Pfändungsfreie Bezüge bei der Vollstreckung von Unterhahltsforderungen
Gründe:
I. Die Gläubigerin, geschiedene Ehefrau des Schuldners, betreibt gegen diesen wegen titulierter rückständiger und künftig
fälliger Unterhaltsforderungen die Zwangsvollstreckung. Sie erwirkte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, der die Ansprüche
des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf das gegenwärtige und zukünftige Arbeitseinkommen umfaßt. Den pfändungsfreien
Betrag setzte das Amtsgericht auf 650 EURO monatlich fest, den es später auf 765,55 EURO monatlich erhöhte. Den weiteren Antrag
des Schuldners, die Pfändungsfreigrenze auf 1.500 EURO monatlich anzuheben, wies es zurück. Die sofortige Beschwerde des Schuldners,
die er damit begründete, es müßten bei der Bemessung des pfändungsfreien Betrages zusätzliche Mietaufwendungen, Fahrtkosten
zur Arbeitsstätte, Kosten der Betreuung des gemeinsamen Sohnes, Versicherungsbeiträge, Zahnarztkosten und der Zinsdienst für
einen Kredit Berücksichtigung finden, hatte teilweise Erfolg. Das Landgericht hat einen Freibetrag von 976,07 EURO monatlich
zugebilligt, die Beschwerde wegen des darüber hinausgehenden Betrages jedoch für unbegründet gehalten. Mit seiner zugelassenen
Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner das Ziel, den pfändungsfreien Betrag auf 1.200 EURO heraufzusetzen.
II. Das gemäß §
574 Abs.
2 Nr.
1, Abs.
3 Satz 2, §
575 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, der dem Schuldner zu belassende monatliche Freibetrag von 976,07 EURO entspreche seinem
notwendigen Bedarf nach dem Bundessozialhilfegesetz. Es hat dazu unter anderem ausgeführt, dieser Betrag beinhalte einen Zuschlag für Erwerbstätigkeit in Höhe von 25% des Regelsatzes
(73,25 EURO). Das aus der geschiedenen Ehe mit der Gläubigerin stammende gemeinsame Kind werde von dem Schuldner an acht Tagen
im Monat betreut. Es sei daher angemessen, dafür zugunsten des Schuldners einen dem tatsächlichen dauernden Aufenthalt entsprechenden
anteiligen Sozialhilfesatz des Kindes von 25% (40,43 EURO) in Ansatz zu bringen. Die geltend gemachten Mietaufwendungen seien
in Höhe von 35,79 EURO für die Kosten der Anmietung einer Garage zu kürzen, da es sich dabei um eine Luxusaufwendung handele.
Die Rechtsbeschwerde ist demgegenüber der Auffassung, dem Schuldner müsse aufgrund seiner Erwerbstätigkeit ein sog. Besserstellungszuschlag
von 50% des Sozialhilferegelsatzes zugebilligt werden. Dies rechtfertige sich daraus, daß der Schuldner als Kundenbetreuer
auf Weisung seiner Arbeitgeberin im Dienst Anzug, Oberhemd und Krawatte tragen müsse und dadurch einen monatlichen Kleidungsmehrbedarf
von 75 EURO habe. Weiter übernehme der Schuldner 36% der Betreuungszeit, die für das gemeinsame Kind erforderlich sei. Er
stelle die Verpflegung sicher, sorge für entsprechende Kleidung und habe Fahrkosten und Eintrittsgelder zu bezahlen. Der dafür
aufzubringende Betrag habe sich an dem Mindestunterhalt der Düsseldorfer Tabelle (Barunterhalt und Naturalunterhalt in Höhe
von jeweils 249 EURO) zu orientieren, was mindestens 150 EURO monatlich ausmache. Die Anmietung der Garage diene der Unterstellung
eines Fahrzeuges, das er für die Ausübung seines Berufes brauche.
2. Das Beschwerdegericht hat richtig entschieden.
a) Nach §
850 f Abs.
1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht dem Schuldner auf Antrag von dem nach den Bestimmungen der §§ 850c, 850d und 850i
ZPO pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einen Teil belassen, wenn er nachweist, daß bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen,
wie sie sich aus der Tabelle in der Anlage zu § 850c ergeben, der notwendige Lebensunterhalt für sich und für die Personen,
denen er Unterhalt zu gewähren hat, im Sinne der Abschnitte 2 und 4 des Bundessozialhilfegesetzes nicht gedeckt ist (Buchst.
a), oder sonstige besondere Bedürfnisse aus persönlichen oder beruflichen Gründen es erfordern, die Pfändungsfreigrenze heraufzusetzen
(Buchst. b). Schon nach dem Wortlaut des Gesetzes gilt dies uneingeschränkt auch für die Vollstreckung von Unterhalt. Die
Bestimmung des §
850f Abs.
1 ZPO steht im Zusammenhang mit der des §
850d Abs.
