Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; jahresbezogene Berücksichtigung von Einkommen bei einer selbstständigen Tätigkeit
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum vom 01.11.2009 bis 30.04.2010,
insbesondere darüber, ob der Beklagte die Erstattung von auf Grund einer vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen fordern
durfte.
Die 1949 geborene Klägerin meldete am 01.09.2001 als Gewerbe einen Handel mit technischen Industrieprodukten (Einzelhandel)
an. Der 1948 geborene mit ihr verheiratete Kläger stand zuvor bei einem nunmehrigen Auftraggeber der Klägerin in einem Beschäftigungsverhältnis.
Im Jahr 2007 wurde das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet und seit 2009 läuft ein Restschuldbefreiungsverfahren.
Die Firma der Klägerin bietet hochhitzefeste Produkte für Industriebetriebe an, die sie anfertigen lässt. Der Kläger arbeitet
in der Firma insbesondere im Bereich Kundenbetreuung mit, ohne dass ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Weitere Mitarbeiter
sind nicht vorhanden. Die Auftragsvergabe an die Firma erfolgt unregelmäßig und ist seit 2006 stark zurückgegangen. Gemäß
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 hatte der Kläger kein Einkommen und die Klägerin negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb
von 941,00 Euro. Von Januar bis Oktober 2009 erzielte die Klägerin keine, im November 2009 Betriebseinnahmen in Höhe von (i.H.v.)
10.587,64 Euro und von Dezember 2009 bis April 2010 wiederum keine. Die Betriebsausgaben (Wareneinkauf, Raumkosten, Kfz-Kosten,
Reisekosten, Telefon, abziehbare Vorsteuer) beliefen sich nach ihren Angaben auf 748,47 Euro im Mai 2009, 480,03 Euro im Juni
2009, 702,37 Euro im Juli 2009, 547,33 Euro im August 2009, 591,19 Euro im September 2009, 494,26 Euro im Oktober 2009, 6.039,80
Euro (zuzüglich von 4.414,46 Euro an das Finanzamt gezahlte Umsatzsteuer) im November 2009, 586,77 Euro im Dezember 2009,
651,15 Euro im Januar 2010, 498,56 Euro im Februar 2010, 487,25 Euro im März 2010 und auf 530,99 Euro im April 2010.
Der Kläger verfügt über einen Pkw (P ) der auf ihn zugelassen ist. Dessen Finanzierung (Leasing, Kfz-Steuer und Versicherung,
Reparaturkosten) erfolgte im hier streitigen Zeitraum durch die Tochter der Kläger bei monatlichen an die P -Bank zu zahlenden
Raten von 194,06 Euro. Die Tochter gewährte den Klägern insoweit ein Darlehen. Die Kläger bewohnen ein gemietetes Einfamilienhaus
(Wohnfläche 114,29 m2 ohne Kellerräume) bei einer Kaltmiete von 690,00 Euro inklusive von 25,00 Euro für eine Garage. Zwei Räume (33,69 m2) sowie die Garage werden für die Firma genutzt. Über weiteres Einkommen oder über Vermögen verfügten die Kläger im hier streitigen
Zeitraum nicht.
Auf den Antrag der Kläger von April 2006 auf Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bewilligte die ARGE Grundsicherung für Arbeitsuchende, Jobcenter Neuwied, als Rechtsvorgängerin des Beklagten Leistungen
unter Anrechnung eines monatlichen Einkommens aus der selbständigen Tätigkeit. In dem Bewilligungsbescheid vom 27.06.2006
wurden die Kläger darauf hingewiesen, dass die Kosten der Unterkunft (KdU) nicht angemessen seien; für einen Zwei-Personen-Haushalt
könne nur eine Wohnfläche bis zu 60 m2 als angemessen betrachtet werden. Anzuwenden sei der Mietspiegel des Landkreises A analog auf die Verbandsgemeinde Re . Als
Grundmiete könnten höchstens monatlich 245,40 Euro und für Nebenkosten (außer Heizkosten) 63,11 Euro (insgesamt 308,51 Euro)
anerkannt werden. Die tatsächlichen Kosten könnten nur für längstens sechs Monate, d.h. bis einschließlich 31.12.2006, übernommen
werden. Die ARGE übernahm die Kosten für die Lieferung von Heizöl, zuletzt im Oktober 2009.
