Leistungspflicht der Krankenkasse bei Behandlung in einer Kur- oder Spezialeinrichtung
Gründe:
I.
Streitig ist die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger die für den Aufenthalt der Beigeladenen zu 1) vom 5. April bis 30.
November 1983 im Rehabilitationswohnheim (Reha-Wohnheim) in H. entstandenen Aufwendungen zu erstatten.
Die familienhilfeberechtigte Tochter, die Beigeladene zu 1), des bei der Beklagten Versicherten (Beigeladener zu 2) war drogenabhängig
und unterzog sich von April 1982 bis April 1983 zunächst einer Entgifung und dann einer Entwöhnungsbehandlung, für die die
Beklagte die Kosten übernahm. Vom 5. April bis 30. November 1983 wohnte sie im Reha-Wohnheim in H. Träger dieses Heimes ist
der Beigeladene zu 3).
Während des Aufenthalts in diesem Wohnheim wird die dritte Stufe des sog. "H. Modells" verwirklicht. Dem Aufenthalt sind Entgiftung
und Entwöhnung vorausgegangen; die Drogenproblematik soll in psychotherapeutischen Einzel- und Gruppengesprächen während der
vorausgegangenen Entwöhnungsbehandlung aufgearbeitet sein. Die Therapie besteht in der Weiterführung eingeleiteter Behandlungsprozesse,
der Hilfe bzw. Beratung bei der beruflichen/schulischen Integration, in der Motivierung und Anleitung zur Freizeitgestaltung
und im Einüben des Umgangs mit Geld nach einem festgelegten Stufenplan von neun Wochen. Die Einrichtung hat Platz für zwölf
Personen. Leiter der Einrichtung ist ein Sozialpädagoge, das Team besteht insgesamt aus zwei Sozialpädagogen und zwei Erziehern.
Vor der Aufnahme findet ein Gespräch mit dem Leiter der Entwöhnungsklinik oder dem behandelnden Arzt statt.
Nachdem sich die Beklagte geweigert hatte, die Kosten dieses Aufenthaltes zu tragen, übernahm sie der Kläger als Eingliederungshilfe
nach §§ 39, 40
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und machte im April 1983 einen entsprechenden Erstattungsanspruch bei der Beklagten geltend.
Mit der am 15. Oktober 1987 erhobenen Klage verlangte der Kläger 23.718,90 DM von der Beklagten. Seine Klage hatte weder vor
dem Sozialgericht (SG) noch vor dem Landessozialgericht (LSG) Erfolg. Das LSG hat ausgeführt, eine medizinische Rehabilitation habe weder von der
Behandlungsart noch vom Behandlungsziel her stattgefunden; das Rehabilitationsziel sei vielmehr die schulische und berufliche
Integration gewesen. Das Wohnheim sei auch nicht ärztlich geleitet oder beaufsichtigt gewesen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision wendet sich der Kläger gegen die Rechtsauffassung des LSG. Er trägt vor, es habe sich
um eine medizinische Rehabilitation in einer Spezialeinrichtung gehandelt, weil sie auf die Erhaltung oder Besserung des Gesundheitszustandes
der Beigeladenen zu 1) gerichtet gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. März 1989 - L 11 Kr 58/88 - aufzuheben und
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm (Kläger) die Kosten für die stationäre Behandlung der K. St. (Beigeladene zu 1) im Rehabilitationswohnheim,
R. L. -Straße, H., vom 5. April 1983 bis 30. November 1983 in Höhe von 23.718,90 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. März 1989 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das Urteil des LSG ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung seiner
Aufwendungen, die ihm für den Aufenthalt der Beigeladenen zu 1) im Reha-Wohnheim in H. entstanden sind.
