Unterhalt bis zur Erlangung angemessener Erwerbstätigkeit; Berücksichtigung der Unterhaltslast für ein gemeinsames Kind
Tatbestand:
Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt.
Ihre am 18. März 1966 geschlossene Ehe, aus der eine am 17. September 1966 geborene Tochter und ein am 14. September 1970
geborener Sohn hervorgegangen sind, ist durch ein sogleich rechtskräftig gewordenes Urteil vom 22. November 1983 geschieden
worden.
Die im Jahre 1943 geborene Klägerin arbeitete nach Erlangung der mittleren Reife ab 1961 als angelernte Angestellte bei der
D. Bank; nach ihrem Vortrag verzichtete sie auf eine Ausbildung zum Bankkaufmann, weil ihr im Hinblick auf die beabsichtigte
Eheschließung im Einvernehmen mit dem Beklagten mehr an einem höheren Verdienst lag und der Beklagte noch bis Mitte 1967 studierte.
Während der Ehe versorgte die Klägerin den Haushalt und betreute die Kinder. Nach der zunächst nur innerhalb des Hauses herbeigeführten
Trennung schlossen die Parteien am 5. Mai 1983 eine Vereinbarung, in der sich der Beklagte verpflichtete, an die Klägerin
für die Dauer eines Jahres, beginnend mit deren Auszug aus der ehelichen Wohnung, längstens bis zum 30. Juni 1984 einen monatlichen
Unterhalt von 1.500 DM und für ein weiteres Jahr, längstens bis zum 30. Juni 1985, von monatlich 1. 250 DM sowie zusätzlich
deren Krankenkassenbeiträge zu zahlen, soweit die Klägerin keine versicherungspflichtige Tätigkeit ausübe. Nach Ablauf dieser
beiden Jahre sollten für den Unterhalt die gesetzlichen Bestimmungen gelten. Die Parteien übernahmen diese Vereinbarung in
einen am 22. November 1983 im Scheidungsverfahren geschlossenen Vergleich über die Scheidungsfolgen. Die Klägerin war ab 1.
November 1983 bis zum März 1985 bei einem Immobilienmakler angestellt und erzielte ein monatliches Nettoeinkommen zwischen
1.800 und 1. 900 DM. Nach einer kurzzeitigen Arbeitslosigkeit wurde sie zum 1. August 1985 zur Probe wieder bei der D. Bank
eingestellt, doch wurde ihr zum 28. Februar 1986 gekündigt, weil sie trotz ihrer Bemühungen den Erwartungen und Anforderungen
nicht gerecht geworden sei. Ab 1. März 1986 bezog sie wieder Arbeitslosengeld. Vom 2. Juli 1986 bis zum 3. Oktober 1986 nahm
sie an einem von der Bundesanstalt für Arbeit durchgeführten EDV-Anwenderlehrgang "Textverarbeitung und Finanzbuchhaltung"
teil.
Der im Jahre 1939 geborene Beklagte ist wie während der Ehe als angestellter Ingenieur erwerbstätig. Er ist wieder verheiratet
und bewohnt mit seiner jetzigen Ehefrau und den beiden aus der Ehe der Parteien stammenden Kindern ein Eigenheim; das Grundstück
ist mit einem Nießbrauch zugunsten der Mutter des Beklagten belastet, die im Haus eine Einliegerwohnung bewohnt und krankheitsbedingt
pflegebedürftig ist.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags. Das Amtsgericht - Familiengericht -
hat ihr für die Zeit vom 1. August 1985 bis zum 28. Februar 1986 monatlich 320 DM und ab 1. März 1986 monatlich 785 DM zugesprochen.
