Betriebsbedingte Kündigung; Sonderliquidationsverfahren nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO; Betriebsratsanhörung; Betriebsübergang;
Fehlerhafte Massenentlassungsanzeige; Zurückweisung
Tatbestand:
Die Parteien streiten auch im Berufungsrechtszug über die Wirksamkeit einer Kündigung.
Wegen des erstinstanzlich unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort gegenüber
der Beklagten zu 1) und Berufungsbeklagten zuletzt gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl.
141 bis 145 d.A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Klage gegenüber der Beklagten zu 1) durch am 08. September 2010 verkündetes Teil-Urteil,
2 Ca 240/10, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte zu 1) sei für die gestellten Anträge die richtige
Beklagte, da mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu
verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergehe, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein
zuständiges Gericht eines Mitgliedsstaates in allen Mitgliedsstaaten anerkannt werde, es sich bei dem Sonderliquidationsverfahren
nach Art. 14 A des G Gesetzes Nr. 3429/2005, hinzugefügt durch Gesetz Nr. 3710/2008, um ein Insolvenzverfahren nach Art. 2
lit. a EuInsVO handele und das A Berufungsgericht für die Eröffnung des Verfahrens zuständig gewesen sei, wobei selbst bei
Zweifeln an der Zuständigkeit die Wirkung der Eröffnungsentscheidung nicht durch nationales Recht beseitigt oder aberkannt
werden könne. Auf die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Arbeitsvertrag und das Arbeitsverhältnis finde deutsches Recht
Anwendung. Die Kündigung der Beklagten zu 1) sei durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, da diese sich zur Betriebsstilllegung
entschlossen habe und diese im Kündigungszeitpunkt bereits greifbare Formen angenommen habe. Zum Vorbringen der Beklagten
zu 1) im Hinblick auf eine etwaige Sozialauswahl bezogen auf die Arbeitnehmer B, C, D und E habe der Kläger sich nicht geäußert,
einer weitergehenden Auskunft zur Sozialauswahl habe es nicht bedurft, da allen Arbeitnehmern der in N gelegenen Betriebe
gekündigt worden sei. Die Kündigungsfrist bestimme sich nach §
113 InsO und sei gewahrt. Der Kläger habe die Kündigung nicht nach §
174 BGB zurückweisen können, da dem Kündigungsschreiben unstreitig eine Originalvollmacht auf den die Kündigung erklärenden Prozessbevollmächtigten
der Beklagten zu 1) beigefügt war und der die Vollmacht unterzeichnende Verwaltungsrat F Alleinvertretungsmacht habe und zur
Erteilung von Untervollmachten bevollmächtigt sei. Die Kündigung sei auch nicht wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung gemäß
§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. In der Betriebsratsanhörung seien auch die Sozialdaten des Klägers, soweit sie der Beklagten zu 1) bekannt gewesen
seien, zutreffend beschrieben, wobei sie nicht gehalten gewesen sei, wegen der Richtigkeit der aus der Lohnsteuerkarte entnommenen
Daten Nachforschungen zu betreiben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen
(Bl. 145 bis 153 d.A.).
Gegen dieses ihm am 01. Dezember 2010 zugestellte Teil-Urteil hat der Kläger am Montag, den 03. Januar 2011 Berufung eingelegt
und diese nach aufgrund Antrags vom 26. Januar 2011 erfolgter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 01. März 2011
am 01. März 2011 begründet.
Er bestreitet, dass die mit der Kündigung vom 24. Dezember 2009 vorgelegte Vollmacht vom Verwaltungsratsmitglied F unterzeichnet
wurde, und führt aus, aus der Unterschrift selbst sei nicht ansatzweise erkennbar, welchen Namenszug sie darstellen solle;
außerdem falle auf, dass diese Unterschrift nicht mit derjenigen auf der für die Verhandlungen mit dem Betriebsrat vorgelegten
Vollmacht (Anlage B 8, Bl. 75 d.A.) übereinstimme.
Außerdem sei F weder befugt noch rechtlich in der Lage gewesen, für die Beklagte zu 1) wirksam eine entsprechende Vollmacht
auf deren Prozessbevollmächtigten auszustellen. Denn im Kündigungszeitpunkt sei F nicht mehr alleinvertretungsberechtigt gewesen.
Nachdem sich die personelle Zusammensetzung des Verwaltungsrats der Beklagten zu 1) ausweislich der Veröffentlichung der G
Regierungszeitung vom 09. November 2009, Bl. 13081 verändert habe, in dieser Veröffentlichung aber der Hinweis auf eine Alleinvertretungsberechtigung
F' fehle, ergebe sich nach G Recht die Rechtsfolge, dass F weder alleinvertretungsberechtigt habe handeln können noch als
geschäftsführendes Vorstandsmitglied anzusehen gewesen sei. Mit der Veröffentlichung vom 09. November 2009 seien vielmehr
sämtliche F erteilten Handlungs- und Vertretungsvollmachten erloschen.
Der Kläger hält daran fest, der Betriebsrat sei zur Kündigung vom 24. Dezember 2009 nicht ordnungsgemäß angehört worden. Er
verweist darauf, dass der Betriebsrat ausweislich seiner Stellungnahme vom 21. Dezember 2009 gerügt hatte, der Bevollmächtigte
der Beklagten zu 1) habe seine behauptete Bevollmächtigung gegenüber dem Betriebsrat nicht ordnungsgemäß nachgewiesen, und
vertritt die Auffassung, damit sei die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht in Gang gesetzt worden.
Er bestreitet, dass die Beklagte zu 1) den Betriebsrat im Rahmen der Anhörung oder im Rahmen der Verhandlungen über einen
Interessenausgleich und Sozialplan über die Details der Stilllegungsabsicht informiert habe. Selbst wenn dem Betriebsrat im
Rahmen der Anhörung das Schreiben vom 01. Dezember 2009 nochmals in Kopie überreicht worden sein sollte, folge auch hieraus
keine ordnungsgemäße Information, da sich weder aus dem Schreiben noch aus dem bisherigen Vortrag ergäbe, weshalb der Bedarf
für die Beschäftigung des Klägers gerade zum 31. März 2010 entfallen sei. Außerdem hätte dem Betriebsrat erläutert werden
müssen, welche verbleibenden Restarbeiten noch von einzelnen Mitarbeitern über den 31. März 2010 hinaus hätten erledigt werden
müssen.
Der Kläger rügt fehlerhafte Massenentlassungsanzeige. Er verweist auf den unbestrittenen Umstand, dass der Massenentlassungsanzeige
keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt war, bestreitet, dass die Beklagte zu 1) gegenüber der Arbeitsverwaltung glaubhaft
gemacht habe, den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor der Anzeige unterrichtet zu haben, und behauptet, eine umfassende
Unterrichtung des H Betriebsrats sei jedenfalls mit dem ausdrücklichen Hinweis auf § 17 KSchG nie erfolgt. Er meint, die fehlerhafte Massenentlassungsanzeige führe auch zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Der Kläger beantragt,
das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 08. September 2010, 2 Ca 240/10, abzuändern und
festzustellen, dass das zwischen ihm und der Beklagten zu 1) bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 24.
