Aufschiebende Wirkung der Klage im sozialgerichtlichen Verfahren bei Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten
sowie der Anforderung von Beiträgen; Beitragsnachforderung nach Betriebsprüfung aufgrund von Schwarzarbeit
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Rechtmäßigkeit einer Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung.
Der Antragsteller hatte ein Gewerbe als Betonbohrer, Betonschneider und Eisenflechter in Form einer Einzelfirma angemeldet.
Gestützt auf die Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamts N. in einem Verfahren gegen den Antragsteller wegen des Verdachts
des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen nach §
266a Abs.
1 und
2 Strafgesetzbuch forderte die Antragsgegnerin nach einer Betriebsprüfung über den Prüfzeitraum 1. Juni 2005 bis 31. Dezember 2006 mit Bescheid
vom 21. April 2009 Sozialversicherungsbeiträge für zehn Beschäftigte in Höhe von insgesamt 89.341,72 Euro nach. Die Antragsgegnerin
begründete die Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung mit dem Bestehen von abhängigen
Beschäftigungsverhältnissen nach §
7 Abs.
1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV). Die aus Polen stammenden Betroffenen hätten Eisenflecht-, Betonbohr- und -schneidearbeiten nicht als selbständige Tätigkeiten
ausgeführt, sondern seien in den Betrieb des Antragstellers eingegliedert gewesen. Fünf der zehn polnischen Staatsangehörigen
hatten bereits im Jahr 2006 Anträge auf Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status gestellt. Die Clearingstelle
bei der Deutschen Rentenversicherung Bund hatte mit Bescheiden vom 2. November 2006 (U.), vom 28. November 2006 (K. und K.),
vom 29. November 2006 (E.) und vom 7. Juni 2007 (B.) deren Tätigwerden als Eisenflechter für den Antragsteller als "Vertragspartner"
als selbständig und nicht versicherungspflichtig beurteilt. Mit Bescheiden datiert vom 16. Februar 2009 hat die Antragsgegnerin
die früheren Bescheide zurückgenommen und festgestellt, die Betroffenen seien für den Antragsteller in einem versicherungspflichtigen
abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig gewesen. Die Bescheide sind Gegenstand von vor dem Sozialgericht Nürnberg noch anhängigen
Klagen des Antragstellers und der fünf Betroffenen; die Verfahren werden unter dem gemeinsamen Aktenzeichen S 14 R 652/09 geführt.
Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 21. April 2009 mit Widerspruchsbescheid
vom 28. Mai 2009 zurück und gab dem zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht statt. Gegen den Bescheid
vom 21. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2009 hat der Antragsteller am 19. Juni 2009 Klage
zum Sozialgericht Nürnberg erhoben und mit Schriftsatz vom 26. August 2009 beantragt, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage
anzuordnen. Mit Beschluss vom 1. September 2009 hat das Sozialgericht Nürnberg festgestellt, die Anfechtungsklage habe aufschiebende
Wirkung. Zur Begründung hat sich das Sozialgericht auf die Vorschrift des §
7a Abs.
7 Satz 1
SGB IV gestützt und ausgeführt, die aufschiebende Wirkung gelte auch für Statusfeststellungsentscheidungen im Rahmen von Betriebsprüfungen.
Dagegen hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz an das Sozialgericht Nürnberg vom 16. September 2009 Beschwerde erhoben. Die
Antragsgegnerin ist der Auffassung, der Anfechtungsklage komme nach §
86a Abs.
2 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) keine aufschiebende Wirkung zu.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 1. September 2009 aufzuheben.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 21. April 2009 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 anzuordnen.
Nach Ansicht des Antragstellers hat das Sozialgericht Nürnberg zu Recht festgestellt, dass seine Klage aufschiebende Wirkung
hat. Selbst wenn die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hätte, müsste diese angeordnet werden, weil an der Rechtmäßigkeit
des angefochtenen Bescheides Zweifel bestünden.
