Gründe:
I. Die 1921 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Witwe des am 24.3.1995 in Hannover im Alter von 80 Jahren verstorbenen
Antragstellers zu 2).
Sie leidet nach den Feststellungen ihres behandelnden Hausarztes u.a. an und bedarf infolgedessen der stationären Heimpflege.
Am 21. März 1994 beantragten die in einer eigenen Wohnung in der Landeshauptstadt Dresden wohnhaften Antragsteller beim Senioren-
und Pflegeheim in Hannover ihre Aufnahme. Der tägliche Pflegesatz für den Antragsteller betrug ca. DM 153,00, für die Antragstellerin
ca. DM 119,00.
Am 24.3.1994 beantragten die Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Übernahme der bei Aufnahme in dieses Heim entstehenden
Kosten. Daraufhin stellte der Sozialdienst des Sozialamtes der Antragsgegnerin am 29.3.1994 fest, daß die Antragsteller schwer
pflegebedürftig seien und deshalb Heimunterbringung notwendig sei.
Mit Bescheid vom 30.3.1994 lehnte die Antragsgegnerin die beantragte Kostenübernahme ab. Hierin heißt es u.a., daß nach den
im Verfahren eingeholten fachärztlichen und fachbehördlichen Stellungnahmen stationäre Pflegebedürftigkeit der Antragsteller
gegeben sei. Diesen sei es jedoch zuzumuten, die Kosten ihrer Heimunterbringung zunächst durch Einsatz ihres Vermögens zu
bestreiten. Der durch den Aufenthalt der Antragsteller in Hannover entstehende Aufwand liege um monatlich 30% über dem im
Freistaat Sachsen. Da das Wunschrecht des Hilfesuchenden in § 3 Abs. 2
BSHG seine Grenze dort finde, wo seine Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei, werde der Heimunterbringung
der Antragsteller in Hannover nicht zugestimmt; eine Kostenübernahme erfolge somit nicht.
Ungeachtet dessen zogen die Antragsteller am 25.4.1994 im Heim in Hannover ein.
Im Mai 1994 teilte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit, daß ihre Unterbringung auch im Heim in Dresden möglich sei.
Der dortige Pflegesatz betrage täglich lediglich ca. DM 102,00. Die Antragsteller lehnten einen Ortswechsel ab.
Der Widerspruch der Antragsteller gegen den Bescheid vom 30.3.1994 hatte keinen Erfolg. Im Widerspruchsbescheid des Landeswohlfahrtsverbandes
Sachsen vom 9.8.1994 ist ausgeführt, daß den Antragstellern eine Heimunterbringung im Freistaat Sachsen angeboten worden sei.
Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten, welche durch die Heimunterbringung in den Altbundesländern entstünden, bestehe wegen
des Leistungsverweigerungsrechts in Anlage I Kapitel X, Sachgebiet H, Abschn. III Nr. 3 Buchstabe b zum Einigungsvertrag nicht.
Auch sei dem Kostenübernahmeanspruch der Antragsteller der Einwand unverhältnismäßiger Mehrkosten entgegenzuhalten.
Hiergegen richtet sich die von den Antragstellern am 26.8.1994 zum Verwaltungsgericht Dresden unter dem Aktenzeichen 6 K 1754/94 erhobene Verpflichtungsklage.
Die Antragsteller haben ferner am 21. Oktober 1994 beim Verwaltungsgericht Dresden um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
durch Übernahme der seit September bzw. Oktober 1994 nicht durch ihr Renteneinkommen gedeckten Kosten ihrer Heimunterbringung
in Hannover sowie die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nachgesucht. Sie meinen, daß die Heimunterbringung im Raum Dresden
ihnen nicht zuzumuten sei. Da ihr Sohn mit seiner Familie in Hannover lebe, seien sie dort familiär eingebunden, insbesondere
weil das Heim nur 800 m von der Wohnung ihres Sohnes entfernt sei. Die im Widerspruchsbescheid in Bezug genommene Anlage zum
Einigungsvertrag sei zudem verfassungswidrig.
