Amtspflichten des Jugendamtes bei Zuständigkeitswechsel wegen Umzugs der Pflegefamilie
Tatbestand:
Der Kläger nimmt den beklagten Landkreis unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung auf Ersatz des ihm während seines Aufenthalts
in einer Pflegefamilie entstandenen Schadens in Anspruch.
Der am 2. Juni 1989 nichtehelich geborene Kläger war im Dezember 1990 vom damals zuständigen Kreisjugendamt H. (Bayern) mit
Einverständnis der sorgeberechtigten Mutter den Eheleuten R. zur Vollzeitpflege zugewiesen worden. Im Herbst 1993 verzog die
Familie R. nach W. (Baden-Württemberg), das zum Bezirk des Beklagten gehört. Mit Schreiben vom 7. April 1994 ersuchte das
Landratsamt H. den Beklagten unter Zusicherung einer Kostenerstattung um "Übernahme des Hilfefalles". Der Beklagte verweigerte
jedoch in der Folgezeit die Übernahme der Zuständigkeit, weil nicht sicher sei, ob der weitere Aufenthalt des Klägers bei
seinen Pflegeeltern überhaupt von Dauer sein werde. Dies begründete der Beklagte damit, daß die leibliche Mutter sich geweigert
hatte, einen vom Jugendamt H. ausgearbeiteten neuen Hilfeplan zu unterschreiben, und erklärt hatte, sie sei mit der Unterbringung
des Klägers bei der Familie R. nicht einverstanden. Nach einer sich über Jahre hinziehenden schriftlichen Auseinandersetzung
der beiden Jugendämter über die Frage der örtlichen Zuständigkeit für den Kläger kam es am 9. April 1997 - noch unter Federführung
des Jugendamts H. - in den Amtsräumen des Beklagten zu einem Hilfeplangespräch der Mitarbeiterin des Jugendamts H. mit der
Mutter des Klägers und der Pflegemutter, an dem auch die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamts des Beklagten teilnahm. Die
Mitarbeiterin des Jugendamts H. nahm am selben Tag auch einen Hausbesuch bei der Pflegefamilie vor, über den sie in einem,
der Beklagten anschließend zugeleiteten, "Gesprächsprotokoll" berichtete. Nachdem die Mutter des Klägers bei dem Gespräch
im April 1997 letztlich in den weiteren Verbleib ihres Sohnes bei den Pflegeeltern eingewilligt hatte, erklärte sich der Beklagte
am 1. Juni 1997 zur Übernahme der jugendamtlichen Betreuung des Klägers bereit. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich in der Obhut
der Eheleute R. insgesamt drei Vollzeitpflegekinder (der Kläger und die im Mai 1994 im Alter von drei und anderthalb Jahren
aufgenommenen - seither auch vom Jugendamt des Beklagten betreuten - Geschwister Alois und Alexander E.) sowie drei eheliche
Kinder. Am 27. November 1997 starb das jüngste der drei Pflegekinder - der fünfjährige Alexander E. -, und zwar, wie die ärztliche
Untersuchung ergab, an Unterernährung. Hierbei stellte sich heraus, daß auch der Kläger und das Pflegekind Alois E. an extremem
Untergewicht litten. Beide waren in einer nach Gewicht und Größe altersentsprechenden Verfassung von den Pflegeeltern aufgenommen
worden, dann aber bald in ihrer Entwicklung hinter der statistisch zu erwartenden zurückgeblieben; der Kläger wog zuletzt
mit acht Jahren bei einer Körpergröße von 104 cm, die der Durchschnittsgröße eines Vierjährigen entsprach, noch 11,8 kg. Ein
normal entwickeltes Kind im Alter des Klägers wäre 130 cm groß und 23 kg schwer gewesen.
Die Pflegeeltern wurden 1999 vom Landgericht S. wegen Mordes in Tateinheit mit Mißhandlung von Schutzbefohlenen zu jeweils
lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des Strafgerichts hatten sie - während sie die eigenen Kinder
gut versorgten - den Pflegekindern zu wenig, Minderwertiges oder gar nichts zu essen gegeben, sie aber auch eingesperrt und
geschlagen. Nach den Sommerferien Mitte September 1997, als der abgemagerte Zustand der Pflegekinder nunmehr für jedermann
sichtbar war, hatten die Pflegeeltern diese von der Außenwelt abgeschottet, insbesondere hatten sie den Kläger nicht mehr
zur Schule geschickt. Sie hatten die permanente Unterernährung der Pflegekinder selbst in Kenntnis dessen fortgesetzt, daß
dies zum Tode der Kinder führen werde.