Dezember 2009 aufgelöst worden ist,
die Beklagte zu 1) zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen
Bedingungen als kommissarischen Flugbetriebsleiter weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte zu 1) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie behauptet, sowohl die dem Kündigungsschreiben beigefügte Vollmacht als auch die als Anlage B 8 in Kopie vorgelegte Vollmacht
seien von F unterschrieben. Sie meint, die der Kündigung beigefügte Vollmacht sei wirksam erteilt, und behauptet, die Aktiengesellschaften
in I treffende Obliegenheit zur Publikation ihrer Verwaltungsratsbeschlüsse erfasse auch frühere Beschlüsse abändernde Beschlüsse.
Sie behauptet, keine die Alleinvertretungsberechtigung F' abändernden Beschlüsse gefasst zu haben, hieran habe sich weder
durch die veränderte personelle Zusammensetzung ihres Verwaltungsrats etwas geändert noch hätte nach G Recht wegen der veröffentlichten
veränderten personellen Zusammensetzung die Fortgeltung der Alleinvertretungsbefugnis F' (erneut) publiziert werden müssen.
Sie meint, der Betriebsrat habe die Anhörung zur Kündigung nicht nach §
174 BGB zurückweisen können, wobei die Vollmachtsrüge im Hinblick auf das durchgeführte Einigungsstellenverfahren, ein Verfahren
auf einstweiligen Rechtsschutz und aufgrund des Umstandes, dass ihr Prozessbevollmächtigter dem Betriebsrat aus vorangegangenen
gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren als bevollmächtigt bekannt gewesen sei, auch treuwidrig sei. Im Übrigen hält
sie daran fest, den Betriebsrat umfassend unterrichtet zu haben.
Sie meint, die Kündigung sei nicht wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam, verweist darauf, dem Betriebsrat
in der Anhörung zur Kündigung die Einleitung des Anzeigeverfahrens mitgeteilt zu haben, und meint, die Verfügung der J vom
18. Dezember 2009, wonach die Massenentlassungsanzeige wirksam eingegangen sei, sei bindend.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
A. Die Berufung des Klägers gegen das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 08. September 2010, 2 Ca 240/10, ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG,
519,
520 Abs.
1 und
3 ZPO.
B. Sie ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage gegenüber der Beklagten zu 1) zu Recht abgewiesen.
Die Klage ist gegenüber der Beklagten zu 1) unbegründet. Die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 24. Dezember 2009 ist wirksam
und hat das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31. März 2010 beendet. Damit steht dem Kläger auch kein Weiterbeschäftigungsanspruch
gegenüber der Beklagten zu 1) zu. Dies hat das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung erkannt. Es wird festgestellt, dass
die Kammer den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils folgt, § 69 Abs. 2 ArbGG. Dies erfolgt mit der Maßgabe, dass die Kammer die Anwendung deutschen Rechts auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht
aus Art. 8 Abs. 2 Rom I ableitet, sondern aufgrund der von der angefochtenen Entscheidung dargelegten Gründe aus Art. 30 Abs. 2 Nr. 1
EGBGB, dies weil der Arbeitsvertrag vor dem 17. Dezember 2009 geschlossen wurde, Art. 28 Rom I. Im Hinblick auf die Ausführungen in der Berufung ist folgendes zu ergänzen:
I. Die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 24. Dezember 2009 ist nicht gemäß § 1 KSchG unwirksam. Sie ist nicht sozial ungerechtfertigt, sondern durch der Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehende dringende
betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt.
1. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Beklagte zu 1) wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung
gekündigt hat, wobei diese bereits greifbare Formen aufwies und aufgrund vernünftiger betriebswirtschaftlicher Betrachtung
im Kündigungszeitpunkt davon ausgegangen werden konnte, dass zum Kündigungstermin mit einiger Sicherheit der Eintritt des
die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben sein wird. Hiergegen bringt der Kläger in der Berufung
nichts weiter vor.
2. Dies gilt auch im Hinblick auf die Ausführungen zur Sozialauswahl, wobei ergänzend darauf hinzuweisen ist, dass der Arbeitnehmer
D als Betriebsratsmitglied in eine wegen der Durchführung von Abwicklungsarbeiten durchzuführenden Sozialauswahl (vgl. hierzu
BAG 16. September 1982 - 2 AZR 271/80 - AP KO § 22 Nr. 4)aufgrund des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 4 und 5 KSchG nicht einzubeziehen wäre (BAG 17. November 2005 - 6 AZR 118/05 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 60) und die Arbeitnehmerin K nicht zum 31. März 2010 gekündigt werden konnte, weil zunächst aufgrund ihrer Schwerbehinderung
die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen war. Im Übrigen bestimmt sich der Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden
vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit.
Dies gilt nicht nur bei Identität des Arbeitsplatzes, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und
Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. An einer Vergleichbarkeit fehlt es dagegen, wenn
der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann (BAG 02. Juni 2005 -
2 AZR 480/04 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 75; BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 420/09 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 98). Sollte es für die Übertragung von Abwicklungsarbeiten darüber hinaus einer Änderung der vertraglichen
Bedingungen bedürfen, ist außerdem erforderlich, dass die Arbeitnehmer auch für die Tätigkeit, die Gegenstand des Änderungsangebots
wären, wenigstens annähernd gleich geeignet sind; die Austauschbarkeit muss sich damit auch auf den dem Änderungsangebot zugrunde
liegenden Arbeitsplatz beziehen (BAG 18. Januar 2007 - 2 AZR 796/05 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 89; BAG 09. September 2010 - 2 AZR 1045/08 - nv, juris). Es ist aber weder ersichtlich, dass der Kläger als Ground OPS Manager oder auch als kommissarischer Flugbetriebsleiter
mit Buchhaltern (D und K), der Personalleiterin (C) oder dem Finanzdirektor und kommissarischen Ndirektor (E) vergleichbar
und für Abwicklungsarbeiten im Bereich der Abwicklung von Miet- und Dienstverhältnissen und der abschließenden Bearbeitungen
von Personalangelegenheiten annähernd wie diese geeignet wäre. Flugbetrieb selbst wiederum fand im Kündigungszeitpunkt schon
seit ca. drei Monaten nicht mehr statt.
II. Die Kündigung ist nicht gemäß §
174 Satz 1
BGB unwirksam.
Der Kläger konnte die Kündigung nicht mangels Vollmachtsvorlage zurückweisen. Er hat sie auch nicht wegen Mängeln in der Vertretung
zurückgewiesen. Solche bestehen auch nicht.
1. Der Kündigung war eine auf den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) ausgestellte Vollmacht im Original beigefügt.
Dies ist unstreitig.