Die Kläger bezogen Leistungen von der ARGE ohne Unterbrechung; im Zeitraum vom 01.04. bis 31.10.2009 wurde kein Einkommen
angerechnet. Zuletzt wurden ihnen auf den Antrag vom 05.10.2009 durch Bescheid vom 08.10.2009 für den Zeitraum vom 01.11.2009
bis 30.04.2010 Leistungen i.H.v. monatlich 956,66 Euro (Regelsatz jeweils 323,00 Euro, KdU jeweils 155,33 Euro) vorläufig
bewilligt, da das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit noch nicht feststehe. Nachdem die Klägerin im November 2009 und Juni
2010 Angaben zu den Betriebseinnahmen und -ausgaben von Mai 2009 bis April 2010 vorlegte und eine jährliche Berechnung des
Einkommens beantragte, da sie nur unregelmäßige Einzelaufträge erhalte, hörte die ARGE den Kläger mit Schreiben vom 06.08.
und 14.09.2010 dazu an, dass für den Zeitraum vom 01.11.2009 bis 30.04.2010 Arbeitslosengeld II i.H.v. 2.254,74 Euro zu erstatten
sei. Es sei kein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit angerechnet worden, was nicht zutreffend gewesen sei.
Die Kläger machten geltend, dass auch das Darlehen für das Kfz als Betriebsausgabe zu berücksichtigen sei und die Betriebsausgaben
auch in den Monaten, in denen keine Aufträge eingingen, anfielen. Eine halbjährliche Betrachtung der Einkommensverhältnisse
führe dazu, dass eine Weiterführung der Geschäftstätigkeit nicht möglich sei. Mit Bescheid vom 26.10.2010 bewilligte die ARGE
den Klägern Leistungen für den Zeitraum vom 01.11.2009 bis 30.04.2010 i.H.v. monatlich 530,87 Euro (Regelsatz jeweils 323,00
Euro, KdU jeweils 155,33 Euro, angerechnetes Gesamteinkommen 375,79 Euro [laufendes Einkommen aus Selbständigkeit 569,74 Euro
abzüglich Freibetrag von 193,95 Euro]). Bei den Betriebsausgaben sei von den Angaben der Klägerin ausgegangen worden, lediglich
das Darlehen sei nicht berücksichtigt worden. Von dem Durchschnittswert der Einnahmen von monatlich 1.764,61 Euro (10.587,64
: 6) seien Ausgaben von 1.194,87 Euro (7.169,16 : 6) abgesetzt worden. Die Regelleistung für den Kläger wurde wegen der um
1 Cent abweichenden Einkommensanrechnung mit 135,11 Euro monatlich und für die Klägerin mit 135,10 Euro monatlich angesetzt.
Mit weiterem Bescheid vom 26.10.2010 forderte der Beklagte gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 a SGB II i.V.m. §
328 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) unter Bezugnahme auf die vorläufige Bewilligung (Bescheid vom 08.10.2009) Leistungen für den Zeitraum vom 01.11.2009 bis
30.04.2010 von dem Kläger i.H.v. 1.127,34 Euro und von der Klägerin i.H.v. 1.127,40 Euro, insgesamt i.H.v. 2.254,74 Euro,
zurück. Dem beigefügten Bewilligungsbescheid seien die tatsächlich zustehenden Leistungen zu entnehmen. Den Widerspruch der
Kläger wies der Beklagte am 07.02.2011 zurück.
