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LSG Hessen, Beschluss vom 14.08.2017 - 9 SF 37/17
Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit Entscheidung über ein Befangenheitsgesuch in der Besetzung mit den abgelehnten Richtern Offensichtlicher Missbrauch des Ablehnungsrechts für sachfremde Zwecke
1. Nach §
60
Abs.
1
SGG
, §
42
Abs.
2
ZPO
entsprechend findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
2. Dabei kommt es darauf an, ob für einen Verfahrensbeteiligten berechtigter Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters bei vernünftiger Würdigung aller Umstände besteht.
3. In der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass rechtsmissbräuchliche oder gänzlich untaugliche Ablehnungsgesuche ausnahmsweise im vereinfachten Ablehnungsverfahren in der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Gerichts unter Beteiligung des oder der abgelehnten Richter/s behandelt werden können, wenn für die Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist.
4. Dies ist der Fall, wenn das Gericht einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts für sachfremde Zwecke verhindern will oder lediglich eine bloße Formalentscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Gesuch trifft, die keinerlei Beurteilung des eigenen Verhaltens durch die entscheidenden Richter und kein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert.
5. Ein rechtsmissbräuchlicher oder offensichtlich unzulässiger Befangenheitsantrag muss zudem nicht förmlich beschieden werden.
Normenkette:
SGG
§
60
Abs.
1
,
ZPO
§
42
Abs.
2
Tenor
Das Ablehnungsgesuch der Kläger gegen den Richter am Landessozialgericht X. vom 24. Juli 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Entscheidungstext anzeigen:
Gründe
Über das Ablehnungsgesuch vom 24. Juli 2017 gegen den Richter am Landessozialgericht X. konnte der Senat in geschäftsplanmäßiger Besetzung entscheiden, da dieses offensichtlich unzulässig ist.
Nach §
60
Abs.
1
Sozialgerichtsgesetz
(
SGG
), §
42
Abs.
2
Zivilprozessordnung
(
ZPO
) entsprechend findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob für einen Verfahrensbeteiligten berechtigter Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters bei vernünftiger Würdigung aller Umstände besteht (allg. Auff., vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Mai 2017 - 2 BvR 865/17 -; BVerfG, Beschluss vom 5. April 1990 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 82, 30, 38; BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 330, 335 ; BSG, Beschluss vom 1. März 1993 - 12 RK 45/92 - NJW 1993, 2261; BSG, Beschluss vom 31. Juli 1985 - SozR 1500 §
60
Nr. 3 -; Keller in: Meyer-Ladewig u. a.,
SGG
, 12. Aufl. 2017, §
60
Rn. 7 m. w. N.). §§
60
Abs.
1
SGG
,
44
Abs.
3
,
45
Abs.
1
ZPO
bestimmen, dass das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters berufen ist. Durch die Zuständigkeitsregelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es der Natur der Sache nach an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste (BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 2228/06 - NJW 2007, 3771).
In der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts ist abweichend davon aber anerkannt, dass rechtsmissbräuchliche oder gänzlich untaugliche Ablehnungsgesuche ausnahmsweise im vereinfachten Ablehnungsverfahren in der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Gerichts unter Beteiligung des oder der abgelehnten Richter/s behandelt werden können, wenn für die Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Dies ist der Fall, wenn das Gericht einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts für sachfremde Zwecke verhindern will oder lediglich eine bloße Formalentscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Gesuch trifft, die keinerlei Beurteilung des eigenen Verhaltens durch die entscheidenden Richter und kein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 29. Juni 2017 - 1 BvR 1081/17 -; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 11. März 2013 - 1 BvR 2853/11 - NJW 2013, 1665; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 2228/06 - NJW 2007, 3771; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 2. Mai 2006 - 1 BvR 698/06 - NJW 2006, 924; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 3. März 1966 - 2 BvE 2/64; BSG, Beschluss vom 31. August 2015 - B 9 V 26/15 B -; BSG, Beschluss vom 19. Januar 2010 - B 11 AL 13/09 C - SozR 4-1500 § 60 Nr. 7; BVerwG, Beschluss vom 14. November 2012 - 2 KSt 1/11 - NVwZ 2013, 225; BFH, Beschluss vom 25. August 2009 - V S 10/07 - BFHE 226, 109; BAG, Beschluss vom 20. April 2016 - 7 ABN 55/15 -; Keller in: Meyer-Ladewig u. a.,
SGG
, 12. Aufl. 2017, §
60
