Bestreitung des Unterhalts des getrennt lebenden Ehegatten aus dem Stamm seines Vermögens
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Unterhalt für die Zeit des Getrenntlebens (§
1361
BGB). Sie haben im Jahre 1961 geheiratet. Der Ehe entstammt eine im Jahre 1967 geborene Tochter. Der Ehemann (Beklagte) verdiente
bis Februar 1983 als Schweißfachmann monatlich netto 3.270 DM; daneben hatte er Einkünfte aus einer Wochenendarbeit. Sein
späteres Einkommen ist nicht festgestellt. Die Ehefrau (Klägerin zu 1) ist seit 1967 nicht mehr erwerbstätig. Am 24. Dezember
1982 ist der Ehemann aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. Die Ehefrau und die Tochter (Klägerin zu 2) sind in dem Einfamilienhaus
wohnen geblieben, das im Miteigentum der Ehegatten steht und schuldenfrei ist.
Das Amtsgericht - Familiengericht - hat der Ehefrau ab 1. April 1983 einen monatlichen Unterhalt von 930 DM und als Unterhaltsrückstand
für die Zeit vom 15. Januar bis 31. März 1983 2.325 DM zugesprochen. Weiterhin hat es den Ehemann zu Unterhaltszahlungen für
die Tochter verurteilt; insoweit ist die Entscheidung rechtskräftig. Hinsichtlich des Trennungsunterhalts haben beide Parteien
Berufung eingelegt. Die Ehefrau hat eine Erhöhung ihrer monatlichen Unterhaltsrente um 470 DM, der Ehemann die Abweisung der
Klage beantragt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Ehefrau zurückgewiesen und auf die Berufung des Ehemanns die Klage
insoweit abgewiesen. Dagegen richtet sich die - zugelassene - Revision, mit der die Ehefrau ihren vor dem Berufungsgericht
geltend gemachten Unterhaltsanspruch weiter verfolgt.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Ehefrau könne allenfalls in Höhe von monatlich 1.334,63 DM ein Unterhaltsanspruch
zustehen. Sie sei jedoch nicht bedürftig, weil sie die zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs erforderlichen Geldmittel ihrem
Sparguthaben entnehmen könne, das nach den Angaben im Termin vom 11. August 1983 noch 27.000 DM betrage. Jedenfalls in einem
Falle wie dem vorliegenden sei der Rechtsgedanke des §
1577 Abs.
3
BGB auch auf Trennungsunterhalt nach §
1361
BGB anzuwenden. Die Verwertung des Sparguthabens, aus dem die Ehefrau bereits bisher ihren Unterhalt bestritten habe, sei nicht
unzumutbar. Sein Einsatz sei weder unwirtschaftlich noch unbillig. Der Ehefrau verbleibe mit dem in ihrem hälftigen Miteigentum
stehenden schuldenfreien Einfamilienhaus der Eheleute ein finanzieller Rückhalt.
II. Die Revision wendet sich in erster Linie dagegen, daß das Berufungsgericht die Ehefrau zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs
auf den Stamm ihres Vermögens verwiesen hat. Sie bemängelt weiterhin, daß bei der Bemessung des der Ehefrau "allenfalls" zustehenden
Unterhalts ein Nebenverdienst des Ehemannes von monatlich 700 DM nur zur Hälfte berücksichtigt worden ist.
III. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Die bisher getroffenen Feststellungen rechtfertigen es nicht, die Ehefrau zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs auf den Verbrauch
ihres Sparguthabens zu verweisen.
1. Der Ausgangspunkt der Erwägungen des Berufungsgerichts ist richtig. Der Anspruch auf Trennungsunterhalt besteht nur, soweit
ein Ehegatte außerstande ist, für seinen angemessenen Unterhalt zu sorgen. Er setzt also Bedürftigkeit voraus (Begründung
des Regierungsentwurfs zu §
1361
BGB, BT-Drucks. 7/650 S. 101; allgemeine Meinung; vgl. Palandt/Diederichsen
BGB 44. Aufl. §
1361 Anm. 2 b bb; Soergel/Lange
BGB 11. Aufl. §
1361 Rdn. 9).
2. Bedürftigkeit wird allgemein nicht nur durch Erwerbseinkommen oder Vermögenserträge ausgeschlossen, sondern sie besteht
im Grundsatz auch dann nicht, wenn der Anspruchsteller seinen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestreiten kann (RG
Warn Rspr 1921 Nr. 101; BGH Urteil vom 9. November 1965 - VI ZR 260/63 - FamRZ 1966, 28, 29; Soergel/Lange aaO. § 1602 Rdn. 3; Göppinger/Häberle Unterhaltsrecht 4. Aufl. Rdn. 1090).