Das Verwaltungsgericht lehnte die Anträge mit Beschluß vom 28.3.1995 ab und führte in den Gründen seiner Entscheidung im wesentlichen
aus, daß der Antragsgegnerin bezüglich des Wunsches der Antragsteller auf Heimunterbringung in Hannover ein Leistungsverweigerungsrecht
nach Anlage I Kapitel X, Sachgebiet H, Abschn. III Nr. 3 Buchstabe b zum Einigungsvertrag zustehe. Indem die Antragsgegnerin
Heimplätze für die Antragsteller in Dresden- nachgewiesen habe, habe sie auch die tatsächlichen Voraussetzungen für dieses
Leistungsverweigerungsrecht dargelegt.
Da die von den Antragstellern beabsichtigte Rechtsverfolgung mithin keine hinreichende Erfolgsaussicht biete, sei ihnen auch
Prozeßkostenhilfe nicht zu gewähren.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, am 4.5.1995 eingelegte Beschwerde mit dem sinngemäßen Antrag, unter
Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Dresden vom 28.3.1995 die Antragsgegnerin zu verpflichten, die ungedeckten
Kosten der Unterbringung der Antragsteller im Senioren- und Pflegeheim in Hannover vorläufig ab September bzw. Oktober 1994
zu übernehmen sowie den Antragstellern Prozeßkostenhilfe für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Verwaltungsgerichts für richtig und trägt ergänzend vor, daß für die Antragstellerin auch jetzt
noch ein Heimplatz in Dresden-, zur Verfügung stehe. Der Pflegesatz betrage seit 1.10.1994 täglich DM 103,82.
Dem Senat liegt der zur Sache gehörende Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin sowie die Prozeßakte des Verwaltungsgerichts
Dresden - 6 K 2295/94 - vor. Dort finden sich auch die eidesstattlichen Erklärungen der Antragsteller und ihres Sohnes jeweils vom 25.8.1994. Wegen
der Einzelheiten wird auf sie und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II. Die Beschwerde hat im Umfang der Tenorierung Erfolg.
1. Das Verfahren des Antragstellers ist abzutrennen (§
93
VwGO), nachdem dieser am 24.3.1995 noch vor Erlaß der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung verstorben und auch die Erbfolge nach
ihm bislang ungeklärt ist.
2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und auch teilweise begründet.
Nach Auffassung des Senats hat die Antragstellerin einen Sachverhalt glaubhaft gemacht, aufgrund dessen ihr ab Zustellung
dieser Entscheidung Fürsorgeleistungen in der in der Entscheidungsformel genannten Höhe als Hilfe zur Pflege nach § 68 Abs. 1 Satz 1 BSHG zustehen.
2.1. Der einstweilige Rechtsschutzantrag der Antragstellerin ist in diesem Umfang zulässig.
Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach §
123 Abs.
1 Satz 2
VwGO ist nur dann zulässig, wenn ein Rechtsschutzbedürfnis für eine vorläufige Regelung besteht.
Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis wäre dann nicht gegeben, wenn die Antragstellerin im Verfahren nach §
123
VwGO Leistungen begehrte, die sie mit einer Hauptsacheklage nicht erreichen könnte (vgl. Kopp,
VwGO, 10. Aufl., §
123 RdNR. 11).
Im vorliegenden Fall ist ein Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin an dem Erlaß einer einstweiligen Anordnung auch für
die Zeit ab Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung gegeben, obwohl die von ihr am 26.8.1994 zum Verwaltungsgericht Dresden
erhobene Verpflichtungsklage nur insoweit zulässig ist, als mit ihr Sozialhilfeleistungen bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides
vom 9.8.1994 erstrebt werden, nachdem die Antragsgegnerin eine Hilfegewährung nur dem Grunde nach und damit ohne Aussage zu
einem Hilfezeitraum abgelehnt hat.
