Berücksichtigung des Ehegattensplittings bei der Bemessung nachehelichen Unterhalts
Gründe:
A. Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Berücksichtigung steuerlicher Vorteile aus einer neuen Ehe eines Unterhaltspflichtigen
bei der Bemessung des an den ehemaligen Ehegatten zu leistenden Unterhalts.
I. 1. Kann ein Ehegatte nach der Scheidung nicht selbst für sich sorgen, hat er nach §
1569 BGB einen Anspruch gegen seinen von ihm geschiedenen Ehegatten auf Unterhalt. Dabei bestimmt sich das Maß des Unterhalts gemäß
§
1578 Abs.
1 Satz 1
BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Der Bundesgerichtshof und die ihm folgende Rechtsprechung verstehen hierunter die
Verhältnisse, die für den Lebenszuschnitt in der Ehe und damit für den ehelichen Lebensstandard bis zur Scheidung bestimmend
gewesen sind (vgl. BGH, FamRZ 1982, S. 575 [576]; FamRZ 1999, S. 367 [368]; stRspr). Spätere Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse sind danach nur zu berücksichtigen, wenn sie im Zeitpunkt
der Scheidung mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen sind und die zugrunde liegende Entwicklung die ehelichen Lebensverhältnisse
bereits mitgeprägt hat (vgl. BGH, FamRZ 1987, S. 459 [460]; stRspr).
Bei der Ermittlung der ehelichen Einkommensverhältnisse stellt die Rechtsprechung grundsätzlich auf das tatsächliche, auf
der Grundlage der konkreten Steuerbelastung verfügbare Nettoeinkommen ab, das während der Ehe durch Erwerbstätigkeit erwirtschaftet
worden ist. Die reale Steuer, die auf dem Einkommen lastet, bleibe danach auch dann für die Bemessung der die Ehe prägenden
wirtschaftlichen Verhältnisse maßgeblich, wenn sie seit Trennung oder Scheidung der Ehegatten durch einen gesetzlich vorgeschriebenen
Wechsel der Steuerklassen oder eine Änderung des gesetzlichen Steuertarifs gestiegen oder gesunken ist (vgl. BGH, FamRZ 1990,
S. 503 [504]; FamRZ 1990, S. 981). Dies gelte auch bei Wiederverheiratung des unterhaltspflichtigen Ehegatten. Ein damit eintretender Splittingvorteil müsse
nicht bei ihm und seiner neuen Familie verbleiben, vielmehr seien auch in diesem Fall bei der Unterhaltsberechnung die tatsächlich
entrichteten Steuern vom Bruttoeinkommen abzusetzen. Habe sich allerdings der unterhaltspflichtige Ehegatte in die Steuerklasse
V einstufen lassen, sei die tatsächlich einbehaltene Lohnsteuer durch einen Abschlag zu korrigieren, durch den die mit dieser
Einstufung verbundene Verschiebung der Steuerlast auf den unterhaltspflichtigen Ehegatten möglichst behoben wird (vgl. BGH,
FamRZ 1980, S. 984). Etwas anderes müsse allerdings für den Fall gelten, dass dem Unterhaltspflichtigen nicht genügend Mittel für den Unterhalt
seines neuen Ehegatten verblieben. Hier wäre es grob unbillig, wenn der Unterhaltspflichtige den um der neuen Ehe willen gewährten
Splittingvorteil für den früheren Ehegatten einzusetzen hätte. Deshalb sei es gerechtfertigt, den Unterhaltsanspruch nach
§
1579 Nr. 7
BGB auf den Betrag zu kürzen, der sich ohne Berücksichtigung des Splittingvorteils ergebe (vgl. BGH, FamRZ 1985, S. 911 f.). Allerdings sei vom tatsächlichen Steuerabzug dann nicht auszugehen, wenn die Steuerersparnis Folge tatsächlicher Aufwendungen
sei, die zur Vermögensbildung erbracht und unterhaltsrechtlich nicht einkommensmindernd berücksichtigt würden.
2. a) Gemäß §
26 EStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. September 1990 (BGBl I S. 1898); können Ehegatten, sofern sie nicht dauerhaft getrennt
leben, zwischen zwei verschiedenen steuerlichen Veranlagungsarten wählen: der getrennten Veranlagung sowie der Zusammenveranlagung
unter Anwendung des Splittingtarifs (§§
26 b,
32 a Abs.
5 EStG).
Bei der Zusammenveranlagung wird zur Berechnung der Steuerlast zunächst das zu versteuernde Jahreseinkommen beider Ehegatten
halbiert und hiernach die Einkommensteuer aus der Einkommensteuergrundtabelle ermittelt, die dann wieder verdoppelt wird.
Der so gemäß §
32 a Abs.
5 EStG errechnete Betrag bildet die Gesamtsteuer für das Ehepaar. Der Steuervorteil, der sich für ein Ehepaar aus der Zusammenveranlagung
ergibt, ist wegen der Abmilderung der Steuerprogression durch das Splitting am höchsten, wenn nur ein Ehegatte Einkommen erzielt,
und nimmt umso mehr ab, je mehr der andere Ehegatte ebenfalls zum Haushaltseinkommen beiträgt. Bei gleich hohem Einkommen
der Ehegatten entsteht kein Splittingvorteil.
Die Einkommensteuer wird zunächst gemäß den §§
38 ff.
