VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.1995 - 7 S 2981/94, FEVS 46, 372
Sozialhilferecht: Begriff des "besonderen Härtefalls"
»Zur Frage, wann ein besonderer Härtefall im Sinne von § 26 Satz 2 BSHG vorliegt (hier bejaht).«
Fundstellen: FEVS 46, 372, NVwZ-RR 1996, 399, VBlBW 1996, 74
Normenkette: BSHG § 26 S. 1, S. 2
Vorinstanzen: VG Karlsruhe 05.09.1994 2 K 2663/93
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Der Kläger begehrt laufende Leistungen der Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt.
Er studiert seit dem Wintersemester 90/91 Germanistik und Anglistik an der Universität Heidelberg und ist schwerbehindert.
Der Grad seiner Behinderung beträgt 100. Er leidet an einer Infantilen Cerebralparese mit erheblichen spastischen Lähmungen
sämtlicher Gliedmaßen. Er ist nur für kürzere Strecken gehfähig unter Zuhilfenahme von Unterarm-Gehstützen bei mangelhafter
Knie- und Hüftstreckung, Hüftadduktionshaltung und nach links geneigtem Beckenschiefstand. Für längere Strecken ist er auf
die Benutzung eines Haverich-Dreirads (bzw. ein umgerüstetes Kraftfahrzeug) angewiesen. Auch die Feinmotorik in den Händen
ist durch die Krankheit stark beeinträchtigt. Um den Vorlesungen folgen zu können, ist ihm die Benutzung eines Diktiergeräts
gestattet worden,
Bis zum 30.9.1992 hatte der Kläger Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bezogen. Am 19.5.1993 lehnte das Amt für Ausbildungsförderung die Gewährung von Ausbildungsförderung für den Zeitraum vom
1.4.1993 bis zum 31.3.1994 ab, weil der Kläger die erforderlichen Leistungsnachweise nicht vorgelegt habe. Mit Bescheid vom
28.6.1993 wurde außerdem die ab Sommersemester 1991 bis einschließlich Sommersemester 1992 gewährte Ausbildungsförderung zurückgefordert.
Gegen beide Bescheide wurden Rechtsmittel eingelegt; das Berufungsverfahren ist beim erkennenden Senat unter dem Az.: 7 S 734/95 anhängig.
Mit Bescheid vom 9.6.1993 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt
ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 9.9.1993 zurück, wobei zur Begründung ausgeführt
wurde, der Kläger sei Auszubildender, dessen Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach
förderungsfähig sei. Die von ihm beantragte Hilfe könne daher gem. § 26 Satz 1 BSHG nicht gewährt werden. Ein besonderer Härtefall i.S.d. § 26 Satz 2 BSHG liege nicht vor. Dem Kläger könne trotz Behinderung zugemutet werden, entweder während seiner Ausbildung einer Erwerbstätigkeit
nachzugehen oder notfalls die Ausbildung abzubrechen und seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit zu bestreiten.
Am 13.9.1993 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, seine schwere
Behinderung mache es ihm unmöglich, parallel zur Ausbildung seinen Lebensunterhalt durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu
sichern. Ferner komme auch der Abbruch seiner Ausbildung und die ausschließliche Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht in
Betracht, weil er als Schwerbehinderter ohne fachliche Qualifikation keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe.
Der Kläger hat (sinngemäß) beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 9.6.1993 und dessen Widerspruchsbescheid vom 9.9.1995 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten,
dem Kläger ab Mai 1993 Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe bis September 1993 zu gewähren.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen.