Wie das Bundesverwaltungsgericht wiederholt (vgl. u.a. Urt. v. 30.4.1992 - 5 C 1.88, DVBl.1992, 1482) ausgeführt hat kann der Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger
Weise zum Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemacht werden, in dem der Träger der Sozialhilfe - die Antragsgegnerin
- den Hilfefall geregelt hat. Dies ist grundsätzlich nur die Zeit bis zur Erteilung des Widerspruchsbescheides.
Wenngleich die Antragstellerin mit ihrer zum Verwaltungsgericht Dresden erhobenen Verpflichtungsklage Ansprüche auf Fürsorgeunterstützung
für die gesamte Zeit danach mithin nicht verfolgen kann, steht dies der Zulässigkeit ihres Antrags auf Erlaß einer einstweiligen
Anordnung nicht entgegen, auch soweit dieser sich auf Zeiträume nach Erlaß des Widerspruchsbescheides erstreckt. Denn die
Antragstellerin hat die Möglichkeit, ihre etwaigen Sozialhilfeansprüche für diesen Zeitraum durch eine weitere Hauptsacheklage
beim Verwaltungsgericht geltend zu machen.
Zwar kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, daß die Antragstellerin hinsichtlich ihrer vermeintlichen Ansprüche für
diesen Zeitraum einen Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt hat. Ebensowenig läßt sich sagen, daß diese hierüber einen ablehnenden
Verwaltungsakt mit der Folge erlassen hat, daß die Antragstellerin zur Erhebung einer Verpflichtungsklage berechtigt wäre.
Der Anspruch auf Sozialhilfe ist jedoch nicht von einem Antrag des Hilfesuchenden abhängig (§ 5
BSHG). Die Sozialhilfe setzt vielmehr von Amts wegen ein.
Maßgebend für das Einsetzen der Sozialhilfe ist das Bekanntwerden ihrer Voraussetzungen bei dem zuständigen Sozialhilfeträger.
An der Tatsache, daß die Antragstellerin die Kosten ihrer Heimunterbringung aus vorhandenen bzw. ihr zufließenden Barmitteln
in voller Höhe nicht bestreiten kann, hat sich aber auch, in der Zeit nach Erlaß des Widerspruchsbescheides nichts geändert.
Dem Erlaß einer einstweiligen Regelungsanordnung nach §
123 Abs.
1 Satz 2
VwGO steht das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung nicht entgegen. Denn dieses Verbot endet dann,
wenn der Antragstellerin ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache wegen der damit verbundenen Nachteile nicht zugemutet
werden kann und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (vgl. Kopp, aaO. § 123
RdNr. 13). So liegt es hier.
Der Antragstellerin kann nicht zugemutet werden, jedenfalls bis zum Inkrafttreten der 3. Stufe ("stationäre Pflege") der Pflegeversicherung
am 1.7.1996 ohne Fürsorgeunterstützung der Antragsgegnerin auszukommen. Es ist zu Gunsten der Antragstellerin zu berücksichtigen,
daß sie sich bereits im vorgerückten Alter befindet und der Zeitpunkt eines rechtskräftigen Abschlusses eines späteren Hauptsacheverfahrens
völlig ungewiß ist. Zudem hat die Betreibergesellschaft bereits im August 1994 die Kündigung des Heimplatzes für den Fall
seiner weiterhin ungeklärten und damit ungesicherten Finanzierung angedroht. Hierin liegt ein wesentlicher Nachteil im Sinne
von §
123 Abs.
1 Satz 2
VwGO, der durch den Erlaß einer einstweiligen Anordnung abzuwenden ist, zumal nach Auffassung des erkennenden Senats die Antragstellerin
aus eigener Kraft hieran nichts zu ändern vermag und sie zum Erhalt ihres Heimplatzes auf jede Mark angewiesen ist.