Rn. 10d m. w. N.). Rechtsmissbrauch wird etwa angenommen, wenn verfahrenswidrige Zwecke verfolgt werden, z. B. um Richter, die eine missliebige Rechtsansicht vertreten, auszuschalten (vgl. Bayer. LSG, Beschluss vom 1. Februar 2001 - L 5 AR 9/01 RA - m. w. N.; Keller s. o. § 60 Rn. 10c m. w. N.), wenn gegen den Richter unqualifizierbare Angriffe wegen seiner angeblich rechtsstaatswidrigen Rechtsfindung erhoben werden (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 1 BvR 1273/07 - NVwZ-RR 2008, 289; BVerwG, Beschluss vom 28. September 1982 - 2 ER 401/80, 2 CB 35/80 - Buchholz 310 §
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VwGO
Nr. 30), um eine (abgelehnte) Terminverlegung zu erzwingen (LSG Thüringen, Urteil vom 28. März 2007 - L 1 U 809/02 - m. w. N.), der Beteiligte nur Handlungen beanstandet, die nach der Prozessordnung vorgeschrieben sind oder sich ohne weiteres aus der Stellung des Richters ergeben (vgl. BSG, Beschluss vom 27. Oktober 2016 - B 13 R 337/15 B -), wenn eine Richterablehnung ohne neue Gesichtspunkte wiederholt wird, das Gesuch offensichtlich der Verfahrensverschleppung dienen soll oder der gesamte Spruchkörper pauschal abgelehnt wird (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 11. März 2013 s. o.; BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 6. Mai 2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr. 11; BSG, Beschluss vom 29. März 2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr. 4; BGH, Beschluss vom 21. Juni 2007 - V ZB 3/07 - NJW-RR 2008, 216). Offensichtlich ungeeignet ist ein Ablehnungsantrag, wenn keinerlei substantiierte Tatsachen vorgetragen werden (BVerwG, Beschluss vom 7. August 1997 - 11 B 18/97 - NJW 1997, 3327), das Gesuch entweder überhaupt nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 - VI C 129.74 - BVerwGE 50, 36) oder nur mit solchen Umständen begründet wird, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 18. Dezember 2007 s. o.), das Gesuch ausschließlich mit der Mitwirkung des abgelehnten Richters an einer Vor- oder Zwischenentscheidung (BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 11. März 2013 s. o.) oder an einem Verfahren über rechtlich gleich gelagerte Streitfragen begründet wird (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 2. Mai 2006 s. o.). Auch auf den bloßen Vorwurf der falschen Rechtsanwendung ohne Hinzutreten besonderer Umstände kann ein Ablehnungsgesuch in zulässiger Weise nicht gestützt werden (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 6. Mai 2010 s. o.). Unter keinen Umständen ist schließlich die Besorgnis der Befangenheit begründet, wenn lediglich eine für den Betroffenen ungünstige Rechtsansicht des Richters beanstandet wird, ohne dass Gründe dargetan werden, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters beruht (BFH, Beschluss vom 16. Januar 2007 - VII S 23/06 (PKH) -; Keller s. o. § 60 Rn. 10b m. w. N.).
Ein rechtsmissbräuchlicher oder offensichtlich unzulässiger Befangenheitsantrag muss zudem nicht förmlich beschieden werden (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 6. Mai 2010 s. o.; BVerfG, Zweiter Senat, Beschluss vom 15. Dezember 1986 - 2 BvE 1/86 - BVerfGE 74, 96; BVerfG, Zweiter Senat, Beschluss vom 2. November 1960 - 2 BvR 473/60 - BVerfGE 11 343; BSG, Beschluss vom 29. März 2007 s. o.; BGH, Beschluss vom 31. August 2005 - XII ZB 159/05 - FamRZ 2005, 1826).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze brauchte der Senat über das unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erfolgversprechende Befangenheitsgesuch der Kläger lediglich eine Formalentscheidung zu treffen. Denn die Bevollmächtigte der Kläger hat keine tatsächlichen Umstände für eine Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters vorgetragen. Sie begründet das Ablehnungsgesuch allein mit Mutmaßungen über die Rechtsansichten des abgelehnten Richters, aus der sie folgert, dass der abgelehnte Richter "gesetzliche Ansprüche übergeht". Ist die Beanstandung einer für den Betroffenen ungünstigen Rechtsansicht ohne Hinzutreten besonderer Umstände schon nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters zu begründen, gilt dies erst recht für lediglich vermutete oder unterstellte Rechtsansichten des abgelehnten Richters. Damit ist das Gesuch schon völlig ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters zu begründen. Das Gesuch ist zudem rechtsmissbräuchlich, da es allein in der Absicht gestellt wurde, den abgelehnten Richter wegen seiner Rechtsansichten aus dem Verfahren auszuschalten. Für derartige Zwecke kann das Richterablehnungsrecht aber nicht in Anspruch genommen werden.
Über das unzulässige Befangenheitsgesuch durfte der Senat daher in geschäftsplanmäßiger Besetzung entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193
SGG
.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177
SGG
).