Die Kläger haben am 08.03.2011 Klage vor dem Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 28.09.2011 abgewiesen. Ein Anspruch der Kläger auf höhere Leistungen bestehe nicht. Eine jährliche
Berechnung des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit ergebe sich nicht aus § 11 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 3 Abs. 5 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (ALG II-V), da ein Saisonbetrieb nicht vorliege. Für ihre Tätigkeit als Handelsvertreter sei es vielmehr typisch, dass Einnahmen
über das ganze Jahr verteilt erzielt würden. Das Darlehen der Tochter i.H.v. 1.625,34 Euro sei nicht als Betriebsausgabe zu
berücksichtigen, da Verluste aus vorangegangenen Zeiträumen nicht übertragbar seien.
Gegen das ihnen am 15.10.2011 zugestellte Urteil haben die Kläger am 09.11.2011 Berufung eingelegt. Sie machen geltend, dass
keine Tätigkeit als Handelsvertreter, sondern ein kleiner Handel von auf eigene Rechnung hergestellten hochhitzebeständigen
Artikeln vorliege. Der Bedarf der Abnehmer und damit auch die Auftragslage richte sich nach der Auslastung der Industrieanlagen.
Ein regelmäßiges Einkommen falle damit nicht an.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.09.2011 - S 11 AS 296/11 - und den Erstattungsbescheid des Beklagten vom 26.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2011 aufzuheben
sowie den Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 26.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2011 abzuändern
und den Beklagten zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 956,00 Euro für
den Zeitraum vom 01.11.2009 bis 30.04.2010 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er erachtet die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Auf Aufforderung des Senats haben die Kläger im Juli 2012 Unterlagen zu dem Kfz und zu der Firma vorgelegt.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug
genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet. Das SG hat die Klage zu.U.nrecht abgewiesen. Der Beklagte war nicht berechtigt, von den Klägern die Erstattung von Leistungen i.H.v.
2.254,74 Euro, sondern lediglich i.H.v. 3,96 Euro zu verlangen. Den Klägern steht ein Anspruch auf Gewährung von endgültigen
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.11.2009 bis 30.04.2010 i.H.v. monatlich 956,00 Euro
zu. Die Bescheide des Beklagten vom 26.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2011 sind insoweit rechtswidrig
und verletzen die Kläger in ihren Rechten.
Gegenstand des Verfahrens ist der Erstattungsbescheid vom 26.10.2010 und der Bewilligungsbescheid vom 26.10.2010, mit welchen
der Beklagte eine einheitliche Regelung für den Zeitraum vom 01.11.2009 bis 30.04.2010 getroffen hat. Mit dem Bewilligungsbescheid
vom 26.10.2010 hat der Beklagte hinsichtlich der bisher erfolgten lediglich vorläufigen Bewilligung von Leistungen eine endgültige
Regelung getroffen, wodurch sich der einstweilige Verwaltungsakt vom 08.10.2009 im Sinne von § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) erledigte. Der Erstattungsbescheid vom 26.10.2010 regelte als Folge dieser endgültigen Leistungsbewilligung eine Erstattungspflicht
gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 a SGB II (in der Fassung [i.d.F.] des Gesetzes vom 14.08.2005, BGBl. I 2407) i.V.m. §
328 Abs.
3 Satz 2
SGB III. Die Kläger begehren die Zuerkennung von endgültigen Leistungen im streitigen Zeitraum von monatlich 956,00 Euro mit der
kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und 4
Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). Die Leistungsansprüche der Kläger sind grundsätzlich unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (ständige Rechtsprechung,
vgl. z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 9/06 R -, SozR 4 - 4300 § 428 Nr. 3).
Die Kläger erfüllten im hier streitigen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Insbesondere waren sie hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. §
9 Abs.
1 SGB III (i.d.F. des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl. I 2954). Als monatlicher Gesamtbedarf ergibt sich mindestens ein Betrag von 956,00
Euro (jeweils 323,00 Euro Regelleistung, 310,66 Euro KdU, insgesamt 478,33 Euro) unter Beachtung der Rundungsvorschrift des
§ 41 Abs. 2 SGB II (i.d.F. des Gesetzes vom 24.11.2003, BGBl. I 2954). Diesen Bedarf konnten die Kläger nicht aus eigenen Kräften und Mitteln
decken.