Auf die Berufung des Beklagten, der die Klageabweisung erreichen wollte, hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung der
weitergehenden Berufung die Verurteilung auf monatlich 200 DM für die Zeit ab 1. November 1985 herabgesetzt. Hiergegen wendet
sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils für die Zeit
ab 5. November 1985 erreichen will. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit für die Zeit ab 5. November 1985 zum Nachteil der Klägerin
entschieden worden ist, und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Abweisung des weitergehenden
Unterhaltsbegehrens der Klägerin wird durch die bisher getroffenen Feststellungen nicht getragen.
I. 1. Das Berufungsgericht hat der Klägerin Unterhalt für die Zeit ab November 1985 allein nach §
1573 Abs.
2
BGB zugebilligt. Dabei ist es davon ausgegangen, daß sie ihren monatlichen Unterhaltsbedarf von 2. 100 DM (zu dessen Berechnung
vgl. unten zu II.) in Höhe von 1. 900 DM selbst decken könne, ohne daß es darauf ankomme, daß sie von November 1985 bis Februar
1986 aus Erwerbstätigkeit weniger verdient und danach als Arbeitslose noch wesentlich niedrigere Einkünfte gehabt habe. Denn
die Klägerin müsse sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als erziele sie ein monatliches Nettoeinkommen als Bankangestellte
oder in einem ähnlichen Beruf in Höhe von 1. 900 DM. Sie habe nämlich nicht erst im Jahre 1986 mit Fortbildungskursen beginnen
dürfen, sondern bereits im Zeitpunkt der Scheidung und des Unterhaltsvergleichs im November 1983. Daraus, daß der Beklagte
sich unabhängig von Erwerbseinkünften der Klägerin zur Zahlung nicht unerheblicher monatlicher Unterhaltsbeiträge verpflichtet
habe, ergebe sich, daß ihr die Auffrischung von Kenntnissen und die Fortbildung habe ermöglicht werden sollen. Wenn die Klägerin
diese Möglichkeit nicht genutzt, sondern stattdessen sofort die hochdotierte Stelle bei der Maklerfirma angenommen habe, so
könne sie sich hinterher gegenüber dem Beklagten nicht darauf berufen, sie finde mangels hinreichender Qualifikation keinen
angemessenen Arbeitsplatz. Der Senat sei davon überzeugt, daß das Probearbeitsverhältnis der Klägerin bei der D. Bank in ein
ordentliches Angestelltenverhältnis umgewandelt worden wäre oder sie bei einem anderen Unternehmen einen entsprechenden Arbeitsplatz
erhalten hätte, wenn sie bereits Ende 1983 mit der Fortbildung begonnen hätte.
2. Diese Beurteilung hält nicht in allen Punkten rechtlicher Prüfung stand.
Ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach §
1573 Abs.
2
BGB setzt nach der Systematik des Gesetzes voraus, daß der geschiedene Ehegatte eine angemessene Erwerbstätigkeit ausübt und
daher nicht bereits aufgrund eines anderen gesetzlichen Tatbestandes Anspruch auf den nach den ehelichen Lebensverhältnissen
zu bemessenden (vollen) Unterhalt hat (vgl. Senatsurteile vom 11. Februar 1987 - IVb ZR 15/86 - FamRZ 1987, 572, 573 und vom 16. Dezember 1987 - IVb ZR 102/86 - FamRZ 1988, 265, 266, zur Veröffentlichung in BGHR
BGB §
1574 Abs.
2 - Angemessenheit 1 - vorgesehen). Als derartige Tatbestände kommen nicht nur die im Gesetz ausdrücklich genannten §§ 1570
bis 1572 in Betracht. Ist ein geschiedener Ehegatte, von dem eine Erwerbstätigkeit erwartet wird, nicht oder nicht vollschichtig
tätig, muß vielmehr zuerst gefragt werden, ob er nach §
1573 Abs.
1 oder Abs.