2. Die Originalvollmacht wurde ausgestellt durch L F. Dieser ist als Verwaltungsratsmitglied Organvertreter der Beklagten
zu 1). Dies folgt aus deren Satzung, veröffentlicht im G Regierungsblatt vom 27. Mai 2009, Bl. 3847 f.
a) Dass die Originalvollmacht durch L F unterschrieben wurde, ist vom Kläger nicht zulässig bestritten. Von daher besteht
für die Kammer kein Anlass, dem Beweisantritt der Beklagten zu 1) (Vernehmung des L F) nachzugehen.
b) Als Grundsatz gilt, dass eine Partei, die keine näheren Einblicke in dem Gegner bekannte Geschehensabläufe hat und deren
Beweisführung deshalb erschwert ist, auch von ihr nur vermutete Tatsachen behaupten kann. Unzulässig ist ein derartiges prozessuales
Vorgehen allerdings, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich
Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt und sich deshalb rechtsmissbräuchlich erhält. Dies kann bei
Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte angenommen werden (BAG 28. Mai 1998 - 6 AZR 618/96 - AP TV Ang. Bundespost § 16 Nr. 6; BAG 05. November 2003 - 5 AZR 562/02 - AP
BGB §
615 Nr. 106; BGH 13. Dezember 2002 - V ZR 359/01 - NJW-RR 2003, 491; BGH 15. Mai 2003 - III ZR 7/02 - BGHReport 2003, 891; BGH 02. April 2009 - V ZR 177/09 - NJW-RR 2009, 1236).
c) Derartige Anhaltspunkte liegen nicht vor, so dass sich das Bestreiten des Klägers als rechtsmissbräuchlich darstellt. Der
Kläger beruft sich für sein Bestreiten ausschließlich darauf, die Unterschriften unter den Vollmachten vom 11. Dezember 2009
(Bl. 105 d.A.) und vom 29. Oktober 2009 (Bl. 75 d.A.) würden nicht übereinstimmen; ein Vergleich der beiden Unterschriften
lasse absolut keine Übereinstimmungen feststellen. Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer ausdrücklich nicht an. Im
Gegenteil weisen die Unterschriften identische Charakteristika auf, ähneln einander und begründen nicht den Eindruck, von
unterschiedlichen Urhebern zu stammen, sondern gerade von ein und derselben Person. Weitere Gesichtspunkte, die den Kläger
veranlassen, die Urheberschaft F' an der Unterschrift der der Kündigung beigefügten Vollmacht zu bestreiten, hat er auch im
Verhandlungstermin nicht vorgebracht. Greifbare Anhaltspunkte für die Annahme, eine dritte Person habe die Unterschrift F'
unter der Vollmacht vom 11. Dezember 2009 gefälscht, existieren nicht. Der Kläger nennt keine Gesichtspunkte, aufgrund derer
er selbst seine Behauptung für wenigstens wahrscheinlich halten könnte. Der Vortrag dient allein dem Zweck, durch Beweisaufnahme,
nämlich durch Vernehmung des von der Beklagten zu 1) benannten L F als Partei oder ggf. Einholung eines Sachverständigengutachtens,
auszuforschen, ob die Unterschrift unter der Vollmacht vielleicht doch nicht von einem Verwaltungsratsmitglied der Beklagten
zu 1) stammen könnte. Der Vortrag ist damit mangels Anhaltspunkten in unzulässiger Weise auf reine Ausforschung (hierzu KG
14. Februar 2011 - 12 U 67/10 - Volltext: juris) gerichtet.
3. Die Beklagte zu 1) ist als Sonderliquidatorin der Arbeitgeberin des Klägers kündigungsberechtigt. Sie ist damit auch berechtigt,
Dritte mit dem Ausspruch einer Kündigung zu bevollmächtigten. Bei der Erteilung einer solchen Vollmacht kann sie durch ihren
Organvertreter F handeln, und zwar durch diesen allein.
a) Die Beklagte zu 1) ist kündigungsberechtigt, da infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners,
das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf sie übergegangen ist, denn das Sonderliquidationsverfahren
G Rechts nach Art. 14 A des Gesetzes Nr. 3429/2005 ist ein nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO auch in der M N anerkanntes
Insolvenzverfahren. Dies hat das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung festgestellt. Einwendungen hiergegen werden mit
der Berufung auch nicht vorgebracht.
b) F konnte als Organvertreter der damit kündigungsberechtigten Beklagten zu 1) allein eine Kündigungsvollmacht auf deren
Prozessbevollmächtigten ausstellen.
aa) Seine Alleinvertretungsberechtigung folgt aus der veröffentlichten Satzung der Beklagten zu 1). Hiernach ist dem Vorsitzenden
des Verwaltungsrats O und dem geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglied F die volle Verwaltungs- und Vertretungsmacht der
Beklagten zu 1) übertragen, und zwar mit der Möglichkeit, dass jeder getrennt handelt (Alleinvertretungsbefugnis) und dass
jeder der beiden berechtigt ist, die Ausführung konkreter Geschäfte gegenüber Dritten auf andere Personen zu übertragen und
diesen Vollmachtsurkunden auszustellen.
bb) Fehlende Alleinvertretungsbefugnis des geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieds F wird vom Kläger angesichts der veröffentlichten
Satzung nicht substantiiert behauptet. Sein Vortrag beschränkt sich darauf, nach G Recht hätte nach Veränderung der personellen
Zusammensetzung des Verwaltungsrats in einem Regierungsblatt veröffentlich werden müssen, dass F seine bisherige Vollmacht
behalte bzw. ihm erneut Alleinvertretungsmacht eingeräumt sei, da mit der Veröffentlichung vom 09. November 2009 sämtliche
zuvor mit Veröffentlichung vom 27. Mai 2009 erteilten Handlungs- und Vertretungsvollmachten erloschen seien. Auf welchen gesetzlichen
Vorschriften oder von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen dies nach G Recht beruhen soll, wird nicht ansatzweise dargelegt.
Vor diesem Hintergrund besteht mangels konkreten Tatsachenvortrags auch keine Veranlassung, gemäß §
293 ZPO zu ermitteln, ob aufgrund überhaupt nicht dargelegter Umstände nach G Recht im Kündigungszeitpunkt keine Alleinvertretungsberechtigung
F mehr bestand.
4. Selbst wenn für F nur Gesamtvertretungsberechtigung bestanden hätte, wäre seine Vollmachtserteilung gegenüber dem Prozessbevollmächtigten
der Beklagten zu 1) und dessen Kündigungserklärung genehmigt, §§
180 Satz 2,
177 Abs.
1 BGB, dies spätestens mit dem Klageabweisungsantrag.
a) F hat als Organvertreter der Beklagten zu 1) gehandelt und nicht als rechtsgeschäftlicher Vertreter. Auf Organhandeln findet
§
174 BGB keine Anwendung (BAG 10. Februar 2005 - 2 AZR 584/03 - AP
BGB §
174 Nr. 18; BAG 20. September 2006 - 6 AZR 82/06 - AP
BGB §
174 Nr. 19). Der Ausnahmefall, dass sich der gesamtvertretungsberechtigte Organvertreter auf eine Ermächtigung des oder der anderen
gesamtvertretungsberechtigten Organvertreter bezieht (hierzu BAG 18. Dezember 1980 - 2 AZR 980/78 - AP
BGB §
174 Nr. 4), liegt nicht vor. F nahm Organhandeln mit Alleinvertretungsbefugnis in Anspruch.
b) Lag die Alleinvertretungsbefugnis nicht vor, handelte F als Nichtberechtigter. Damit hätte keine wirksame Vollmachtserteilung
vorgelegen und wäre die Kündigung durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) ebenfalls durch einen Nichtberechtigten
erfolgt.