EStG durch Quellenabzug vom Arbeitslohn als Lohnsteuer erhoben. Für die Durchführung des monatlichen Lohnsteuerabzugs werden unbeschränkt
einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer in Steuerklassen eingereiht (§
38 b EStG). Beziehen beide nicht getrennt lebenden Ehegatten Einkommen, werden sie jeweils der Steuerklasse IV zugeordnet. Auf ihren
Antrag kann jedoch von ihnen auch die Kombination von Steuerklasse III (niedrigerer Steuersatz für einen der Ehegatten) mit
der Steuerklasse V (höherer Steuersatz für den anderen Ehegatten) gewählt werden. Bezieht nur ein Ehegatte Arbeitslohn, wird
er in die Steuerklasse III eingereiht. Nach Ablauf des Kalenderjahres wird für Ehegatten, die beide Arbeitslohn bezogen haben,
die Einkommensteuer gemäß §
25 Abs.
1 EStG auf der Basis einer von beiden Ehegatten abzugebenden gemeinsamen Steuererklärung veranlagt.
Trennen sich Ehegatten dauerhaft, entfällt für sie die Möglichkeit der gemeinsamen Veranlagung. Sie werden wie Ledige als
Arbeitnehmer in die Lohnsteuerklasse I oder II eingeordnet. Heiratet ein geschiedener Ehegatte wieder, können er und sein
neuer Ehepartner ebenfalls die Zusammenveranlagung nach §
26 b EStG sowie ihre Lohnsteuerklassenkombination nach §
38 b EStG wählen und somit den steuerlichen Splittingvorteil erhalten.
b) Die Ehegattenbesteuerung war 1958 neu geregelt worden, nachdem das Bundesverfassungsgericht die ausnahmslose steuerliche
Zusammenveranlagung von Ehegatten nach demselben Tarif wie für Alleinstehende für verfassungswidrig erklärt hatte (BVerfGE
6, 55). Die danach erfolgte Einführung der Zusammenveranlagung von Ehegatten unter Anwendung des Splittingverfahrens wurde
damit begründet, hierdurch werde vermieden, dass die Besteuerung durch Arbeitsverträge zwischen den Ehegatten beeinflusst
werden könne. Beim Splittingtarif spiele weder eine Rolle, ob nur einer oder beide Ehegatten Einkommen beziehen, noch in welchem
Betrieb sie tätig sind. Bei beiderseitigem gleich hohem Einkommen könnten sich die Ehegatten über die Besteuerung nach dem
Splitting nicht beklagen, da für sie bei der Zusammenveranlagung gegenüber einer getrennten Veranlagung keine Verschlechterung
eintrete. Bei verschieden hohem Einkommen ergebe sich aber stets ein Progressionsvorteil durch die Halbierung des gemeinsamen
Einkommens. Das Splittingverfahren entspreche auch dem Gedanken der gesetzlichen Zugewinngemeinschaft (vgl. BTDrucks III/260,
S. 33 f.).
c) Nach §
10 Abs.
1 Nr.
1 EStG kann ein getrennt lebender oder geschiedener Ehegatte Unterhaltsleistungen an den anderen Ehegatten mit dessen Zustimmung
bis zu einer gesetzlich bestimmten Höhe als Sonderausgaben steuerlich geltend machen. Der unterhaltsberechtigte Ehegatte hat
dann die Unterhaltsleistungen zu versteuern (§
22 Nr. 1 a
EStG). Für den Unterhaltspflichtigen kann hierdurch eine Steuerersparnis entstehen, die in der Differenz zwischen seiner eigenen
verminderten und der gegebenenfalls erhöhten Steuerlast des Unterhaltsberechtigten liegt, von der er diesen freizustellen
hat.
Dieses so genannte Realsplitting wurde 1979 eingeführt, um der steuerlichen Leistungsfähigkeit getrennt lebender oder geschiedener
Ehegatten besser gerecht zu werden. Die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen sei gerechtfertigt, da diese
bei Auflösung der Ehe nicht nur eine neue höhere Belastung darstellten, sondern auch noch der Wegfall des Splittings hinzukomme
(vgl. BTDrucks 8/2100, S. 60).
II. 1. Die erste Ehe des Beschwerdeführers im Verfahren 1 BvR 246/93 wurde 1980 geschieden. Er heiratete wieder. Seine neue Ehefrau war erwerbstätig. Seit seiner Pensionierung 1986 übte der
Beschwerdeführer eine Nebenerwerbstätigkeit aus. Gegenüber seiner früheren Ehefrau war der Beschwerdeführer unterhaltspflichtig.
Nachdem diese ab Oktober 1988 Altersruhegeld bezogen hatte, begehrte der Beschwerdeführer den Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung.
a) Das Amtsgericht wies seine entsprechende Klage ab und verurteilte den Beschwerdeführer auf die Widerklage seiner früheren
Ehefrau auch weiterhin zu Unterhaltszahlungen. Das Oberlandesgericht änderte diese Entscheidung ab, legte die Unterhaltspflichten
des Beschwerdeführers für die Zeit vom 1. Januar 1989 bis 20. Oktober 1991 fest und sprach den Beschwerdeführer von einer
Unterhaltsverpflichtung für die Zeit danach frei. Bei der Bestimmung der Unterhaltshöhe berücksichtigte das Gericht Steuererstattungen,
die dem Beschwerdeführer zugeflossen waren. Sie seien einkommenserhöhend zu berücksichtigen, da sie darauf beruhten, dass
der Beschwerdeführer sich nach Steuerklasse IV einordnen lasse, obwohl er erheblich mehr verdiene als seine jetzige Ehefrau.