Im vorliegenden Rechtsstreit macht der Kläger geltend, das Jugendamt des Beklagten habe seine ihm gegenüber obliegenden Aufsichts-
und Kontrollpflichten verletzt. Er behauptet, bei einem früheren und ordnungsgemäßen Einschreiten der Bediensteten des Beklagten
wäre sein Leiden in der Pflegefamilie aufgedeckt und vorzeitig beendet worden. Landgericht und Oberlandesgericht haben der
zuletzt auf die Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 25.000 EURO und die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten
für materielle und zukünftige immaterielle Schäden aus dem Aufenthalt bei den Pflegeeltern seit dem 22. September 1994 gerichteten
Klage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt (NJW 2003, 3419 m. Anm. Meysen aaO. S. 3369):
Das Jugendamt des Beklagten sei mit dem Umzug der Pflegefamilie R. nach W. gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII für den Hilfefall des Klägers zuständig geworden, denn der Kläger habe sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als zwei
Jahren in der Obhut der Pflegefamilie befunden und sein weiterer Aufenthalt sei wegen der Verhältnisse in seiner Herkunftsfamilie
auch auf Dauer zu erwarten gewesen. Dies hätten die Mitarbeiter des Beklagten schon im Zeitpunkt des Übernahmeersuchens im
April 1994, spätestens aber nach Eingang des Hilfeplans im Juli 1994 erkennen müssen. Insoweit habe auch keine Zuständigkeit
des Landratsamts H. mehr bestanden. Zwar müsse bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit der bisher zuständig gewesene
Träger seine Leistungen gemäß § 86c SGB VIII noch so lange fortsetzen, bis der neue Träger seinerseits die Leistung aufnehme, es handele sich bei der Vorschrift des §
86c SGB VIII aber nicht um eine Zuständigkeitsregelung, sondern allein um eine materielle Anspruchsgrundlage des Leistungsberechtigten.
Dem Berechtigten solle hierdurch nicht der Anspruch gegen den neu zuständig gewordenen Träger genommen werden, sondern er
erhalte einen zusätzlichen Verpflichteten. Der Beklagte habe daher durch die pflichtwidrige Verweigerung der Übernahme der
Leistungspflichten den Eintritt seiner Zuständigkeit nicht umgehen können. Aufgrund dessen hätten die Mitarbeiter des Beklagten
spätestens zwei Monate nach Eingang des Hilfeplans - d.h. im September 1994 - den Kontakt zu der Pflegefamilie herstellen
müssen.
Aber auch nach der tatsächlichen Übernahme der Verantwortung hätten die Mitarbeiter des Beklagten ihre dem Kläger gegenüber
bestehenden Verpflichtungen aus §§ 36 Abs. 2, 37 Abs. 3 SGB VIII nicht erfüllt, denn ein persönlicher Kontakt sei erst für Juni 1998 geplant gewesen.
Bei der Prüfung der Fortführung der Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 33 SGB VIII wäre zeitnah nach der Übernahme der Verantwortung eine kindgerechte Anhörung des Klägers geboten gewesen; denn bei Aufstellung
des als Vorbereitungsmaßnahme für die Entscheidung über die notwendige und geeignete Hilfe dienenden und während der Dauer
der Hilfemaßnahme fortzuschreibenden Hilfeplans sehe § 36 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII eine Mitwirkungsbefugnis des Kindes ausdrücklich vor. Der Hilfeplan solle dabei die Vorstellungen und Erwartungen des betroffenen
Minderjährigen dokumentieren. Auch eine Überprüfung gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII werde bei entsprechender Entwicklung des Kindes ohne ein Gespräch mit ihm nur rudimentär möglich sein. Angesichts der Bedeutung
der Grundrechte des Kindes erfordere die Entscheidung, welche Hilfemaßnahme zu gewähren sei, eine möglichst fundierte Grundlage.
Der Beklagte sei daher gehalten gewesen, sich nach Übernahme der Verantwortung möglichst bald vor Ort einen unmittelbaren
Eindruck von der Pflegefamilie und insbesondere vom Zustand und den Erwartungen des Klägers zu verschaffen. Als Minimum an
laufender Überprüfungstätigkeit hätte eine Eingangsüberprüfung stattfinden müssen, um sich dem Kind als Ansprechpartner bekannt
zu machen und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse das weitere Vorgehen gegebenenfalls neu festlegen zu können.
Auf seinen erkennbar problematischen Körperzustand angesprochen, hätte der Kläger - schon 1994 - Angaben über die ihm widerfahrenen
Mißhandlungen durch die Pflegeltern gemacht, die entweder zu seiner sofortigen Herausnahme aus der Pflegefamilie oder jedenfalls
zu einer umgehenden medizinischen Untersuchung geführt hätten. Aber auch ohne Angaben des Klägers hätte medizinischer Rat
eingeholt werden müssen, denn sein schlechter körperlicher Zustand hätte den Mitarbeitern des Jugendamts bei professioneller
Betrachtung schon im Jahr 1994 auffallen und hätte sich spätestens 1996 auch einem Laien aufdrängen müssen. Dies wäre Anlaß
genug gewesen, die medizinische Versorgung des Klägers zu hinterfragen. Allein auf die Angaben der Pflegeeltern hätte ein
verantwortungsbewußter Mitarbeiter des Jugendamts nicht vertrauen dürfen. Der Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen,
daß der Kläger noch am 9. April 1997 von der Mitarbeiterin des Kreisjugendamts H. als klein und kräftig beschrieben worden
sei, denn damals sei für jeden Laien die unnatürliche Magerkeit und die dadurch bedingte beginnende Vergreisung im Gesicht
erkennbar gewesen.