3. Auch beim Trennungsunterhalt ist - entgegen der Auffassung der Revision - die Verweisung auf den Stamm des Vermögens nicht
von vornherein ausgeschlossen. Allerdings ergibt sich das nicht daraus, daß §
1361 Abs.
1 Satz 1
BGB außer auf die Erwerbs- auch auf die Vermögensverhältnisse der Ehegatten abstellt. Denn diese waren auch schon nach der früheren
Fassung der Bestimmung zu berücksichtigen. Gleichwohl entsprach es der früher herrschenden Meinung, daß der nach §
1361
BGB a.F. unterhaltsberechtigte Ehegatte sich nicht auf den Verbrauch seines Vermögens verweisen zu lassen brauchte (Nachweise
bei Soergel/Lange aaO. § 1361 Rdn. 9). Wegen des veränderten unterhaltsrechtlichen Ansatzes des Ersten Gesetzes zur Reform
des Ehe- und Familienrechts - 1. EheRG - vom 14. Juni 1976 (BGBl I 1421), das von dem Grundsatz der Eigenverantwortung ausgeht,
kann die Vorschrift des §
1361
BGB n.F., die den Unterhaltsanspruch unabhängig von Trennungsverschulden des anderen Teils gewährt, jedoch nicht ebenso verstanden
werden (Rolland 1. EheRG 2. Aufl.
BGB §
1361 Rdn. 10; Gernhuber Familienrecht 3. Aufl. §
21 II 3 Fn. 2; anders unter Hinweis auf das ältere Schrifttum MünchKomm/Wacke
BGB §
1361 Rdn. 7). Nunmehr genießt allein noch das minderjährige unverheiratete Kind nach §
1602 Abs.
2
BGB gegenüber seinen Eltern - mit der Ausnahme des §
1603 Abs.
2 Satz 2
BGB - den Vorzug, seinen Unterhalt nicht aus dem Stamm seines Vermögens bestreiten zu müssen (Göppinger/Häberle aaO. Rdn. 1090).
4. Indes erleidet die Verweisung auf die Substanz des Vermögens Einschränkungen. Im Bereich des Geschiedenenunterhalts enthält
das Gesetz für den Berechtigten in §
1577 Abs.
3
BGB - wie auch für den Verpflichteten in §
1581 Satz 2
BGB - die Vorschrift, daß der Vermögensstamm nicht verwertet zu werden braucht, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter
Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre. Das setzt zugleich eine äußerste Grenze,
bis zu der der unterhaltsberechtigte Ehegatte im Falls des Getrenntlebens auf den Vermögensstamm allenfalls verwiesen werden
darf. Unter den noch miteinander verheirateten Ehegatten besteht eine stärkere personale Verantwortung füreinander als nach
der Scheidung. Daher kann in der Trennungszeit die Obliegenheit, den Stamm des Vermögens für den eigenen Unterhalt anzugreifen,
nicht weiter gehen, als wenn die Ehe geschieden ist und jeder der ehe maligen Partner im Grundsatz wirtschaftlich auf eigenen
Füßen stehen soll.
5. Schon danach rechtfertigen es die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht, die Ehefrau auf den Verbrauch ihres Sparguthabens
zu verweisen. Daß sie daraus bereits bisher ihren Unterhaltsbedarf gedeckt hat, besagt nichts für die gegenteilige Auffassung
des Berufungsgerichts. Ohne Unterhaltsleistungen und Erwerbseinkommen hatte die Ehefrau keine andere Wahl, als ihr Vermögen
anzugreifen.