Steuerlich richtig wäre eine Besteuerung nach den Klassen III und V. Aus der vom Beschwerdeführer gewählten Steuerklasse ergebe
sich eine Mehrbelastung von monatlich 260 DM. Der Splittingvorteil, den der Beschwerdeführer bei Steuerklasse III erreichen
könne, müsse auch seiner unterhaltsberechtigten früheren Ehefrau zugute kommen. Insofern sei sie entsprechend an den Steuererstattungen
zu beteiligen, die ab 1989 auch für die Folgejahre mit monatlich 234,25 DM einkommenserhöhend berücksichtigt würden.
b) Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts richtet sich die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers, mit der er
eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art.
6 Abs.
1, Art.
12 Abs.
1 und
2 sowie Art.
33 Abs.
5 GG rügt.
Neben der Berechnungsweise, der Heranziehung seines Nebenerwerbseinkommens und der Nichtberücksichtigung von Fahrtkosten hält
der Beschwerdeführer auch die Berücksichtigung des steuerlichen Splittingvorteils bei der Unterhaltsbemessung für verfassungswidrig.
Der Splittingvorteil werde der bestehenden, nicht der geschiedenen Ehe gewährt. Werde dieser Vorteil über den Unterhalt an
die frühere Ehefrau weitergereicht, verstoße dies gegen Art.
6 Abs.
1 GG. Zur Deckung des Unterhalts werde auf diese Weise nicht nur der Beschwerdeführer, sondern auch seine zweite Ehefrau, bei
der der Vorteil entstehe, herangezogen.
2. Der Beschwerdeführer zu 1 im Verfahren 1 BvR 2298/94 wurde 1989 geschieden. Er wurde zu nachehelichen Unterhaltszahlungen an seine Ehefrau verpflichtet, der die Sorge für das
aus der Ehe hervorgegangene Kind übertragen worden war. Später heiratete der Beschwerdeführer wieder. Nach der Geburt eines
gemeinsamen Kindes gab seine neue Ehefrau, die Beschwerdeführerin zu 2, ihre Erwerbstätigkeit auf.
a) Das Amtsgericht setzte die Höhe der Unterhaltszahlungen an die frühere Ehefrau für die Zeit ab 2. Februar 1994 neu fest.
Bei der Berechnung des Unterhalts legte das Gericht aufgrund der Wiederverheiratung des Beschwerdeführers zu 1 sein nach Steuerklasse
III ermitteltes Nettoeinkommen zugrunde. Eine Berichtigung des so errechneten Unterhaltsbetrages gemäß §
1579 Nr. 7
BGB hielt es angesichts des dem Beschwerdeführer noch zur Verfügung stehenden Einkommens nicht für erforderlich.
Das Oberlandesgericht verurteilte den Beschwerdeführer zu 1 zu einer etwas höheren Unterhaltszahlung und legte der Berechnung
des Nettoeinkommens des Beschwerdeführers zu 1 ebenfalls die Steuerklasse III zugrunde. Der sich daraus ergebende Steuervorteil
sei nicht nur der neuen Familie des Beschwerdeführers zugeordnet, sondern komme auch seiner früheren Ehefrau und dem Kind
aus dieser Ehe zugute. Der Steuerabzug sei keine für die Bemessung des Unterhaltsbedarfs unbeachtliche Änderung der die ehelichen
Lebensverhältnisse prägenden Umstände. Vielmehr sei die Steuerlast in ihrer jeweiligen realen Höhe maßgebend. Es komme nicht
darauf an, ob das Absinken der Nettoeinkünfte während der verhältnismäßig langen Zeit des Getrenntlebens durch den Wechsel
der Steuerklassen von III auf I nachhaltig gewesen sei. Der infolge der neuen Eheschließung wieder erworbene Splittingvorteil
sei zu berücksichtigen, da sich die Unterhaltsbemessung nach den Nettoeinkünften richte. Für eine Abweichung von dieser Auffassung
bestehe kein Anlass. Auch eine Kürzung des Unterhalts gemäß §
1579 Nr. 7
BGB komme nicht in Betracht, da kein Mangelfall vorliege.
b) Gegen beide Entscheidungen haben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der sie eine Verletzung von Art.
6 Abs.
1 und Art.
3 Abs.
1 GG rügen. Die Beschwerdeführerin zu 2 sieht sich zudem in ihrem Recht aus Art.
6 Abs.
4 GG verletzt.
Es stehe außer Frage, dass Art.
6 Abs.
1 GG auch den geschiedenen bedürftigen Ehegatten schütze. Auch die Rangfolge der Unterhaltsverpflichtung werde nicht angegriffen.
Eine steuerliche Vergünstigung, die ausschließlich der neuen Ehe gewährt werde, dürfe jedoch nicht dem geschiedenen Ehegatten
zugute kommen, da sie die Lebensverhältnisse der ersten Ehe nicht geprägt habe. Aus Art.
6 Abs.
1 und 4
GG folge die Pflicht, den mit dem Splitting verfolgten Zweck bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen. Der Steuervorteil,
der auch der Beschwerdeführerin zu 2 für ihre Haushaltsführung und Kinderbetreuung eingeräumt werde, dürfe nicht zugunsten
der früheren Ehefrau, die nicht steuerlich privilegiert werde, verkürzt werden. Habe sich der Gesetzgeber entschlossen, in
dieser Weise Ehe und Familie zu bevorzugen, dürfe dies nicht durch Auslegung des einfachen Rechts beeinträchtigt werden. Mit
den angegriffenen Entscheidungen werde den Beschwerdeführern der Splittingvorteil entzogen. Dies verletze sie in ihrem Grundrecht
aus Art.
