Tatbestand
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Gewährung von Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum November 2016 bis Juli 2019.
Der Kläger bewohnt seit 2001 gemeinsam mit Frau A.B. eine Wohnung im ... in H.. Die Kaltmiete der Wohnung betrug zunächst
357,12 Euro zzgl. Nebenkostenvorauszahlung von 94,04 Euro und 40,42 Euro Heizkostenvorauszahlung. Der Mietvertrag ist vom
Kläger und Frau B. unterzeichnet.
Der Kläger beantragte erstmals im Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Beklagten. Diese wurden dem
Kläger unter Anrechnung des Einkommens von Frau B. bewilligt. Der Klägerin und Frau B. wurden als Bedarfsgemeinschaft erfasst.
Es wurde der Regelsatz der Regelbedarfsstufe 2 bewilligt.
Mit Weiterbewilligungsantrag aus Oktober 2016 für die Zeit ab November 2016 beantragte der Kläger Leistungen nur noch für
sich, da er sich von seiner Freundin im August 2016 getrennt habe. Er forderte auch die hälftige Miete.
Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 24. Oktober 2016 für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis zum 31. Oktober 2017 weiterhin
Leistungen unter Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft. Hiergegen legte der Kläger Rechtsmittel ein und erhob am 7. März
2017 Klage zum Sozialgericht Hamburg (Az. S 35 AS 844/17).
Auch in den folgenden Zeiten bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen unter Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft
mit Frau B.. Weitere Klagen machte der Kläger nicht anhängig.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21. März 2019, in der Frau B. als Zeugin gehört wurde und der Kläger informatorisch
befragt wurde, verpflichtete das Sozialgericht Hamburg den Beklagten mit Urteil vom 21. März 2019 (S 35 AS 844/17), dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 24. Oktober 2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 26. November
2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Februar 2017 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne
Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau B. zu gewähren. In den Urteilsgründen wird u.a. ausgeführt:
„Der Beklagte wird indes bei der Neuberechnung der Leistungen zu berücksichtigen haben, dass der Kläger im streitgegenständlichen
Zeitraum keiner ernsthaften Mietzinsforderung ausgesetzt war, da die Zeugin [die] Wohnkosten übernommen und diese nicht vom
Kläger teilweise zurückgefordert hat, weshalb er keinen Bedarf für Unterkunft und Heizung geltend machen kann.“
Daraufhin ergingen unter dem 29. August 2019 drei Änderungsbescheide für die zurückliegenden Zeiträume
- 1.11.2016 bis 31.10.2017,
- 1.11.2017 bis 31.10.2018,
- 1.11.2018 bis 30.4.2019
sowie ein vorläufiger Änderungsbescheid für den laufenden Bewilligungszeitraum vom 1. Mai bis 31. Oktober 2019.
Der Kläger wies durch Vorlage von Kontounterlagen am 27. August 2019 nach, dass er ab August 2019 seinen Mietanteil in Höhe
von 258 Euro an Frau B. zahlte.
Am 17. September 2019 legte der Kläger Widerspruch gegen die Änderungsbescheide ein. Mit einem weiteren Änderungsbescheid
vom 4. Oktober 2019 bewilligte der Beklagte ab August 2019 Kosten der Unterkunft und Heizung und wies sodann mit Widerspruchsbescheid
vom 11. November 2019 den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe erst ab August 2019
nachgewiesen, dass ihm nunmehr Aufwendungen für Unterkunft und Heizung entstünden. Auf Grundlage der gerichtlichen Entscheidung
vom 21. März 2019 seien die vorherigen Bewilligungen nicht zu beanstanden.
Der Kläger hat hierauf am 12. Dezember 2019 Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben. Er trägt zur Begründung vor, dass er
seiner Mitbewohnerin für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis zum 31. Juli 2019 eine anteilige Bruttowarmmiete von 8.379
Euro gezahlt habe. Auch ohne diese Zahlungen wäre er einer werthaltigen Forderung seiner Mitbewohnerin in gleicher Höhe ausgesetzt
gewesen und er hilfsweise im Wege des Schadenersatzes oder aufgrund eines Folgenbeseitigungsanspruchs so zu stellen, als ob
ihm im Leistungszeitraum monatlich Leistungen nach § 22 SGB II gewährt worden wären. Er hafte mit Frau B. gesamtschuldnerisch gegenüber der Vermieterin. Mangels einer abweichenden Regelung
sei er im Innenverhältnis zu einer Erstattung von 50% des Mietzinses verpflichtet. Im Mai 2018 sei die Bruttowarmmiete von
501 Euro auf 516 Euro erhöht worden. Er habe Frau B. entsprechend am 23. September 2019 die beantragte Summe überwiesen. Zum
Beleg reichte er einen Kontoauszug ein. Frau B. habe zu keinem Zeitpunkt auf den Ausgleich verzichtet. Auch eine Verwirkung
des Zahlungsanspruchs scheide aus, da Frau B. von dem Verfahren beim Sozialgericht gewusst habe und nicht den geringsten Grund
gehabt habe, auf Ansprüche zu verzichten. Die Ansprüche waren schließlich weder verwirkt noch verjährt. Der Kläger habe auf
eine werthaltige Forderung geleistet. Dies könne nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden. Hätte die Beklagte bereits – wie
ursprünglich beantragt – ab November 2016 Leistungen ohne Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft bewilligt, hätte sie
auch Unterkunftsleistungen in der begehrten Höhe gewährt. Der Kläger müsse so gestellt werden, als ob der Beklagte von vornherein
zutreffend entschieden hätte.