Durch Gerichtsbescheid vom 5.9.1994 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt:
Zwar sei der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 26 Satz 1 BSHG grundsätzlich ausgeschlossen, weil sein Universitätsstudium im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sei und er Leistungen nach diesem Gesetz nur deswegen nicht beziehe, weil er die zur Förderung
erforderlichen Leistungsnachweise nicht habe vorlegen können. Das Sozialhilferecht solle nämlich in aller Regel nicht dazu
dienen, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung
zu ermöglichen. Der Anspruch des Klägers auf die begehrte Hilfe ergebe sich aber aus § 26 Satz 2 BSHG, weil ein besonderer Härtefall vorliege. Nach Wortlaut, Zweck und Gesetzessystematik enthalte Satz 2 des § 26 BSHG eine Ausnahme vom Regeltatbestand in Satz 1, deren Reichweite aus der Gegenüberstellung zur Regelvorschrift zu bestimmen
sei. Eine besondere Härte bestehe deshalb nur, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig
mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden
sei. Hilfebedürftige, die eine Ausbildung der in § 26 Satz 1 BSHG genannten Art betrieben und nach den dafür vorgesehenen Leistungsgesetzen nicht mehr gefördert würden, seien in der Regel
gehalten, von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen, um für die Dauer der Hilfebedürftigkeit den Ausschluß
von der Hilfe zum Lebensunterhalt abzuwenden. Ein besonderer Härtefall i.S.v. § 26 Satz 2 BSHG liege erst dann vor, wenn im Einzelfall Umstände hinzuträten, die einen Ausschluß von der Ausbildungsförderung durch Hilfe
zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung
freizuhalten, als übermäßig hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheinen ließen. Dementsprechend könne
von dem Auszubildenden grundsätzlich zunächst verlangt werden, die Ausbildung abzubrechen und seinen notwendigen Lebensunterhalt
durch die Aufnahme einer möglichen und zumutbaren Erwerbstätigkeit zu sichern. Der Maßstab für die Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit
ergebe sich insbesondere aus § 18 Abs. 3 Satz 1 BSHG. Danach dürfe dem Hilfesuchenden eine Arbeit oder eine Arbeitsgelegenheit nicht zugemutet werden, wenn er körperlich oder
geistig hierzu nicht in der Lage sei oder wenn ihm die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Tätigkeit wesentlich
erschwert würde oder wenn der Arbeit oder Arbeitsgelegenheit ein sonstiger wichtiger Grund entgegenstehe. Aufgrund der Art
der Behinderung des Klägers bestünden keine Zweifel darüber, daß er nicht in der Lage sei, eine körperliche Arbeit zu verrichten.
Es könne ihm aber auch nicht die Aufnahme einer sogenannten geistigen Erwerbstätigkeit zugemutet werden. Eine abgeschlossene
Berufsausbildung habe er nicht, so daß sein Einsatz als qualifizierte Arbeitskraft ausscheide. Möglich bleibe somit nur die
Tätigkeit in einer untergeordneten Stellung, die der Kläger durch eine rein intellektuelle Arbeit ausfüllen könnte. Aber auch
in diesem Betätigungsfeld erscheine die Chance, einen zumutbaren Arbeitsplatz zu finden, eher gering. Das ergebe sich insbesondere
aus der Tatsache, daß er nur unter Zuhilfenahme entsprechender Hilfsmittel, wie z.B. einem Diktiergerät, in der Lage sei,
seine Gedanken in einer angemessenen Zeit schriftlich zu fixieren. Das bedeute für den Arbeitgeber zusätzlichen Aufwand, weil
er dafür Sorge tragen müsse, daß die gesprochenen Worte des Klägers vom Tonband auf Papier übertragen würden. Auch die bloße
Verteilerarbeit, z.B. das Einordnen von Schriftstücken und Dokumenten oder die Arbeit an einem Computer oder an einer Telefonanlage,
könnten vom Kläger aufgrund seiner Motorikstörungen in den Händen nicht bewältigt werden. Darüber hinaus sei der Kläger auf
einen behindertengerechten Arbeitsplatz angewiesen. Insbesondere das Vorhandensein eines Fahrstuhls und eines Behinderten-WC
stellten unerläßliche Arbeitsbedingungen dar. Während man davon ausgehen könne, daß ein Arbeitgeber den oben aufgezeigten
Mehraufwand bei der Beschäftigung eines beruflich qualifizierten und durch eine Fachausbildung ausgewiesenen Schwerbehinderten
zu tragen bereit sein werde, so liege diese Möglichkeit in den Fällen fern, in denen lediglich untergeordnete Dienste von
dem Behinderten zu leisten seien. Aus alledem ergebe sich, daß der Kläger ohne Gewährung der beantragten Hilfe zum Lebensunterhalt
in eine existenzbedrohende Notlage geriete, weil er auch nach Aufgabe seines Studiums nicht in der Lage wäre, eine Arbeit
aufzunehmen. Aus den zwischenzeitlich vom Kläger vorgelegten Zeugnissen und Bescheinigungen der Universität ergebe sich, daß
der Kläger mittlerweile wieder erfolgreich am Studium teilnehme und mit seinem Hochschulabschluß in Kürze zu rechnen sei.