6 Abs.
1 GG. Es stelle auch einen Verstoß gegen Art.
3 Abs.
1 GG dar, dass den Beschwerdeführern der Splittingvorteil nicht in vollem Umfang zufließe, obwohl er jeder Ehe und Familie zukomme.
Schließlich verstießen die Entscheidungen gegen Art.
6 Abs.
4 GG. Der Splittingvorteil sei auch eine Anerkennung der Aufgaben einer Mutter. Diese auch der staatlichen Fürsorge nach Art.
6 Abs.
4 GG dienende Leistung werde ihr aber durch die Entscheidungen wieder entzogen. Im Übrigen stehe mit Art.
6 GG nicht in Einklang, dass das Oberlandesgericht bei der Unterhaltsberechnung den Unterhalt, den der Beschwerdeführer zu 1 seinem
aus der neuen Ehe hervorgegangenen Kind leiste, nicht einkommensmindernd berücksichtigt habe.
III. Zu den Verfahren haben der Bundesgerichtshof, die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht, der Interessenverband
Unterhalt und Familienrecht sowie der Deutsche Juristinnenbund Stellung genommen. Das Bundesministerium der Justiz und die
Landesregierung Niedersachsen haben von einer Stellungnahme abgesehen.
1. Der Bundesgerichtshof hat auf seine ständige Rechtsprechung zur Berücksichtigung des Splittingvorteils bei der Unterhaltsberechnung
verwiesen. Käme der Splittingvorteil ausschließlich der neuen Familie des Unterhaltspflichtigen zugute, würden die Familienmitglieder
aus erster Ehe generell benachteiligt, was mit Art.
6 Abs.
1 GG nicht zu vereinbaren wäre, der nicht nur die intakte, sondern auch die aufgelöste Ehe schütze. Gewissermaßen als Ausgleich
für die erleichterte Scheidbarkeit der Ehe habe der Gesetzgeber insbesondere mit §
1578 Abs.
1 BGB und der grundsätzlichen Privilegierung des ersten Ehegatten nach §
1582 BGB Vorsorge dafür getroffen, dass der geschiedene Ehegatte nach der Scheidung keine allzu große Einbuße seines bisherigen Lebensstandards
hinnehmen müsse. Es erscheine insofern nicht unbillig, den geschiedenen Ehegatten am jeweils realen Einkommen des Unterhaltspflichtigen
teilhaben zu lassen. Zweifelhaft sei, ob es im privaten Unterhaltsrecht auf die konkrete Zweckbestimmung öffentlicher Mittel
ankomme. Die Festsetzung des Unterhalts auf der Basis einer fiktiven Besteuerung nach Lohnsteuerklasse I würde nicht nur zu
einer höchst unpraktikablen Komplizierung der Unterhaltsfälle führen, sondern auch zu einer Ungleichbehandlung der Kinder
aus den verschiedenen Ehen.
2. Die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht hält die bisherige Rechtsprechung zur Einbeziehung des Splittingvorteils
in die Unterhaltsberechnung für verfassungskonform. Die ehelichen Lebensverhältnisse würden regelmäßig durch das verfügbare
Nettoeinkommen geprägt. Es sei deshalb gerechtfertigt, auch nach der Trennung vom jeweiligen Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen
auszugehen. Ausnahmen seien nur dann angebracht, wenn bestimmte konkrete Aufwendungen, derentwegen ein Steuervorteil gewährt
werde, nicht einkommensmindernd berücksichtigt würden. Der Splittingvorteil werde aber unabhängig davon gewährt, ob und in
welchem Umfang mit der Wiederverheiratung tatsächlich eine höhere Belastung durch Unterhaltsleistungen verbunden sei. Eine
Herausrechnung des Splittingvorteils führte zu Rangproblemen beim Kindesunterhalt und benachteiligte die in der Regel ohnehin
sozial schwächeren Familienmitglieder aus der geschiedenen Ehe. Es sei nicht unbillig, den geschiedenen Ehegatten am realen
Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen teilhaben zu lassen. Auch bei Zusammentreffen von Splittingvorteil mit dem Vorteil
aus dem Realsplitting sei es nicht geboten, den Splittingvorteil nur der neuen Familie zukommen zu lassen. Ein daraus erwachsender
insgesamt höherer Steuervorteil sei nur eine Konsequenz aus der steuerlichen Gesamtsituation.
3. Dagegen ist der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht der Auffassung, dass eine Berücksichtigung des Splittingvorteils
der zweiten Ehe bei der Berechnung des Unterhaltsbedarfs des geschiedenen Ehegatten system- und gleichheitswidrig ist und
gegen Art.
3 Abs.
1, Art.
6 Abs.
1 und Art.
2 Abs.
1 GG verstößt.
Anders als die nach Scheidung bei gleich bleibendem Bruttoeinkommen eintretenden Änderungen in der Besteuerung beruhe der
Splittingvorteil bei Wiederheirat auf einer Veränderung, die keinen erkennbaren Bezug zur Erstehe habe und damit im Sinne
der sonstigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch nicht mit einer Erwartung der damals verheirateten Ehegatten begründet
werden könne. Für die Einbeziehung des Splittingvorteils in die Bedarfsbemessung fehle es deshalb an gewichtigen sachlichen
Gründen. Die vom Bundesgerichtshof angeführten Praktikabilitätsgründe könnten schon wegen der intensiven Grundrechtsbeeinträchtigung
des Unterhaltspflichtigen nicht tragen. Außerdem sei auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in vielen Fällen
die Steuerbelastung fiktiv zu ermitteln. Die Berücksichtigung des Splittingvorteils bei der Bedarfsberechnung sei auch deshalb
gleichheitswidrig, weil der Gesetzgeber diesen dem Alleinverdiener in der neuen Ehe zugeordnet habe, während der Realsplittingvorteil
als Steuerentlastung für dem geschiedenen Ehegatten geleistete Unterhaltszahlungen gewährt werde, an dem dieser partizipiere.
