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BGH, Urteil vom 24.04.1985 - IVb ZR 22/84
Wirksamkeit eines für den Fall der Scheidung vereinbarten Unterhaltsverzichts
(a) auch im Falle der Vereinbarung bereits anläßlich der Eheschließung;
(b-d) grundsätzlich auch hinsichtlich des Betreuungsunterhalts;
(c-d) möglicher Einwand des Rechtsmißbrauchs gegen die Geltendmachung des Verzichts
Fundstellen: DRsp I(166)141a-c, EzFamR BGB § 1569 Nr. 4, FamRZ 1985, 788 , NJW 1985, 1833
Normenkette:
BGB § 1570, § 1585 c
(a) "... Aus der Vorschrift [des im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch geltenden § 72 Satz 1 EheG] - die in das seit dem 1. 7. 1977 geltende Recht inhaltlich unverändert als § 1585 c BGB übernommen worden ist - folgt, daß für die Regelung nachehelicher Unterhaltsansprüche - anders als für den künftigen Unterhalt während bestehender Ehe, vgl. §§ 1360 a Abs. 3, 1361 Abs. 4 Satz 4, 1614 Abs. 1 BGB - volle Vertragsfreiheit bestand und weiterhin besteht .. .
Der Wirksamkeit des Unterhaltsverzichts steht nicht entgegen, daß die Parteien ihn im unmittelbaren Anschluß an die Eheschließung nach einem schon vor der Eheschließung vom Kl. angefertigten und der Bekl. vorgelegten Vertragsentwurf vereinbart haben. .. Es entspricht der übereinstimmenden Auffassung in Rechtspr. und Lit., daß sie als vorsorgende Vereinbarung grundsätzlich schon im Zusammenhang mit der Eheschließung und gegebenenfalls auch schon vorher geschlossen werden kann [folgen Hinw.].
Der Verzicht auf nachehelichen Unterhalt berührt nicht einen Kernbereich der Ehe, in dem von der gesetzl. Ausgestaltung abweichende Parteivereinbarungen als Verstoß gegen zwingendes Recht (etwa Art. 6 Abs. 1 GG oder § 1353 Abs. 1 BGB) nicht anerkannt werden könnten. Dem zur Zeit des Vertragsschlusses .. geltenden Recht erschien der völlige Ausschluß von nachehelichem Unterhalt keineswegs untragbar .. . Für das am 1. 7. 1977 in Kraft getretene Recht gilt nichts anderes. ...
(b) Der Verzicht auf nachehelichen Unterhalt ist auch nicht in Fällen grundsätzlich unwirksam, in denen von einem geschiedenen Ehegatten wegen der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes nicht erwartet werden kann, daß er (ganz oder teilweise) selbst für seinen Unterhalt sorgt (§ 1570 BGB).
Von den Tatbeständen, die nach dem seit dem 1. 7. 1977 geltenden Recht einen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt gewähren, nimmt derjenige des § 1570 BGB allerdings eine besondere Stellung ein. Weil die staatliche Gemeinschaft zu gewährleisten hat, daß Eltern ihre Kinder pflegen und erziehen können (vgl. Art. 6 Abs. 2 GG), hatte der Gesetzgeber dafür zu sorgen, daß ein Kind unter der Scheidung der Ehe seiner Eltern nicht mehr als unvermeidbar leidet. Dem Wohl des Kindes wäre es aber regelmäßig abträglich, wenn es nach der Trennung von dem einen Elternteil auch noch weitgehend auf die persönliche Betreuung durch den anderen, sorgeberechtigten Elternteil verzichten müßte, weil dieser den eigenen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit sichern müßte (vgl. BVerfGE 57, 361, 381 ff.). Der Gesetzgeber hat den Unterhaltsanspruch nach § 1570 BGB deshalb in mehrfacher Hinsicht besonders stark ausgestaltet (vgl. §§ 1577 Abs. 4 Satz 2, 1579 Abs. 2 und 1586 a Abs. 1 Satz 1 BGB).
Diese Gründe reichen aber nicht aus, den Unterhaltstatbestand des § 1570 BGB als unabdingbar anzusehen .. . Die Vorschrift des § 1585 c BGB stellt den während bestehender Ehe eingeschränkten (§§ 1360 a Abs. 3, 1361 Abs. 4 Satz 4, 1614 Abs. 1 BGB) Grundsatz der Vertragsfreiheit wieder her. Die Bestimmung enthält keine Ausnahme für irgendeine Bedürfnislage, auch nicht für den Anspruch nach § 1570 BGB.
(c) Trotz der grundsätzlichen Zulässigkeit eines umfassenden, auch den Fall der Kindesbetreuung einschließenden Verzichts auf nachehelichen Unterhalt in einer vorsorgenden Vereinbarung ist der dadurch begünstigte Ehegatte indessen nicht berechtigt, sich im Falle der Scheidung unter allen Umständen auf den Verzicht zu berufen. Wie jedes andere Recht darf das aus dem Verzicht herzuleitende nicht mißbräuchlich ausgeübt werden. Daher kann es einem auf Unterhalt in Anspruch genommenen Ehegatten im Einzelfall verwehrt sein, sich auf den vereinbarten Verzicht zu berufen, wenn dies - etwa aufgrund der späteren Entwicklung - mit dem auch im Unterhaltsrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar ist. ..."