Dies führt vorliegend dennoch nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung gemäß §
180 Satz 1
BGB iVm. §
134 BGB, da diese noch genehmigungsfähig war.
aa) Die Frage der Genehmigungsfähigkeit bestimmt sich nach §
180 BGB. Nach §
180 Satz 2
BGB finden die Vorschriften über Verträge und damit die Genehmigungsfähigkeit Anwendung, wenn derjenige, dem gegenüber das einseitige
Rechtsgeschäft vorzunehmen war, die vom Vertreter behauptete Vertretungsmacht bei der Vornahme nicht beanstandet hat oder
er damit einverstanden gewesen ist.
bb) Auch die Kündigungserklärung als einseitige, empfangsbedürftige rechtsgestaltende Willenserklärung ist genehmigungsfähig
(BAG 02. Mai 1957 - 2 AZR 469/55 - AP
BGB §
180 Nr. 1; BAG 11. Dezember 1997 - 8 AZR 699/96 - AuR 1998, 202, Volltext: juris; Kammerurteil vom 10. Januar 2011 - 17 Sa 1338/10 - nv., juris; KR-Friedrich, 9. Aufl., KSchG, §
13 Rn 357 mwN; aA LAG Köln 16. November 2005 - 8 Sa 832/05 - LAGE
BGB 2002 §
180 Nr. 1; LAG Köln 20. Juni 2007 - 8 Sa 1287/06 - nv., juris; offen gelassen in BAG 10. Februar 2005 - 2 AZR 584/03 - aaO.; vgl. aber auch BAG 26. März 2009 - 2 AZR 403/07 - AP KSchG 1969 § 4 Nr. 70).
cc) Eine Genehmigung nach §§
180 Satz 2,
177 BGB ist nicht ausgeschlossen, da der Kläger den Mangel der Vertretungsmacht nicht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts beanstandet
hat. Die Beanstandung iSd. §
180 Satz 2
BGB ist wie nach §§
111,
174 BGB im Sinne einer Zurückweisung zu verstehen, hier im Hinblick auf die Vertretungsmacht. Im Fall einer Erklärung unter Abwesenden
hat sie entsprechend §
174 BGB unverzüglich zu erfolgen (Staudinger/Schilken, Stand Juli 2009,
BGB, §
180 Rn. 7 mwN.). Die Zurückweisung mit Schreiben vom 05. Januar 2010 erfolgte "wegen Vollmachtsvorlage" und "wegen sonstigen
Unwirksamkeitsgründen". Hierin mag trotz ggf. missverständlicher Formulierung eine Zurückweisung wegen fehlender Vollmachtsvorlage
gesehen werden. Unter diesem Aspekt bestand aber keine Zurückweisungsmöglichkeit. Das Schreiben vom 05. Januar 2010 lässt
jedoch nicht erkennen, dass die Zurückweisung auch wegen fehlender Vertretungsmacht der die Vollmacht unterzeichnenden Person
erfolgt. Die Beanstandung iSd. §
180 Satz 2
BGB muss jedoch gerade auf die fehlende Vertretungsmacht gestützt werden und zum Ausdruck bringen, dass man das Geschäft eben
aus diesem Grund nicht gelten lassen will; andere Begründungen reichen nicht aus (Staudinger/Schilken, aaO.). Das Rügeschreiben
bezieht sich aber nicht ausdrücklich auf Mängel in der Vertretung.
dd) Die damit mögliche Genehmigung der Kündigung durch die Beklagte zu 1) kann konkludent erfolgen (BAG 11. Dezember 1997
- 8 AZR 699/96 - aaO.) und liegt spätestens im Klageabweisungsantrag im vorliegenden Rechtsstreit (LAGDüsseldorf 17. Januar 2008 - 13 Sa 1988/07 - nv., juris).
III. Die Kündigung ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
1. Dass die Betriebsratsanhörung inhaltlich nicht zu beanstanden ist, hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Die
hiergegen in der Berufung vorgebrachten Argumente überzeugen nicht.
a) Dass dem Betriebsrat die Stilllegungsabsicht mitgeteilt wurde, folgt bereits aus dem der Anhörung beigefügten Schreiben
vom 01. Dezember 2009. Dass dieses Schreiben unabhängig von der Übergabe im Rahmen der mit dem Gesamtbetriebsrat vor der Einigungsstelle
geführten Interessenausgleichsverhandlungen auch dem örtlichen Betriebsrat mit der Kündigungsanhörung übergeben wurde, folgt
aus dem vom Betriebsrat insoweit nicht beanstandeten Anhörungsschreiben vom 14. Dezember 2009 wird vom Kläger nicht substantiiert
bestritten.
b) Die Betriebsratsanhörung ist nicht deshalb fehlerhaft, weil die Beklagte zu 1) dem Betriebsrat nicht mitgeteilt hätte,
aus welchen Gründen sie gerade eine Betriebsstilllegung zum 31. März 2010 beabsichtigte. Im Zeitpunkt der Betriebsratsanhörung
fand vielmehr bereits seit ca. drei Monaten kein Flugbetrieb der Arbeitgeberin von und nach N mehr statt. Entsprechende Kenntnis
des Betriebsrats kann die Kammer unterstellen. Die Beklagte zu 1) hat ferner, worauf das Arbeitsgericht auch in anderem Zusammenhang
zutreffend hingewiesen hat, alle in N unterhaltenen Miet-, Leasing- und Wartungsverträge gekündigt und das Mobiliar der Station
entsorgt oder an Mitarbeiter zu Sonderkonditionen veräußert. Die Beklagte zu 1) hat nicht wegen punktgenau zum 31. März 2010
durchzuführenden Betriebsschließung gekündigt, sondern wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung, wobei allerdings die dargelegten
Tatsachen hinreichend greifbare Anhaltspunkte dafür lieferten, dass zum beabsichtigten Kündigungstermin, dies war beim Kläger
und bei der ganz überwiegenden Anzahl der Arbeitnehmer der 31. März 2010, der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden
betrieblichen Grundes gegeben sein würde. Diese Einschätzung war zum 31. März 2010 mangels Flugbetriebs in N, mangels Betriebsräumen
in N und mangels materieller Betriebsmittel in N realistisch. Erkennbar dient der 31. März 2010 nicht der Feststellung des
von der Beklagten zu 1) beabsichtigten Zeitpunkts der Betriebsstilllegung, sondern der Feststellung der gegenüber den Arbeitnehmern
nach §
113 InsO einzuhaltenden Kündigungsfrist, sofern nicht in Einzelfällen zuvor noch die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen war.