Es gebe keinen hinreichenden Grund, den geschiedenen Ehegatten über den Realsplittingvorteil hinaus auch noch am Splittingvorteil
teilhaben zu lassen. Da der Splittingvorteil in der Alleinverdienerehe entstehe, erhöhe sich der Unterhaltsanspruch des geschiedenen
Ehegatten gerade dann, wenn dem Unterhaltspflichtigen erheblich weniger zum eigenen Lebensunterhalt verbleibt, weil er auch
für den Unterhalt seines neuen Ehegatten aufkommen muss.
4. Der Deutsche Juristinnenbund sieht durch die angegriffenen Entscheidungen Grundrechte nicht verletzt. Der Splittingvorteil
berücksichtige die durch die Unterhaltslast verminderte Leistungsfähigkeit verheirateter Einkommensbezieher. Wenn das Splittingverfahren
die Leistungen der Ehefrau und Mutter anerkenne, gelte dies nicht nur für die neue, sondern auch für die geschiedene Ehe.
Würde bei der Ermittlung des Unterhaltsbedarfs der geschiedenen Ehefrau der Splittingvorteil nicht berücksichtigt, würde die
Erziehungsleistung der geschiedenen Ehefrau wirtschaftlich vollends ignoriert und der Unterhaltspflichtige nicht mehr an den
einmal eingegangenen Verpflichtungen festgehalten. Eine Gleichbehandlung ihrer neuen Ehe mit der geschiedenen Ehe könnten
wiederverheiratete Unterhaltspflichtige nicht reklamieren, weil sie aus ihrer geschiedenen Ehe Verpflichtungen behalten hätten,
die ihre neue Ehe notwendig belasteten. Auch die Rechte der neuen Ehefrau seien nicht verletzt. Der Splittingvorteil stehe
ihr persönlich nicht zu, sondern komme ihr nur über ihren Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehemann zugute. Dabei müsse sie
aber die Leistungsfähigkeit mindernde Unterhaltspflichten aus der vorherigen Ehe hinnehmen.
B. I. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers im Verfahren 1 BvR 246/93 ist zulässig. Unzulässig sind allerdings die Rügen, die Berücksichtigung des steuerlichen Splittingvorteils bei der Unterhaltsbemessung
verstoße gegen Art.
2 Abs.
1, Art.
12 Abs.
1 und
2 sowie Art.
33 Abs.
5 GG. Insoweit genügt der Vortrag nicht den an die Substantiierung zu stellenden Anforderungen (vgl. BVerfGE 28, 17 [19]; 52, 303 [327]; 65, 227 [232 f.]; 89, 155 [171]).
II. 1. Im Verfahren 1 BvR 2298/94 ist nur die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1 zulässig. Der Beschwerdeführer hat allerdings ebenfalls nicht
hinreichend dargelegt, weshalb Art.
6 Abs.
1 und Art.
3 Abs.
1 GG dadurch verletzt sein sollen, dass bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten eine neue, die frühere
Ehe nicht prägende Belastung des Unterhaltspflichtigen aufgrund seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Kind aus zweiter
Ehe unberücksichtigt bleibt.
2. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2 ist dagegen unzulässig. Ungeachtet dessen, dass die Beschwerdeführerin
zu 2 am Ausgangsverfahren nicht beteiligt gewesen ist, fehlt es bei ihr an der für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde
erforderlichen Beschwer. Sie ist in ihrer Rechtsposition durch die angegriffenen Entscheidungen nicht unmittelbar betroffen
(vgl. BVerfGE 24, 289 [295]; 51, 386 [395]).
Auch die Beschwerdeführerin wird zunächst zusammen mit ihrem Ehemann durch den Splittingvorteil steuerlich entlastet. Die
Entscheidungen verpflichten nicht sie zu Unterhaltszahlungen an die geschiedene Ehefrau ihres Ehemannes, sondern allein diesen.
Dass ihr eigener Unterhaltsanspruch grundsätzlich dem der geschiedenen Ehefrau nachgeht, ist Folge von §
1582 BGB, nicht der Entscheidungen. Allerdings wird das der neuen Ehe zur Verfügung stehende Gesamteinkommen, das allein vom Ehemann
der Beschwerdeführerin zu 2 aufgebracht wird, durch dessen Unterhaltsverpflichtung gegenüber der früheren Ehefrau und dabei
auch durch die Berücksichtigung des Splittingvorteils bei der Bedarfsbemessung geschmälert. Wenn sich hierdurch ihr Unterhaltsanspruch
gegenüber ihrem Ehemann verringert, liegt dies darin begründet, dass sich der Unterhalt an der tatsächlichen Leistungsfähigkeit
des Unterhaltspflichtigen bemisst. Insofern wirken sich die Entscheidungen zwar mittelbar über ihre Einflussnahme auf die
Leistungsfähigkeit des Ehemanns der Beschwerdeführerin zu 2 auf deren Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehemann aus. Dies reicht
jedoch für die Annahme einer die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde begründenden Beschwer nicht aus.
C. Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind auch begründet. Die angegriffenen Entscheidungen halten der verfassungsgerichtlichen
Prüfung am Maßstab des Art.
6 Abs.
1 GG nicht stand.
I. Der vom Gesetzgeber einerseits der geschiedenen Ehe durch die Unterhaltsregelungen und andererseits der bestehenden Ehe
durch die steuerrechtlichen Regelungen gewährte Schutz steht mit der Gleichwertigkeit von Ehen nach Art.
6 Abs.
1 GG in Einklang (1 und 2). Steuerliche Vorteile, die in Konkretisierung des Schutzauftrags aus Art.
6 Abs.
1 GG gesetzlich allein der bestehenden Ehe eingeräumt sind, dürfen ihr durch die Gerichte nicht wieder entzogen und an die geschiedene
Ehe weitergegeben werden (3).
1. Art.
6 Abs.
1 GG begründet als wertentscheidende Grundsatznorm für den gesamten Bereich des die Ehe betreffenden privaten und öffentlichen
Rechts die Pflicht des Staates, die Ehe zu schützen und zu fördern (vgl. BVerfGE 6, 55 [76]; 28, 104 [113]; 82, 60 [81]; 87,
1 [35]; 105, 313 [346]). Dabei gilt dieser Schutz unterschiedslos jeder Ehe (vgl. BVerfGE 55, 114 [128 f.]). Nicht nur die bestehende Ehe, sondern auch die Folgewirkungen einer geschiedenen Ehe werden durch Art.
6 Abs.
1 GG geschützt (vgl. BVerfGE 53, 257 [296]). Wegen der Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit einer geschiedenen mit einer erneut geschlossenen Ehe bei jeweils
unterschiedlichen, auch widerstreitenden Interessenlagen, die aus ihrer Aufeinanderfolge herrühren und die es gleichermaßen
zu schützen gilt, lassen sich aus Art.
6 Abs.
1 GG für die Ausgestaltung der jeweiligen Rechtspositionen durch den Gesetzgeber keine besonderen Anforderungen herleiten (vgl.
BVerfGE 66, 84 [94 f.]). Der Gesetzgeber kann grundsätzlich selbst bestimmen, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz der Ehe unter
Berücksichtigung der unterschiedlichen Ehekonstellationen verwirklichen will (vgl. BVerfGE 87, 1 [36]). Zu prüfen ist lediglich, ob es für eine Verschiedenbehandlung von Ehen durch den Gesetzgeber hinreichende Gründe gibt.
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden, ob der Gesetzgeber die gerechteste oder zweckmäßigste Regelung
getroffen, sondern ob er die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt hat (vgl. BVerfGE 52, 277 [281]), die auch mit dem Grundsatz der Gleichwertigkeit der Ehen durch Art.
6 Abs.
1 GG gesetzt sind.
2. a) Da Art.
6 Abs.
1 GG auch der geschiedenen Ehe Schutz zukommen lässt, der sich auf Unterhaltsansprüche nach der Scheidung als Folgewirkung der
personalen Verantwortung der Ehegatten füreinander erstreckt, ist es, wie das Bundesverfassungsgericht schon entschieden hat
(vgl. BVerfGE 66, 84), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber beim Aufeinandertreffen von Unterhaltsansprüchen aus der
geschiedenen und aus der neuen Ehe eines Unterhaltspflichtigen dem geschiedenen Unterhaltsberechtigten mit §
1582 BGB einen Vorrang eingeräumt hat. Er hat damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der Anspruch des geschiedenen Ehegatten schon
bestanden hat, bevor die neue Ehe eingegangen worden ist, beide neuen Ehepartner von dieser wirtschaftlichen Last aus der
ersten Ehe gewusst haben und sich insoweit darauf haben einrichten können (vgl. BVerfG, aaO., S. 98). Dies sind nach wie vor
hinreichende Gründe, die die unterschiedliche unterhaltsrechtliche Behandlung von geschiedenen und verheirateten Unterhaltsberechtigten
rechtfertigen.
b) Ebenso aber kann der Gesetzgeber einer bestehenden Ehe Vorteile einräumen, die er einer geschiedenen Ehe vorenthält. Nur
bei zusammenlebenden Ehegatten kann er davon ausgehen, dass sie grundsätzlich zusammen eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs
bilden, in der die Ehegatten jeweils an den Einkünften wie Lasten des anderen teilhaben (vgl. BVerfGE 61, 319 [345 f.]). Nur in dieser Erwerbsgemeinschaft erbringt auch der Nichterwerbstätige einen Beitrag zum gemeinsamen Lebensunterhalt.
3. Steuerliche Vorteile, deren Entstehen vom Eheschluss ausgelöst werden, die das Zusammenleben der Ehegatten voraussetzen
und die der Gesetzgeber in Konkretisierung seines Schutzauftrags allein der bestehenden Ehe einräumt, dürfen ihr durch die
Gerichte nicht dadurch wieder entzogen werden, dass sie der geschiedenen Ehe zugeordnet werden und über die Unterhaltsberechnung
auch den Unterhalt des geschiedenen Ehegatten erhöhen.
a) Die Auslegung und Anwendung gesetzlicher Vorschriften ist Sache der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht kontrolliert
insoweit nur, ob - von Verstößen gegen das Willkürverbot abgesehen - bei Auslegung und Anwendung einfachen Rechts der Einfluss
der Grundrechte grundlegend verkannt ist (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f., 96]; 85, 248 [257 f.]). Dies gilt auch für Normen, die der Gesetzgeber zur Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes
erlassen hat (vgl. BVerfGE 53, 30 [57 f.]). Bei Vorschriften, die grundrechtliche Schutzpflichten erfüllen sollen, ist das maßgebende Grundrecht dann verletzt,
wenn ihre Auslegung und Anwendung den vom Grundrecht vorgezeichneten Schutzzweck grundlegend verfehlen (vgl. BVerfGE 89, 276 [285 f.]).