4 anspruchsberechtigt ist (vgl. Johannsen/Henrich/Voelskow Eherecht §
1573
BGB Rdn. 17).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war die Klägerin jedenfalls seit März 1986 erwerbslos, sodaß Anlaß für die Prüfung
bestand, ob sie aus diesem Grunde vom Beklagten Unterhalt verlangen konnte. Allerdings erweist sich das angefochtene Urteil
nicht schon deshalb als fehlerhaft, weil das Berufungsgericht auf den Tatbestand des §
1573 Abs.
1
BGB nicht eingegangen ist. Denn der Eintritt der Erwerbslosigkeit im März 1986 liegt so weit nach der Scheidung (22. November
1983), daß der erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen fehlt (vgl. Senatsurteil vom 25. März 1987
- IVb ZR 32/86 BGHR
BGB §
1573 Abs.
1 Einsatzzeitpunkt 1 = FamRZ 1987, 684, 687). Rechtlich zu beanstanden ist indessen die unterlassene Prüfung des erhobenen Anspruchs nach §
1573 Abs.
4
BGB. Nach dieser Bestimmung kann der geschiedene Ehegatte Unterhalt verlangen, wenn die Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit
wegfallen, weil es ihm trotz seiner Bemühungen nicht gelungen war, den Unterhalt durch die Erwerbstätigkeit nach der Scheidung
nachhaltig zu sichern. Auch wenn sich die Klägerin nicht ausdrücklich auf diese Bestimmung berufen hatte, bestand schon wegen
der relativ kurzen Dauer ihrer im Zeitpunkt der Scheidung ausgeübten Tätigkeit bei der Maklerfirma und ihrer danach - zudem
nur probeweise - aufgenommenen Beschäftigung bei der D. Bank ausreichender Anlaß, der Frage nachzugehen, ob sie schon wieder
voll in das Erwerbsleben eingegliedert war und - entsprechend dem Grundgedanken des §
1569
BGB - das Risiko eines unvorhergesehenen Verlustes dieser Anstellungen selbst tragen muß.
Für die Beurteilung, ob der Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit nachhaltig gesichert erscheint, ist maßgebend, ob diese
im Zeitpunkt ihrer Aufnahme nach objektiven Maßstäben und allgemeiner Lebenserfahrung mit einer gewissen Sicherheit als dauerhaft
angesehen werden kann oder ob befürchtet werden muß, daß der Bedürftige sie durch außerhalb seiner Entschließungsfreiheit
liegende Umstände in absehbarer Zeit wieder verliert; dabei sind vom Standpunkt eines optimalen Betrachters auch solche Umstände
in die Beurteilung einzubeziehen, die zwar schon zu diesem Zeitpunkt bestehen, aber erst später zutage treten (vgl. Senatsurteile
vom 3. April 1985 - IVb ZR 15/84 - FamRZ 1985, 791 und vom 9. Oktober 1985 - IVb ZR 56/84 - FamRZ 1985, 1234 = EzFamR §
1573
BGB Nr. 7 m.w.N.). Ob der Unterhalt der Klägerin in diesem Sinne durch die Tätigkeit bei dem Immobilienmakler nachhaltig gesichert
war, läßt sich den bisher getroffenen Feststellungen nicht zuverlässig entnehmen. Das Oberlandesgericht ist offenbar davon
ausgegangen, daß die Tätigkeit trotz ihrer Fortdauer bis zum März 1985 schon im Zeitpunkt der Scheidung nicht als dauerhaft
und beständig angesehen werden konnte. Anders wäre kaum verständlich, daß es der Klägerin angelastet hat, zugunsten dieser
Tätigkeit - mit der sie mit monatlich 1. 800 bis 1. 900 DM netto nahezu ebensoviel verdiente wie später bei der D. Bank -
eine Fortbildung unterlassen zu haben. Auf den Vortrag der Klägerin in der Berufungserwiderung zu den Gründen der Kündigung
ist das Berufungsgericht nicht eingegangen. Aus diesem Vortrag ist aber auch nicht zu entnehmen, ob die von der Klägerin genannten
Gründe (Entwicklung auf dem Immobilienmarkt und Umstellung auf elektronische Datenverarbeitung) ihre Anstellung schon im Zeitpunkt
der Scheidung als ungesichert erscheinen ließen oder ob erst eine danach einsetzende Entwicklung dieser Art allein oder neben
weiteren, bisher nicht erörterten Umständen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat.