Zur Begründung der Höhe des dem Kläger zuerkannten Schmerzensgeldes hat das Berufungsgericht wesentlich darauf abgestellt,
daß die Pflichtverletzung des Beklagten dazu geführt habe, daß der Aufenthalt des Klägers in der Pflegefamilie sich um über
drei Jahre verlängert und sich infolgedessen sein körperlicher Zustand durch das fortdauernde Aushungern weiter verschlechtert
habe, und daß der Kläger entsprechend länger den Repressalien der Pflegeltern ausgesetzt gewesen sei. Dies und das Erlebnis
des Todes des als Bruder angesehenen Alexander hätten wesentlich zu einer beim Kläger festgestellten Traumatisierung beigetragen.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
1. Mit Recht hat das Berufungsgericht eine Amtspflichtverletzung des Beklagten in dessen Weigerung (in den Jahren 1994 bis
Mitte 1997) gesehen, die den Kläger betreffenden Aufgaben der Jugendhilfe im Sinne von § 2 SGB VIII, wozu gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII auch die Hilfe zur Erziehung und ergänzende Leistungen gemäß §§ 27 bis 35, 36, 37, 39 und 40 SGB VIII gehörten, zu übernehmen. Zutreffend geht es davon aus, daß der Beklagte nach dem Umzug der damaligen Pflegeeltern des Klägers,
der Eheleute R., nach W. örtlich für die Betreuung dieses Hilfefalls zuständig geworden ist, und daß dies für die Bediensteten
des Beklagten im Herbst des Jahres 1994 erkennbar war.
a) Die örtliche Zuständigkeit für Leistungen an Kinder, Jugendliche und ihre Eltern bestimmt sich bei Dauerpflegeverhältnissen
nach § 86 Abs. 6 SGB VIII. Anders als in § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII, wonach sich die Zuständigkeit primär an dem gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern orientiert und ein Aufenthaltswechsel des
Kindes oder Jugendlichen keine Veränderung der Zuständigkeit bewirkt, knüpft diese Bestimmung die örtliche Zuständigkeit des
Jugendamts an den gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegeperson an, falls das Kind oder der Jugendliche schon zwei Jahre bei ihr
lebt und sein weiterer Aufenthalt dort auf Dauer zu erwarten ist.
Das Berufungsgericht ist in tatrichterlich einwandfreier Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, daß im Streitfall nach dem Bekanntwerden
des Umzugs der Pflegeeltern des Klägers und der gesamten Familie in den R.-Kreis im Herbst 1993 in bezug auf den Kläger als
Pflegekind der Tatbestand des § 86 Abs. 6 SGB VIII gegeben war. Daran, daß die - ganze - Pflegefamilie mit dem Umzug ihren Lebensmittelpunkt nach W. verlegt hatte, in dessen
Bezirk die Kinder auch die Schule bzw. den Kindergarten besuchten, bestand kein ernsthafter Zweifel. Was den Kläger anging,
so befand sich dieser bereits seit Dezember 1990, also schon mehrere Jahre, in der Obhut der Eheleute R.. Sein weiterer Verbleib
in der Pflegefamilie war, wie das Berufungsgericht ebenfalls tatrichterlich fehlerfrei - auch von der Revision unbeanstandet
- feststellt, aus damaliger Sicht auch auf Dauer zu erwarten. Von einem Verbleib auf Dauer ist bereits dann auszugehen, wenn
eine Rückkehr des Pflegekindes zu seinen leiblichen Eltern oder einem Elternteil bis auf weiteres ausgeschlossen ist und die
Pflegeperson bereit und in der Lage ist, das Kind zukunftsoffen zu betreuen (Kunkel, in: LPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 86 Rn. 51). Da vorliegend der Kontakt zwischen dem Kläger und seiner Mutter schon vor dem Umzug weitgehend abgerissen war und
sich die schlechten, für den Kläger nach der dem Beklagten vermittelten Einschätzung des Jugendamts H. untragbaren, Verhältnisse
im Haushalt der Mutter (u.a. die Alkoholproblematik) nicht wesentlich geändert hatten, andererseits es keinerlei Anzeichen
dafür gab, daß die Pflegeeltern zur weiteren Betreuung des Klägers nicht mehr bereit waren, sprach auch die Zukunftsprognose
für einen Verbleib des Klägers in der Familie R.. Zwar lag die Personensorge für den Kläger und damit das Aufenthaltsbestimmungsrecht
ununterbrochen bei seiner leiblichen Mutter, weshalb diese das Kind grundsätzlich jederzeit gemäß §
1632 Abs.
1 BGB hätte herausverlangen können, wenn sie mit der Versorgung des Klägers in der Pflegefamilie nicht mehr einverstanden gewesen
wäre. Hierfür gab es im Zeitpunkt des Umzugs jedoch keinen Anhalt. Die Unterschriftsverweigerung der Mutter anläßlich der
Erstellung des Hilfeplans durch das Landratsamt H. im Juli 1994 und ihre bloße Äußerung, sich beim Vormundschaftsgericht um
eine Rückkehr des Klägers bemühen zu wollen, stand dem Fortbestand der Prognose und damit der weiter bestehenden Zuständigkeit
des Beklagten nicht entgegen. Die Ernstlichkeit dieser Absichtserklärung war schon deswegen in Zweifel zu ziehen, weil es
zwischen der Kindesmutter und dem Kläger bis dahin kaum Kontakt gegeben hatte und die Mutter auch in der Folgezeit keinerlei
konkrete Schritte unternommen hat, um ihren angeblichen Plan in die Tat umzusetzen.
