Tatbestand:
Der Kläger hat dem im Jahre 1969 geborenen Kind des Beklagten aus dessen geschiedener erster Ehe seit dem Jahre 1977 freiwillige
Erziehungshilfe nach §§ 62, 63 JWG gewährt. Das Kind unterstand nach der Scheidung der Ehe der Eltern zunächst der elterlichen
Sorge der Mutter, später der Vormundschaft des Jugendamtes. Es war vom 25. Februar 1977 bis zum 31. Dezember 1982 in verschiedenen
Heimen des Klägers untergebracht. Die Kosten dafür lagen zwischen 84,85 DM und 172, 55 DM täglich.
Durch Mitteilung vom 16. Juni 1977 "nach §§ 85, 82 des Jugendwohlfahrtgesetzes - JWG - in Verbindung mit §§ 90, 91 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG -" setzte der Kläger den Beklagten davon in Kenntnis, daß er dem Kind Erziehungshilfe gewähre, und kündigte ihm die Inanspruchnahme
im Rahmen seiner Unterhaltspflicht an. Mit Schreiben vom 29. August 1977 teilte er sodann mit, daß die für das Kind entstehenden
Kosten mehr als 3.000 DM monatlich betrügen, und leitete den Unterhaltsanspruch des Kindes in Höhe von 120 DM monatlich auf
sich über. In dem Schreiben heißt es weiter, daß der Kläger bei Änderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beklagten,
wenn dieser entsprechende Unterlagen vorlege, die Höhe des Unterhaltsanspruchs überprüfen werde. Der Betrag von 120 DM monatlich
wurde von dem Beklagten in der Folge regelmäßig gezahlt.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 1980 leitete der Kläger, der sich zwischenzeitlich mit Hilfe des Finanzamts über die Einkommensverhältnisse
des Beklagten informiert hatte, den Unterhaltsanspruch des Kindes für die Zeit ab 1. Januar 1978 in Höhe von 510 DM monatlich
auf sich über. Widerspruch und verwaltungsgerichtliche Klage des Beklagten gegen diesen Bescheid blieben ohne Erfolg.
Mit der hier zugrundeliegenden Klage macht der Kläger den übergeleiteten Unterhaltsanspruch des Kindes für die Zeit vom 1.
Januar 1978 bis 31. Dezember 1982 in Höhe von monatlich 390 DM (510 DM./. gezahlte 120 DM), insgesamt in Höhe von 23.400 DM,
geltend.
Das Amtsgericht - Familiengericht - hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die
Verurteilung des Beklagten in Höhe von 20. 280 DM aufrecht erhalten und die Klage im übrigen abgewiesen. Beide Parteien haben
- zugelassene - Revision eingelegt, der Beklagte mit dem Ziel der vollständigen Abweisung der Klage, der Kläger mit dem Ziel
der Wiederherstellung der Entscheidung des Familiengerichts.
Entscheidungsgründe:
A. Da der Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung in dem Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, ist seine Revision
wegen seiner Säumnis durch Versäumnisurteil zurückzuweisen.
B. Über die Revision des Klägers ist ebenfalls im Wege des Versäumnisurteils zu entscheiden (§§
557,
331
ZPO); insoweit ist jedoch, da gesetzliche Säumnisfolgen keine Rolle spielen können, eine Sachprüfung vorzunehmen (BGHZ 37, 79, 81 ff.).
I. Das Berufungsgericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß sich der Kläger für die Zeit bis einschließlich August 1978
ungeachtet der sogenannten Rechtswahrungsanzeige vom 16. Juni 1977 mit den von dem Beklagten gezahlten 120 DM monatlich zufrieden
geben müsse, da er den Unterhaltsanspruch mit seinem Bescheid vom 29. August 1977 nur in dieser Höhe auf sich übergeleitet
habe, ohne sich eine rückwirkende Erhöhung des Überleitungsbetrages vorzubehalten. Er habe dadurch einen Vertrauenstatbestand
geschaffen, der erst durch ein weiteres Schreiben vom 28. August 1978 - mit dem der Beklagte erneut um Angabe seiner wirtschaftlichen
Verhältnisse gebeten wurde - wieder beseitigt worden sei. Der Kläger könne daher erst ab 1. September 1978 monatlich 390 DM
(510 DM./. gezahlte 120 DM) beanspruchen.
II. Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision des Klägers zu Recht.