Die Annahme des Berufungsgerichts, sie habe das Sparguthaben für den Unterhalt zu verwerten, wird auch nicht durch die Erwägung
getragen, der Ehefrau verbleibe mit dem hälftigen Miteigentum an dem schuldenfreien Einfamilienhaus der Eheleute ein finanzieller
Rückhalt. Nach §
1577 Abs.
3
BGB braucht der unterhaltsberechtigte geschiedene Ehegatte den Stamm seines Vermögens nicht zu verwerten, soweit dies unwirtschaftlich
oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre. Eine Unwirtschaftlichkeit der
Verwertung wird bei einem Sparguthaben allerdings nicht in Betracht kommen. Ob die Verwertung des Vermögensstammes unbillig
wäre, muß jedoch schon nach dem Wortlaut der Vorschrift unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse
entschieden werden. Dazu gehört neben der - hier bisher nicht angestellten - Prüfung, in welchem Maße den Verpflichteten die
Unterhaltsgewährung aus seinem Einkommen belastet, die Feststellung, ob und ggf. in welcher Höhe auch er Vermögen besitzt
(Senatsurteil vom 14. Dezember 1983 - IVb ZR 38/82 - FamRZ 1984, 364, 367). Insoweit ist dem Berufungsurteil nur zu entnehmen, daß dem Ehemann ein hälftiger Miteigentumsanteil an dem Haus der
Parteien zusteht. Dieser Vermögensbestandteil wird die Entscheidung nicht beeinflussen, weil ihm ein entsprechender auf seiten
der Ehefrau gegenübersteht. Hingegen kann bedeutsam sein, welches Vermögen der Ehemann sonst besitzt. Je nachdem kann es schon
bei einer Beurteilung nach §
1577 Abs.
3
BGB fernliegen, der Ehefrau zuzumuten, ihr Vermögen zu verbrauchen.
Sofern eine Verweisung auf den Vermögensstamm in Betracht kommt, stellt sich die Frage, ob die Ehefrau ihr Sparguthaben vollständig
aufbrauchen muß (vgl. auch insoweit das zu §
1577 Abs.
3
BGB ergangene Senatsurteil vom 13. Dezember 1983 aaO.). Weil sie im Gegensatz zu dem Ehemann keine laufenden Erwerbseinkünfte
erzielt, ist ihr zumindest eine Vermögensreserve als "Notgroschen" für Fälle plötzlich auftretenden (Sonder-)Bedarfs zu belassen.
Ihr Miteigentumsanteil an dem Einfamilienhaus macht diese Rücklage nicht entbehrlich. Er ist erfahrungsgemäß nur unter Schwierigkeiten,
daher nicht kurzfristig und häufig nur unwirtschaftlich zu verwerten; zudem würde seine Verwertung der Ehefrau und der Tochter
der Parteien die Möglichkeit des mietfreien Wohnens nehmen.
6. Weil mithin auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen seine Auffassung, die Ehefrau müsse
sich zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs auf den Verbrauch ihres (gesamten) Sparguthabens verweisen lassen, selbst bei der
Anlegung des ihr ungünstigsten, in §
1577 Abs.
3
BGB für Fälle des nachehelichen Unterhalts vorgesehenen Maßstabes der rechtlichen Überprüfung nicht standhält, muß das angefochtene
Urteil aufgehoben werden. Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen ist der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
IV. 1. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das Berufungsgericht ggf. beachten müssen, daß die Obliegenheit eines getrennt
lebenden Ehegatten, zur Deckung seines Unterhaltsbedarfs den Stamm seines Vermögens einzusetzen, im allgemeinen nicht so weit
geht wie diejenige eines Geschiedenen gemäß §
1577 Abs.
3
BGB. Die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft bedeutet nicht in jedem Falle, daß es auch zur Scheidung kommt. Die in §
1565 Abs.
2 und in §
1566
BGB vorgesehenen Trennungsfristen dienen der Aufrechterhaltung der Ehe bei einer möglicherweise nur vorübergehenden, noch beherrschbaren
Krise in den Beziehungen der Ehegatten. Diesem Ziel liefe ein vermeidbarer Verbrauch von vorhandenem Vermögen in der Zeit
des Getrenntlebens zuwider; er würde die wirtschaftliche Grundlage der ehelichen Gemeinschaft beeinträchtigen, zu der die
Ehegatten nach Möglichkeit zurückfinden sollen.