b) Nach dem Gesetzeswortlaut und Regelungszusammenhang ist der - von der Revision bekämpften - Auslegung des Berufungsgerichts
zuzustimmen, daß ein Zuständigkeitswechsel gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII von Gesetzes wegen ("automatisch") erfolgt, also nicht erst an eine Übernahmeentscheidung der betreffenden Behörde anknüpft
(DIJuF-Rechtsgutachten vom 8. Januar 2002, JAmt 2002, 18, 19; Krug/Grüner/Dalichau, Kinder- und Jugendhilfe SGB VIII, Loseblatt, Bd. II, Stand: 9/03, § 86 Anm. XI; Meysen, NJW 2003, 3369, 3370). Im Streitfall lag die maßgebliche Amtspflichtverletzung der Bediensteten des Beklagten jedenfalls darin, daß sie
(von 1994 bis Mitte 1997) trotz entsprechenden Ersuchens des anderen Jugendamts und trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen
die Übernahme des Klägers als Hilfefall in ihren Aufgabenbereich ablehnten.
Durch die Ablehnung der Übernahme des vom Jugendamt H. angebotenen "Hilfefalls" des Klägers - das heißt, die generelle Weigerung,
überhaupt für den hilfsbedürftigen Kläger tätig zu werden - haben die Bediensteten des Beklagten entgegen der Aufassung der
Revision auch materielle Amtspflichten verletzt, die ihnen gegenüber dem (leistungsberechtigten) Kläger als Drittem im Sinne
des §
839 Abs.
1 Satz 1
BGB oblagen.
c) Es ist aus Rechtsgründen - bei Zugrundelegung des im Amtshaftungsrecht geltenden objektiven Verschuldensmaßstabs - auch
nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht bezüglich dieser Pflichtverletzung ein Verschulden (Fahrlässigkeit) der Bediensteten
des Beklagten angenommen hat.
aa) Zwar war den Bediensteten des Beklagten nach Eingang des Übernahmeersuchens im April 1994 für die zu treffende (Prognose-)Entscheidung
ein gewisses "Überlegungs- und Nachforschungsrecht" zuzubilligen. Sie durften noch weitere Informationen einholen und vor
allem auch den Eingang des Hilfeplans im Juli 1994 abwarten. Zu Recht ist das Berufungsgericht aber davon ausgegangen, daß
der Beklagte eine positive Prognoseentscheidung trotz der Ankündigung der Mutter, den Kläger nicht mehr länger bei den Pflegeeltern
belassen zu wollen, bald nach Eingang des Hilfeplans hätte treffen können und müssen. Denn der Hilfeplan nebst Begleitschreiben
enthielt im wesentlichen die maßgeblichen Informationen, die die Mitarbeiter des Beklagten ansonsten auch dem übrigen Inhalt
der Jugendhilfeakte hätten entnehmen können. In Anbetracht der Gesamtumstände hätten sich die Mitarbeiter des Beklagten jedenfalls
nicht auf den rein formalen Standpunkt stellen dürfen, nur wegen der Weigerung der Kindesmutter, den Hilfeplan zu unterschreiben,
sei die Dauerhaftigkeit des Aufenthalts des Klägers bei der Familie R. zweifelhaft. Selbst wenn die Mitarbeiter des Jugendamts
des Beklagten die vorhandenen Informationen als nicht ausreichend angesehen hätten, wäre zumindest die Aufnahme weiterer eigener
Ermittlungen geboten gewesen, um die Situation zu klären. Nach einer gewissen Übergangszeit hätten die Mitarbeiter des Jugendamts
des Beklagten ohnehin erkennen müssen, daß die Kindesmutter ihre Ankündigung nicht in die Tat umsetzen würde. Die Würdigung
des Berufungsgerichts, daß der Beklagte die Betreuung des Hilfefalls etwa ab Herbst 1994 hätte aufnehmen müssen, ist daher
nicht zu beanstanden.