1. Eine Rechtswahrungsanzeige wie die des Klägers vom 16. Juni 1977 hat zur Folge, daß der Unterhaltsschuldner von der Behörde
- nach entsprechender Überleitung - auch für die Vergangenheit auf Unterhalt in Anspruch genommen werden kann (§ 91 Abs. 2
BSHG, hier i.V.m. §§ 85, 82 JWG). Daß vorliegend in der Rechtswahrungsanzeige offengeblieben - nämlich von einer Überprüfung der Leistungsfähigkeit des
Beklagten abhängig gemacht worden - ist, ob und in welchem Umfange der Kläger den Unterhaltsanspruch überleiten und von dem
Beklagten Zahlung verlangen werde, steht dem nicht entgegen. Wie der Senat durch Urteil vom 15. Juni 1983 (IVb ZR 390/81 FamRZ 1983, 895, 896) entschieden hat, lassen sich daraus, daß die Rechtswahrungsanzeige Rechtsfolgen wie eine Mahnung herbeiführt und sie
eine der Mahnung vergleichbare Warnungsaufgabe hat, keine Bestimmtheitsanforderungen ableiten, wie sie an eine Mahnung zu
stellen sind. Nach § 91 Abs. 2
BSHG (hier i.V. mit §§ 85, 82 JWG) hängt vielmehr die Möglichkeit, Unterhalt auch für die Vergangenheit geltend zu machen, allein davon ab, daß dem Unterhaltspflichtigen
die Gewährung der Sozialhilfe (hier: der öffentlichen Erziehungshilfe) mitgeteilt worden ist. Bereits diese Mitteilung zerstört
sein Vertrauen, daß er mit einer Inanspruchnahme nicht zu rechnen brauche. Die Mitteilung des Klägers vom 16. Juni 1977 hat
den Beklagten in diesem Sinne hinreichend deutlich davon in Kenntnis gesetzt, daß seinem Kinde freiwillige Erziehungshilfe
nach §§ 62 ff. JWG gewährt werde, und hat ihn darüber hinaus ausdrücklich auf seine mögliche Inanspruchnahme aufmerksam gemacht.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wurde dadurch, daß der Kläger im Anschluß an die Rechtswahrungsanzeige vom
16. Juni 1977 durch Bescheid vom 29. August 1977 den Unterhaltsanspruch des Kindes des Beklagten - zunächst - nur in Höhe
von 120 DM monatlich auf sich übergeleitet hat, die Wirkung der Rechtswahrungsanzeige nicht auf diesen Betrag beschränkt und
eine spätere - auch rückwirkende - weitergehende Überleitung nicht ausgeschlossen.
a) Die Auswirkungen der Überleitungsanzeige vom 29. August 1977 auf die Rechtswirkungen der Rechtswahrungsanzeige vom 16.
Juni 1977 sind nicht nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen, wie sie etwa zum Vertrauensschutz bei begünstigenden
Verwaltungsakten entwickelt worden sind (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band - Allgemeiner Teil -,
§ 13 2 b - S. 263 - sowie BVerwGE 8, 261, 268 ff.), sondern nach den Maßstäben des bürgerlichen Rechts. Der Umfang des übergeleiteten
Unterhaltsanspruchs bestimmt sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts. Dementsprechend ist auch die durch die Rechtswahrungsanzeige
hinsichtlich des Unterhalts für die Vergangenheit verbesserte Rechtsposition - der Wirkung einer Mahnung vergleichbar (s.
insoweit §
1614 Abs.
1
BGB) - bürgerlich-rechtlicher Natur. Daher ist auch die Frage, ob die Behörde der durch die Rechtswahrungsanzeige erlangten Rechtsposition
wieder verlustig gegangen ist, nach bürgerlichem Recht zu beantworten.
b) Die Überleitungsanzeige des Klägers vom 29. August 1977, durch die eine Überleitung in Höhe von - nur - 120 DM monatlich
bewirkt wurde, enthält, wie keiner näheren Darlegung bedarf, nicht etwa einen Verzicht auf die weitergehenden Rechtswirkungen
der vorangegangenen Rechtswahrungsanzeige; insoweit fehlt es an der Erklärung, eine Rechtsposition aufzugeben (vgl. - allgemein
- Senatsurteil vom 20. Mai 1981 - IVb ZR 570/80 - FamRZ 1981, 763). Zu erwägen ist allein, ob der Kläger durch die Bezifferung des Überleitungsbetrages auf 120 DM monatlich einen Tatbestand
geschaffen hat, der die Berufung auf weitergehende Rechtswirkungen der Rechtswahrungsanzeige und damit eine rückwirkende Überleitung
über 120 DM monatlich hinaus im Sinne des §
242
BGB nach Treu und Glauben verbietet. Der Senat verneint dies. Er vermag die Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu teilen,
daß ein derartiger Tatbestand schon dann verwirklicht sei, wenn die Behörde die Überleitung zu einem bestimmten Betrag bewirke,
ohne sich eine Erhöhung vorzubehalten. Damit wird lediglich davon abgesehen, einen höheren Unterhaltsanspruch geltend zu machen.
