die Rechtsvorschriften, die die Rechtsfolgen des
Zusammentreffens mehrerer Waisenrenten regeln, zu diesen Bereichen.
2. Das vorlegende Gericht hält die Vorschrift des § 1280 Abs. 2
RVO auch insoweit mit Art
3 Abs.
1 GG für unvereinbar, als danach eine einer Vollwaise zustehende Waisenrente auch dann in vollem Umfang ruht, wenn die Summe der
Halbwaisenrenten höher wäre als die höchste Vollwaisenrente. Damit vergleicht der Vorlagebeschluß die tatsächliche gesetzliche
Regelung über die Gewährung einer Vollwaisenrente mit einer gedachten, vom Gesetzgeber aber nicht getroffenen Regelung der
Kumulierung zweier Ansprüche auf Halbwaisenrente. Das Gesetz kennt in § 1269 Abs. 1
RVO zwar die Gewährung von Vollwaisenrenten und von Halbwaisenrenten, jedoch hat eine Vollwaise in keinem Fall Anspruch auf den
Bezug von zwei zusammenzurechnenden Halbwaisenrenten.
Der Gesetzgeber trägt vielmehr dem typischen erhöhten Bedarf einer Vollwaise dadurch Rechnung, daß er neben dem einen Zehntel
der nach § 1253 Abs. 2
RVO berechneten Rente und dem Kinderzuschuß - also den Leistungen, die die Halbwaise erhält - ein weiteres Zehntel der Ausgangsrente
gewährt. Das geschieht ohne Rücksicht darauf, ob nur ein Elternteil oder ob beide Eltern der Vollwaise rentenversichert waren.
Denkbar wäre auch ein anderes System. Man könnte in Fällen, in denen beide verstorbenen Elternteile der Rentenversicherung
angehörten, der Halbwaise zwei Halbwaisenrenten aus beiden Versicherungsverhältnissen gewähren.
Ob eine Kumulierung von Halbwaisenrenten, die aus den Versicherungsverhältnissen beider Eltern berechnet wurden, unter dem
Gesichtspunkt des Versicherungsgedankens systemgerechter als die gesetzliche Lösung wäre, kann indessen dahingestellt bleiben.
Der Vergleich bestehender gesetzlicher Vorschriften mit einer nur denkbaren Regelung ist von vornherein ungeeignet, zu der
Feststellung einer Verletzung des Gleichheitssatzes des Art
3 Abs.
1 GG zu führen.
Davon abgesehen beruht das System der sozialen Rentenversicherung nicht nur auf dem versicherungsrechtlichen, sondern deutlich
auch auf dem fürsorgerischen Prinzip (vgl BVerfGE 17, 1 (8f)). Das gilt vor allem auch in den Bereichen, in denen die Rentenversicherung Leistungen nicht nur an den Versicherten
selbst, sondern an seine nichtversicherten Hinterbliebenen erbringt. Das ist besonders deutlich bei den Waisenrenten, deren
Höhe nur noch teilweise vom konkreten Versicherungsverlauf des Verstorbenen abhängt. Die Berechnung der Waisenrente unter
Einbeziehung der festen Rechnungsgröße "Kinderzuschuß" führt zu einer Angleichung der Waisenrenten untereinander und zu einer
Annäherung an die allgemeine Bemessungsgrundlage (§ 1262 Abs. 4
RVO). Diese Abkehr vom Versicherungsgedanken ist vom Gesetzgeber im Jahre 1957 gewollt gewesen und hatte im ursprünglichen Entwurf
zu § 1273
RVO (dem späteren § 1269
RVO) noch deutlicher Ausdruck gefunden: Es war beabsichtigt, die Waisenrenten in einheitlicher Höhe festzusetzen (vgl Bundestagsdrucksache
II/2437 S 18 und 77). Wenn sich der Gesetzgeber in einem solchen System entschließt, unter Vernachlässigung versicherungsrechtlicher
Grundsätze den erhöhten Bedarf einer Vollwaise durch Aufstockung des Rentenanteils nur der höchsten Rente zu berücksichtigen,
so kann das nicht beanstandet werden. Das gilt vor allem, weil diese gesetzliche Regelung die sozialpolitisch sinnvolle Folge
hat, daß Vollwaisen auch dann, wenn Rentenansprüche nur nach einem der verstorbenen Elternteile bestanden haben, hinreichend
abgesichert sind.
Im übrigen müßte bei dem gedanklichen Vergleich, den das vorlegende Gericht angeregt hat, auch berücksichtigt werden, daß
bei einer dem Versicherungsgedanken näherkommenden Kumulierung zweier Halbwaisenrenten der Gesetzgeber kaum beide jeweils
mit einem Kinderzuschuß ausgestattet hätte. Das ist vor allem deswegen zweifelhaft, weil der Kinderzuschuß als Sockelbetrag
die Funktion hat, eine Mindesthöhe der Waisenrente zu garantieren. Es kann daher nicht unterstellt werden, daß er für ein
und dasselbe Kind zweimal angerechnet werden müßte. Würde aber nur ein Kinderzuschuß gewährt, so hätte das zur Folge, daß
die zusammengerechneten Halbwaisenrenten nicht höher sein könnten als die Vollwaisenrente. Damit bestünde die vom vorlegenden
Gericht angenommene Ungleichheit nicht.
3. Wenn das Landessozialgericht zur Begründung seiner Bedenken schließlich darauf hinweist, daß in einer besonderen Fallkonstellation
zugunsten einer Halbwaise im Ergebnis mehr gezahlt wird als an eine Vollwaise, so übersieht es eine wesentliche Verschiedenheit.