bb) Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, daß die Bewertung der - zeitweiligen - Weigerung des Beklagten, die
jugendamtliche Zuständigkeit für den Kläger zu übernehmen, als (schuldhafte) Amtspflichtverletzung unberührt von der Vorschrift
des § 86c SGB VIII bleibt, wonach im Falle eines Wechsels der örtlichen Zuständigkeit der "bisher zuständige örtliche Träger solange zur Gewährung
der Leistung verpflichtet (bleibt), bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt". Das nächstliegende
Verständnis dieser Bestimmung geht - insbesondere im Zusammenhang mit der Kostenerstattungsregelung in § 89c Abs. 1 Satz 1
SGB V - dahin, daß damit lediglich (zum Schutz des betroffenen Kindes oder Jugendlichen) eine Verpflichtung der bisher zuständigen
Stelle gegenüber dem Leistungsberechtigten zur Weitergewährung begründet wird, die die Verpflichtung der eigentlich (neu)
berufenen Stelle als - vorrangig - "zuständig" unberührt läßt. Die Meinung der Revision, § 86c Satz 1
SGB V sei dahin zu interpretieren, daß nicht nur die Leistungsverpflichtung, sondern auch die Verfahrenskompetenz der bisher örtlich
zuständigen Leistungsträger so lange als alleinige fortdauere, bis dieser nunmehr örtlich zuständige Träger die Leistung und
damit die Verfahrenskompetenz übernehme, wird in der Fachliteratur nur ganz vereinzelt vertreten (vgl. Schellhorn, SGB VIII/KJHG,
2. Aufl., § 86 Rn. 7, 23, § 86c Rn. 6) und hat im Gesetz keine Stütze. Selbst auf dem Boden dieser Ansicht hätte jedenfalls
eine Verpflichtung des Beklagten zur alsbaldigen Übernahme der Kompetenz als Amtspflicht bestanden. Eine andere Frage ist,
inwieweit von dem bisher zuständigen Träger weiter gewährte Leistungen im Verhältnis zum Leistungsberechtigten der (neu) zuständig
gewordenen Behörde zugute kommen können; darum geht es hier nicht.
2. Entgegen den Rügen der Revision halten auch die Ausführungen im Berufungsurteil über den Ursachenzusammenhang zwischen
der genannten Amtspflichtverletzung der Bediensteten des Beklagten und den Schäden, die der Kläger in der Pflegefamilie erlitten
hat (haftungsausfüllende Kausalität), der rechtlichen Prüfung stand.
Bei Vorliegen einer Amtspflichtverletzung ist zu fragen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Amtsträgers
genommen hätten (vgl. Staudinger/Wurm
BGB [2002] §
839 Rn. 231 f m.w.N.).
a) Mit Recht nimmt das Berufungsgericht an, daß das Jugendamt des Beklagten im Falle der (pflichtgemäßen) Übernahme der Aufgaben
für den Kläger gehalten gewesen wäre, sich zeitnah mit dem Zuständigkeitswechsel ein persönliches Bild vom Kläger zu machen
und sich über die Lebensumstände des Klägers vor Ort bei der Pflegefamilie zu vergewissern.
aa) Es kann offenbleiben, ob und in welcher Form schon der - noch vom Jugendamt H. turnusmäßig in Gang gesetzte - Hilfeplanprozeß
für sich die Einbeziehung des Klägers persönlich erforderte (vgl. § 36 Abs. 1 und 2 SGB VIII); die vom Berufungsgericht (auch) unter diesem Gesichtspunkt erörterte "Anhörung" des Klägers dürfte allerdings, ohne daß
dies weiter vertieft zu werden braucht, für die Ausstellung des neuen Hilfeplans schon deshalb nicht unbedingt angezeigt gewesen
sein, weil eine grundlegende Änderung der Art der zu gewährenden Hilfe überhaupt nicht anstand.
bb) Jedenfalls hätte aus der Sicht des Jugendamts des Beklagten
- unterstellt, es hätte pflichtgemäß seine Zuständigkeit bejaht - Anlaß für eine alsbaldige persönliche Kontrolle nach § 37 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII bestanden.
(1) Nach dieser Vorschrift soll das Jugendamt den Erfordernissen des Einzelfalls entsprechend an Ort und Stelle - d.h. im
Haushalt der Pflegefamilie - überprüfen, ob die Pflegeperson eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen förderliche Erziehung
gewährleistet. Die Regelung begründet unbeschadet ihrer Formulierung als Soll-Vorschrift gebundenes Ermessen, ist also als
verpflichtend anzusehen (Werner, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, 3. Aufl., Bd. 2, § 37 Rn. 43; Happe/Saurbier,
in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, aaO., Bd. 1, Vorbem. §§ 11 bis 41 Rn. 48 ff.). Sie ist Ausdruck des staatlichen Wächteramtes
im Sinne von Art.