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II (i.d.F. des Gesetzes vom 24.12.2003 a.a.O.) sind als Einkommen Einnahmen in Geld oder Geldeswert, mithin auch Einnahmen aus
selbständiger Tätigkeit, zu berücksichtigen. In § 3 der ALG II-V (hier in der ab 01.01.2009 geltenden Fassung vom 18.12.2008) wird die Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit,
Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft geregelt. Nach Absatz 1 Sätze 1 und 2 ist bei der Berechnung des Einkommens
aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft von den Betriebseinnahmen auszugehen. Betriebseinnahmen
sind alle aus diesen Tätigkeiten erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II) tatsächlich zufließen. Gemäß Abs. 2 sind zur Berechnung des Einkommens von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum
tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 Abs. 2 SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen. Tatsächliche Ausgaben sollen nach Abs.
3 nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während
des Bezuges der Leistung zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechen. Nachgewiesene Einnahmen können bei der Berechnung
angemessen erhöht werden, wenn anzunehmen ist, dass die nachgewiesene Höhe der Einnahmen offensichtlich nicht den tatsächlichen
Einnahmen entspricht. Ausgaben können bei der Berechnung nicht abgesetzt werden, soweit das Verhältnis der Ausgaben zu den
jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis steht.
Nach Abs. 4 Sätze 1 und 3 ist für jeden Monat der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens
im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Von dem Einkommen sind die Beträge nach
§ 11 Abs. 2 SGB II abzusetzen. Ist aufgrund der Art der Erwerbstätigkeit (Abs. 5) eine jährliche Berechnung des Einkommens angezeigt, soll in
die Berechnung des Einkommens nach den Absätzen 2 bis 4 auch Einkommen nach Abs. 1 Satz 1 einbezogen werden, das der erwerbsfähige
Hilfebedürftige innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten vor wiederholter Antragstellung erzielt hat, wenn der erwerbsfähige
Hilfebedürftige darauf hingewiesen worden ist. Dies gilt nicht, soweit das Einkommen bereits in dem der wiederholten Antragstellung
vorangegangenen Bewilligungszeitraum berücksichtigt wurde oder bei Antragstellung in diesem Zeitraum hätte berücksichtigt
werden müssen.
Der Beklagte hat das bei der Klägerin als Inhaberin der Firma und nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II (i.d.F. des Gesetzes vom 24.12.2003 a.a.O.) auch bei dem Kläger zu berücksichtigende Einkommen unzutreffend berechnet. Eine
Berechnung des Durchschnittseinkommens bezogen auf den Bewilligungszeitraum (§ 3 Abs. 4 Satz 1 ALG II-V) war vorliegend nicht angezeigt, sondern vielmehr aufgrund der Art der Erwerbstätigkeit eine jährliche Berechnung des
Einkommens nach § 3 Abs. 5 ALG II-V vorzunehmen. Zwar handelt es sich bei der Firma der Klägerin nicht um einen Saisonbetrieb, da die selbständige Tätigkeit
ganzjährig durchgehend ausgeübt wird, allerdings ist die Regelung des § 3 Abs. 5 ALG II-V nicht auf Saisonbetriebe beschränkt.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat als Verordnungsgeber die ALG II-V mit Wirkung ab 01.01.2008 insbesondere hinsichtlich der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit neu gefasst.