Als übermäßig hart und in hohem Maße unbillig erscheine es dem Gericht, dem körperlich schwerbehinderten Kläger aufgrund einer
auf familiären bzw. gesundheitlichen Gründen basierenden vorübergehenden Vernachlässigung des Studiums die Möglichkeit zu
nehmen, seine Ausbildung zum Ende zu bringen, die ihn zukünftig in die Lage versetzen werde, trotz seiner Behinderung gleichberechtigt
am (Arbeits-)Leben teilnehmen zu können.
Gegen den ihm am 19.9.1994 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 17.10.1994 Berufung eingelegt, zu deren Begründung
er vorträgt: Da ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 26 Satz 1 BSHG auch dann ausgeschlossen sei, wenn der Hilfesuchende - betriebe er die Ausbildung nicht - aus tatsächlichen Gründen keinen
Arbeitsplatz finden könnte, dürfe auch im Rahmen der Anwendung von § 26 Satz 2 BSHG keine hypothetische Betrachtung angestellt werden. Im übrigen sei nicht berücksichtigt worden, daß zur Förderung der Beschäftigung
von Behinderten Sozialleistungen an Arbeitgeber in Betracht kämen, so daß die Einrichtung eines Arbeitsplatzes für den Kläger
nicht aussichtslos erscheine. Ferner habe das Verwaltungsgericht übersehen, daß die Bewilligung einer Hilfe nach § 26 Satz 2 BSHG im Ermessen des Sozialhilfeträgers stehe. Ohne Begründung sei das Gericht von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen.
Das dem Träger der Sozialhilfe eingeräumte Ermessen beziehe sich auch auf die Form (Darlehen oder Beihilfe) der in Geld zu
gewährenden Hilfe zum Lebensunterhalt. Da nach § 17 Abs. 2 BAföG bei dem Besuch von Hochschulen der monatliche Förderungsbetrag zur Hälfte als Darlehen geleistet werde, könne einem Studierenden
nach § 26 Satz 2 BSHG kein Leistungsanspruch zustehen, der diese in der speziellen Gesetzesvorschrift geregelte Förderung übersteige. Auch für
die Bemessung der Höhe des Hilfeanspruchs seien die speziellen Regelungen des Rechts der Ausbildungsförderung zu berücksichtigen,
wie z.B. § 13 BAföG.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 5.9.1994 zu
ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und führt ergänzend aus, es sei völlig unwahrscheinlich, daß für
eine derartig schwerbehinderte Person wie ihn, der nur Abitur habe und keine körperliche Arbeit verrichten könne, die Einrichtung
eines Arbeitsplatzes durch einen Zuschuß an den Arbeitgeber finanziert werde. Bereits in der Stellungnahme des leitenden Arztes
der Abteilung Orthopädie/Traumatologie der Rehabilitationsklinik Neckargemünd vom 27.10.1993 sei darauf hingewiesen worden,
daß bei dem Kläger eine Schwerbehinderung vorliege, die es ihm ohne besondere Qualifikationen sicher nicht erlaube, auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt nennenswerte Einkünfte zu erzielen. Seine, des Klägers, Situation unterscheide sich also von den
typischen Fällen gerade dadurch, daß es sich bei ihm nicht nur um eine zeitweilige Störung der Möglichkeit, selbst für den
Lebensunterhalt zu sorgen, handele. Soweit in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Auffassung vertreten werde,
daß die Hilfeleistung für den Auszubildenden auch dann, wenn er aus anderen Gründen gar nicht in der Lage wäre, für seinen
Lebensunterhalt selbst zu sorgen, eine Ausbildungsförderung auf Kosten der Sozialhilfe sei, könne davon nur in den Fällen
ausgegangen werden, in denen der Hilfebedürftige in absehbarer Zeit ohne die Inanspruchnahme von Sozialhilfe für sein berufliches
Wohl und Fortkommen, ggf. auch im Rahmen einer Ausbildung durch Selbsterwerb des Lebensunterhalts, sorgen könne.