2.2. Der Antrag der Antragstellerin ist auch im Umfang der Tenorierung begründet.
Dem Verwaltungsgericht ist zunächst darin zuzustimmen, daß die Antragsgegnerin für die begehrte Hilfeleistung örtlich und
sachlich zuständig ist. Die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin ergibt sich aus §§ 97 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4, 109
BSHG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des förderalen Konsolidierungsprogrammes vom 23. Juni 1993 (BGBl.
1 S. 944/950); die sachliche Zuständigkeit bestimmt sich gemäß § 99
BSHG i.V.m. §§ 2, 3 Abs. 1 lit. a, 5, 17 Abs. 2 SächsAGBSHG, § 1 Abs. 1 lit 1 Delegationsverordnung.
Nach § 5 Abs. 1 und 3
AGBSHG, § 1 Abs. 1 Satz 1 Delegationsverordnung entscheidet die Antragsgegnerin über die streitige Hilfegewährung im eigenen Namen und in eigener
Verantwortung.
Die Antragstellerin gehört zum Personenkreis der Behinderten nach § 68 Abs. 1 Satz 1 BSHG und bedarf deshalb der vollstationären Pflege. Dies wird durch die Feststellungen des behandelnden Hausarztes der Antragstellerin
Dr. vom 24.3.1994 bestätigt und auch nicht in Frage gestellt. Sind aber die gesetzlichen Voraussetzungen der Hilfe zur Pflege
erfüllt, so besteht auf sie ein Rechtsanspruch, § 4 Abs. 1 Satz 1 BSHG ("Ob" der Hilfeleistung).
Die Hilfeleistung ist im Fall der Antragstellerin zunächst nicht nach § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG, § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG eingeschränkt.
Nach § 3 Abs. 2
BSHG soll Wünschen des Hilfeempfängers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten ("Wie" der Hilfeleistung) entsprochen werden,
soweit sie angemessen sind und keine unverhältnismäßigen Mehrkosten verursachen. Wünschen des Hilfesuchenden, deren Erfüllung
mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre, braucht der Sozialhilfeträger nicht zu entsprechen. Nach § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG muß die Übernahme von Heimkosten auch dann, wenn ihnen keine Pflegesatzvereinbarung zugrunde liegt, den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit,
Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit Rechnung tragen.
Die Ablehnung des Kostenübernahmeanspruchs der Antragstellerin unter Berufung auf vorstehende Grundsätze kommt bereits deshalb
nicht in Betracht, weil die Antragstellerin eine Wahlmöglichkeit bezüglich ihrer Bedarfsdeckung jedenfalls jetzt nicht mehr
hat (vgl. hierzu BVerwG in NDV Heft 7/1995, 295 zu § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG a.F.; BVerwGE 94, 127 zu § 3 Abs. 2
BSHG a.F.; BVerwGE 94, 202 zu § 3 Abs. 2, § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG a.F.). Zur Überzeugung des Senats ist die persönliche Lebenssituation der Antragstellerin dadurch gekennzeichnet, daß sie
in Hannover seit nunmehr ca. 16 Monaten in ein soziales Beziehungsgeflecht eingebettet ist, dessen Auflösung ihr im Hinblick
auf den Verlust ihres Ehemannes, ihr vorgeschrittenes Alter sowie ihrer Hilflosigkeit wegen ihrer Behinderung nicht - mehr
- zugemutet werden kann. Dies verkennt die Antragsgegnerin, wenn sie der Antragstellerin noch jetzt das Heim in Dresden- allein
wegen der objektiven Geeignetheit seines Betreuungsangebotes als Alternative unterbreitet.