Die Beklagte zu 1) musste dem Betriebsrat daher nicht mitteilen, warum sie gerade zum 31. März 2010 und nicht beispielsweise
zum 03. April 2010 oder auch 30. April 2010 eine Betriebsstilllegung beabsichtigte, sondern dass aufgrund greifbarer Umstände
im Zusammenhang mit der beabsichtigten Betriebsstilllegung zum 31. März 2010 das Beschäftigungsbedürfnis mit einiger Sicherheit
entfallen sein wird.
c) Angaben zur Sozialauswahl, auch im Zusammenhang mit noch zu erledigenden Restarbeiten waren nicht erforderlich. Abgesehen
davon, dass die Beklagte zu 1) nach ihrem Vortrag zunächst allen Arbeitnehmern unter Einhaltung der Kündigungsfrist nach §
113 Satz 2
InsO gekündigt hat, ist die Betriebsratsanhörung subjektiv determiniert. Wenn die Beklagte zu 1) die Auffassung vertreten hat,
wegen der Kündigung aller Arbeitnehmer des H Betriebs keine Sozialauswahl durchführen zu müssen, hatte sie dem Betriebsrat
im Rahmen der Kündigungsanhörung auch keine Kriterien einer nicht durchgeführten Sozialauswahl mitzuteilen.
d) Die Beanstandung, dem Betriebsrat hätte im Rahmen der Anhörung auf eine Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber seiner
Tochter mitgeteilt werden müssen, hält der Kläger in der Berufung nicht aufrecht. Das Arbeitsgericht hat bereits zutreffend
darauf hingewiesen, dass die Beklagte zu 1) sich bei der Anhörung hierbei auf die Eintragungen in der Lohnsteuerkarte des
Klägers verlassen konnte. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass dem Betriebsrat die gegenüber der Tochter bestehende Unterhaltsverpflichtung
ohnehin bekannt war. Dies zeigt die Stellungnahme des Betriebsrats vom 21. Dezember 2009.
e) Die Betriebsratsanhörung ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG durch die Beklagte zu 1) nicht ordnungsgemäß eingeleitet wurde, es hierzu der Vorlage einer auf den Prozessbevollmächtigten
der Beklagten zu 1) ausgestellten Originalvollmacht bedurft hätte und der Betriebsrat deshalb zur Zurückweisung der Anhörung
entsprechend §
174 BGB berechtigt gewesen wäre.
aa) Aus dem Vortrag der Parteien bzw. den eingereichten Unterlagen (Stellungnahme des Betriebsrats vom 21. Dezember 2009,
Bl. 101 f d.A.) lässt sich entnehmen, dass mit der Betriebsratsanhörung zur beabsichtigten Kündigung des Klägers vom 14. Dezember
2009 keine Originalvollmacht auf den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) vorgelegt wurde. Eine Bezugnahme auf die
im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen und dem Verfahren vor der Einigungsstelle - im Übrigen mit dem Gesamtbetriebsrat
und nicht dem örtlichen Betriebsrat - vorgelegte Urkunde würde keine Originalvollmacht ersetzen. Diese Vollmacht ermächtigt
zu "Verhandlungen mit dem Betriebsrat bezüglich der Beendigung von Arbeitsverhältnissen" - die Einschränkung, wonach zwei
Personen zu entscheiden haben, betrifft das Innenverhältnis - wobei offen bleiben kann, ob hiermit auch die Einleitung von
Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG erfasst wird. Sie ist jedenfalls ausweislich des Protokolls der Einigungsstelle vom 04. Dezember 2009 auch nicht im Original
vorgelegt worden, sondern in Telekopie. Abstimmungsverhalten der Mitglieder der Einigungsstelle, auch wenn insoweit Personalunion
mit zwei Mitgliedern des örtlichen Betriebsrats H am P - darunter dessen Vorsitzender - besteht, führt auch nicht zur Annahme,
der örtliche Betriebsrat sei von der Beklagten zu 1) darüber in Kenntnis gesetzt, ihr Prozessbevollmächtigter sei allgemein
zur Einleitung von Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG befugt. Dies gilt auch dann, wenn man unterstellt, dass diese Mitglieder der Einigungsstelle ihren Kenntnisstand dem Gremium
des örtlichen Betriebsrats im Rahmen der Beschlussfassung zur Betriebsratsanhörung mitzuteilen hatten und mitteilten. Dieser
Kenntnisstand besteht dann darin, dass die vorgelegte Vollmacht ausweislich des Protokolls der Einigungsstelle bereits im
Einigungsstellenverfahren beanstandet wurde. Die Reaktion des Betriebsrats wäre dann schließlich auch noch unverzüglich erfolgt,
nämlich zeitgleich mit seiner Stellungnahme vom 21. Dezember 2009 innerhalb der Frist des § 102 Abs. 1 BetrVG, wobei zu berücksichtigen ist, dass auch zur Frage der Zurückweisung der Anhörung zunächst ein Betriebsratsbeschluss zu fassen
war.
bb) Der Betriebsrat war dennoch nicht zur Zurückweisung der Betriebsratsanhörung berechtigt. Denn §
174 BGB findet auf die Betriebsratsanhörung keine Anwendung (aA LAG Baden-Württemberg 11. März 2011 - 7 Sa 109/10 - aaO.; LAG Baden-Württemberg 12. Mai 2011 - 21 Sa 119/10 - nv., juris; LAG Berlin-Brandenburg 27. Mai 2011 - 8 Sa 132/11 - nv., juris; LAG Berlin-Brandenburg 27. Mai 2011 - 8 Sa 2653/11 - nv., juris; LAG Berlin-Brandenburg 29. Juni 2011 - 15 Sa 735/11 - nv., juris; HaKo/Nägele, 3. Aufl., BetrVG; § 102 Rn 52; vgl. auch LAG Baden-Württemberg 25. März 2011 - 7 Sa 8/11 - nv., juris).
(1) Eine unmittelbare Anwendung des §
174 BGB scheidet aus, denn bei der Betriebsratsanhörung handelt es sich weder um ein Rechtsgeschäft noch überhaupt um eine Willenserklärung
(aA BAG 05. Februar 1981 - 2 AZR 1135/78 - AP LPVG NW § 72 Nr. 1; BAG 19. August 1975 - 1 AZR 565/74 - AP BetrVG 1972 §
105 Nr. 1; BAG 02. März 1989 - 2 AZR 280/88 - AP
BGB §
626 Nr. 101: atypische bzw. nichttypische Willenserklärung). Die Willenserklärung im Sinne der Vorschriften des Allgemeinen Teils
des
BGB ist die Äußerung eines Willens, der unmittelbar auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichtet ist; sie bringt einen
Rechtsfolgewillen zum Ausdruck, dh. einen Willen, der auf die Begründung, inhaltliche Änderung oder Beendigung eines privaten
Rechtsverhältnisses abzielt (BGH 17. Oktober 2000 - X ZR 97/99 - BGHZ 145, 343). Sie ist Betätigung der Privatautonomie. Die Betriebsratsanhörung zielt dagegen nicht final auf und führt nicht unmittelbar
zu einem Rechtserfolg. Sie führt zu keiner Beendigung des Arbeitsverhältnisses, zu dessen Kündigung die Anhörung erfolgt.
Sie ist eine gesetzlich vorgegebene Verpflichtung, deren Missachtung unabhängig von Willensbildung und Willensäußerung zur
Unwirksamkeit einer dennoch ausgesprochenen Kündigung führt. Sie dient damit nicht unmittelbar der Herbeiführung privatautonom
gestalteter Rechtsfolgen, sondern allenfalls mittelbar der Vermeidung gesetzlich sonst vorgegebener Rechtsfolgen.
