Vertragsarztrecht
Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit
Übernahme eines Vertragsarztsitzes durch ein MVZ
Nachbesetzungsverfahren
Gründe
I.
Der Kläger wurde zum 01.01.2013 als Facharzt für Strahlentherapie mit hälftigem Versorgungsauftrag in der W-straße 00, P zur
vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Am 19.03.2014 beantragte die Beigeladene zu 1) die Entziehung der Zulassung zur
vertragsärztlichen Tätigkeit des Klägers. Dieser erklärte am 28.10.2014 den Verzicht auf seine Zulassung, wenn seiner Anstellung
im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) N stattgegeben werde. Mit Beschluss vom 30.10.2014 entzog der Zulassungsausschuss
für Ärzte E dem Kläger seine Zulassung. Am 18.11.2014 wurde ein Antrag gestellt, die Anstellung des Klägers durch das MVZ
zu genehmigen. Nach Widerspruch des Klägers gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses vom 30.10.2014 entzog ihm der
Beklagte seine Zulassung durch Beschluss vom 18.03.2015. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage vom 23.04.2015.
Mit Beschluss vom 15.05.2017 hat das Sozialgericht (SG) Duisburg das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Zur Begründung hat es angegeben, Kläger und Beklagter hätten das Ruhen des
Verfahrens beantragt bzw. dem Ruhen zugestimmt. Die Ruhensanordnung sei auch zweckmäßig, weil sich der Kläger bereit erklärt
habe, die streitgegenständliche Zulassungsentziehung für die Facharztpraxis in der W-straße 00, P zu akzeptieren, wenn im
Gegenzug seinem Antrag auf Anstellung im MVZ N stattgegeben werde. Letztere Entscheidung sei auch vorgreiflich und unter Zugrundelegung
der Bearbeitungsfristen nach §
88 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) überfällig.
Gegen diesen ihr am 18.05.2017 zugestellten Beschluss hat die Beigeladene zu 1) am 13.06.2017 Beschwerde eingelegt. Entgegen
der Auffassung des SG könne über die Anstellung im MVZ N erst entschieden werden, wenn eine rechtskräftige Entscheidung hinsichtlich der Zulassungsentziehung
vorliege. Eine Genehmigung der Anstellung würde bedeuten, dass der Kläger seinen Vertragsarztsitz zugunsten einer Anstellung
im MVZ verwerten würde. Es habe sich um eine "Zulassung auf Vorrat" gehandelt. Eine Verwertung zum Zwecke der Anstellung sei
rechtsmissbräuchlich.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 15.05.2017 aufzuheben und dem Verfahren Fortgang zu gewähren.
Der Kläger beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung gibt er an, dass er gegenüber dem Zulassungsausschuss auf die Zulassung mit dem Ziel der Anstellung im MVZ
N verzichtet habe. Vorgreiflich gegenüber der Zulassungsentziehung sei daher die Verzichtserklärung. Selbst der Entzug der
Zulassung stehe einer Anstellung im MVZ nicht entgegen (§
103 Abs.
4c Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V)).
Der Beklagte beantragt ebenfalls,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach seiner Auffassung unterliegt die Ermessensentscheidung des SG nur einer eingeschränkten Prüfung. Die Beigeladene zu 1) setze eigene Zweckmäßigkeitserwägungen an die Stelle derjenigen
des SG.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang des Beklagten
sowie die beigezogene Gerichtsakte S 19 KA 5/17 SG Duisburg Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Voraussetzungen für eine Anordnung des Ruhens des Verfahrens liegen nicht vor. Die Anordnung ist nicht zweckmäßig i.S.v.
§
202 SGG i.V.m. §
251 Zivilprozessordnung. Das SG geht in seiner Entscheidung unzutreffend davon aus, dass die Entscheidung über die Anstellung im MVZ vorgreiflich sei. Das
ist - wie von der Beigeladenen zu 1) angeführt - nicht der Fall. Vielmehr verhält es sich umgekehrt.
Nach §
103 Abs.
4a Satz 1 Halbsatz 1
SGB V hat der Zulassungsausschuss (wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen) die Anstellung in einem
MVZ zu genehmigen, wenn ein Vertragsarzt in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, auf seine
Zulassung verzichtet, um in einem MVZ tätig zu werden. Für den Planungsbereich, in dem der Kläger und das MVZ N ihre Praxen
haben, bestehen Zulassungsbeschränkungen für Strahlentherapeuten. Die Anstellungsgenehmigung kann daher nur erteilt werden,
wenn der Kläger für die Tätigkeit im MVZ auf seine Zulassung verzichtet. Das setzt voraus, dass er über eine Zulassung verfügt.
Ob dies der Fall ist, ist im Rechtsstreit S 19 KA 2/16 SG Duisburg zu klären.
Die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung beurteilt sich nach der Sachlage zum Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung (BSG, Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 49/11 R -). Maßgeblicher Zeitpunkt ist mithin der 18.03.2015. Zu diesem Zeitpunkt bestand die streitbefangene Zulassung unabhängig
von der vom Kläger am 28.10.2014 abgegebenen Verzichtserklärung. Durch eine Genehmigung der Anstellung entfällt die Zulassung
des Klägers auch nicht rückwirkend, so dass dem Beschluss des Beklagten das Regelungsobjekt entzogen würde. Unabhängig von
der Frage, ob der Kläger seine Verzichtserklärung wirksam an die Bedingung der Anstellungsgenehmigung knüpfen konnte ohne
dass ein entsprechender Antrag durch das MVZ gestellt war, handelt es sich jedenfalls um eine aufschiebende Bedingung i.S.v.
§
158 Abs.
1 Bürgerliches Gesetzbuch. Die Wirkung der Verzichtserklärung würde daher erst mit Eintritt der Bedingung eintreten, mithin mit Ausspruch der Anstellungsgenehmigung.
Durch die Verzichtserklärung ist die Zulassung weder zum 28.10.2014 entfallen noch zu einem späteren Zeitpunkt bis heute.
Bei einem Entzug der Zulassung kommt auch nicht ohne weiteres eine Anstellung des Klägers im MVZ nach §
103 Abs.
4c SGB V in Betracht. §
103 Abs.
4c SGB V lautet:
"Soll die vertragsärztliche Tätigkeit in den Fällen der Beendigung der Zulassung durch Tod, Verzicht oder Entziehung von einem
Praxisnachfolger weitergeführt werden, kann die Praxis auch in der Form weitergeführt werden, dass ein medizinisches Versorgungszentrum
den Vertragsarztsitz übernimmt und die vertragsärztliche Tätigkeit durch einen angestellten Arzt in der Einrichtung weiterführt,
wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. Die Absätze 3a, 4 und 5 gelten entsprechend. ( ...)"
Eine Übernahme des Vertragsarztsitzes des Klägers durch das MVZ kommt im Fall der Entziehung der Zulassung demnach nur in
Betracht, wenn der Zulassungsausschuss auf Antrag des Klägers entscheidet, dass ein Nachbesetzungsverfahren nach Absatz 4
für den Vertragsarztsitz durchgeführt werden soll und das MVZ in diesem Verfahren zum Zuge kommt. Der Zulassungsausschuss
kann den Antrag unter den in §
103 Abs.
3a SGB V beschriebenen Voraussetzungen ablehnen. Andernfalls wird der Vertragsarztsitz nach §
103 Abs.
4 SGB V ausgeschrieben. Einen Antrag auf ein Nachbesetzungsverfahren hat der Kläger nicht mit seiner Verzichtserklärung vom 28.10.2014
verbunden. Ein entsprechendes Verwaltungsverfahren, dessen Ausgang im vorliegenden Rechtsstreit abzuwarten wäre, fehlt.
Wäre die Entscheidung des Zulassungsausschusses tatsächlich vorgreiflich, hätte das SG im Übrigen statt das Ruhen anzuordnen nach §
144 Abs.
2 Satz 1
SGG das Verfahren aussetzen müssen. Dieser lautet:
"Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab,
das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann
das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle
auszusetzen sei."
In diesen Fällen ist das Ermessen des Gerichts, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, erst eröffnet, wenn u.a. die Entscheidung
des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand
eines anderen Rechtsstreits bildet. Nicht ausreichend ist, dass sich in dem anderen Verfahren die gleiche Rechtsfrage stellt
(zum insofern gleichlautenden §
94 Verwaltungsgerichtsordnung: BVerwG, Urteil vom 11.02.2009 - 2 A 7/06 - ). Wie vorstehend ausgeführt, hängt die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits jedoch nicht von der Anstellungsgenehmigung
für den Kläger im MVZ ab sondern umgekehrt.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).