Danach ist nicht auszuschließen, daß der Tatbestand des §
1573 Abs.
4
BGB für den in Rede stehenden Zeitraum erfüllt ist. Das angefochtene Urteil kann daher mit der ihm gegebenen Begründung keinen
Bestand haben.
3. Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§
563
ZPO). Denn wenn ein Unterhaltsanspruch gemäß §
1573 Abs.
4 Satz 1
BGB besteht, kann er der Klägerin nicht mit der Begründung versagt werden, sie müsse sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen,
als wenn sie ab Mitte 1985 einen sicheren Arbeitsplatz als Bankangestellte oder in einem ähnlichen Beruf gehabt hätte. Dabei
kann offen bleiben, ob die Klägerin im Hinblick auf die ihr vom Beklagten bis zum Sommer 1985 zugesagten einkommensunabhängigen
Unterhaltszahlungen gehalten war, die im Zeitpunkt der Scheidung und des Vergleichsschlusses schon seit etwa drei Wochen ausgeübte
Tätigkeit bei der Maklerfirma wieder aufzugeben, um sich stattdessen fortzubilden und Kenntnisse aus der Jahrzehnte zurückliegenden
Tätigkeit als Bankangestellte aufzufrischen. Denn selbst wenn der Beklagte - wofür allerdings konkrete Hinweise fehlen und
Feststellungen auch nicht getroffen sind - mit der Leistung des im Vergleich ohne Rücksicht auf die Bedürftigkeit der Klägerin
zugesagten Unterhalts eine derartige Vorstellung verbunden haben sollte, könnte die Klägerin nicht allein wegen einer zweckwidrigen
Verwendung dieser Mittel so behandelt werden, als habe sie sich beruflich fortgebildet und ihre Qualifikation so verbessert,
daß sie den Anforderungen einer Erwerbstätigkeit als Bankangestellte gewachsen war oder jedenfalls nicht mangels Qualifikation
einen solchen Arbeitsplatz nicht gefunden oder wieder verloren hätte. In derartigen Fällen ist die Bestimmung des §
1579 Nr. 3
BGB zu beachten, wonach aus dem früheren Verhalten eines Unterhaltsberechtigten negative Auswirkungen auf seinen Unterhaltsanspruch
nur dann hergeleitet werden können, wenn ihm Mutwilligkeit bei der Herbeiführung seiner gegenwärtigen Bedürftigkeit vorgeworfen
werden kann (vgl. Senatsurteil vom 25. März 1987 - IVb ZR 32/86 - BGHR
BGB §
1579 Nr. 3 Vorsorgeunterhalt 1 = FamRZ 1987, 684 m.w.N.). Für eine der Klägerin wegen ihres beruflichen Verhaltens nach dem 22. November 1983 vorzuwerfende unterhaltsbezogene
Leichtfertigkeit fehlen aber nicht nur Feststellungen des Berufungsgerichts, sondern bietet der Sachvortrag auch nicht den
geringsten Anhalt.