Zum Sach- und Streitstand und zum Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt aller Akten, insbesondere der
beigezogenen Akten des Sozialgerichts Nürnberg und der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig (§§
172,
173 SGG) und begründet. Die Anfechtungsklage des Antragstellers hat keine aufschiebende Wirkung.
Nach §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG entfällt bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen
und sonstigen Abgaben einschließlich darauf entfallenden Nebenkosten die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage.
Nachdem die Antragsgegnerin als die über den Widerspruch zu entscheidende Stelle die Aussetzung der sofortigen Vollziehung
des Bescheides vom 21. April 2009 abgelehnt hatte (§
86a Abs.
3 Satz 1
SGG), blieb dem Antragsteller nur noch die Möglichkeit, beim Gericht der Hauptsache zu beantragen, die aufschiebende Wirkung
seiner Klage anzuordnen (§
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG).
§
7a Abs.
7 Satz 1
SGB IV, wonach Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen, dass eine Beschäftigung vorliegt, aufschiebende Wirkung haben, ist in
dem hier zu entscheidenden Verfahren nicht anzuwenden.
Zwar sollte §
7a Abs.
7 Satz 1
SGB IV nach der Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit nicht nur für Statusentscheidungen
der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Bund) gelten, sondern ausdrücklich auch
für Statusentscheidungen der übrigen Sozialversicherungsträger außerhalb des Anfrageverfahrens (vgl. BT-Drs 14/1855, S. 8;
LSG Hamburg, Beschluss vom 25. Oktober 2000, L 3 B 80/00 ER, Rz. 14 - zitiert nach juris; Kassler Kommentar-Seewald, Stand: April 2009, §
7a SGB IV Rn 25; Knospe in: Hauck/Noftz, Stand: Oktober 2009, §
7a SGB IV Rn 51; Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Stand: Mai 2009, §
7a SGB IV Rn 21; aA: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. November 2008, L 16 B 7/08 R ER, Rz. 18 - zitiert nach juris; jurisPK/Pietrek, §
7a SGB IV Rn 131). Dieser nur aus der Begründung des Gesetzentwurfs zu entnehmenden Zielsetzung hat der Gesetzgeber die Begründung
des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 28. September 2007 (BT-Drs
16/6540) entgegengesetzt. Danach beginnt mit der Aufhebung des §
7b SGB IV aF "... in allen Fällen einer nachträglichen Feststellung der Versicherungspflicht, mit Ausnahme der Fälle nach § 7a Abs
6, die Beitragspflicht mit der Aufnahme der Beschäftigung" (BT-Drs 16/6540, S. 23).
Weiter ist §
7a Abs.
7 Satz 1
SGB IV vorliegend deshalb nicht anzuwenden, weil die Regelungen der Antragsgegnerin über eine Statusentscheidung hinausgehen. Anders
als §
7a SGB IV ermächtigt § 28p Abs.
1 Satz 5
SGB IV bei Betriebsprüfungen zum Erlass von Verwaltungsakten zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe, während aus §
7a SGB IV keinerlei beitragsrechtliche Zuständigkeiten folgen (vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Juni 2009, B 12 KR 31/07 R, Rz. 29 - zitiert nach juris). Die Begründung von Zahlungspflichten ist es jedoch, die nach dem Willen des Gesetzgebers zur
sofortigen Vollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung nach §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG führen sollte. Die Regelung dient der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Leistungsträger der Sozialversicherung (vgl. Gesetzentwurf
der Bundesregierung zum Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes - 6. SGGÄndG - BT-Drs 14/5943,