Die Vollwaisenrente, die aufgrund der gleichen Versicherungsrente berechnet wird, ist immer höher als eine Halbwaisenrente.
Der Fall, den das vorlegende Gericht meint, tritt daher nur dann ein, wenn der überlebende Elternteil eine Rente aus eigener
Versicherung mit einem Kinderzuschuß erhält. Wenn dann dieser Kinderzuschuß höher ist als das an die Vollwaise zusätzlich
gezahlte Zehntel der höheren Versichertenrente, so ist der Betrag, der unmittelbar an die Halbwaisen und mittelbar für ihren
Unterhalt an den überlebenden Elternteil gezahlt wird, insgesamt höher als die jeweilige Vollwaisenrente. Dabei wird jedoch
nicht der gesetzliche Anspruch einer Halbwaise und Vollwaise miteinander verglichen, sondern der Anspruch einer Vollwaise
den beiden Ansprüchen gegenübergestellt, die die Halbwaise als Unterhaltsersatz und der überlebende Elternteil als Teil seiner
dem Lohnersatz dienenden Rente erhält. Der Kinderzuschuß, den der Versicherte neben seiner Rente erhält, unterscheidet sich
in dieser Funktion auch nicht von dem Kindergeld, das dem überlebenden Elternteil, bevor dieser Rente bezieht, zukommt. Dies
verdeutlicht, daß es insoweit von vornherein an der Vergleichbarkeit fehlt (vgl BVerfGE 40, 121 (141)).
Eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung ist auch dann nicht geboten, wenn berücksichtigt wird, daß der Kinderzuschuß
zur Rente wirtschaftlich für den Unterhalt der Halbwaise bestimmt ist und daß demgemäß in dem genannten Fall für die mehr
schutzbedürftige Vollwaise scheinbar weniger zur Verfügung steht als für die Halbwaise. Eine Gesamtbetrachtung ergibt, daß
die Regelungen zwar entsprechend der Verschiedenheit der Lebenslagen der Betroffenen verschieden sind, daß aber im Ergebnis
keine Schlechterstellung festzustellen ist.
In den Fällen, in denen ein Kind einen Elternteil durch den Tod verliert, kann der Gesetzgeber in der ihm bei der Regelung
von Massenerscheinungen erlaubten Typisierung (vgl BVerfGE 13, 230 (236); 17, 1 (11)) davon ausgehen, daß hierdurch die bisherigen Lebensverhältnisse der Halbwaise nicht grundlegend verändert
werden. Es dient dann aber in sinnvoller Weise der Möglichkeit, diese Lebensverhältnisse aufrechtzuerhalten, wenn die Halbwaise
als Ersatz für den fortgefallenen Unterhaltsanspruch gegenüber dem verstorbenen Elternteil eine Halbwaisenrente erhält, während
der überlebende Elternteil dadurch, daß zu seiner Rente ein Kinderzuschuß gezahlt wird, besser in die Lage versetzt wird,
seinen Unterhaltsbeitrag weiter zu leisten.
Wenn ein Kind beide Elternteile verliert, ist die Situation eine andere. Dieser Fall kommt zunächst erheblich seltener vor.
So wurden zB im Jahre 1975 aus der gesetzlichen Rentenversicherung zwar 455.000 Halbwaisenrenten, aber nur 14.000 Vollwaisenrenten
bezahlt (Rentenanpassungsbericht 1976, BTDrucks 7/4250 S 25). Diese - allerdings immer noch zahlenmäßig ins Gewicht fallenden
- Fälle verschließen sich einer so weit gehenden Typisierung, wie sie bei der Bestimmung der finanziellen Leistungen an Halbwaisen
möglich erscheint. Bei Vollwaisen muß davon ausgegangen werden, daß der Tod beider Eltern für sie in der Regel eine grundlegende
Veränderung ihrer Lebensverhältnisse bedeutet. Ihr weiterer Lebensweg wird dadurch bestimmt, ob sie zu Pflegeeltern oder in
ein Heim kommen oder ob sie ihrem Alter nach schon ihr Leben selbständig führen können. Es liegt dabei im Ermessen des Gesetzgebers,
ob er der ihm gegenüber der Vollwaise obliegenden Schutzpflicht durch einen weiteren Ausbau abgeleiteter Ansprüche aus der
Sozialversicherung Rechnung trägt oder anderen sozialen Leistungen den Vorzug gibt (vgl BVerfGE 40, 121 (138)). Im Rahmen des gegliederten Sozialleistungssystems gibt es auch für Vollwaisen neben ihrer Rente hinreichende Hilfsmöglichkeiten,
die es ausschließen, in dem im Vorlagebeschluß genannten Fall auf eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung
der Vollwaise zu schließen. Diese Hilfsmöglichkeiten tragen oft den besonderen Verhältnissen der Vollwaise sogar besser Rechnung,
als eine pauschale Erhöhung der allgemeinen Rente es könnte. Sofern einer Vollwaise von einem Dritten Unterhalt gewährt wird,
stehen diesem Kindergeld nach den §§ 1, 2
BKGG und, wenn er Rentner ist, Kinderzuschuß nach § 1262 Abs. 2
RVO zu. Befindet sich die Vollwaise in einer Ausbildung, wird sie in der Regel Ansprüche nach § 31 BSHG, dem Berufsausbildungsförderungsgesetz oder nach dem Arbeitsförderungsgesetz haben. In anderen Fällen des besonderen Bedarfs, zB bei einer notwendigen Heimunterbringung einer Vollwaise, werden sich
meist Ansprüche aus dem Bundessozialhilfegesetz ergeben, deren Höhe oft jede denkbare allgemeine Besserstellung einer Vollwaise aus der Rentenversicherung übertreffen wird.