6 Abs.
2 Satz 2
GG und hat die Aufgabe, Schäden und Gefahren von dem Kind abzuwenden. Die Anfügung des im Gesetzesentwurf (BT-Drucks. 11/5948
S. 14) noch nicht enthaltenen Absatz 3 in § 37 SGB VIII, die erst auf die Anregung des Bundesrats erfolgte, sollte hervorheben, daß die Sorge um das Wohl eines bei einer Pflegeperson
untergebrachten Kindes oder Jugendlichen auch nach der Vermittlung weiterhin Aufgabe des Jugendamtes bleibt (s. die Begründung
in der Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 11/5948 S. 123, 133). Die Vorschrift knüpft dabei an die Pflegekinderaufsicht
des § 31 Abs. 1 Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) an (Werner, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, aaO., § 37 Rn. 42). Sie steht daher,
wie der Revision zuzugeben ist, in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der übrigen Grundkonzeption des SGB VIII, das - in bewußter Abkehr vom früheren Jugendwohlfahrtsgesetz - nicht mehr Ausdruck staatlicher Eingriffsverwaltung, sondern
ein modernes, präventiv orientiertes Leistungsgesetz sein soll, dessen oberstes Ziel es ist, die Eltern bei ihrer Erziehungsaufgabe
zu unterstützen und ihnen ein an den unterschiedlichen Lebenslagen von Familien orientiertes System von beratenden und unterstützenden
Leistungen anzubieten (BT-Drucks. 11/5948, Vorblatt). Nach heutigem Verständnis ist die "Pflegekinderaufsicht" weitgehend
der Beratung und Unterstützung der Beteiligten bei der Erziehung des Kindes in der Pflegefamilie gewichen, um Gefahren möglichst
schon im Vorfeld begegnen zu können (vgl. BT-Drucks. 11/5948, 82, 83 zu dem inhaltlich ähnlichen § 43 Abs. 3, der § 44 Abs. 3 SGB VIII in der geltenden Fassung entspricht). Der Gesetzgeber war dabei auch bestrebt, dem inzwischen verfassungsrechtlich anerkannten
Rang der Pflegefamilie, die wegen der insbesondere bei einem länger andauernden Pflegeverhältnis gewachsenen Bindungen unter
dem Schutz von Art.
6 Abs.
1,
3 GG steht, ausreichend Rechnung zu tragen (BVerfGE 68, 176, 187, 189; BT-Drucks. 11/5948 aaO.). Hierbei darf aber nicht übersehen werden, daß im Fall der Interessenkollision dem Kindeswohl
grundsätzlich der Vorrang vor den Rechten der Pflegeeltern gebührt (BVerfGE 68, 176, 188).
Um im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Pflegefamilie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, ist
die Überprüfungspflicht bewußt an den Erfordernissen des Einzelfalls ausgerichtet (Wiesner, in: Wiesner/Kaufmann/Mörsberger/Oberloskamp/Struck,
SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, 2. Aufl. § 37 Rn. 41). Der Grundgedanke des SGB VIII, die Pflegepersonen zunächst einmal als Partner des Jugendamts anzusehen (Schellhorn, aaO., § 37 Rn. 19), spricht für eine
eher restriktive Auslegung (vgl. Nothacker, in: Fieseler/Schleicher, Kinder- und Jugendhilferecht, GK-SGB VIII, Loseblatt, Stand 11/03, § 37 Rn. 27). Grundsätzlich gilt, daß nach der Inpflegegabe des Kindes ein Minimum an Intervention und ein Maximum an Beratung
durch das Jugendamt erfolgen soll (Münder, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 4. Aufl., § 44 Rn. 26). Eine Pflicht, die Pflegeperson schematisch in regelmäßigen - mehr oder weniger großen - Zeitabständen zu überprüfen,
dürfte hiermit nicht in Einklang zu bringen sein (Wiesner, aaO.; Stähr, in: Hauck, Sozialgesetzbuch, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, Bd. 2, Loseblatt, Stand: 8/03, § 44 Rn. 31) und ist auch vom Gesetzgeber so nicht gewollt (BT-Drucks. 11/5948 S. 83 zu § 43 Abs. 3, heute § 44 Abs. 3 SGB VIII).
(2) Dies bedeutet aber nicht, daß sich das Jugendamt auf eine Eingangsüberprüfung beschränken darf, sondern es trägt insoweit
eine durchgehende Verantwortung (Krug/Grüner/Dalichau, aaO., Bd. 1, § 37 Anm. IV. 1.). Üblicherweise wird das Jugendamt in
der Anfangsphase des Pflegeverhältnisses die Lebensverhältnisse des Pflegekindes häufiger zu überprüfen haben als nach Stabilisierung
der Beziehung (Werner, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, aaO., § 37 Rn. 43, Wiesner, aaO., § 37 Rn. 41). Für die Zeit danach wird
in der Literatur die Meinung vertreten, eine Kontrolle sei nur noch dann vorzunehmen, wenn es erkennbare Anzeichen für die
Notwendigkeit einer Überprüfung gebe oder entsprechende Hinweise von außen an das Jugendamt herangetragen würden (Werner,
in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, aaO., § 37 Rn. 43; Münder, aaO., § 44 Rn. 27; Stähr, in: Hauck, aaO., § 44 Rn. 31; Nothacker,
aaO., § 37 Rn. 25). Ein gesondertes Kontrollbedürfnis wird jedenfalls dann nicht gesehen, wenn die Beteiligten auf der Grundlage
des gemeinsam erarbeiteten Hilfeplans kontinuierlich zusammenarbeiten (Fasselt, in LPK-SGB VIII, aaO., § 37 Rn. 17, Wiesner, aaO., § 37 Rn. 41).