Während bis zu diesem Zeitpunkt maßgebend auf den Einkommensteuerbescheid abgestellt worden ist, ist nunmehr das Einkommen
grundsätzlich für den Bewilligungszeitraum festzustellen. Ausgangspunkt sind die Betriebseinnahmen im Bewilligungszeitraum
von in der Regel sechs Monaten. Dieser Zeitraum, der für die Berechnung des Einkommens grundsätzlich maßgeblich ist, gibt
den Betroffenen die Möglichkeit, Einnahmen und Ausgaben für die Tätigkeit innerhalb dieses Bewilligungszeitraumes miteinander
auszugleichen. Durch die nunmehrige Berechnung des Einkommens ausschließlich nach den tatsächlichen Betriebseinnahmen und
Betriebsausgaben wurde sichergestellt, dass nur das Einkommen berücksichtigt wird, das für den Lebensunterhalt tatsächlich
zur Verfügung steht. Dem selbständig tätigen Hilfebedürftigen steht lediglich der tatsächliche Gewinn (Differenz aus Betriebseinnahmen
und Betriebsausgaben) aus seiner Erwerbstätigkeit zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung. Die Abkoppelung der
Anrechnung des Einkommens von Selbständigen vom Steuerrecht führt dazu, dass es auf die steuerliche Leistungsfähigkeit nicht
mehr ankommt. Diese liegt nämlich deutlich oberhalb des sozio-kulturellen Existenzminimums und muss daher nicht den tatsächlichen
Gewinn abbilden. Im Einkommenssteuerrecht werden auch fiktive Einnahmen und Ausgaben, d.h. solche, die entweder noch gar nicht
oder nicht in der Höhe getätigt worden sind, berücksichtigt. Der Unternehmer ist nunmehr gefordert, dass er neben der fiktiven
steuerlichen Einnahmen- und Ausgabenbuchung auch immer über seine tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben Buch führt. Es wurde
als zumutbar angesehen, von ihm eine entsprechende Berechnung zu verlangen, wenn er eine steuerfinanzierte Fürsorgeleistung
- wie es das Arbeitslosengeld II darstellt - begehrt (vgl. Begründung des BMAS zum Entwurf für die ALG II-V vom 27.11.2007 [http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Gesetze/verordnung-zur-berechnung-einkommen-algII-Sozialgeld.pdf?_blob=publicationFile];
Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage, BTDrs 16/12021 Seiten 1, 4, 6).
Von diesem Grundsatz der Berechnung des Einkommens für den laufenden Bewilligungszeitraum ist dann eine Ausnahme zu machen
(§ 3 Abs. 5 ALG II-V), wenn die Eigenart der Erwerbstätigkeit, z.B. bei einem Saisonbetrieb wie einer Eisdiele, bedingt, dass die Einnahmen
jahresbezogen zu betrachten sind weil üblicherweise im Laufe des Jahres stark schwankende Einnahmen zu verzeichnen sind. Dann
soll auch solches Einkommen ergänzend Berücksichtigung finden, dass in der Saisonzeit auch oberhalb der Bedarfsgrenze zur
Verfügung stand, also bei jährlicher Berechnung zu berücksichtigen gewesen wäre. Damit wird eine "Leistungsoptimierung" durch
gezielte Antragstellung nach Ende einer Saison vermieden. Die Regelung findet auch bei nicht üblicherweise saisonabhängigen
Tätigkeiten Anwendung. Voraussetzung ist allerdings, dass der Hilfebedürftige auf diese Regelung hingewiesen worden ist, und
dass nach der Eigenart des Betriebes eine jahresbezogene Betrachtung erforderlich ist. Bei einer Erstantragstellung gilt dies
jedoch nicht (vgl. Begründung des BMAS a.a.O. zu Abs. 5). Nach der Eigenart des Betriebs der Klägerin ist eine jahresbezogene
Betrachtung erforderlich.
Die Klägerin hat dies selbst begehrt, so dass es eines vorherigen Hinweises des Beklagten auf diese Möglichkeit nicht bedarf.
