Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache
Leistungspflicht der Krankenkasse wegen Systemversagens
Übergehen einer neuen Studienlage
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist.
2. Eine Leistungspflicht der KK wegen Systemversagens kann nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats ausnahmsweise
ungeachtet des in §
135 Abs.
1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt für die Anwendung neuer Methoden bestehen.
3. Zu einem solchen Systemversagen kann es kommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder
dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß betrieben wird und dies auf eine willkürliche oder
sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist.
4. Dazu gehören auch Fälle, in denen der GBA aus sachfremden Gründen die ihm als Normgeber obliegende Beobachtungspflicht
verletzt, indem er eine neue Studienlage übergeht, die nach den gesetzlichen Maßstäben Anlass zur erneuten Überprüfung eines
einmal gefassten Gruppenbildungsbeschlusses gibt.
Gründe:
I
Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Erstattung der Kosten einer sog Helmtherapie
(Einsatz einer Kopforthese bei Schädelasymmetrie) in Höhe von insgesamt 1819 Euro bei der Beklagten und in den Vorinstanzen
ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG unter Bezugnahme auf die Gründe des SG ua ausgeführt, unabhängig vom Vorliegen einer Krankheit scheitere ein Kostenerstattungsanspruch daran, dass die Therapie
nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Es handele sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode,
für die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) keine positive Empfehlung abgegeben habe. Ein Ausnahmefall, in dem es keiner
Empfehlung durch den GBA bedürfe, liege nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass der GBA sich systemwidrig nicht mit der Helmtherapie
befasst habe, seien nicht erkennbar. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus §
2 Abs
1a S 1
SGB V, weil eine Schädelasymmetrie keine schwerwiegende Erkrankung im Sinne dieser Vorschrift darstelle (Beschluss vom 21.8.2014).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2
SGG iVm §
169 S 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.
1. Wer sich - wie hier der Kläger - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Kläger richtet sein Vorbringen hieran nicht aus.
Der Kläger formuliert zwar die Frage,
"ob vorliegend wegen der nicht erfolgten Antragstellung durch einen Antragsberechtigten zur Einleitung eines Bewertungsverfahrens
beim Gemeinsamen Bundesausschuss für Behandlungsmethode mittels Kopforthese ein sog. Systemversagen gegeben ist und deswegen
eine Durchbrechung des in §
135 Abs.
1 SGB V statuierten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt gegeben ist, die eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise begründen
kann."
Es ist schon fraglich, ob der Kläger damit überhaupt eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung formuliert oder nicht im Einzelfall
geklärt wissen will, ob "vorliegend" ein Systemversagen gegeben ist. Dies kann aber offen bleiben. Soweit die Frage nämlich
darauf zielt, unter welchen Voraussetzungen bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, für die der GBA keine positive
Empfehlung abgegeben hat, ein Systemversagen vorliegt, zeigt er den Klärungsbedarf nicht hinreichend auf. Er legt nicht ausreichend
dar, wieso mit Blick auf die hierzu ergangene Rechtsprechung des erkennenden Senats weiterer Klärungsbedarf besteht.
Eine Leistungspflicht der KK wegen Systemversagens kann nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats ausnahmsweise
ungeachtet des in §
135 Abs
1 SGB V aufge- stellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt für die Anwendung neuer Methoden bestehen. Zu einem solchen Systemversagen
kann es kommen, wenn - wie vom Kläger behauptet - das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA
selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß betrieben wird und dies auf eine willkürliche oder sachfremde
Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (vgl BSGE 81, 54, 65 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 - Immunbiologische Therapie; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 - Neuropsychologische Therapie; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 17 mwN BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 - ICL, jeweils mwN). Dazu gehören auch Fälle, in denen der GBA aus sachfremden Gründen die ihm als Normgeber
obliegende Beobachtungspflicht verletzt, indem er eine neue Studienlage übergeht, die nach den gesetzlichen Maßstäben Anlass
zur erneuten Überprüfung eines einmal gefassten Gruppenbildungsbeschlusses gibt (vgl zur Beobachtungspflicht zB BSGE 107,
287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 70 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 26; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 14 RdNr 21). Das LSG hat in Anwendung dieser Rechtsprechung einen Anspruch des Klägers verneint. Der Kläger legt nicht
dar, dass darüber hinaus noch ein Klärungsbedarf verblieben ist, sondern wendet sich nur gegen die Feststellungen des LSG
und dessen Sachverhaltswürdigung. Im Ergebnis macht er damit nur geltend, dass die Entscheidung des LSG falsch sei. Dies ist
aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde.
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.