Selbst wenn man der letzteren Meinung im Grundsatz folgen wollte, wäre nicht zu übersehen, daß der Umzug einer Pflegefamilie
in den Bezirk eines anderen Hilfeträgers, zumal in ein anderes Bundesland - mit dem damit verbundenen Wechsel der für das
Kind oder den Jugendlichen zuständigen Betreuungspersonen - durchaus Anlaß geben kann und im Regelfall auch geben muß, die
Lebensverhältnisse des betreuten Kindes oder Jugendlichen einer erneuten Kontrolle zu unterziehen. Zwar hat der Hilfeprozeß
vor allem auch das fundamentale kindliche Bedürfnis nach Kontinuität und gesicherter harmonischer Familienbindung zu berücksichtigen
(vgl. auch Salgo, in: GK-SGB VIII, aaO., § 33 Rn. 28), und diese Kontinuität soll auch durch einen Wechsel in der Zuständigkeit des Hilfeträgers nicht ohne Not gestört
werden. Ein bloßer Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6 SGB VIII stellt daher als solcher keinen Grund dar, die bisherige Zielrichtung des gemeinsamen Hilfeprozesses zu ändern (DIJuF-Rechtsgutachten
vom 8. Januar 2002, JAmt 2002, 18, 19), und darf nicht dazu benutzt werden, Fakten zu schaffen, die im Widerspruch zum Hilfeplan
bzw. zu der mit den beteiligten Personen erarbeiteten Konzeption über die künftige Lebensperspektive des Kindes oder Jugendlichen
stehen (Wiesner, aaO., § 86 Rn. 37). Es darf dabei aber nicht vergessen werden, daß mit dem Umzug der Pflegefamilie stets
auch eine Änderung ihrer Lebensumstände einhergeht. Insoweit kann eine Kontrolle schon zur Überprüfung der neuen Wohnsituation
angezeigt sein, denn der Umzug kann beispielsweise mit einem Wechsel in beengtere, nicht mehr kindgerechte Wohnverhältnisse
oder eine schlechtere Wohngegend verbunden sein. Auch wenn solche Umstände für sich gesehen, gerade vor dem Hintergrund der
gewachsenen Bindungen und des bestehenden Hilfeplans, nur im Ausnahmefall zu einer Abkehr von den grundsätzlichen Zielsetzungen
des bisherigen Hilfeplans oder gar zu einer Herausnahme des Kindes führen dürfen, ist ein Kontrollbesuch angebracht, bei dem
auch und gerade ein persönlicher Kontakt mit dem Pflegekind hergestellt werden muß. Denn nur so kann sich das Jugendamt hinreichend
zuverlässig ein Bild darüber verschaffen, ob das Kindeswohl auch weiterhin gewährleistet ist. Das Berufungsgericht geht daher
im Grundsatz zu Recht von dem Erfordernis eines sog. "Antrittsbesuchs" aus.
b) Es ist auch, jedenfalls im Ergebnis, nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, daß die Mitarbeiter
des Jugendamts des Beklagten - wenn sie pflichtgemäß etwa Mitte 1994 die Zuständigkeit für den Kläger übernommen und in zeitnahem
Zusammenhang damit die Pflegefamilie besucht und sich hierbei näher mit dem Kläger befaßt hätten - schon im Herbst 1994 die
Vernachlässigung des Klägers erkannt hätten oder hätten erkennen müssen.
aa) Besteht - wie hier - die Amtspflichtverletzung in einem Unterlassen, so kann ein Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung
und Schaden grundsätzlich nur bejaht werden, wenn der Schadenseintritt bei pflichtgemäßem Handeln mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre; eine bloße Möglichkeit, ebenso eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügt nicht (Staudinger/Wurm,
aaO., § 839 Rn. 232 m.w.N.). Dabei ist es grundsätzlich Sache des Geschädigten, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen,
in welcher für ihn günstigen Weise das Geschehen bei Vornahme der gebotenen Amtshandlung verlaufen wäre (Staudinger/Wurm,
aaO.), wobei allerdings in Anwendung des §
287 ZPO anstelle des vollen Beweises ein reduziertes Beweismaß - im Sinne einer erheblich bzw. deutlich überwiegenden Wahrscheinlichkeit
(vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1994 - III ZR 134/93 - VersR 1995, 168, 170) - genügt. Wenn die Amtspflichtverletzung und der zeitlich nachfolgende Schaden feststehen, kann der Geschädigte der
öffentlichen Körperschaft sogar den Nachweis überlassen, daß der Schaden nicht auf die Amtspflichtverletzung zurückzuführen
ist; das gilt jedoch nur, wenn nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder eine tatsächliche Wahrscheinlichkeit
für den ursächlichen Zusammenhang besteht, andernfalls bleibt die Beweislast beim Geschädigten (BGH, aaO., m.w.N.). Eine solche
tatsächliche Vermutung für die Schadensursächlichkeit ist in der Rechtsprechung bei amtspflichtwidriger Verletzung von Aufsichts-
und Überwachungspflichten von Vormundschaftsrichtern über den Vormund angenommen worden, wenn eine ordnungsgemäße Beaufsichtigung
an sich geeignet war, den Schaden zu verhindern (vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 1986 - III ZR 237/84 - NJW 1986, 2829, 2832). Es spricht einiges dafür, die vorliegende Fallgestaltung als damit vergleichbar anzusehen, weil ein "Antrittsbesuch"
des Jugendamts im Jahre 1994 bei der Pflegefamilie, verbunden mit einer persönlichen Kontaktaufnahme mit diesem, - unabhängig
davon, ob hierdurch, rückblickend gesehen, mit Sicherheit oder erheblich überwiegender Wahrscheinlichkeit die Mißhandlungen
gegenüber dem Kläger entdeckt und unterbunden worden wären - jedenfalls aus damaliger Sicht generell geeignet war, einen schlechten
körperlichen Zustand des Klägers festzustellen und dem nachzugehen. Eine abschließende Entscheidung, ob hier schon unter diesem
Gesichtspunkt eine Beweislastumkehr eintritt, erübrigt sich jedoch.