Dem Senat liegen die Akten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten
und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung des Beklagten hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, im übrigen ist sie unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hätte den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide nur zur Neubescheidung unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichten dürfen, weil der Kläger nur hierauf, nicht aber auch auf die unmittelbare Verpflichtung
des Beklagten zur Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe für den hier maßgebenden Zeitraum
einen Anspruch hat.
Gemäß § 26 Satz 2 BSHG k a n n in besonderen Härtefällen Auszubildenden, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem
Grunde nach förderungsfähig ist, Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden; damit hat der Gesetzgeber dem Träger der Sozialhilfe
bei Vorliegen einer besonderen Härte ein Ermessen eingeräumt, das sich auch auf die Art der Hilfeleistung (Zuschuß und/oder
Darlehen) und deren Höhe bezieht.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, daß der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt
nach § 26 Satz 1 BSHG grundsätzlich ausgeschlossen ist, weil sein Universitätsstudium im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist und er Leistungen nach diesem Gesetz nur deswegen nicht bezieht, weil er die zur Förderung
erforderlichen Leistungsnachweise nicht vorlegen konnte und er im übrigen auch die Förderungshöchstdauer überschreitet. §
26 Satz 1 BSHG bezweckt, die Sozialhilfe davon zu befreien, eine versteckte Ausbildungsförderung auf einer "zweiten Ebene" zu sein. Der
grundsätzliche Ausschluß von der Hilfe zum Lebensunterhalt beruht darauf, daß Ausbildungsförderung durch Sozialleistungen,
die die Kosten der Ausbildung und den Lebensunterhalt umfassen, außerhalb des Bundessozialhilfegesetzes sondergesetzlich abschließend
geregelt ist. Das Sozialhilferecht soll in aller Regel nicht dazu dienen, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts
das Betreiben einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung der in § 26 Satz 1 BSHG genannten Art zu ermöglichen. Dieses Anliegen des Gesetzgebers läßt keinen Raum für eine "kausale" Betrachtungsweise, die
im Rahmen von § 26 Satz 1 BSHG darauf abstellt, ob der geltend gemachte Bedarf des allgemeinen Lebensunterhalts allein oder überwiegend durch das Betreiben
einer Ausbildung oder (auch) durch andere Umstände verursacht wird, und welche die Ausschlußvorschrift dann für unanwendbar
hält, wenn ein mittelloser Hilfesuchender nach Abbruch oder Unterbrechung seiner Ausbildung aus persönlichen Gründen (z.B.
Behinderung, Krankheit, Kinderbetreuung oder Schwangerschaft), infolge eines allgemeinen Arbeitsplatzmangels oder aus rechtlichen
Gründen (z.B. Beschäftigungsverbot) seine Hilfebedürftigkeit durch Einsatz seiner Arbeitskraft nicht beseitigen könnte (vgl.
BVerwG, Urt. v. 14.10.1993, BVerwGE 94, 224 = DVBl. 1994, 428). Der Ausschlußtatbestand greift nach seinem Sinn und Zweck, die Sozialhilfe von einer Ausbildungsförderung auf "zweiter
Ebene" zu befreien, vielmehr auch dann ein, wenn ein Auszubildender - betriebe er die dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung
nicht - aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen seine Arbeitskraft nicht zur Erzielung von Einkommen einsetzen könnte.
Für den Anspruchs-ausschluß ist allein entscheidend, daß die Hilfeleistung für den Auszubildenden auch in einem solchen Fall
Ausbildungsförderung ist, der Hilfesuchende also seine Ausbildung auf Kosten der Sozialhilfe betreibt.