Dies allein kann den Einwand nicht rechtfertigen, daß eine spätere weitergehende Inanspruchnahme gegen Treu und Glauben verstoße.
Der Senat hat es etwa abgelehnt, einen Unterhaltsanspruch, der lediglich längere Zeit nicht geltend gemacht worden ist, aus
diesem Grunde schon als verwirkt anzusehen (vgl. Senatsurteil aaO. S. 764). Vorliegend kommt freilich - schon mangels eines
längeren Zeitablaufs bis zu der Überleitungsanzeige vom 22. Dezember 1980 - nicht der Gesichtspunkt der Verwirkung, sondern
allenfalls der des widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium") in Betracht. Auch hier gilt indessen, daß
das in der bloßen Nichtverfolgung eines Rechtes liegende Verhalten ein späteres Zurückgreifen auf das betreffende Recht nicht
unzulässig macht. Hinzukommen muß vielmehr, daß die nunmehrige Geltendmachung des Rechts unter den konkreten Umständen des
Falles mißbräuchlich erscheint, weil durch das frühere Verhalten ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist (vgl. BGHZ
32, 273, 279) und der Geschäftsgegner sich auf die bisher eingenommene Haltung der anderen Seite verlassen durfte (vgl. auch BGHZ
87, 169, 177 ff.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Beklagte konnte nicht darauf vertrauen, daß es bei der - außerordentlich
niedrigen - Unterhaltsleistung von 120 DM monatlich selbst für den Fall sein Bewenden haben sollte, daß sein Einkommen die
Heranziehung zu einem höheren Betrag erlaubte. Ihm mußte vielmehr, auch aufgrund der Hinweise in der Rechtswahrungsanzeige,
klar sein, daß die Behörde bestrebt sein werde, ihn bis zur Höhe ihrer Aufwendungen nach Maßgabe seines verfügbaren Einkommens
in Anspruch zu nehmen. Soweit er die Vorstellung gehabt haben sollte, daß er trotz eines eine höhere Unterhaltsleistung erlaubenden
Einkommens nur den übergeleiteten Betrag von 120 DM monatlich aufzubringen habe, solange die Behörde das höhere Einkommen
nicht in Erfahrung bringe, wäre eine solche Vorstellung nicht schützenswert. Dementsprechend konnte der Beklagte auch nicht
in schützenswerter Weise darauf vertrauen, daß sich die Wirkung der Rechtswahrungsanzeige - deren eigentlicher Zweck es ja
gerade ist, die Inanspruchnahme auch für die Vergangenheit zu sichern - nach der Überleitung in Höhe von 120 DM monatlich
unabhängig von der Höhe seines Einkommens auf diesen Betrag beschränke. Hiernach konnte der Kläger unter den Gegebenheiten
des Falles jedenfalls für die hier in Frage stehende Zeit ab 1. Januar 1978 auch rückwirkend eine weitergehende Überleitung
bewirken, ohne sich dem Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung auszusetzen.
Ein besonderer Vertrauenstatbestand läßt sich auch nicht aus der Behördeneigenschaft des Klägers herleiten. Für ein schützenswertes
Vertrauen des Bürgers in die Entscheidungen der Verwaltung ist jedenfalls dort kein Raum, wo die Verwaltung, für den Bürger
erkennbar, über für die Entscheidung erhebliche Umstände aus seinem Verantwortungsbereich nicht oder nicht vollständig unterrichtet
ist (vgl. Forsthoff aaO. und BVerwGE aaO.). So liegt es hier. Dem Beklagten mußte klar sein, daß der Behörde sein wahres Einkommen
nicht bekannt war.
Auf die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu, daß die in der Überleitungsanzeige vom 29. August 1977 bekundete Bereitschaft
des Klägers zur Überprüfung des Überleitungsbetrages, da nur auf den Fall einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse
des Beklagten zugeschnitten, keinen Vorbehalt der Erhöhung des Überleitungsbetrages darstelle, kommt es nicht an, da es eines
Erhöhungsvorbehalts zur Aufrechterhaltung der Rechtswirkungen der Rechtswahrungsanzeige nicht bedurfte.
3. Nach alledem kann der Kläger den Beklagten für den gesamten von der Klage erfaßten Zeitraum (1. Januar 1978 bis 31. Dezember
1982) auf Unterhalt nach Maßgabe des Überleitungsbescheids vom 22. Dezember 1980 (abzüglich jeweils gezahlter 120 DM) in Anspruch
nehmen. Damit erweist sich die Entscheidung des Familiengerichts als richtig und die Berufung des Beklagten als unbegründet.