bb) Denn auch unabhängig davon kommen dem Kläger hier jedenfalls weitere, über §
287 ZPO hinausgehende, Beweiserleichterungen zugute. Derartige Beweiserleichterungen (bis hin zur Umkehr der Beweislast) können z.B.
dem durch eine Fürsorgepflichtverletzung seines Dienstherrn oder die Mitwirkung eines voreingenommenen Prüfers in Beweisnot
geratenen Geschädigten (Senatsurteil vom 3. März 1983 - III ZR 34/82 - NJW 1983, 2241, 2242) oder dem bei einer Auswahlentscheidung nicht mitberücksichtigten "außenstehenden" Bewerber (Senat BGHZ 129, 226, 234) zugebilligt werden (vgl. auch die Senatsurteile vom 22. Mai 1986 aaO. und vom 6. Oktober 1994 aaO.). In den genannten
(Ausnahme-)Fällen handelte es sich darum, daß der Geschädigte durch den Amtspflichtverstoß in die schwierige Lage versetzt
worden war, den hypothetischen Ausgang eines Wahlverfahrens oder eines Prüfungsverfahrens beweisen zu müssen. In ähnlicher
Weise ist im Streitfall die beweisrechtliche Lage des Klägers dadurch gekennzeichnet, daß er bei Anlegung der allgemeinen
Regeln den Beweis für die Auswirkungen eines hypothetischen (pflichtgemäßen) Handelns des Beklagten als zuständiger Jugendbehörde,
also für einen Sachverhalt führen müßte, der in der Sphäre des Beklagten liegt. In einer solchen Situation muß für die Beweisführung
des Geschädigten genügen, wenn nach dem vom Gericht zu würdigenden Tatsachenstoff die naheliegenden Möglichkeit besteht, daß
durch das hypothetische (pflichtgemäße) behördliche Verhalten der eingetretene Schaden vermieden worden wäre.
cc) Zumindest unter diesen geminderten Maßstäben ist die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, den Mitarbeitern
des Beklagten hätte bei "professioneller Betrachtung" des Klägers sein schlechter körperlicher Zustand schon im Jahre 1994
auffallen müssen und dieser Zustand hätte Anlaß gegeben, umgehend eine medizinische Untersuchung in die Wege zu leiten, nicht
zu beanstanden. Daß ein solcher (hypothetischer) Geschehensablauf als möglich naheliegt, gründet sich schon auf den vom Berufungsgericht
herausgestellten Umstand, daß der Kläger Anfang September 1994 im Alter von fünf Jahren und drei Monaten nur 90 cm groß und
11,5 kg schwer, also schon damals auffällig klein und untergewichtig war.
III. Da die maßgebliche Amtspflichtverletzung der Bediensteten des Beklagten schon im Jahre 1994 im Zusammenhang mit der Weigerung,
die Zuständigkeit für den Kläger zu übernehmen, erfolgte und den geltend gemachten Schaden des Klägers verursachte, kommt
es nicht darauf an, ob - wie das Berufungsgericht angenommen hat, was von der Revision jedoch in Abrede gestellt wird - dem
Jugendamt des Beklagten weitere Amtspflichtverletzungen gegenüber dem Kläger bei und ab der tatsächlichen Übernahme der Zuständigkeit
für diesen im Jahre 1997 anzulasten sind.
Die vom Berufungsgericht ausgesprochenen Rechtsfolgen, sind, sowohl was den ausgeurteilten Schmerzensgeldbetrag (§ 847 Abs. 1
BGB a.F.) von 25.000 EURO angeht, als auch in bezug auf die Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten wegen materieller
und zukünftiger immaterieller Schäden, die dem Kläger durch den Aufenthalt bei den Pflegeeltern R. seit dem 22. September
1994 entstanden sind, rechtmäßig. Sie werden von der Revision auch nicht angegriffen.