Auf Aufforderung des Sozialgerichts mitzuteilen, wann und in welcher Form der Frau B. vom Kläger eine Beteiligung an den Mietkosten
gefordert hat, hat der Kläger sich ergänzend dahingehend eingelassen, dass Frau B. nach der Trennung im Herbst 2015 den Mietanteil
eingefordert habe. Es sei zwar nicht Tagesthema gewesen, aber immer wieder angesprochen und auch gefordert worden. Eine schriftliche
Mahnung bzw. rechtliche Durchsetzung sei nur deswegen nicht erfolgt, weil beim Kläger nichts zu holen gewesen sei. Dem Widerspruch
vom 1. November 2016 sei ein Streit mit Frau B. vorausgegangen, da diese nicht eingesehen habe, die Miete alleine zu tragen.
Sie habe den Kläger nachdrücklich aufgefordert, eine eigene Wohnung zu suchen. Sie habe während des laufenden Prozesses mehrfach
nach dem Geld gefragt. Es sei aber nichts schriftlich festgehalten worden. Er sei auch nach der mündlichen Verhandlung davon
ausgegangen, dass er den Prozess gewinnen werde, und habe Frau B. darüber informiert, die erwidert habe, dass sie jetzt endlich
ihr Geld bekomme. Es sei selbstverständlich gewesen, dass er die Nachzahlung zur Begleichung der Mietschulden einsetze.
Mit Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2021 – nach entsprechender Anhörung – hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Soweit der Kläger unter Abänderung des Bescheids vom 29. August 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. November
2019 für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis zum 31. Oktober 2017 höhere Leistungen begehre, sei die Klage unzulässig, weil
einer Entscheidung des Gerichts die Rechtskraft des Urteils des Sozialgericht Hamburg vom 21. März 2019 zum Aktenzeichen S
35 AS 844/18 entgegenstehe. Der Kläger habe in diesem Verfahren höhere Leistungen für den Zeitraum 1. November 2016 bis 31. Oktober 2017
begehrt. Gegenstand des Klageverfahrens seien auch Leistungen für Unterkunft und Heizung gewesen. Eine Verpflichtung des Beklagten
auf Gewährung von Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung sei aber gerade nicht ausgesprochen, sondern vielmehr ausdrücklich
– in den tragenden Erwägungsgründen der Entscheidung – abgelehnt worden.
Hinsichtlich des Zeitraumes ab dem 1. November 2017 sei die Klage unbegründet, weil das Gericht nicht überzeugt sei, dass
dem Kläger in diesem Zeitraum Bedarfe für Unterkunft und Heizung entstanden seien. Zwar sei der Kläger als Partei des Mietvertrages
im Außenverhältnis grundsätzlich gesamtschuldnerisch mit Frau B. zur Zahlung der vereinbarten Miete verpflichtet. Im Innenverhältnis
sei er aber einem ernsthaften Zahlungsverlangen in Bezug auf die Kosten der Unterkunft und Heizung in der vorgetragenen Höhe
nicht ausgesetzt gewesen. Insbesondere habe der Kläger angegeben, dass Frau B. die Miete alleine gezahlt habe. Sie hätte ihn
zwar aufgefordert, sich daran zu beteiligten, aber er habe sich da irgendwie rausgewunden. Die vom Kläger im hiesigen Verfahren
vorgelegten Nachweise über die nachträgliche Leistung von Zahlungen an Frau B., die als Mietkosten deklariert seien, änderten
hieran nichts. Sie wiesen lediglich auf eine moralische Verpflichtung des Klägers, der dieser gegenüber Frau B. nachgekommen
sei, nachdem er die Nachzahlungen des Beklagten erhalten habe.
Der Kläger hat am 8. Juni 2021 Berufung eingelegt. Er macht geltend, dass er im gesamten streitigen Zeitraum einer ernsthaften
Forderung von Frau B. ausgesetzt gewesen sei. Allein zur Vermeidung unerträglicher Alltagsspannungen und angesichts der Vermögenslosigkeit
des Klägers habe sie von gerichtlichen Schritten abgesehen. Mit seiner Nachzahlung an die Zeugin habe der Kläger nicht eine
bloß moralische Pflicht erfüllt, sondern ein Mahnbescheidverfahren abgewendet. Bei zutreffender Sachverhaltsaufklärung hätte
der Beklagte damals ohne Weiteres die Mietkosten hälftig übernommen. Im Übrigen habe das Urteil des Sozialgerichts vom 21.