Mit Recht ist aber das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, daß im Falle des Klägers ein besonderer Härtefall i.S.d. § 26 Satz 2 BSHG vorliegt. Nach Wortlaut, Zweck und Gesetzessystematik enthält diese Vorschrift eine Ausnahme vom Regeltatbestand in Satz
1 des § 26 BSHG, deren Reichweite aus der Gegenüberstellung zur Regelvorschrift zu bestimmen ist. Eine besondere Härte i.S.v. § 26 Satz 2 BSHG besteht deshalb nur, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung
von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist. Hilfebedürftige,
die eine Ausbildung der in § 26 Satz 1 BSHG genannten Art betreiben und nach den dafür vorgesehenen Leistungsgesetzen nicht (mehr) gefördert werden, sind in der Regel
gehalten, von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen, um für die Dauer der Hilfebedürftigkeit den Ausschluß
von der Hilfe zum Lebensunterhalt abzuwenden (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.10.1993, aaO). Ein "besonderer" Härtefall i.S.v. § 26 Satz 2 BSHG liegt erst dann vor, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluß von der Ausbildungsförderung durch Hilfe
zum Lebensunterhalt (§§ 11, 12 BSHG) auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten,
als übermäßig hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen lassen (vgl. BVerwG, aaO).
Hiervon ausgehend ist festzustellen, daß im Falle des Klägers die Folgen eines Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen,
das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen
worden ist. Ob sich - wovon das Verwaltungsgericht ausgegangen ist - eine solche Härte schon daraus ergibt, daß es dem Kläger
i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 1 BSHG nicht zuzumuten ist, seinen Lebensunterhalt durch Einsatz seiner Arbeitskraft zu verdienen (vgl. hierzu auch Beschluß des
6. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 24.3.1995 - 6 S 412/95 -), kann hier dahingestellt bleiben. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß es der Auszubildende in der Hand hat, im Bedarfsfall
die Sozialleistungen, die er aus Mitteln der Ausbildungsförderung und ggf. - beim Vorliegen eines nicht-ausbildungsgeprägten
Bedarfs wie beim Kläger - im Rahmen des Sozialhilferechts (hier Pflegegeld nach § 69 BSHG) erhält, im Wege der Selbsthilfe aufzustocken (vgl. auch BVerwG, Beschluß v. 18.7.1994 - 5 B 25.94 -). Jedenfalls ergibt sich hier die besondere Härte daraus, daß es dem Kläger infolge der Art und Schwere seiner Behinderung
nicht nur im hier maßgeblichen oder in einem ansonsten überschaubaren und dessen Ende absehbaren Zeitraum (wie z.B. bei Krankheit,
Kinderbetreuung oder Schwangerschaft), sondern langfristig und möglicherweise auf Dauer im Falle des Abbruchs seines Studiums
nicht möglich sein wird, seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit ausreichend zu sichern, so daß er nicht nur vorübergehend,
sondern langfristig auf den Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sein würde. Aufgrund dieser besonderen Situation
stellt sich der Ausschluß von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt als übermäßig hart dar. Das Verwaltungsgericht
hat zutreffend ausgeführt, daß der Kläger aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage ist, eine körperliche Arbeit zu verrichten,
und daß auch die Voraussetzungen für eine die Existenz sicherstellende Verrichtung einer sog. geistigen Erwerbstätigkeit ohne
abgeschlossene Berufsausbildung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gegeben sein dürften. Zur Vermeidung von Wiederholungen
kann hierauf Bezug genommen werden. Der Kläger hat auch in seiner Klagebegründung vom 10.9.1993 (AS 11 der VG-Akten) vorgetragen,
das Arbeitsamt Heidelberg habe ihm in mehreren Beratungsgesprächen mitgeteilt, daß er auf jeden Fall versuchen solle, seine
Ausbildung abzuschließen, weil dies seine spätere Vermittlung erfolgreicher machen würde. Auf telefonische Anfrage des Berichterstatters
hat der Behindertenberater beim Arbeitsamt Heidelberg mitgeteilt, daß der Kläger im Falle des Abbruchs seines Studiums aufgrund
der Art seiner Behinderung ohne Umschulung auf dem Arbeitsmarkt kaum vermittelbar wäre. Es sei allerdings ungewiß, ob eine