1 Satz 2
ZPO und geht der Regelung in §
850d Abs.
1 Satz 3
ZPO vor (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
ZPO 62. Aufl. §
850f Rdn. 3; Stöber, Forderungspfändung 13. Aufl. Rdn. 1176 k; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 3.
Aufl. §
850f ZPO Rdn. 5; Thomas/Putzo,
ZPO 25. Aufl. §
850f Rdn. 1; Zöller/Stöber,
ZPO 24. Aufl. §
850d Rdn. 10). Die Vorschrift soll im Interesse des Schuldners sicherstellen, daß diesem nach Durchführung der Pfändungsmaßnahme
das Existenzminimum verbleibt, und im Interesse der Allgemeinheit, die die Mittel für ergänzende Sozialhilfeleistungen aufzubringen
hat, verhindern, daß der Gläubiger zu ihren Lasten befriedigt wird. Reicht der aus §
850c ZPO i.V. mit der dazu gehörigen Tabelle zu ermittelnde pfändungsfreie Teil des Arbeitseinkommens nicht aus, um den individuellen
Lebensbedarf des Schuldners zu decken, und sind seine Bedürfnisse bei Bemessung des notwendigen Unterhalts nach §
850d Abs.
1 Satz 2
ZPO nicht hinreichend berücksichtigt worden, kann dies über §
850f Abs.
1 ZPO ausgeglichen werden. Es ist dann der Schuldner, der - etwa durch Bescheinigung des für ihn zuständigen Sozialhilfeträgers
- den Beweis zu erbringen hat, daß die ihm belassenen Mittel das Existenzminimum unterschreiten (vgl. Senatsbeschluß vom 18.
Juli 2003 - IXa ZB 151/03 - NJW 2003, 2918 unter III 1; OLG Frankfurt am Main Rpfleger 2001, 38; Schuschke/Walker, aaO. Rdn. 6; Musielak/Becker,
ZPO 3. Aufl. §
850f Rdn. 2; Thomas/Putzo, aaO. Rdn. 2).
b) Ein solcher Nachweis ist dem Schuldner über den ihm vom Beschwerdegericht zugebilligten erhöhten vollstreckungsrechtlichen
Selbstbehalt hinaus nicht gelungen.
(1) Ein monatlicher Kleidungsmehrbedarf von 75 EURO hat schon deshalb außer Betracht zu bleiben, weil dieses - unter §
850f Abs.
1 Buchst. b
ZPO einzuordnende - Bedürfnis erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz vorgebracht worden ist. Im Verfahren vor dem Amtsgericht
und Landgericht sind erhöhte Aufwendungen für die Anschaffung von Anzügen, Oberhemden und Krawatten nicht geltend gemacht
worden. Ebenso fehlt es an einer für §
850f Abs.
1 Buchst. b
ZPO ausreichenden Darlegung des Schuldners, daß für die Unterstellung des beruflich genutzten Kraftfahrzeuges die Anmietung einer
Garage für 35 EURO monatlich zwingend erforderlich ist, etwa weil anderweitige Parkflächen nicht zur Verfügung stehen oder
das Abstellen des Kraftfahrzeuges im öffentlichen Verkehrsraum aus sonstigen Gründen nicht zumutbar wäre.
(2) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind die Betreuungskosten, die das Beschwerdegericht in Ansatz gebracht hat,
nicht entsprechend dem Mindestunterhalt nach der "Düsseldorfer Tabelle" zu bemessen. Der Senat hat für die Vorschrift des
§
850d Abs.
1 Satz 2
ZPO entschieden, daß die im materiellen Unterhaltsrecht für den Selbstbehalt des Schuldners maßgeblichen Grundsätze für das Vollstreckungsrecht
nicht heranzuziehen sind. Vielmehr beurteilt sich das, was dem Schuldner trotz Zwangsvollstreckung als notwendiger Lebensunterhalt
verbleiben muß, ausschließlich nach den Regelungen der Abschnitte 2 und 4 des Bundessozialhilfegesetzes (vgl. Senatsbeschluß
vom 18. Juli 2003 aaO. unter III 2; Senatsbeschluß vom 10. Oktober 2003 - IXa ZB 170/03 - unter II 1 zur Veröffentlichung bestimmt). Bei §
850f Abs.
1 ZPO kommt dies bereits in der Bestimmung selbst zum Ausdruck. Das gilt für den Schuldner der Zwangsvollstreckung ebenso wie für
die Personen, denen er Unterhalt zu gewähren hat. Beläßt das Vollstreckungsgericht dem Schuldner im Hinblick auf eine unterhaltsberechtigte
Person einen weiteren Teil seines Arbeitseinkommens, kann zur Ermittlung des zusätzlichen Bedarfs, der sich für den Schuldner
aus der Erfüllung seiner Unterhaltspflicht ergibt, der - über den Sozialhilfesätzen liegende - Mindestunterhalt gemäß der
Düsseldorfer Tabelle nicht herangezogen werden.