II. 1. Das Berufungsgericht hat den vollen Unterhaltsbedarf der Klägerin mit monatlich 2. 100 DM ermittelt und dazu ausgeführt:
Die ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien seien maßgeblich nur vom Erwerbseinkommen des Beklagten und der kostengünstigen
Nutzung des Familienheims geprägt worden. Die Klägerin habe sich dagegen während der Ehe in erster Linie der Haushaltsführung
und Kinderbetreuung gewidmet. Ihre erst gut drei Wochen vor der Scheidung aufgenommene Erwerbstätigkeit bei dem Immobilienmakler
müsse daher außer Betracht bleiben. Auszugehen sei danach von dem seit der Scheidung nicht ungewöhnlich gestiegenen Nettoeinkommen
des Beklagten von monatlich 5. 300 DM zuzüglich eines auf 600 DM geschätzten Vorteils wegen des mietfreien Wohnens im eigenen
Haus. Von der Summe (5. 900 DM) sei vorweg der Kindesunterhalt abzusetzen, der nach der vom Berufungsgericht angewendeten
Unterhaltstabelle für den Sohn 785 DM und für die Tochter 910 DM im Monat betrage. Die Tochter sei zwar seit dem 17. Dezember
1984 volljährig, habe aber schon während des Zusammenlebens der Parteien das Gymnasium besucht, so daß ihr fortbestehender
Unterhaltsbedarf die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt habe. Von den verbleibenden Mitteln in Höhe von monatlich (5. 900
- 785 - 910 =) 4.205 DM stehe der Beklagten die Hälfte zu, abgerundet 2. 100 DM. Dieser Bedarf habe sich auch nicht für die
Zeit ab August 1986 erhöht, nachdem die Tochter eine Ausbildung als Finanzbeamtin begonnen habe und der Beklagte für ihren
Unterhalt nicht mehr zu sorgen brauche. Diese Änderung habe sich nicht mehr in einem engen Zusammenhang mit der Scheidung
vollzogen, sondern erst knapp drei Jahre später. Eine Beteiligung der Klägerin an dieser Verbesserung könne mit den der Bedarfsbemessung
zugrundeliegenden Grundsätzen nicht mehr gerechtfertigt werden.
2. Die Revision bekämpft den zuletzt ausgeführten Gesichtspunkt, mit dem das Berufungsgericht auch die Zulassung der Revision
begründet hat. Sie vertritt die Auffassung, daß ein nachträglich eintretender Umstand die ehelichen Lebensverhältnisse auch
dann noch mitprägen könne, wenn es an einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Scheidung fehle. So liege es insbesondere
dann, wenn wie hier ein gemeinschaftliches Kind in das Berufsleben eintrete und selbst für seinen Unterhalt sorge. Eine entsprechende
Erwartung präge bereits die ehelichen Lebensverhältnisse.
Dem kann jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht gefolgt werden.
Zwar können die ehelichen Lebensverhältnisse und dadurch auch die Bemessung des nachehelichen Unterhalts in Ausnahmefällen
noch durch Umstände beeinflußt werden, die sich erst nach der Scheidung verwirklichen, auch wenn dieser Zeitpunkt regelmäßig
den Endpunkt setzt, nach dem die für die Beurteilung maßgebenden Verhältnisse zu bestimmen sind (vgl. Senatsurteil BGHZ 89,
108, 110; ständige Rechtsprechung des Senats). Der Senat hat demgemäß nach der Scheidung eintretenden Änderungen in den Einkünften
der Ehegatten Bedeutung beigemessen, wenn ihnen eine Entwicklung zugrunde liegt, die aus der Sicht des Scheidungszeitpunkts
mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, und wenn diese Erwartung die ehelichen Lebensverhältnisse bereits mitgeprägt
hat (vgl. die Urteile vom 23. April 1986 - IVb ZR 34/85 - FamRZ 1986, 783, 785 und vom 11. Februar 1987 - IVb ZR 20/86 - BGHR