Dabei verkennt der Senat nicht, daß sich die hier zur Beurteilung stehende Lebenssituation der Antragstellerin allein deswegen
dergestalt verfestigen konnte, weil sich die Antragstellerin im Wege der "Selbsthilfe" über die Entscheidung der Antragsgegnerin
vom 30.3.1994 hinweggesetzt, das Rechtsmittelverfahren nicht abgewartet und deshalb vollendete Tatsachen geschaffen hat, welche
sie der Antragsgegnerin nun entgegensetzt. Denn der vorliegende Einzelfall ist - wie noch darzulegen sein wird - dadurch gekennzeichnet,
daß die Heimunterbringung der Antragstellerin in Hannover jedenfalls nicht mit unvertretbaren Mehrkosten verbunden ist, weil
sie nur denjenigen Kostenbeitrag fordern kann, der auch bei einer Unterbringung in Dresden- aufgebracht werden müßte. Diesen
Anspruch der Antragstellerin auf Deckung ihres sozialhilferechtlich relevanten Bedarfs aus Mitteln der Sozialhilfe stellt
aber weder der Mehrkostenvorbehalt in § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG, noch § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG in Frage.
Die Antragsgegnerin ist nach Auffassung des Senats verpflichtet, die Kosten, die bei stationärer Unterbringung der Antragstellerin
im Heim in Dresden- von ihr zu übernehmen wären und auch übernommen würden, als angemessene Pflegekosten aus Mitteln der Sozialhilfe
vorläufig bis 30.6.1996 aufzubringen. Der Senat vermag sich den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, wonach die Antragstellerin
den Anspruch auf öffentliche Notfürsorge mit Übersiedlung in das Altbundesgebiet in voller Höhe verloren haben soll, nicht
anzuschließen.
Nach Art. 8 Einigungsvertrag i.V.m. dessen Anlage I Kapitel III, Sachgebiet H, Abschn. III Nr. 3 (BGBl. II 1990 S. 1095) ist
am 1.1.1991 in den Ländern des Beitrittsgebietes das BSHG der Bundesrepublik Deutschland mit Modifikationen in Kraft getreten.
Buchstabe b dieser sozialhilferechtlichen Maßgaberegelung lautet: "Gesetzliche Ansprüche sind von den Trägern der Sozialhilfe
nur insoweit zu erfüllen, als die im Einzelfall dafür erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen in dem in Art. 3 des
Vertrages genannten Gebiet vorhanden oder sonst mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erreichbar sind; die Verpflichtung
der Träger der Sozialhilfe, auf die Schaffung ausreichender sozialer Dienste und Einrichtungen hinzuwirken (§ 17 Abs. 1 Nr.
2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches), bleibt unberührt." Aus den Erläuterungen der Bundesregierung zu dieser Anlage
zum Einigungsvertrag (BT-Drs. 11/7817 S. 164 abgedruckt bei Stern/Schmidt-Bleibtreu, Einigungs- und Wahlvertrag 1990, S. 634),
worin es heißt: "Die Ausgangslage für die Überleitung des Leistungsrechts der Sozialhilfe ist gekennzeichnet durch ein niedrigeres
Einkommens - und dementsprechend niedrigeres Verbrauchsniveau sowie durch einen kurzfristig nicht zu behebenden Mangel an
sozialen Diensten und Einrichtungen. Dies gebietet und rechtfertigt es, die Erfüllung von Rechtsansprüchen unter den Vorbehalt
des Vorhandenseins oder sonst der Erreichbarkeit der im Einzelfall erforderlichen Dienste und Einrichtungen zu stellen sowie
Geldleistungen und Einkommensgrenzen zunächst noch abweichend vom Sozialhilferecht der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer
Berücksichtigung der allgemeinen Einkommenssituation in dem in Art. 3 des Vertrages genannten Gebiet zu bemessen und nach
dieser Maßgabe fortzuentwickeln." ergibt sich zur Überzeugung des Senats, daß die sozialhilferechtliche Maßgaberegelung des
Buchstaben b der Nummer 3 - wie die anschließenden in Anlage I Kapitel X, Sachgebiet H, Abschn. III, Nr. 3 Buchstaben c bis
g (z.B. Festsetzung des Regelsatzes für den Haushaltsvorstand auf DM 400,00, kein Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2
BSHG) - auf die schlechte Finanzsituation der Sozialhilfeträger in den Ländern des Beitrittsgebiets zugeschnitten ist und deren
(noch unbefristeten) finanziellen Schutz dient.