Daß das Beschwerdegericht einen Betreuungsaufwand von 25% der monatlich erforderlich werdenden Betreuungszeit zum Ausgangspunkt
genommen hat, beruht auf einer Bewertung der Umstände des Einzelfalles, die einer Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren
weitgehend entzogen ist. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, daß das Beschwerdegericht bei seiner Bewertung rechtsfehlerhaft
einen wesentlichen Umstand außer Betracht gelassen hat.
(3) Ebenso ist nicht zu beanstanden, daß das Beschwerdegericht dem - von ihm um 10% erhöhten - Regelsatz für einen Haushaltsvorstand
weitere 25% zum Ausgleich für die vom Schuldner ausgeübte Erwerbstätigkeit zugeschlagen und dazu auf Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes
verwiesen hat.
Im Jahre 1993 ist allerdings an die Stelle des früheren Mehrbedarfes wegen Erwerbsarbeit, der im zweiten Abschnitt des Bundessozialhilfegesetzes
(§ 23 Abs. 4 Nr. 1, § 24) geregelt war, ein Abzug vom Einkommen getreten, den der Gesetzgeber in den vierten Abschnitt des
Bundessozialhilfegesetzes (§ 76 Abs. 2 a) aufgenommen hat. Bei erwerbstätigen Personen, die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt
erhalten, sind - über die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben hinaus (§ 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG) - Beträge in angemessener Höhe vom Einkommen abzusetzen. Die angemessene Höhe richtet sich nach den im konkreten Einzelfall
maßgeblichen Umständen, wie Art und Umfang der Tätigkeit, und den individuellen Verhältnissen des Hilfeempfängers, insbesondere
seinem Alter und Leistungsvermögen. Sie ist, solange die Bundesregierung von der Ermächtigung in § 76 Abs. 4 BSHG zum Erlaß einer entsprechenden Rechtsverordnung keinen Gebrauch gemacht hat, durch den zuständigen Sozialhilfeträger entsprechend
den mit der Absetzungsregelung verfolgten Zwecken zu bestimmen, neben der Verschonung des Existenzminimums die Teilnahme des
Hilfebedürftigen am Erwerbsleben durch finanzielle Vergünstigung zu fördern und damit die öffentlichen Kassen durch Erzielung
eigenen Einkommens zu entlasten (vgl. Hohm in Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG 17. Aufl. § 76 Rdn. 42 f., 49; Kunz in Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG § 76 Rdn. 41; Fichtner/Wenzel, BSHG 2. Aufl. § 76 Rdn. 31; BVerwGE 115, 331, 335).
Bereits zur früheren Regelung des § 23 Abs. 4 Nr. 1 a BSHG a.F. hat der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge im Jahre 1976 (Kleinere Schriften, Heft 55) für den Inhalt
und die Bemessung des gesetzlichen Mehrbedarfs die Empfehlung ausgesprochen, dem Hilfeempfänger einen "Besserstellungszuschlag"
zuzubilligen, der 25% des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes zuzüglich weiterer 15% des diesen Betrag übersteigenden, zuvor
nach § 76 Abs. 2 BSHG bereinigten Einkommens umfaßt, wobei Grundbetrag und Erhöhungsbetrag zusammen nicht mehr als 50% des Regelsatzes ergeben
dürften (Hohm, aaO. Rdn. 49; Kruse/Reinhard/Winkler, BSHG § 76 Rdn. 34; Fichtner/Wenzel, aaO.; OLG Frankfurt am Main Rpfleger 2001, 38, 39). Daran orientiert sich die Rechtsbeschwerde. Sie übersieht indes, daß diese Empfehlungen keinen bindenden Charakter
haben. Der zuständige Sozialhilfeträger - und auch das Vollstreckungsgericht - bleiben berechtigt, die Beträge, die zur Abgeltung
des durch die Erwerbstätigkeit bedingten höheren Lebensaufwandes erforderlich sind, abweichend festzusetzen (vgl. BVerwGE
115, 331, 334, 338). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum steuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimum
keine Bedenken gehabt, für den Mehrbedarf bei Erwerbstätigen, der über die erwerbsdienlichen Aufwendungen des § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG hinaus zu berücksichtigen ist, als geringst üblichen Betrag 25% des Regelsatzes zu veranschlagen (NJW 1992, 3153, 3154). Von einem solchen prozentualen Anteil ist das Beschwerdegericht ausgegangen. Der Schuldner hat weder dargelegt, daß
der prozentuale Anteil wegen der Besonderheiten des Einzelfalles auf 50% aufzustocken gewesen wäre, noch vorgetragen, daß
der zuständige Sozialhilfeträger generell Absetzungen vom Einkommen gemäß § 76 Abs. 2 a BSHG in der geltend gemachten Höhe vornimmt.
3. Aus den gleichen Gründen kann der Prozeßkostenhilfeantrag keinen Erfolg haben.