BGB §
1578 Abs.
1 Satz 1 Unterhaltsbemessung 2 = FamRZ 1987, 459, 460 m.w.N.). Entsprechendes muß gelten, wenn sich eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht aus einer Erhöhung
der Einkünfte ergibt, sondern darauf beruht, daß regelmäßig wiederkehrende Verbindlichkeiten, etwa Kreditraten, erwartungsgemäß
zu einem bestimmten nach der Scheidung liegenden Zeitpunkt entfallen. Auch der Wegfall einer Unterhaltsverbindlichkeit kann
demzufolge von den Umständen, die ausnahmsweise zu berücksichtigen sind, nicht von vornherein ausgenommen werden. Einfluß
auf die ehelichen Lebensverhältnisse ist künftigen Veränderungen aber nicht schon deswegen zuzubilligen, weil sie mit Sicherheit
zu erwarten sind und ihr Eintritt sich auch zeitlich mehr oder weniger genau vorhersehen läßt. Wäre es anders, müßte in allen
Fällen, in denen bei der Bemessung des Unterhalts eines geschiedenen Ehegatten vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen der
Unterhalt für gemeinschaftliche Kinder vorweg abgezogen wird (vgl. Senatsurteil vom 25. Februar 1987 - IVb ZR 36/86 - BGHR aaO. Quotenunterhalt 1), eine Neuberechnung des Bedarfs erfolgen, wenn ein berücksichtigtes Kind wirtschaftlich selbständig
geworden ist. Mit dem Ausnahmecharakter der Fälle, in denen nach der Scheidung eintretende Umstände noch Bedeutung erlangen,
wäre das nicht zu vereinbaren. Solche Umstände dürfen daher nur dann berücksichtigt werden, wenn die Ehegatten ihnen erkennbar
schon im voraus und noch während des Bestehens der Ehe einen prägenden Einfluß auf ihre Lebensverhältnisse eingeräumt haben.
Hierfür spricht häufig, wenn die in Frage stehende Änderung noch in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Scheidung steht
(vgl. Senatsurteil vom 3. Juni 1987 - IVb ZR 64/86 - BGHR aaO. Unterhaltsbemessung 5). Schon daran fehlt es hier, weil die Tochter erst zwei Jahre und acht Monate nach der
Scheidung ihrer Eltern eine Berufsausbildung begonnen hat, für die sie ein ihren Unterhaltsbedarf deckendes Ausbildungsentgelt
erhält. Davon abgesehen hat die Klägerin aber auch nichts dafür vorgetragen, daß die gewählte Ausbildung bereits während der
Ehe der Parteien geplant und mit einer längeren Dauer einer Unterhaltslast gegenüber der Tochter (etwa aufgrund eines beabsichtigten
Studiums) nicht zu rechnen war, und auf welche Weise diese künftig erwartete Veränderung bereits die ökonomischen Verhältnisse
während der Ehe mitgeprägt hat. Da es sich hierbei um die nach §
1578 Abs.
1 Satz 1
BGB für den geltend gemachten Unterhaltsanspruch maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen handelt, trägt die Klägerin hierfür
die Darlegungs- und Beweislast. Sie kann sich insoweit auch nicht auf Beweiserleichterungen stützen, denn ob und in welcher
Weise der künftige Wegfall von Unterhaltslasten gegenüber gemeinschaftlichen Kindern schon im voraus auf die ökonomischen
Verhältnisse von Ehegatten einwirkt, kann nicht Gegenstand eines Erfahrungssatzes sein, sondern hängt von den jeweiligen persönlichen
Entscheidungen der Beteiligten ab. So nehmen Ehegatten, die in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen leben, während des
ehelichen Zusammenlebens in vielen Fällen Einschränkungen ihres Lebensstandards in Kauf, um sich nicht aus wirtschaftlichen
Gründen den Wunsch nach Kindern versagen zu müssen. In solchen Fällen kann es gerechtfertigt sein, einen Ehegatten nach der
Scheidung an einem solchen Verzicht nicht mehr festzuhalten, wenn die Belastung durch den Kindesunterhalt entfällt. Es kann
aber nicht in jedem Fall davon ausgegangen werden, daß Eltern wegen der Unterhaltslast gegenüber Kindern ihren Lebensstandard
einschränken. Bestehen, wie auch im vorliegenden Fall, schon vor der Scheidung Einkommensverhältnisse, die den Lebensbedarf
aller Familienmitglieder decken, wird sich durch den Wegfall von Unterhaltslasten gegenüber Kindern nicht mehr der eheliche
Lebensstandard ändern, sondern es werden zusätzliche Mittel für die Vermögensbildung oder für andere Zwecke frei, die nicht
mehr dem Lebensbedarf zuzurechnen sind.