Umschulung durch das Arbeitsamt gefördert werden könnte. Dementsprechend hat auch der leitende Arzt der Abteilung Orthopädie/Traumatologie
der Rehabilitationsklinik Neckargemünd unter dem 27.10.1993 (AS 73 der VG-Akten) ausgeführt, daß beim Kläger eine Schwerbehinderung
vorliege, die es ihm ohne besondere Qualifikation sicher nicht erlauben werde, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nennenswerte
Einkünfte zu erzielen. Trotz der starken Behinderungen sei er hochmotiviert und habe trotz der immer wieder notwendig werdenden
Krankenhausaufenthalte und Operationen sowie der anderen behinderungsbedingten Einschränkungen gute Rehabilitationsergebnisse
mit dem Abitur und der Aufnahme des Hochschulstudiums erzielt, so daß die realistische Möglichkeit bestehe, auf Dauer nicht
zum Sozialfall zu werden, sondern ein unabhängiges Leben mit beruflicher und sozialer Integration führen zu können. Diese
Zielsetzung werde jedoch gefährdet oder ganz zunichte gemacht, wenn er das Studium jetzt aufgrund fehlender Mittel zum Lebensunterhalt
aufgeben müsse. Aus den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Bescheinigungen der Universität läßt sich auch ersehen,
daß der Kläger sein Studium nunmehr offensichtlich zielstrebig betreibt, nachdem die in den ersten Semestern aufgetretenen
Schwierigkeiten und persönlichen Probleme (fehlende Einsatzmöglichkeit eines Diktiergeräts, Krebserkrankung und Tod des Vaters,
Fraktur des Mittelhandknochens) überwunden sind.
Ohne die begehrte Hilfe zum Lebensunterhalt besteht auch die Gefahr, daß der Kläger in eine existenzgefährdende Notlage gerät,
denn er ist außer dem erwähnten Pflegegeld und einer Pauschalbeihilfe für das Kraftfahrzeug ohne Einkommen. Zur Überbrückung
hat er Darlehen von Bekannten und Frau M. erhalten, mit der er in einer Wohngemeinschaft lebt. Frau M. ist ebenfalls schwerbehindert
(querschnittsgelähmt). Für das Bestehen einer Wirtschaftsgemeinschaft lassen sich weder aus den Behördenakten noch aus den
vom Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen irgendwelche Anhaltspunkte entnehmen. Eine fernmündliche Nachfrage
des Berichterstatters beim Studentenwerk hat ergeben, daß Darlehen des Studentenwerks entsprechend den Richtlinien grundsätzlich
nur für ein Semester, etwa zur Überbrückung der Examenszeit, gegen Bürgschaft und nur in relativ geringer Höhe gewährt würden,
die außerdem auch schnell zurückgezahlt werden müßten. Eine solche Darlehensgewährung käme für den Kläger schon deshalb nicht
in Betracht, weil er bis zum Abschluß noch mehr als ein Semester benötigen dürfte. Davon ganz abgesehen bezieht sich hier
das Klagebegehren auch auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum.
Ist nach alledem hier von einem Härtefall auszugehen, steht die Hilfegewährung im Ermessen der Behörde. Dieses Ermessen erstreckt
sich auch auf die Frage, in welcher Art und in welcher Höhe Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden kann. Dabei stellt es
keine fehlerhafte Ermessensausübung dar, wenn sich die Behörde an die in Nr. 26.10 der Sozialhilferichtlinien ausgesprochene
Empfehlung hält, wonach bei Überschreitung der Förderungshöchstdauer nach dem BAföG, bei Studienwechsel und in ähnlichen Fällen Hilfe zum Lebensunterhalt in der Regel nur als Darlehen und nur in der Höhe der
Leistungen nach dem BAföG gewährt werden soll (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 3.12.1992 - 6 S 2457/91 -). Denn die Hilfegewährung nach § 26 Satz 2 BSHG ist der Sache nach die Fortsetzung der Ausbildungsförderung und nicht eine "normale" Hilfe zum Lebensunterhalt; sie kann
deshalb auch unabhängig von den übrigen Darlehensregelungen des BSHG als Darlehen gewährt werden. Anhaltspunkte für eine Reduzierung des Ermessens in der einen oder anderen Richtung auf Null
bestehen hier nicht; auch das angefochtene Urteil enthält hierzu keine Ausführungen. Der Kläger hat somit nur einen Anspruch
auf fehlerfreie Ermessensausübung, so daß sein darüber hinausgehendes Begehren auf unmittelbare Verpflichtung des Beklagten
zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Erfolg bleiben muß.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
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