März 2019 nach seinem Tenor auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung zugesprochen. Mit dem Hilfsantrag werde verlangt,
dass der Beklagte dieser Verpflichtung aus dem Urteil nachkomme.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Gerichtsbescheids vom 21. Mai 2021 den Beklagten unter Abänderung der Leistungsbescheide vom 29. August
2019 und der abschließenden Festsetzung vom 4. Oktober 2019 sowie des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2019 zu verurteilen,
dem Kläger für die Zeit vom 1. November 2016 bis zum 31.Juli 2019 gemäß § 22 SGB II Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 8.379,- € zu gewähren,
und hilfsweise für den Fall, dass die Berufung hinsichtlich der Abweisung der Klage für den Zeitraum vom 1. November 2016
bis 31. Oktober 2017 als unzulässig erfolglos ist, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 3.006,- Euro zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 2. September 2021 hat der Senat die Berufung nach §
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.
In der mündlichen Verhandlung am 3. November 2022 hat der Senat Frau B. als Zeugin vernommen. Auf die Sitzungsniederschrift
wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Gerichtsakte S 35 AS 844/17 sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.
I.
II.
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
1.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage für unzulässig gehalten, soweit es um den Zeitraum vom 1. November 2016 bis zum 31.
Oktober 2017 geht. Denn insoweit steht die Rechtskraft des Urteils des Sozialgericht Hamburg vom 21. März 2019 zum Aktenzeichen
S 35 AS 844/18 entgegen. Dort hatte der Kläger bereits höhere Leistungen für den Zeitraum 1. November 2016 bis 31. Oktober 2017 begehrt,
ohne diese auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Unterkunft und Heizung zu beschränken. Das Urteil hingegen
sprach bloß Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu und – ausweislich der Gründe – ausdrücklich keine Leistungen
für Unterkunft und Heizung. Die hilfsweise geltend gemachte Forderung einer Vollstreckung aus dem Urteil geht mithin ins Leere,
so dass dahinstehen kann, ob das noch in den Prozess eingeführt werden konnte und ob eine solche Entscheidung dem Berufungsgericht
zustünde.
2.
Ab dem 1. November 2017 bis zum 31. Juli 2019 hat der Kläger aber einen Anspruch auf Gewährung der Kosten für Unterkunft und
Heizung nach § 22 SGB II. Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der freimütigen, glaubhaften Äußerungen von Kläger und Zeugin davon
überzeugt, dass der Kläger einer ernsthaften hälftigen Mietzinsforderung als Hauptmieter der Wohnung ausgesetzt war und die
Mitbewohnerin, die Zeugin B., ihm diese Verpflichtung nicht abnahm. Dass die Zeugin mit der Mietzahlung zunächst einsprang,
war angesichts der Mittellosigkeit des Klägers nicht zu vermeiden, da die Zeugin die von ihr genutzte Wohnung halten wollte.
Dass sie den Kläger im Rahmen der durch das Zusammenwohnen eingeschränkten Möglichkeiten mahnte und die Begleichung der auflaufenden
Schulden forderte, hat sie nachvollziehbar bekundet. Die tatsächliche Begleichung der entstandenen Schulden durch den Kläger
legt ebenfalls nahe, dass es um eine echte Verbindlichkeit ging. Schließlich hat auch der Beklagte ab dem 1. August 2019 die
hälftigen Unterkunftskosten als Bedarf des Klägers anerkannt, als dieser das Innenverhältnis zur Zeugin neu dokumentierte.
Dass sich in den Verhältnissen aber auch substantiell etwas geändert hatte, ist nicht deutlich geworden – der Senat geht vielmehr
von unveränderten und lediglich neu dokumentierten Verhältnissen aus. Der Senat misst schließlich den Bekundungen des Klägers
vor dem Sozialgericht, er habe sich aus den Mahnungen der Zeugin „irgendwie herausgewunden“ und „letztendlich bliebe dann
nichts anderes übrig als die Wohnung zu kündigen. Ich habe sie so ein bisschen in der Hand“ nicht die Bedeutung bei, dass
die Zeugin auf den Mietanteil des Klägers verzichtet hatte, sondern erkennt darin lediglich die Einsicht des Klägers, dass
die Interessenlage der Zeugin ihr einschneidende Maßnahmen zur Einforderung des Mietanteils erschwerte. In Anbetracht dieser
Lage hat die Zeugin aber nach Auffassung des Senats ihrer Forderung durchaus Nachdruck verliehen.
3.
Der Anspruch in Höhe des hälftigen Mietzinses beträgt vom 1. November 2017 bis zum 30. April 2018 monatlich 250,50 Euro, vom
1. Mai 2018 bis zum 31. Juli 2019 monatlich 258,-- Euro, insgesamt 5.373,-- Euro (6 x 250,50; 15 x 258,00).
III.