Der Erstattungsanspruch des Klägers richtet sich nach § 104 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X). Hiernach hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger einen Erstattungsanspruch, wenn er, ohne daß die Voraussetzungen
des § 103
SGB X (nachträgliches Entfallen der Zuständigkeit) vorliegen, Sozialleistungen erbracht hat. Diese Vorschrift ist hier ungeachtet
der Tatsache anwendbar, daß die streitige Maßnahme vor ihrem Inkrafttreten eingeleitet worden ist. Nach Art II § 21
SGB X werden bereits begonnene Verfahren nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu Ende geführt. Hierzu zählen alle Verfahren, über
die bei Inkrafttreten der Vorschrift noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist (BSGE 56,69, 71 f = SozR 1300 Art 2 §
21 Nr 1).
Der grundsätzliche Nachrang des Klägers als Sozialhilfeträger im Verhältnis zur beklagten Krankenkasse ergibt sich aus § 2
BSHG, der generell den Nachrang von Leistungen der Sozialhilfe gegenüber denjenigen der Sozialversicherungsträger anordnet. Nachrangig
verpflichtet ist der Kläger im Verhältnis zur Beklagten jedoch nur dann, wenn diese gegenüber der Beigeladenen zu 1) bzw.
dem bei ihr versicherten Beigeladenen zu 2) zur Gewährung dieser Maßnahme verpflichtet gewesen wäre. Dies ist nicht der Fall.
Eine Verpflichtung der Beklagten ergibt sich insbesondere nicht aus § 184a der
Reichsversicherungsordnung (
RVO) in seiner bis zum 31. Dezember 1988 geltenden, hier noch anwendbaren Fassung. Danach kann eine Krankenkasse Behandlung mit
Unterkunft und Verpflegung in Kur- und Spezialeinrichtungen gewähren, wenn diese erforderlich ist, um eine Krankheit zu heilen,
zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten. Nach der Rechtsprechung (BSGE 46, 41, 45 = SozR 2200 § 184a Nr 1, Urteil vom 10. August 1989 - 4 RK 1/88 = ErsK 1989, 462) ist die Behandlung in einer Kur- und Spezialeinrichtung in Abgrenzung zur Krankenhausbehandlung darauf
ausgerichtet, den Zustand des Patienten durch seelische und geistige Einwirkung und durch Anwendung von Heilmitteln zu beeinflussen,
wohingegen die pflegerische Betreuung eher nebengeodnet ist. Hierbei ist eine intensive ärztliche Behandlung nicht erforderlich
(BSGE 51, 44, 47 = SozR 2200 § 184a Nr 4). Dennoch muß nach ärztlicher Anweisung mit den Mitteln der Spezialeinrichtung auf den Krankheitszustand
des Patienten eingewirkt werden (BSG-Urteil vom 12. August 1987 - 8 RK 22/86 USK 87130).
Nach dieser Rechtsprechung muß zwar nicht die Einrichtung ärztlich geleitet sein, erforderlich ist jedoch eine ärztliche Überwachung
und Betreuung der in der Einrichtung lebenden Rehabilitanden. In diesem Rahmen können auch Nichtärzte auf ärztliche Verordnung
tätig werden, wobei ihre Leistungen vom Arzt zwar nicht im einzelnen, aber doch zumindest allgemein ihrer Art nach zu bestimmen
sind.
Allerdings hat die Rechtsprechung (BSGE 54, 54 = SozR 2200 § 1237 Nr 18; SozR a.a.O. § 1237 Nr 21; BSGE 66, 84, 86 SozR a.a.O. Nr 22; Urteil vom 5. Dezember 1989 - 5 RJ 76/88 -) in den Fällen, in denen ein Rentenversicherungsträger zur Übernahme der Kosten für eine Unterbringung in einer Kur- und
Spezialeinrichtung nach § 184a
RVO in Anspruch genommen worden ist, die Auffassung vertreten, daß medizinische Leistungen zur Rehabilitation im Sinne des Rentenversicherungsrechts
auch ohne Mitwirkung eines Arztes vorliegen können. Diese Rechtsprechung beruht indessen auf den Besonderheiten des Rentenversicherungsrechts
und ist auf den vorliegenden Fall, der sich ausschließlich im Krankenversicherungsrecht bewegt, nicht übertragbar. Nach §
1237
RVO (§ 14
AVG) sind die medizinischen Leistungen zur Rehabilitation "vor allem in Kur- und Spezialeinrichtungen zu erbringen. Schon dieser
Gesetzeswortlaut läßt erkennen, daß dort eine Einrichtung nicht unbedingt den Anforderungen des § 184a
RVO entsprechen muß, sondern ihre Leistungen wie Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie und Beschäftigungstherapie
(a.a.O. Nr 3) auch in anderer Weise erbringen kann. Demzufolge kann die Verpflichtung eines Rentenversicherungsträgers zur
Gewährung dieser Leistungen im Rahmen einer medizinischen Rehabilitation nicht zwingend von einer ärztlichen Aufsicht und
Betreuung oder von dem Aufenthalt des Rehabilitanden in einer Einrichtung, die den Anforderungen des § 184a
RVO entspricht, abhängig gemacht werden.