3. Die Bemessung des Unterhaltsbedarfs der Klägerin steht auch insoweit im Einklang mit der bereits zitierten Rechtsprechung
des Senats (BGHZ 89, 108, 112 ff.), wie das von der Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung erzielte Einkommen aus der Tätigkeit bei dem Immobilienmakler
unberücksichtigt geblieben ist; denn Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit, die ein Ehegatte erstmals nach der Trennung aufnimmt,
wirken sich auf die ehelichen Lebensverhältnisse nur aus, wenn es dazu auch ohne die Trennung gekommen wäre.
4. Auf rechtliche Bedenken stößt die Unterhaltsbemessung jedoch insoweit, wie der von der Klägerin geltend gemachte trennungsbedingte
Mehrbedarf bei der Ermittlung ihres Unterhaltsbedarfs nicht berücksichtigt worden ist. Diesen hatte sie im Schriftsatz vom
9. September 1986 (S. 8) im einzelnen dargelegt und beziffert; der Beklagte hatte dem Vortrag - soweit ersichtlich - nicht
widersprochen; er war ausweislich des Tatbestandes des angefochtenen Urteils (S. 7) auch Entscheidungsgrundlage. Daß das Berufungsgericht
dem bei der Bedarfsermittlung keine Beachtung geschenkt, sondern allein die Hälfte des nach Abzug des Kindesunterhalts verbleibenden
Nettoeinkommens des Beklagten (zuzüglich des Wohnvorteils) zugrundegelegt hat, steht nicht im Einklang mit der Rechtsprechung
des Senats (vgl. die Urteile vom 4. November 1981 - IVb ZR 625/80 - FamRZ 1982, 255, 257 und vom 24. November 1982 - IVb ZR 310/81 - FamRZ 1983, 146, 150). Auch aus diesem Grund kann das Berufungsurteil daher nicht bestehen bleiben.
5. Danach ist die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht geboten. Für die neue Verhandlung weist der Senat noch
auf folgendes hin:
In dem nach Erlaß des Berufungsurteils ergangenen, bereits zitierten Urteil vom 16. Dezember 1987 (IVb ZR 102/86 - FamRZ 1988, 265, zur Veröffentlichung in BGHR auch zu
BGB §
1578 Abs.
1 S. 1 Unterhaltsbemessung vorgesehen) hat der Senat entschieden, daß zugunsten des erwerbstätigen Ehegatten für die Unterhaltsbemessung
von einer strikt hälftigen Aufteilung in maßvoller Weise abgewichen werden muß, um den mit einer Berufsausübung verbundenen
höheren Aufwand zu berücksichtigen und zugleich einen Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu schaffen. Wenn demgemäß aufgrund der
neuen Verhandlung ein Unterhaltsanspruch der Klägerin mit Hilfe der Anrechnungsmethode nach einer Quote berechnet werden sollte,
die dem Beklagten einen "Erwerbstätigenbonus" verschafft, darf auch ein eigenes Einkommen der Klägerin nicht in voller Höhe
auf ihren Bedarf angerechnet werden. Auch ihr ist als Anreiz für die Erwerbstätigkeit und zum Ausgleich des damit verbundenen
höheren Aufwandes ein entsprechender Teil ihres Einkommens anrechnungsfrei zu belassen (vgl. Senatsurteil vom 14. November
1984 - IVb ZR 38/83 - FamRZ 1985, 161, 164 und das bereits genannte Senatsurteil vom 16. Dezember 1987 FamRZ aaO. S. 267 unter II. 3.).