Differenziert der Gesetzgeber in Erfüllung und Ausgestaltung seiner Verpflichtung aus Art.
6 Abs.
1 GG zwischen geschiedenen und bestehenden Ehen und gewährt er ihnen unterschiedliche Vorteile, mit denen er ihrer jeweiligen
Bedarfslage gerecht werden will, haben die Gerichte dies bei ihren Entscheidungen zu beachten. Das folgt aus dem Gebot des
Art.
6 Abs.
1 GG, jeder Ehe Schutz zukommen zu lassen, der in der jeweiligen gesetzlichen Ausformung seine Konkretisierung findet.
b) Mit dem Geschiedenenunterhalt hat der Gesetzgeber zwar der personalen Verantwortung der Ehegatten auch nach der Scheidung
Ausdruck verliehen und die Unterhaltslast des gegenüber seinem geschiedenen Ehegatten Unterhaltspflichtigen auch dessen neuer
Ehe aufgebürdet. Er hat jedoch mit §
1578 Abs.
1 Satz 1
BGB das Maß des Unterhalts eines geschiedenen Ehegatten an den ehelichen Lebensverhältnissen ausgerichtet und damit auf diejenige
Einkommenssituation beschränkt, die die Ehe der früheren Ehegatten bis zu deren Scheidung bestimmt hat. Dies schließt es nach
dem Willen des Gesetzgebers aus, solche Vorteile bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts zu berücksichtigen, die nicht
aus der geschiedenen Ehe herrühren und weiterbestehen, sondern erst mit einem neuen Eheschluss entstanden sind.
c) Die Ausgangsfälle bieten keinen Anlass, zu den Verfassungsfragen des Ehegattensplittings Stellung zu nehmen, denn sie sind
nicht entscheidungserheblich. Die angegriffenen Urteile verkennen Art.
6 Abs.
1 GG schon allein deshalb, weil sie einen steuerlichen Vorteil, der sich aus dem Steuersplitting gemäß §
32 a Abs.
5 EStG ergeben kann, der geschiedenen Ehe haben zukommen lassen.
Der Gesetzgeber hat den Vorteil, der aus dem Steuersplitting folgen kann, der bestehenden Ehe von gemeinsam steuerlich veranlagten
und zusammenlebenden Ehegatten zugewiesen. Der Splittingtarif kommt deshalb zum Wegfall, wenn die Eheleute dauerhaft getrennt
leben oder sich scheiden lassen. Um eine gleichzeitig mit dem Wegfall des Splittingvorteils durch einen Unterhaltsanspruch
des getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten eintretende Belastung des Unterhaltspflichtigen steuerlich aufzufangen,
hat der Gesetzgeber geschiedenen Ehegatten die Möglichkeit des Realsplittings eingeräumt, die so lange eröffnet ist, wie die
Unterhaltsverpflichtung besteht, ungeachtet einer Wiederheirat des Unterhaltspflichtigen. Geht dieser aber eine neue Ehe ein,
ist dies bei Zusammenveranlagung der Ehegatten anspruchsbegründender Tatbestand für den Eintritt eines möglichen Splittingvorteils.
Dabei handelt es sich nicht um ein Wiederaufleben des steuerlichen Splittingvorteils, in dessen Genuss die geschiedenen Ehegatten
bei Bestehen ihrer Ehe gekommen waren oder hätten kommen können. Vielmehr entsteht mit der neuen Ehe eine neue Einkommenskonstellation
zwischen den nunmehr miteinander verbundenen Ehegatten, die maßgeblich dafür ist, ob und inwieweit ihre Ehe durch das Splittingverfahren
steuerliche Vorteile erfährt. Der neuen Ehe und nicht der geschiedenen Ehe des wiederverheirateten Unterhaltspflichtigen soll
also eine steuerliche Entlastung zuteil werden. Dass diese Entlastung und das der neuen Ehe insoweit steuerlich belassene
Einkommen auch der Abdeckung von Verpflichtungen der Ehegatten dienen können und damit gegebenenfalls auch der Pfändung unterliegen,
ändert nichts daran, dass der Gesetzgeber die steuerliche Entlastung der neuen Ehe und nicht der geschiedenen Ehe zugewiesen
hat. Hätte er unterhaltsrechtlich die Zuordnung zur geschiedenen Ehe beabsichtigt, hätte er dies ausdrücklich gesetzlich regeln
müssen. Dies hat er aber gerade nicht getan, sondern ausschließlich bestehenden Ehen den Splittingvorteil eingeräumt und geschiedene
Ehen auf das Realsplitting verwiesen. Eine solche gesetzgeberische Ausgestaltung entspricht dem Schutzauftrag nach Art.
6 Abs.
1 GG, der auch bei der Auslegung von §
1578 Abs. 1 Satz 1
BGB zu beachten ist.
II. 1. Dies haben die Gerichte bei der Interpretation von §
1578 Abs.
1 Satz 1
BGB in den mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Entscheidungen grundlegend verkannt. Sie haben den neuen Ehen der Beschwerdeführer
den Schutz nach Art.