Bereits vor diesem Hintergrund begegnet die Auffassung des Verwaltungsgerichts über die Tragweite der Übergangsvorschrift
in Nr. 3 Buchstabe b Zweifeln. Mit seiner Rechtsmeinung setzt sich das Verwaltungsgericht nach Auffassung des Senats in Widerspruch
zur Auffassung der Bundesregierung, wonach die Sozialhilfeträger im Beitrittsgebiet mangels bereiter Mittel zwar finanziellen
Schutzes bedürfen, nicht aber von jeglicher Verantwortung und Inpflichtnahme freizustellen sind. Das Ergebnis des Verwaltungsgerichts
ergibt sich auch keineswegs zwingend aus dem Wortlaut der Anlage I Kapitel X, Sachgebiet H, Abschn. III, Nr. 3 Buchstabe b
zum Einigungsvertrag. Denn danach haben vielmehr auch Bürger der DDR, die am 1.1.1991 ihren Lebensmittelpunkt in der ehemaligen
DDR hatten, bei Vorliegen zumindest einer der dort genannten 2 Voraussetzungen den Anspruch auf öffentliche Notfürsorge aus
§ 4 Abs. 1 Satz 1 BSHG ("Gesetzliche Ansprüche sind... zu erfüllen."). Anlage I Kapitel X, Sachgebiet H, Abschn. III, Nr. 3 Buchstabe b zum Einigungsvertrag
betrifft also zunächst das "Ob" der Hilfeleistung. Sie regelt aber auch deren "Wie", indem sie den Erfüllungsanspruch des
Hilfesuchenden unter einen "soweit" Vorbehalt stellt und damit den nach Auffassung der Bundesregierung erforderlichen finanziellen
Schutz der Sozialhilfeträger im Beitrittsgebiet gesetzlich verbürgt.
Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, der Anspruch auf öffentliche Fürsorge unterliege bei Hilfesuchenden aus den neuen Bundesländern
einer räumlichen Beschränkung und gehe deshalb bei deren Übersiedlung in das Altbundesgebiet unter, dürfte möglicherweise
zudem gegen das Grundrecht der "Freizügigkeit" in Art.
11 Abs.
1
GG verstoßen. "Freizügigkeit" bedeutet das Recht, ungehindert an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz
zu nehmen und deshalb frei von Land zu Land, von Gemeinde zu Gemeinde innerhalb des Bundesgebietes ziehen zu können. Damit
ist aber die Freiheit vor staatlichen Eingriffen bei der Entscheidung für einen Aufenthalt bzw. einen Ortswechsel gewährleistet,
wozu auch Entscheidungen der Sozialbehörden wie die vorliegende gehören könnten.
Nach Überzeugung des Senats läßt die Grundrechtsgarantie der "Freizügigkeit" und deren Bedeutung in der freiheitlich verfaßten
Bundesrepublik Deutschland ein Verständnis des "soweit" - Vorbehalts in Anlage I Kapitel X, Sachgebiet H, Abschn. III, Nr.
3 Buchstabe b zum Einigungsvertrag im Sinne der Entscheidungsformel zu. Der nach dem Willen des Bundesgesetzgebers gebotene
finanzielle Schutz der Sozialhilfeträger im Beitrittsgebiet muß damit weder zurücktreten noch wird er - durch Übersiedlung
von Bürgern der ehemaligen DDR in das Altbundesgebiet - unterlaufen. Denn auch dann ist der Anspruch auf öffentliche Notfürsorge
nur im Umfang der im Beitrittsgebiet bestehenden Leistungspflicht durchsetzbar.