S. 25).
Schließlich geht in dem hier zu entscheidenden Fall die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen zurück auf ein Tätigwerden
der Zollbehörden nach dem Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung
vom 23. Juli 2004 (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, BGBl I S. 1842, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen
vom 22. April 2009 - BGBl I S. 818). Die Zollbehörden konnten sich auf konkrete Anhaltspunkte stützen, dass Schwarzarbeit im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz
im Raume steht. Danach leistet Schwarzarbeit, wer Dienst- oder Werkleistungen erbringt oder ausführen lässt und dabei als
Arbeitgeber, Unternehmer oder versicherungspflichtiger Selbstständiger seine sich auf Grund der Dienst- oder Werkleistungen
ergebenden sozialversicherungsrechtlichen Melde-, Beitrags- oder Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt. In diesen Fällen, die
nicht selten mit sich daran anschließenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einhergehen, ist durch die Möglichkeit der
sofortigen Vollziehung zu gewährleisten, dass der Zahlungsanspruch der Sozialversicherungsträger auch realisiert und nicht
begünstigt durch den weiteren Zeitablauf nach Widerspruch und Klage, gegebenenfalls auch mit Hilfe von Vermögensumschichtungen
vereitelt werden kann. Anders als in den von §
7a SGB IV geregelten Sachverhalten (vgl. BT-Drs 14/1855, S. 6) besteht hier kein Bedürfnis, die Position eines gutgläubigen Arbeitgebers
zu stärken. Eine Bevorzugung der zumeist bösgläubigen Arbeitgeber ist nicht gewollt (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 5. November 2008, L 16 B 7/08 R ER, Rz. 18 - zitiert nach juris).
Unstimmigkeiten ergeben sich auch nicht aufgrund der Besonderheiten des hier zu entscheidenden Verfahrens. Das Sozialgericht
hat auf die aufschiebende Wirkung der vor dem Sozialgericht Nürnberg noch anhängigen Klagen gegen die Rücknahme der für fünf
der betroffenen zehn Beschäftigten erfolgten Feststellungen eines nicht sozialversicherungspflichtigen Tätigwerdens für den
Antragsteller als Eisenflechter verwiesen (Aktenzeichen S 14 R 652/09). Diese sozialgerichtlichen Verfahren betreffen die Rechtmäßigkeit einer Korrektur von Entscheidungen im Rahmen von früheren
Statusfeststellungsverfahren nach §
7a SGB IV und damit auch die Frage nach der Sozialversicherungspflicht für die Zukunft. Die Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen
Sozialversicherung steht dagegen nicht im Streit, so dass insoweit keine Unklarheiten bei der Vollziehung entstehen können.
Auf den Antrag des Antragstellers steht es nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG im Ermessen des Gerichts, die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage herzustellen. Dabei hat eine Interessenabwägung
stattzufinden zwischen den Belangen des Antragstellers und der Antragsgegnerin. Das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen
Vollziehung ihrer Beitragsnachforderung ist dem Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung der Vollziehung vor endgültiger
Klärung des Rechtsstreits gegenüber zu stellen. Die Interessenabwägung zwischen den Belangen des Antragstellers und der Antragsgegnerin
erfordert kein Abweichen von dem gesetzlich vorgesehenen Regelfall eines Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung nach §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der hier im Streit stehenden Entscheidung der Antragsgegnerin.
Dies gilt nach summarischer Prüfung sowohl hinsichtlich der Beurteilung des Tätigwerdens der Betroffenen im Rahmen von abhängigen
Beschäftigungsverhältnissen als auch im Bezug auf die Berechnung der nachgeforderten Sozialversicherungsbeiträge. Die Höhe
der Zahlungsverpflichtung des Antragstellers ergibt sich für jeden einzelnen Arbeitnehmer aus den Anlagen zum Bescheid vom
21. April 2009. Dabei ging die Antragsgegnerin zugunsten des Antragstellers von dem nach dem geltenden Tarifvertrag für das
Baugewerbe jeweils zu leistenden niedrigsten Mindestlohn (Lohngruppe 1) aus. Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass
die sofortige Vollziehung der geltend gemachten Forderung für den Antragsteller eine unbillige Härte bedeuten würde. Der bloße
Vortrag des Antragstellers, er sei in seiner Existenz gefährdet und könne die von der Antragsgegnerin geforderte Bürgschaft
zur Verhinderung einer Vollziehung der Beitragsforderung nicht stellen, genügt nicht. Konkretere Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen
hat der Antragsteller nicht gemacht.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz i.V.m. §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.