6 Abs.
1 GG, der ihnen in Ausformung dieses grundgesetzlichen Auftrags durch den Gesetzgeber zukommt, dadurch entzogen, dass sie bei
der Bemessung des Unterhaltsbedarfs das um den Splittingvorteil für die neue Ehe erhöhte Einkommen des wiederverheirateten
Unterhaltspflichtigen real berücksichtigt oder fiktiv in Ansatz gebracht haben, weil sie der Auffassung sind, dieser Vorteil
müsse auch der geschiedenen Ehefrau des Unterhaltspflichtigen zugute kommen. Sie haben zugleich den der neuen Ehe gewährten
Steuervorteil der geschiedenen Ehe zugute gebracht, obwohl der Gesetzgeber damit gerade der nunmehr bestehenden neuen Ehe
den Schutz hat zukommen lassen wollen, der auch ihr nach Art.
6 Abs.
1 GG gebührt.
a) Es gibt keinen Grund für die Annahme, Vorteile, die der neuen Ehe eines geschiedenen Unterhaltspflichtigen erwachsen, seien
schon in dessen früherer Ehe angelegt gewesen und hätten die Lebensverhältnisse der nunmehr Geschiedenen bestimmt. Zwar hat
in den letzten Jahrzehnten die Scheidungsrate und damit auch die Zahl von Wiederverheiratungen zugenommen. Es wäre aber schon
wegen der Dauerhaftigkeit, die die Ehe grundsätzlich auszeichnet, unzulässig und würde auch durch keine Anhaltspunkte in der
Wirklichkeit gestützt, wenn man deshalb unterstellen wollte, mit einer eingegangenen Ehe sei zugleich deren mögliches Scheitern
sowie eine darauf folgende neue Ehe mitgedacht und würden nicht nur das Verhalten der Ehegatten, sondern auch deren Einkommensverhältnisse
geprägt.
b) Der geschiedene unterhaltsberechtigte Ehegatte erfährt auch keine Benachteiligung durch ein Belassen des Steuervorteils
bei der neuen Ehe. Sein Unterhaltsanspruch bleibt dem des mit dem Unterhaltspflichtigen nunmehr Verheirateten vorrangig, bemisst
sich allerdings allein an der Einkommenssituation in der geschiedenen Ehe. Dass dabei nicht mehr der Steuervorteil Berücksichtigung
findet, der auch der geschiedenen Ehe während ihres Bestehens zugeflossen sein kann, ist Folge der Regelung, nach der die
gemeinsame steuerliche Veranlagung nur bei zusammenlebenden Ehegatten erfolgen kann, und nicht Folge der Wiederverheiratung
des Unterhaltspflichtigen.
c) Schließlich können auch Praktikabilitätserwägungen nicht rechtfertigen, der neuen Ehe des Unterhaltspflichtigen den ihr
in Ausgestaltung des Schutzes aus Art.
6 Abs.
1 GG vom Gesetzgeber zugedachten Steuervorteil dadurch zu entziehen, dass der Unterhaltspflichtige auch mit diesem Vorteil zur
Unterhaltszahlung an seinen geschiedenen Ehegatten herangezogen wird. Zwar ist es für die Unterhaltsberechnung einfacher,
vom tatsächlich erzielten Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen auszugehen, das der monatlichen Gehaltsabrechnung entnommen
werden kann. Die Rechtsprechung stellt aber diese Erwägungen selbst hintan, wenn die in der neuen Ehe des Unterhaltspflichtigen
gewählte Steuerklassenkombination nicht vorrangig bei diesem den Splittingvorteil schon beim monatlichen Steuerabzug eintreten
lässt, und berechnet hier das der Unterhaltsbemessung zugrunde zu legende Einkommen fiktiv. Ebenso verfährt sie, wenn ein
Mangelfall vorliegt. Auch im Übrigen ist aber eine etwas schwierigere, jedoch mögliche und durch Technik und Programme unterstützte
Berechnung kein hinreichender Grund, Steuervorteile in Abweichung von der gesetzgeberischen Absicht zuzuordnen.
2. a) Den Verfassungsbeschwerden ist deshalb stattzugeben. Soweit die mit ihnen angegriffenen Entscheidungen auf der Verkennung
von Art.
6 Abs.
1 GG beruhen, sind sie nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Im Verfahren 1 BvR 246/93 wird die Sache an das Oberlandesgericht, im Verfahren 1 BvR 2298/94 an das Amtsgericht zurückverwiesen. Die Gerichte werden sicherzustellen haben, dass der den neuen Ehen der Beschwerdeführer
eingeräumte Splittingvorteil auch bei diesen verbleibt. Wie sie dies vornehmen, haben sie zu entscheiden.
b) Mit der Aufhebung werden die angegriffenen Entscheidungen rückwirkend beseitigt und das Ausgangsverfahren in den Stand
vor ihrem Erlass zurückversetzt. Bei einer etwaigen Rückforderung überzahlten Unterhalts seitens der Beschwerdeführer haben
die Fachgerichte gegebenenfalls zu prüfen, ob sich die Unterhaltsberechtigten auf den Wegfall der Bereicherung berufen können
(vgl. dazu BGH, FamRZ 1998, S. 951; NJW 2000, S. 740).
Für Unterhaltstitel, die nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerdeverfahren sind, folgt die auf die Zukunft beschränkte Rechtsfolgenwirkung
aus §
323 Abs.
3 Satz 1
ZPO beziehungsweise aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. NJW 2001, S. 3618 [3621]; NJW 2003, S. 1181 [1182]).