Mit diesem Verständnis begegnet die hier maßgebliche Anlage zum Einigungsvertrag auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen
Bedenken. Sie geht nach summarischer Prüfung insbesondere nicht über die durch den Freizügigkeitsgrundsatz gezogenen verfassungsrechtlichen
Grenzen hinaus; denn Art.
11 Abs.
1
GG gebietet weder die Freizügigkeit positiv zu fördern, noch verbietet er deren bloß mittelbare Beschränkung.
Bei Anlegung dieses Maßstabes ist der Antragstellerin für die von ihr in Hannover gewünschte Hilfe bis 30.6.1996 der Kostenbeitrag
zu gewähren, der von der Antragsgegnerin bei ihrer stationären Pflege in Dresden- nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BSHG hätte aufgebracht werden müssen.
Dem stehen auch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 20.10.1994 (NDV aaO.) nicht entgegen.
Dort hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG a. F. ermächtige den Sozialhilfeträger nicht, Heimkosten nur teilweise, also nur in der Höhe zu übernehmen, welche den dort
genannten Grundsätzen (noch) Rechnung trage. Der vorliegende Sachverhalt zeichnet sich gegenüber dem vom Bundesverwaltungsgericht
entschiedenen nämlich dadurch aus, daß "Ob" und "Wie" der Hilfegewährung von vornherein kraft Gesetzes beschränkt sind und
damit auch der Hilfeleistungsanspruch nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BSHG überhaupt nur im Umfang der einigungsvertraglichen Maßgaberegelung gewährleistet wird.
Die Befristung zum 30.6.1996 gebietet der Umstand, daß am 1.7.1996 die 3. Stufe der Pflegeversicherung ("stationäre Pflege")
in Kraft tritt.
Der Senat sieht im vorliegenden Einzelfall von einer kürzeren Befristung ab, da es der Antragsgegnerin zumutbar ist, bei wesentlichen
Änderungen des dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts einen Abänderungsantrag zu stellen.
Im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens bedarf es keiner Entscheidung, ob die Antragstellerin in Höhe des damit wohl in jedem
Fall verbleibenden Fehlbetrages zumindest einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hat. Denn bei Ermessensentscheidungen
kommt der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nur in atypischen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich dann, wenn allein die
begehrte Entscheidung ermessensgerecht sein kann. Vor dem Hintergrund der einigungsvertraglichen Übergangsvorschrift spricht
auch unter Berücksichtigung der Gebrechlichkeit und der Familiensituation der Antragstellerin nichts für eine solche Ermessensreduzierung.
2.3. Soweit die Antragstellerin die vorläufige Übernahme auch der bis zum Zeitpunkt der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung
entstandenen Alt-Verbindlichkeiten erstrebt, ist ihr Antrag hingegen unbegründet. Denn insoweit fehlt es an einer gegenwärtigen
Notlage, deren Abwehr der Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung nach §
123 Abs.
1 Satz 2
VwGO allein zu dienen bestimmt sein muß. Ein Anordnungsgrund kann insbesondere auch nicht daraus hergeleitet werden, daß die Verbindlichkeiten
für die Antragstellerin ein unzumutbares Risiko darstellen würden. Denn auch bei Erlaß der einstweiligen Anordnung wäre die
Zahlungsverpflichtung der Antragsgegnerin nur eine vorläufige. Eine einstweilige Anordnung kann mithin nicht das Risiko ausschließen,
nur einen vorübergehenden Schuldnerwechsel zu bewirken, für den kein Anlaß im Sinne eines Anordnungsgrundes erkennbar ist.
3. Der Ausspruch über die Gewährung von Prozeßkostenhilfe folgt aus §
166
VwGO i.V.m. §§
114,
121 Abs.
2
ZPO.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
155 Abs.
1 Satz 1
VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§
188 Satz 2
VwGO).
Diese Entscheidung ist gemäß §
152 Abs.
2
VwGO unanfechtbar.