Der Betrieb der Klägerin ist von dem jeweils in den abnehmenden Industriebetrieben anfallenden Bedarf für die vertriebenen
Produkte abhängig. Dabei ist jedenfalls seit dem Jahr 2006 kein regelmäßiger Auftragseingang mehr zu verzeichnen, sondern
Bestellungen erfolgen unregelmäßig, im Regelfall nur in wenigen (drei bis vier) Monaten innerhalb eines Jahres. Die Klägerin
hat dies anhand der in den Akten befindlichen Aufstellungen nachgewiesen und glaubhaft vorgetragen, dass der Absatz aufgrund
der Schließung und/oder Verlagerung der ihre Produkte abnehmenden Betriebe ins Ausland seitdem reduziert ist. Aufgrund der
bereits im Jahr 2008 nur in einzelnen Monaten zu verzeichnenden Betriebseinnahmen, was sich auch im Jahr 2009 fortgesetzt
hat, ist zur Überzeugung des Senats jedenfalls für den hier streitigen Leistungszeitraum eine jährliche Betrachtung der Einnahmen
vorzunehmen. Nicht auszuschließen ist, dass dies bei einer geänderten Sachlage anders beurteilt werden kann. Der Eigenart
des Betriebes der Klägerin mit nur unregelmäßigen Einnahmen in wenigen Monaten innerhalb eines Jahres entspricht es, eine
jahresbezogene Betrachtung für den streitigen Leistungszeitraum durchzuführen.
Die Betriebseinnahmen innerhalb des Zeitraums vom 01.05.2009 bis 30.04.2010 beliefen sich auf 10.587,64 Euro, d.h. monatlich
882,30 Euro. Hiervon sind die tatsächlichen Betriebsausgaben in diesem Zeitraum abzusetzen, d.h. nach den glaubhaften Angaben
der Klägerin insgesamt 12.358,17 Euro, monatlich i.H.v. 1.029,85 Euro. Selbst wenn von diesen Betriebsausgaben die Tilgung
des betrieblichen Darlehens i.H.v. 1.625,34 und die Vorsteuer i.H.v. 393,11 Euro abgezogen würde und als betrieblicher Anteil
der Nutzung des Kfz (vgl. § 3 Abs. 7 ALG II-V) lediglich die Hälfte der tatsächlich geltend gemachten Kosten (d.h. 1.378,97 Euro statt 2.757,95 Euro) berücksichtigt
würde (zur Schätzung des Umfangs der privaten und unternehmerischen Fahren bei Fehlen eines Fahrtenbuchs, vgl. Landessozialgericht
<LSG> für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.09.2011 - L 19 AS 1111/11 B ER -, [...]), d.h. insgesamt 3.397,42 Euro abgezogen würden, ergäben sich Betriebsausgaben von insgesamt 8.960,75 Euro,
monatlich i.H.v. 746,73 Euro. Auch bei vollständiger Nichtberücksichtigung der Kosten des KFZ beliefen sich die Betriebsausgaben
auf monatlich 631,81 Euro. Von diesem monatlichem Einkommen i.H.v. 250,49 Euro (882,30 - 631,81) sind nach § 3 Abs. 4 Satz 3 ALG II-V die Beträge nach § 11 Abs. 2 SGB II abzusetzen.
Hierbei ist jedenfalls die an das Finanzamt gezahlte Umsatzsteuer (4.414,46 Euro) zu berücksichtigen, da sie zu den mit der
Erzielung des Einkommens notwendigen Ausgaben (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II), jedoch nicht zu den auf das Einkommen entrichteten Steuern (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II) zählt (vgl. Söhngen in jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 11b Rdnr. 16). Da die als Einkommen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 ALG II-V) anzusehenden monatlichen Betriebseinnahmen (882,30 Euro) mehr als 400 Euro betragen, ist nach § 11 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB II nicht der Grundfreibetrag von 100 Euro monatlich, sondern der tatsächliche Betrag, d.h. monatlich 367,87 Euro, abzusetzen.
Ein berücksichtigungsfähiges monatliches Einkommen verbleibt damit nicht. Im Übrigen wäre zusätzlich der Freibetrag für Erwerbstätige
nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II absetzbar (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.09.2011 - L 19 AS 1304/11 B - RdNr. 13, [...]).
Insgesamt ergibt sich daraus, dass kein Einkommen der Kläger im streitigen Zeitraum zu berücksichtigen ist. Den Klägern stehen
damit die begehrten Leistungen für den streitigen Zeitraum i.H.v. monatlich 956,00 Euro endgültig zu. Eine Erstattungsforderung
der Beklagten ist lediglich i.H.v. 3,96 Euro aufgrund der Anwendung der Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG liegen nicht vor.