(2) Bei der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG mag es sich um eine geschäftsähnliche Handlung handeln (HaKo/Nägele,aaO.). Auf geschäftsähnliche Handlungen finden die Vorschriften
über Willenserklärungen grundsätzlich entsprechende Anwendung. Bei der Frage, in welchem Umfang die für Willenserklärungen
geltenden Vorschriften auf geschäftsähnliche Handlungen anzuwenden sind, ist allerdings jeweils den spezifischen Eigenarten
und der Interessenlage bei der in Frage stehenden Handlung Rechnung zu tragen (BGH 17. Oktober 2000 - X ZR 97/99 - aaO.), wobei auch der mit der entsprechenden Vorschrift verfolgte Zweck zu berücksichtigen ist. Dementsprechend findet
beispielsweise §
174 BGB auf die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist keine Anwendung (BAG 14. August
2002 - 5 AZR 341/01 - AP
BGB §
174 Nr. 16).
(3) §
174 BGB bezweckt die Wahrung der Gewissheitsinteressen des Dritten (BAG 14. August 2002 - 5 AZR 341/01 - aaO.). Die Vorschrift dient der Vermeidung einer ungünstigen Lage eines Erklärungsempfängers, der mit einem einseitigen
Rechtsgeschäft, zB. einer Kündigung, konfrontiert wird, das als Bevollmächtigter im Namen eines anderen vorgenommen wird,
ohne sich über die erteilte Vollmacht auszuweisen, und die daraus resultiert, dass der Erklärungsempfänger keine Gewissheit
darüber hat, ob das Rechtsgeschäft von einem wirklich Bevollmächtigten ausgeht und der Vertretene es für bzw. gegen sich gelten
lassen muss (BAG 10. Februar 2005 - 2 AZR 584/03 - aaO.; BAG 20. September - 6 AZR 82/06 - aaO.). Die Regelung steht darüber hinaus im Sachzusammenhang mit dem Verbot vollmachtlosen Handelns bei einseitigen Rechtsgeschäften,
§
180 Satz 1
BGB (BAG 14. April 2011 - 6 AZR 727/09 - NZA 2011, 683).
(4) Die entsprechende Anwendung des §
174 BGB auf die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG ist nicht gerechtfertigt. Die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG hat über die reine Unterrichtung hinaus den Sinn, diesem Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zu der Kündigungsabsicht
aus Sicht der Arbeitnehmervertretung zur Kenntnis zu bringen. Die Sanktion der Unwirksamkeit nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG verfolgt den Zweck, den Arbeitgeber zu veranlassen, vor jeder Kündigung den Betriebsrat zu hören, will er nicht Gefahr laufen,
dass die Kündigung von vornherein unwirksam ist. Die Anhörung soll ferner in geeigneten Fällen dazu beitragen, dass es gar
nicht erst zum Ausspruch einer Kündigung kommt. Die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG zielt dagegen nicht darauf ab, die Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung zu überprüfen, sondern beschränkt sich darauf,
im Vorfeld der Kündigung auf den Willensbildungsprozess des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen (BAG 22. September 1994 - 2 AZR 31/94 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 68). Die Vorschrift dient ferner individualrechtlichen Zwecken, indem sie dem Arbeitnehmer im Fall des ordnungsgemäßen
Widerspruchs einen Weiterbeschäftigungsanspruch einräumt, § 102 Abs. 5 BetrVG, gleichermaßen kollektiven Interessen, indem sie den Einfluss des Betriebsrats auf die Zusammensetzung der Belegschaft gewährleistet
(BAG 09. November 1977 - 5 AZR 132/76 - EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 31), und weist insoweit präventiven Charakter auf (Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 25. Aufl., § 102 Rn 34; DKKW/Bachner, BetrVG,12. Aufl., § 102 Rn 3). Die Vorschrift dient dagegen nicht der Schaffung eines weiteren Unwirksamkeitsgrundes für Kündigungen, sie dient auch
nicht einer umfassenden Prüfung der Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Kündigung durch den Betriebsrat.
(5) Die mit § 102 BetrVG verfolgten Zwecke werden auch mit einer Betriebsratsanhörung durch einen bevollmächtigten Vertreter, der keine Vollmachtsurkunde
vorlegt, gewahrt. Die Ungewissheit, ob die Anhörung durch einen wirklich Bevollmächtigten erfolgt, ist zwar ebenso vorhanden
wie in allen Fällen der fehlenden Vollmachtsvorlage. Der Betriebsrat hat aber kein durch §
174 BGB zu schützendes Interesse, unverzüglich klare Verhältnisse zu schaffen. Die Betriebsratsanhörung allein wirkt noch nicht auf
Rechte ein, weder auf solche des Betriebsrats noch auf solche des betroffenen individuellen Arbeitnehmers. Die Anhörung, auch
wenn sie ohne Vollmachtsvorlage erfolgt, führt dazu, dass dem Betriebsrat die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers bekannt ist
und ihm die hierfür in Anspruch genommenen Gründe mitgeteilt werden. Damit ist dem Betriebsrat die Möglichkeit eröffnet, seinerseits
argumentativ auf die Kündigungsabsicht einzugehen und ggf. auf den Willensbildungsprozess des Arbeitgebers einzuwirken. Seine
Argumentationsmöglichkeiten werden hierbei in keiner Weise eingeschränkt. Seine Möglichkeit, die individuelle Position des
betroffenen Arbeitnehmers durch einen qualifizierten Widerspruch zu stärken, wird durch die fehlende Vollmacht nicht beeinträchtigt.
Eine rechtliche Prüfung, ob die Person, die die Betriebsratsanhörung durchführt ggf. auch kündigungsbefugt wäre, hat durch
den Betriebsrat nicht zu erfolgen, wobei ohnehin nicht feststeht, ob auch die Kündigung durch diese Person erfolgen würde.
Die durch die fehlende Vollmachtsvorlage hervorgerufene Ungewissheit erschöpft sich darin, dass ungewiss ist, ob überhaupt
eine Reaktion des Betriebsrats erforderlich ist, wobei eine Rechtspflicht zur Stellungnahme ohnehin nicht besteht. Die Stellungnahmefristen
des § 102 Abs. 2 BetrVG werden hierbei in keiner Weise beeinträchtigt. Das Risiko des Betriebsrats erschöpft sich damit darin, dass er zur mitgeteilten
Kündigungsabsicht eine Beschlussfassung und eine Stellungnahme vornimmt, deren Notwendigkeit ungewiss ist. Stellt sich dann
heraus, dass sie notwendig war, weil die Betriebsratsanhörung in Vollmacht des Arbeitgebers erfolgte, ist den Zwecken des
§ 102 Abs. 2 BetrVG gedient. Stellt sich heraus, dass die Stellungnahme überflüssig war, weil überhaupt keine Betriebsratsanhörung des Arbeitgebers
und keine Kündigungsabsicht vorlagen, wird in aller Regel eine Kündigung ohnehin unterbleiben. Ziele des § 102 BetrVG werden dadurch nicht beeinträchtigt. Der Inhalt der Stellungnahme des Betriebsrats wird schließlich nicht dadurch beeinflusst,
ob der Anhörung eine Vollmacht beigefügt war oder nicht. Die durch §
174 BGB geschützten Gewissheitsinteressen haben damit keinen Einfluss auf den Inhalt der Reaktion des Betriebsrats auf die mitgeteilte
Kündigungsabsicht. §
174 BGB dient dagegen nicht dem Zweck, bestimmte Rechtsgeschäfte oder geschäftsähnliche Handlungen zu verzögern oder zu verhindern.