Die Notwendigkeit einer unterschiedlichen Behandlung der Systeme der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen
Rentenversicherung ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des § 1237
RVO (§ 14
AVG), sondern auch aus der unterschiedlichen Zwecksetzung der Rehabilitationsleistungen. Zu den Aufgaben der Rehabilitation in
der gesetzlichen Rentenversicherung gehören die wesentliche Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sowie die
Abwendung der Versicherungsfälle der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (§ 1236
RVO, § l3 AVG), während die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in erster Linie auf die Erhaltung oder Wiederherstellung der
Gesundheit abzielen (vgl. §
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung -
SGB V-). Dementsprechend schließen die für die Behandlung der Beigeladenen zu 1) einschlägigen Psychotherapie-Richtlinien des Bundesausschusses
der Ärzte und Krankenkassen in der derzeit geltenden Fassung vom 4. Mai 1990 (BABl Nr 7/8 vom 31. Juli 1990) in ihrem Teil
A Maßnahmen, die ausschließlich zur beruflichen Anpassung oder zur Berufsförderung bestimmt sind, Erziehungsberatung, körperbezogene
Therapieverfahren, darstellende Gestaltungstherapie sowie heilpädagogische oder ähnliche Maßnahmen ausdrücklich aus dem Leistungsbereich
der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Im übrigen ist im System der gesetzlichen Krankenversicherung die Behandlung eines
Kranken primär den Ärzten zugewiesen (vgl. § 182 Abs. 1 Nr la
RVO, §
27 Satz 1 Nr
1
SGB V). Hieraus folgt, daß ein Arzt die Krankheit zu erkennen und ihre Behandlung zu bestimmen sowie zu überwachen hat. Ist hiernach
eine stationäre Behandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung erforderlich, so kommen ab dem
Inkrafttreten des
SGB V (l. Januar 1989) nur solche Einrichtungen in Betracht, mit denen ein Vertrag nach §
111
SGB V besteht (§
40 Abs.
2
SGB V). Versorgungsverträge dürfen nur mit Einrichtungen geschlossen werden, die u.a. die Anforderungen des §
107 Abs.
2
SGB V erfüllen (§
111 Abs.
2 Nr
1
SGB V), zu denen eine ständige ärztliche Verantwortung gehört (§
107 Abs.
2 Nr
2
SGB V). Die ärztliche Verantwortung und die damit verbundene ärztliche Einflußnahme sind auch schon vor dem Inkrafttreten des SGB X für das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung charakteristisch gewesen.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Nach den Feststellungen des LSG wird das Reha-Wohnheim H. von
einem Sozialpädagogen geleitet. Das Team besteht aus zwei Sozialpädagogen und zwei Erziehern. Eine ärztliche Betreuung in
der Einrichtung selbst findet also nicht statt. Es werden lediglich zwischen dem ärztlichen Leiter der Entwöhnungseinrichtung,
aus der der Patient entlassen wird, oder dem dort behandelnden Arzt und dem Team Eingangsgespräche geführt, die ausschließlich
informatorischen Charakter haben. Die ärztliche Versorgung wird ambulant durch freipraktizierende Ärzte durchgeführt. Für
das Heim ist ein Psychiater auf Honorarbasis tätig, um bei speziellen Fragen (zB. Epilepsie) zur Verfügung zu stehen. Insgesamt
bietet sich das Bild einer eigenverantwortlichen Betreuung durch die Mitarbeiter des Heims ohne Mitgestaltung oder Kontrolle
eines Arztes. Es ist nicht ersichtlich, daß die Betreuung der Beigeladenen zu 1) von diesem Muster abgewichen ist. Hiernach
besteht kein Anspruch aus § 184a
RVO, wobei dahingestellt bleiben kann, ob es sich, wie das LSG ausführt, um eine Maßnahme der sozialen Rehabilitation gehandelt
hat.
Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, daß die Beklagte andere geeignete Maßnahmen nicht angeboten habe (vgl. BSG - Urteil
vom 9. September 1981 - 3 RK 20/80 - = USK 81179; vom 12. Allgust 1987 - 8 RK 22/86 - = USK 87130). Auch ohne einen Hinweis der Beklagten hätte sich die Beigeladene zu l) ohne weiteres in ärztliche Behandlung
begeben können, wobei der behandelnde Arzt über die Einleitung weiterer Maßnahmen einschließlich der Unterbringung in einer
Rehabilitationseinrichtung hätte entscheiden können und müssen. Im übrigen ist die Rechtsprechung des BSG zu Fällen ergangen,
in denen eine Leistung zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung gehört hat. Dies ist jedoch, wie bereits
ausgeführt, hier nicht der Fall.
Weitere Rechtsgrundlagen für eine Leistungspflicht der Beklagten sind nicht ersichtlich. Insbesondere handelt es sich bei
der Behandlung der Beigeladenen zu 1) in der Rehabilitationseinrichtung nicht um ein "Heilmittel" i.S. des § 182 Abs. 1 Nr 1 Buchst b
RVO. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob zu den Heilmitteln auch Therapien gehören, die nicht durch die Anwendung sächlicher
Mittel gekennzeichnet sind.(BSGE 54, 54, 58 = SozR 2200 § 1237 Nr 18). In jedem Fall müssen Dienstleistungen, wenn sie zu den Heilmitteln zählen sollen, gezielt
zur Bekämpfung einer Krankheit eingesetzt werden (BSGE 42, 16, 18 = SozR 2200 , § 182 Nr 14). Im vorliegenden Fall handelt es sich indessen nicht um einzelne gezielte Dienstleistungen,
sondern um einen stationären Aufenthalt mit Unterkunft und Verpflegung. Das Erbringen von Dienstleistungen mit Unterkunft
und Verpflegung ist nur im Rahmen der Krankenhauspflege (§ 184
RVO) und in einer Kur- und Spezialeinrichtung (§ 184a
RVO) vorgesehen. Der Heilmittelbegriff würde überspannt, wenn man hierunter weitere stationäre Behandlungsformen fassen würde.
Dies würde auch dazu führen, daß der behandelnde Arzt, der das "Heilmittel" lediglich verordnet, abweichend vom kassenärztlichen
System der ambulanten Versorgung eine umfassende, ständige und längere Betreuung anderen Personen überlassen müßte. Die Delegation
von Dienstleistungen kommt in Betracht bei der Behandlung seelischer Erkrankungen, wobei allerdings der delegierende Arzt
die Verantwortung für die Psychotherapie behält (Abschnitt B 1 der Psychotherapie-Richtlinien a.a.O.). Gerade diese ärztliche
Verantwortung hat aber während der Unterbringung der Beigeladenen zu 1) in dem Reha-Wohnheim gefehlt.
Schließlich ist ein Verfassungsverstoß, insbesondere gegen Art
3 und
20
Grundgesetz, nicht ersichtlich. Wie bereits ausgeführt, hätte die Beigeladene zu 1) wie jeder andere Versicherte in einer vergleichbaren
Situation vertragsärztliche Versorgung in Anspruch nehmen können. Bei medizinischer Notwendigkeit hätten die erforderlichen
Leistungen einschließlich eines Aufenthaltes in einer geeigneten Einrichtung erbracht werden müssen (§ 182 Abs. 2
RVO). Dieser Weg ist hier jedoch nicht beschritten worden.
Nach allem war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193
SGG.