Eine andere Beurteilung kann dann angebracht sein, wenn die Ehegatten schon zur Zeit intakter Ehe vorhandenes Vermögen zur
Unterhaltsdeckung einzusetzen pflegten (dazu Gernhuber aaO. §
21 I 5, 6 und II 3;
BGB-RGRK/Cuny 12. Aufl. §
1361 Rdn. 28). Das bedeutet aber nicht, daß eine Obliegenheit zur Verwertung des Vermögensstammes in der Zeit des Getrenntlebens
ausschließlich unter dieser Voraussetzung in Betracht käme. Wenn die Partner während des Bestehens ihrer häuslichen Gemeinschaft
den Vermögensstamm nicht oder nur in besonderen Fällen angegriffen haben, so hat die damit praktizierte Vermögenserhaltung
zwar ihre Lebensverhältnisse mitgeprägt. Mit der Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft tritt aber eine wesentliche Änderung
dieser Verhältnisse ein. Nunmehr sind nicht mehr beide Ehegatten einander verpflichtet, die Familie angemessen zu unterhalten
(§
1360
BGB). Vielmehr handelt es sich jetzt um den Unterhaltsanspruch des einen Ehegatten gegen den anderen, wobei vielfach ein trennungsbedingter
Mehrbedarf zu berücksichtigen ist. Eine für die Zeit intakter Ehe etwa bestehende, dem gemeinsamen Lebensplan der Partner
entsprechende Übung, vorhandenes Vermögen nicht zu verwerten, kann daher für die Entscheidung, ob während des Getrenntlebens
eine Obliegenheit zum Einsatz des Vermögensstammes besteht, nur als ein Umstand unter mehreren Bedeutung gewinnen. Als weitere
kommen neben der Höhe des dem Unterhaltsberechtigten zur Verfügung stehenden Vermögens insbesondere die Einkommensverhältnisse
des in Anspruch genommenen Ehegatten und dessen Vermögenssituation in Betracht. Auch die Dauer des Getrenntlebens kann insoweit
Bedeutung gewinnen. Bei einer erst kurzen Trennung liegt es näher als bei einer bereits länger andauernden, daß es zu einer
Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft kommt. Je länger die Trennung währt, desto eher kann deshalb eine Obliegenheit zum
Einsatz des Vermögensstammes angenommen werden.
2. Nach der bisherigen Sachlage werden die - im einzelnen noch näher festzustellenden - Einkommensverhältnisse des Ehemannes,
die seine Belastung mit dem Unterhalt möglicherweise nicht als besonders drückend erscheinen lassen werden, ferner die noch
verhältnismäßig kurze Dauer des Getrenntlebens sowie die anscheinend während des Zusammenlebens der Parteien geübte Praxis
der Vermögensbildung gegen eine Verweisung der Ehefrau auf den Verbrauch des Stammes ihres - nicht sehr umfangreichen - Vermögens
sprechen.
3. Wenn sich ergibt, daß die Ehefrau ihr Sparguthaben nicht oder nur bis zu einer bestimmten Grenze einsetzen muß, wird festzustellen
sein, ob sie zur Deckung ihres verbleibenden Unterhaltsbedarfs nach §
1361 Abs.
2
BGB auf eine eigene Erwerbstätigkeit verwiesen werden kann.
4. Die Zurückverweisung gibt der Ehefrau Gelegenheit, ihre Bedenken gegen den nur hälftigen Ansatz der Einkünfte des Ehemannes
aus seiner Wochenendarbeit geltend zu machen. Er hat diese Tätigkeit nach dem unwidersprochenen Vortrag der Ehefrau sechs
oder sieben Jahre lang bis in die Zeit nach der Trennung der Parteien ausgeübt. Das kann die Beurteilung des Berufungsgerichts,
es habe sich um eine "überobligationsmäßige" Nebentätigkeit gehandelt, in Frage stellen (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 1982
- IVb ZR 727/80 - FamRZ 1983, 152, 153). Es liegt vielmehr nahe, daß die aus einem derart beständigen Nebenerwerb erzielten, regelmäßig für den Familienunterhalt
eingesetzten Einkünfte die für das Maß des Unterhalts entscheidenden Lebensverhältnisse (§
1578 Abs.
1
BGB) mitgeprägt haben. Soweit es sich bei der vom Berufungsgericht als überobligationsmäßig bezeichneten Nebentätigkeit um eine
unzumutbare Tätigkeit handelt, müßten die daraus erzielten Einkünfte bei der Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse vollständig
außer Betracht bleiben (vgl. Senatsurteil vom 24. November 1982 - IVb ZR 310/81 - FamRZ 1983, 146, 149 f.).