(6) §
174 BGB steht darüber hinaus im Zusammenhang mit dem Verbot vollmachtlosen Handelns bei einseitigen Rechtsgeschäften (BAG 14. April
2011 - 6 AZR 727/09 - aaO.). Er steht damit aber auch in Zusammenhang nicht nur mit §
180 Satz 1
BGB, sondern auch mit §
180 Satz 2
BGB. Entsprechende Anwendung des §
174 BGB auf die Betriebsratsanhörung müsste dann konsequenter Weise auch zur entsprechenden Anwendung der Genehmigungsmöglichkeit
nach §
180 Satz 2
BGB bei Durchführung der Betriebsratsanhörung durch einen Nichtberechtigten führen, ggf. auch durch konkludentes Handeln, beispielsweise
durch Unterzeichnung des Kündigungsschreibens (so LAG Berlin 12. März 2004 - 6 Sa 2593/03 - nv., juris). Dies wiederum kommt aber nach Auffassung der Kammer schon allein aus Gründen der Rechtssicherheit und im Hinblick
auf die mit der Betriebsratsanhörung in Gang gesetzte Stellungnahmefrist nach § 102 Abs. 3 BetrVG nicht in Betracht. Dies führt letztlich dazu, dass in Zweifelsfällen der Arbeitgeber die Berechtigung zur Durchführung der
Betriebsratsanhörung im Rechtsstreit darzulegen und ggf. nachzuweisen hat.
(7) Ob auf das Zustimmungsersuchen nach § 103 BetrVG die Vorschrift des §
174 BGB entsprechende Anwendung findet (LAGHessen - 29. Januar 1998 - 5 Ta BV 122/97 - ARST 1998, 196), ist in diesem Zusammenhang unerheblich und gibt keinen Aufschluss über die entsprechende Anwendung auch auf das Anhörungsverfahren
nach § 102 BetrVG. Die Beteiligungsverfahren sind unterschiedlich ausgestaltet, insbesondere hat aber im Anwendungsbereich des § 103 BetrVG nicht nur die Durchführung des Anhörungsverfahrens durch den Arbeitgeber sondern auch die Reaktion des Betriebsrats unmittelbare
Auswirkungen auf die Zulässigkeit einer Kündigung, so dass bereits von daher eine unterschiedliche Interessenlage besteht.
IV. Die Kündigung ist nicht gemäß § 17 KSchG iVm. §
134 BGB unwirksam.
1. Der Kläger ist nicht nach § 6 Satz 1 KSchG gehindert, den Unwirksamkeitsgrund des § 17 KSchG iVm. §
134 BGB noch im Berufungsverfahren geltend zu machen, auch wenn er ihn erstinstanzlich nicht geltend gemacht hat. Denn das Arbeitsgericht
hat keinen Hinweis nach § 6 Satz 2 KSchG erteilt. In diesem Fall ist der Arbeitnehmer nicht gehindert, den erstinstanzlich nicht geltend gemachten Unwirksamkeitsgrund
noch im Berufungsverfahren einzuführen, wobei eine Sachentscheidungsbefugnis des Landesarbeitsgerichts und kein Zurückverweisungserfordernis
besteht (vgl. zu §§ 17 Satz 2 TzBfG, 6 KSchG: BAG 04. Mai 2011 - 7 AZR 252/10 - NZA 2011, 1178).
2. Die Beklagte zu 1) hat vor Ausspruch der Kündigung eine Massenentlassungsanzeige bei der J erstattet.
3. Das Verfahren im Rahmen der Massenentlassungsanzeige war nach dem zugrunde zu legenden Parteivortrag fehlerhaft. Dies führt
jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, denn die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige wird aufgrund des Bescheids
der J vom 18. Dezember 2009 im vorliegenden Rechtsstreit nicht überprüft.
a) Die Beklagte zu 1) hat den Betriebsrat vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige jedenfalls formal nach § 17 Abs. 2 KSchG beteiligt. Sie hat die Betriebsratsanhörung zur Kündigung auch als "Mitteilung im Sinne von § 17 Abs. 2 KSchG" bezeichnet. Damit war dem Betriebsrat erkennbar, dass die Beklagte zu 1) jedenfalls den Versuch unternehmen wollte, ihrer
Pflicht zur Unterrichtung des Betriebsrats nach dieser Vorschrift nachzukommen.
b) Dies ist allerdings nicht vollständig gelungen. Das Anhörungsschreiben vom 14. Dezember 2009 enthält nicht die in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 6 KSchG geforderten Angaben. Inwieweit dem Betriebsrat diese Angaben auf andere Weise mitgeteilt worden sein sollten, ist nicht dargelegt.
Beratungen iSd. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit dem örtlichen Betriebsrat haben nicht stattgefunden. Solche Beratungen sind jedenfalls nicht dargelegt.
c) Die Beklagte zu 1) hat auch nicht iSd. § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG gegenüber der J glaubhaft gemacht, dass sie den örtlichen Betriebsrat zwei Wochen vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige
nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichtet hätte und den Stand der Beratungen dargelegt. Vortrag hierzu liegt nicht vor. Im Übrigen kann die Beklagte zu
1) Verstreichen der Zweiwochenfrist nicht glaubhaft gemacht haben, wenn das Verfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG gegenüber dem örtlichen Betriebsrat erst gemeinsam mit der weniger als zwei Wochen vor der Massenentlassungsanzeige erfolgten
Betriebsratsanhörung zur Kündigung durchgeführt wurde.
aa) Die Rechtsfolgen fehlerhafter Massenentlassungsanzeigen auf die Wirksamkeit der Kündigung sind nach der durch die Rechtsprechung
des EuGH (EuGH 27. Januar 2005 - C-188/03 - NZA 2005, 213 [Junk]) vorgegebene Änderung der Rechtsprechung des BAG noch nicht abschließend geklärt (vgl.BVerfG 25. Februar 2010 - 1 BvR 230/09 - EzA KSchG § 17 Nr. 21).
Dies gilt auch für die Frage, ob Fehler in der Massenentlassungsanzeige auch dann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen,
wenn die J durch bestandskräftigen Verwaltungsakt bestätigt, dass eine wirksame Massenentlassungsanzeige vorlag.
bb) Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG (BAG 24. Oktober 1996 - 2 AZR 895/95 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 8; vgl. auch BAG 11. März 1998 - 2 AZR 414/97 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 43; BAG 13. April 2000 - 2 AZR 215/99 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 13) konnten Fehler der Massenentlassungsanzeige durch bestandskräftigen Verwaltungsakt der Arbeitsverwaltung geheilt
werden, in dem die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige bestätigt wurde. Hiernach waren die Arbeitsgerichte grundsätzlich
verpflichtet, einen Verwaltungsakt, der nicht nichtig ist, als gültig anzuerkennen, solange er nicht von Amts wegen oder auf
einen Rechtsbehelf in dem dafür vorgesehenen Verfahren aufgehoben worden ist.
cc) Umstritten ist, ob hieran auch im Anschluss an die durch die Entscheidung des EuGH vom 27. Januar 2005 hervorgerufene
Rechtsprechungsänderung festzuhalten ist (bejahend - jedenfalls bei Einhaltung der Zweiwochenfrist - LAG Rheinland-Pfalz 15.
