Freistellung vom gesetzlichen Eigenanteil bei Versorgung mit Zahnersatz
Gewährung rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht
1. Unter welchen Voraussetzungen Versicherte bei der Versorgung mit Zahnersatz vom gesetzlichen Eigenanteil freizustellen
sind, ist höchstrichterlich geklärt.
2. Danach kann eine Befreiung vom Eigenanteil bei der Versorgung mit Zahnersatz mit Rücksicht auf den verfassungsrechtlichen
Schutz der körperlichen Unversehrtheit unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung geboten sein, wenn eine frühere Leistung der
KK den jetzigen Behandlungsbedarf veranlasst hat und sich als hoheitlicher Eingriff darstellt.
3. Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet ebenso wie §
62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.
4. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern
ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben.
5. Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte aber nicht, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; es muss
nur das Wesentliche der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeitet
werden.
Gründe:
I
Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Übernahme der vollen Kosten für die
Eingliederung von Zahnersatz bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ua
ausgeführt, die Beklagte habe den Anspruch des Klägers für die Versorgung mit Zahnersatz mit der Zahlung des doppelten Festzuschusses
erfüllt. Einen darüber hinausgehenden Anspruch könne der Kläger nicht geltend machen, unabhängig davon, aus welchen medizinischen
Gründen die Versorgung mit Zahnersatz notwendig sei. Auch unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung ergebe sich kein Anspruch
(Urteil vom 20.8.2014).
Der Kläger begehrt, ihm für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil Prozesskostenhilfe (PKH) unter
Beiordnung von Rechtsanwältin O., B. V., zu bewilligen.
II
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH und Beiordnung von Rechtsanwältin O. ist abzulehnen. Nach §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §§
114,
121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn - ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es.
Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet. Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers - Anhaltspunkte
dafür, dass er einen der in §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.
Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Unter welchen Voraussetzungen Versicherte bei der Versorgung mit Zahnersatz vom gesetzlichen Eigenanteil freizustellen
sind, ist höchstrichterlich geklärt (BVerfG Beschluss vom 14.8.1998 - 1 BvR 897/98 - NJW 1999, 857 f; BSGE 85, 66, 70 = SozR 3-2500 § 30 Nr 10 S 41). Danach kann eine Befreiung vom Eigenanteil bei der Versorgung mit Zahnersatz mit Rücksicht
auf den verfassungsrechtlichen Schutz der körperlichen Unversehrtheit unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung geboten sein,
wenn eine frühere Leistung der KK den jetzigen Behandlungsbedarf veranlasst hat und sich als hoheitlicher Eingriff darstellt.
Im Übrigen rechtfertigen die besonderen Gründe für die Eingliederung des Zahnersatzes weder einen höheren Prozentsatz noch
die vollständige Übernahme der Kosten der zahnprothetischen Behandlung. Ausgehend von dieser Rechtsprechung hat das LSG einen
Anspruch des Klägers verneint. Ein darüber hinausgehender Klärungsbedarf ist nicht erkennbar. Die vom Kläger gegen die Entscheidung
des LSG erhobenen Einwände betreffen die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, die nicht Gegenstand der Beschwerde sein
kann.
Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG) oder dass der Kläger einen Verfahrensfehler des LSG dartun könnte, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann (Zulassungsgrund
gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Soweit er geltend macht, das LSG habe seinen Vortrag zur Nachvollziehbarkeit der Höhe des Festzuschusses übergangen, ist
ein Verfahrensfehler nicht erkennbar. Zwar verpflichtet Art
103 Abs
1 GG ebenso wie §
62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot der Gewährung
rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, welche ihren Grund
in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Dieses Gebot verpflichtet
die Gerichte aber nicht, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; es muss nur das Wesentliche der Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (BVerfGK 13, 303, 304 f mwN). Die
Ausführungen des Klägers zur Höhe des Zuschusses im Hinblick auf etwaige Boni sowie zu nachgewiesenen Metallallergien waren
schon deshalb nicht in dem vorbezeichneten Sinn wesentlich, weil sie keinen Einfluss auf die Entscheidung haben können. Der
Heil- und Kostenplan sah die Befunde 1.1 (Krone) und 1.3 (Verblendung für Krone) für den Zahn 44 sowie 2.2 (zahnbegrenzte
Lücke mit zwei nebeneinander fehlenden Zähnen) der Zähne 48-45 vor. Hierfür bewilligte die Beklagte einen doppelten Festzuschuss
(Befund 1.1: 250,80 Euro; Befund 1.3: 91,08 Euro; Befund 2.2: 679,88 Euro) in Höhe von 1021,76 Euro nach der mWv 1.1.2012
in Kraft getretenen Bekanntmachung - Befunde und zugeordnete Regelversorgung - vom 24.11.2011 (BAnz 2011 Nr 192 S 4511). Einen
darüber hinausgehenden Zuschuss kann der Kläger auch unter Berücksichtigung seines Vortrags nicht geltend machen (eingehend
zum Anspruch Versicherter auf Zahnersatzleistungen und zur Systematik der maßgebenden Normen BSG SozR 4-2500 § 55 Nr 2 RdNr 9 ff). Die Leistungspflicht der KK ist vielmehr ausdrücklich auf den doppelten Festzuschuss beschränkt (§
55 Abs
2 S 1 Halbs 2
SGB V).