Januar 2008 - 3 Sa 634/07 - ZinsO 2008, 1392; Volltext juris; bejahend auch: APS/Moll, 3. Aufl., KSchG, § 17 Rn 136; SPV/Vossen, 10. Aufl., Rn 1654; Küttner/Kreitner, Personalbuch 2011, 300 "Massenentlassung", Rn 24; wohl auch Krieger/Ludwig,
NZA 2010, 919 [921]; einschränkend ErfK/Kiel, 11. Aufl., KSchG, § 20 Rn 6; KR/Weigand, 9 Aufl., KSchG; § 20 Rn 72 und 73; v.Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, 14. Aufl., § 18 Rn 17 und § 20 Rn 26; verneinend LAG Düsseldorf 15. September 2010 - 12 Sa 627/10 - ZinsO 2011, 1167; LAG Düsseldorf 10. November 2010 - 12 Sa 1321/10 - ZinsO 2011, 871; Reinhard, RdA 2007, 207 [214]; Niklas/Koehler, NZA 2010, 913 [918]).
dd) Die Kammer folgt nicht der Auffassung, wonach das unionsrechtliche und grundrechtliche Effektivitätsprinzip die Bindung
der Arbeitsgerichte an eine inzidente Feststellung der Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige durch die Arbeitsverwaltung
hindert (so LAG Düsseldorf 15. September 2010 - 12 Sa 627/10 - aaO.; LAG Düsseldorf 10. November 2010 - 12 Sa 1321/10 - aaO.). Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob die Arbeitsgerichte auch an die Auffassung der Arbeitsverwaltung gebunden
sind, die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige lägen nicht vor (hierzu
ErfK/Kiel, aaO.; KR/Weigand, aaO.; Rn 72; v.Hoyningen-Huene/Linck, aaO., § 20 Rn 26). Auch wenn man der Auffassung folgt, dass die §§ 17 f KSchG auch der Verstärkung und Ausgestaltung des individuellen Kündigungsschutzes dienen (LAG Sachsen-Anhalt 18. November 2009
- 5 Sa 179/09 - nv., juris), bezweckt die Anzeigepflicht nach wie vor nicht primär einen Schutz der Arbeitnehmer vor Entlassung, sondern
dient dem Ziel einer effektiven Verwaltung der Massenentlassung und -arbeitslosigkeit und damit vor allem arbeitsmarktpolitischen
Zwecken (BAG 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 21). Die J soll in die Lage versetzt werden, vorausschauend Arbeitsvermittlungs- und andere Maßnahmen einzuleiten, um
Folgen der Massenentlassungen von den betroffenen Arbeitnehmern möglichst abzuwenden. Dies entspricht auch Art. 4 Abs. 2 der
Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen
(Massenentlassungsrichtlinie, MERL), wonach der Zweck der Anzeige darin besteht, es der zuständigen Behörde zu ermöglichen, nach Lösungen für die durch
die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen. Nach diesem Gesetzeszweck hat dann aber ein Fehler
im Zusammenhang mit der Erstattung der Massenentlassungsanzeige im Zusammenhang mit den Beratungen mit dem Betriebsrat jedenfalls
dann keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Anzeige, wenn die J nachträglich zu erkennen gibt, dass sie aufgrund der vom
Arbeitgeber gemachten Angaben und der von ihm mitgeteilten Unterrichtung des Betriebrats in der Lage war, sich ein ausreichendes
Bild von den geplanten Massenentlassungen zu machen, um erforderliche arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu ergreifen bzw. Entscheidungen
nach § 18 Abs. 1 oder Abs. 2 KSchG zu treffen. Nach § 20 Abs. 3 KSchG hat der Entscheidungsträger der J vor seiner Entscheidung Arbeitgeber und Betriebsrat anzuhören und sind diese verpflichtet,
die für die Beurteilung des Falles erforderlich gehaltenen Auskünfte zu erteilen, wodurch die J sich selbst, wenn sie dies
für erforderlich hält, ein Bild von dem Stand der Beratungen verschaffen kann. Wenn die gesetzlichen Anforderungen an die
Anzeige in erster Linie dazu dienen, der Behörde eine ordnungsgemäße Erledigung ihrer Aufgaben zu ermöglichen oder diese zumindest
zu erleichtern und sie sich aufgrund der vom Arbeitgeber mit der Massenentlassungsanzeige erteilten Informationen in der Lage
sieht, die Anzeige sachlich zu prüfen, die im Zusammenhang mit der beabsichtigten Massenentlassung aufgeworfenen Probleme
zu beurteilen und dem Arbeitgeber die Wirksamkeit der eingegangenen Massenentlassungsanzeige zu bestätigen anstatt ergänzende
Informationen zu fordern, besteht vom Gesetzeszweck kein Anlass, von einer unwirksamen Massenentlassungsanzeige auszugehen,
dies wiederum mit der Folge der Unwirksamkeit der darauf erklärten Kündigungen (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 273/08 - AP
BGB §
613a Nr. 370). Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsverwaltung möglicherweise fehlerhaft die Darlegung beendeter wenn auch gescheiterter
Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat als hinreichende Darlegung eines mit dem örtlichen Betriebsrat
durchgeführten Konsultationsverfahrens gewertet hat. Es geht damit auch um die Frage der Überprüfung der Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige
trotz potentiellen Fehlers als solcher und nicht um die Frage der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für Fehlerhaftigkeit
bzw. Fehlerfreiheit der Massenentlassungsanzeige nach Vorliegen einer Entscheidung durch die J (so Reinhard, RdA 2007, 207 [214]).
V. Das Arbeitsgericht hat schließlich zutreffend erkannt, dass auch die einzuhaltende Kündigungsfrist gewahrt ist und diese
aus §
113 Satz 2
InsO folgt.
Bei dem Sonderliquidationsverfahren nach Art. 14 A des Gesetzes Nr. 3429/2005 handelt es sich um ein nach Art. 16 Abs. 1 Satz
1 EuInsVO anerkanntes Insolvenzverfahren. Für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag gilt deutsches
Recht als das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht, Art. 10 EuInsVO. §
113 InsO hat arbeitsrechtlichen Regelungscharakter und findet damit auch im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem anderen
Mitgliedsstaat aufgrund des Vertragsstatuts Anwendung (Göpfert/Müller, NZA 2009, 1059 [1060, 1061] mwN).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf §
97 Abs.
1 ZPO.
Gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG ist die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Außerdem weicht die vorliegende Entscheidung insoweit in entscheidungserheblicher
Weise von den Entscheidungen des LAG Baden-Württemberg vom 11. März 2011 (7 Sa 109/10) und 12. Mai 2011 (21 Sa 119/10), des LAG Berlin-Brandenburg vom 27. Mai 2011 (8 Sa 132/11 und 8 Sa 2653/11) und 29. Juni 2011 (15 Sa 735/11) sowie des LAG Düsseldorf vom 15. September 2010 (12 Sa 627/10) und 10. November 2010 (12 Sa 1321/10) ab, § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG.