Bestimmung der die ehelichen Lebensverhältnisse bestimmenden Einkünfte
Tatbestand:
Die 1937 geborene Klägerin und der 1940 geborene Beklagte waren seit 1962 miteinander verheiratet. Sie trennten sich im August
1986. Durch ein seit dem 22. April 1987 rechtskräftiges Verbundurteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 25. Februar 1987
wurde die kinderlos gebliebene Ehe der Parteien geschieden.
Die Klägerin beansprucht nachehelichen Unterhalt. Sie erlernte den Beruf einer Verkäuferin, war aber in der Ehe nur kurzzeitig
- zuletzt bis März 1976 - erwerbstätig. Nach der Scheidung zahlte der Beklagte ihr bis zum 31. Mai 1988 freiwillig monatlich
600 DM Unterhalt; weitere 200 DM bekam sie monatlich ab 1. August 1987 aufgrund einer einstweiligen Verfügung. Seit Juni 1988
leistet der Beklagte nur noch 200 DM im Monat; die Klägerin erhält für ihren Lebensunterhalt im übrigen Sozialhilfe.
Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von monatlich 1. 200 DM - abzüglich der geleisteten freiwilligen Teilzahlungen - gerichteten
Klage nur in Höhe von monatlich 200 DM ab 1. Mai 1987 stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht
- unter Zurückweisung des weitergehenden Antrages - die monatliche Unterhaltsrente auf 512, 29 DM erhöht (das Urteil ist in
FamRZ 1989, 742 veröffentlicht).
Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die vollständige Zurückweisung der Berufung. Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet.
I. Das Oberlandesgericht ist aufgrund der getroffenen Feststellungen zu der Überzeugung gelangt, von der Klägerin könne weder
aufgrund ihres Alters noch wegen Krankheit keine Erwerbstätigkeit mehr erwartet werden; demgemäß hat es einen Unterhaltsanspruch
aus §
1571 oder §
1572
BGB verneint. Die Klägerin sei auch nicht gemäß §
1573 Abs.
1
BGB unterhaltsberechtigt; sie könne in ihrem erlernten Beruf als Verkäuferin arbeiten, habe jedoch hinreichende Bemühungen, einen
angemessenen Arbeitsplatz zu finden, nicht dargetan und bewiesen. Diese für den Beklagten günstige Beurteilung wird von der
Revision nicht beanstandet.
II. Das Oberlandesgericht hat der Klägerin jedoch Aufstockungsunterhalt nach §
1573 Abs.
2
BGB zugebilligt, da sie durch die Einkünfte aus einer zumutbaren vollschichtigen Erwerbstätigkeit ihren nach den ehelichen Lebensverhältnissen
zu bemessenden vollen Unterhalt nicht decken könne. Wegen der langen Unterbrechung ihrer Berufstätigkeit und einer bestehenden
Beschränkung der Einsatzfähigkeit könne das erzielbare Einkommen nur auf der Grundlage eines für Aushilfsarbeiten üblichen
Stundenlohns von 9,50 DM brutto bei 38,5 Wochenstunden errechnet werden. Nach Abzügen für Lohnsteuer gemäß Klasse I/0, Kirchensteuer
und Beiträgen zur Sozial- und Krankenversicherung ergebe sich ein (fiktiver) monatlicher Nettolohn von 1. 095,84 DM. Ihr monatlicher
Unterhaltsbedarf betrage aber 1.608,13 DM, liege also um 512, 29 DM höher, die ihr zugesprochen werden müßten, denn die Leistungsfähigkeit
des Beklagten sei unstreitig.
Für die Berechnung des Bedarfs ist das Oberlandesgericht von dem Bruttogehalt des Beklagten im Jahre 1987 ausgegangen; diesem
hat es weitere Einkünfte aus sogenannten Auslösungen (mit einem Drittelanteil gemäß Ziffer 4 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien
des Oberlandesgerichts Hamm) hinzugerechnet. Zur Ermittlung des Nettoeinkommens hat das Oberlandesgericht sodann nicht die
tatsächlich vom Beklagten entrichteten Lohn- und Kirchensteuern abgesetzt, sondern Steuerlasten nach Klasse III/0 berücksichtigt,
wie sie während des Zusammenlebens der Parteien zu tragen waren. Den Einsatzbetrag für die Lohnsteuer (jährlich 9. 020 DM)
hat das Oberlandesgericht dabei der Splittingtabelle nach Bereinigung des Jahresbruttoeinkommens von 57.416,27 DM um die Steuerfreibeträge
(Arbeitnehmer- und Weihnachtsfreibetrag) und die Pauschalen für Werbungskosten, Sonderausgaben und Vorsorgeaufwendungen entnommen.
Auf diese Weise hat es - nach entsprechenden Abzügen für Kirchensteuer sowie den Beiträgen zur Sozial- und Krankenversicherung
und nach weiteren Korrekturen wegen des Nettoanteils an den vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers und wegen des steuerpflichtigen
Teils der Auslösungen sowie nach Abzügen für Berufskleidung und Gewerkschaftsbeitrag - ein sogenanntes bereinigtes Nettoeinkommen
des Beklagten von monatlich 3. 216, 27 DM errechnet. Hieraus hat es den "aktuellen" Unterhaltsbedarf der Klägerin durch Halbierung
mit monatlich 1. 608,13 DM gebildet.
III. Das Oberlandesgericht weicht bei dieser Bestimmung des Unterhaltsbedarfs in zweifacher Weise von der Rechtsprechung des
Senates ab: Die Einkommensminderung, die wegen einer höheren Steuerbelastung infolge Wegfalls des Splittingvorteils nach Ablauf
des Jahres der Trennung in der Regel eintritt, will es nicht berücksichtigen; dem Ehegatten, der durch seine Erwerbstätigkeit
während des Zusammenlebens allein die Mittel für den ehelichen Lebensstandard beschafft hat, gewährt es keinen Bonus, sondern
führt den Grundsatz der Halbteilung durch eine Halbierung der Einkünfte strikt durch. Die in beiden Punkten erhobenen Bedenken
der Revision haben Erfolg. Der Senat hält nach wiederholter Prüfung an der bisherigen Rechtsprechung fest.
1. Bei der Ermittlung der ehelichen Lebensverhältnisse gemäß §
1578 Abs.
1 Satz 1
BGB ist grundsätzlich auf das tatsächliche, auf der Grundlage der konkreten Steuerbelastung verfügbare Nettoeinkommen des Ehegatten
abzustellen, der während der Ehe durch seine Erwerbstätigkeit (allein) die für den Unterhalt der Ehegatten benötigten Mittel
erwirtschaftet hat. Entgegen der Darstellung im angefochtenen Urteil folgt der Senat hierbei seiner ständigen Rechtsprechung
(vgl. BGHZ 89, 108, 110 sowie die Urteile vom 16. Juni 1982 - IVb ZR 727/80 - FamRZ 1983, 152, 153, vom 10. Februar 1988 - IVb ZR 19/87 - FamRZ 1988, 486 und vom 11. Mai 1988 - IVb ZR 42/87 - FamRZ 1988, 817, 818). Diese hat er mit Urteil vom 24. Januar 1990 (IVb ZR 2/89 - zur Veröffentlichung bestimmt) erneut bestätigt und sich dabei auch bereits mit den vom Berufungsgericht für seine abweichende
Auffassung vorgetragenen Gesichtspunkten auseinandergesetzt. Darauf wird verwiesen. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts
ist bei der Bedarfsbemessung nicht auf die erzielten Nettoeinkünfte in der Zeit des Zusammenlebens ("während intakter Ehe")
abzustellen; vielmehr sind grundsätzlich auch nach der Trennung eintretende Änderungen zu berücksichtigen, weil die Verhältnisse
zum Zeitpunkt der Scheidung maßgebend sind. Selbst für die Folgezeit können sich ausnahmsweise noch bestimmte Umstände auswirken,
wenn nämlich ihr Eintritt mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten war und sich die Ehegatten in ihren Dispositionen auf
sie bereits einrichten konnten (vgl. Senatsurteile vom 21. April 1982 - IVb ZR 741/80 - FamRZ 1982, 684, 686 und vom 3. April 1985 - IVb ZR 15/84 - FamRZ 1985, 791, 793 m.w.N.). Der Senat hat es somit abgelehnt, den unterhaltsberechtigten Ehegatten von späteren Veränderungen von vornherein
auszuschließen und für die Unterhaltsbemessung nach der Scheidung etwa nur noch an die allgemeine Entwicklung der Lebenshaltungskosten
anzuknüpfen (Senatsurteil vom 11. Februar 1987 - IVb ZR 20/86 - FamRZ 1987, 459, 460).
Dieser Grundsätze über die Berücksichtigung zu erwartender nachehelicher Veränderungen bedarf es jedoch nicht, soweit es sich
darum handelt, Einkünfte in der Höhe in die Unterhaltsbemessung einzustellen, wie sie sich aus den bisherigen Einkommensquellen
als Nettoeinkünfte nunmehr ergeben. Dabei sind gesetzlich bestimmte Abzüge (Steuern, Sozialabgaben) oder in Lohn-, Besoldungs-
und Versorgungssystemen vorgesehene Zuschläge stets zu berücksichtigen, auch soweit sie einer Änderung der persönlichen Verhältnisse
des Einkommensbeziehers Rechnung tragen. Deshalb ist auch die Lohnsteuerlast in ihrer jeweiligen realen Höhe maßgeblich, unabhängig
davon, ob sie im konkreten Fall seit der Trennung gestiegen oder gesunken ist und ob das auf einem gesetzlich vorgeschriebenen
Wechsel der Steuerklasse oder auf einer Änderung des Steuertarifs beruht. Berichtigungen der tatsächlichen, durch Steuerbescheid
oder Lohnabrechnung nachgewiesenen Nettoeinkünfte sind danach nur in besonders liegenden Fällen vorzunehmen. Sie können etwa
erforderlich werden, wenn in das versteuerte Einkommen Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit oder einer sonstigen Erwerbsquelle
eingeflossen sind, die die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt haben und deshalb bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs
nach §
1578 Abs.
1 Satz 1
BGB ausgeschieden werden müssen (vgl. etwa Senatsurteil vom 24. November 1982 - IVb ZR 310/81 - FamRZ 1983, 146, 149), oder wenn steuerrechtlich mögliche Abschreibungen vorgenommen worden sind, die nach den insoweit von der Rechtsprechung
entwickelten Grundsätzen (vgl. Senatsurteile vom 16. Januar 1985 - IVb ZR 59/83 - FamRZ 1985, 357, 359 und vom 15. Oktober 1986 - IVb ZR 79/85 - FamRZ 1987, 46, 48 m.w.N.) dem Unterhaltsgläubiger nicht einkommens- und damit bedarfsmindernd entgegen gehalten werden können, oder wenn
erreichbare Steuervorteile entgegen einer insoweit bestehenden Obliegenheit nicht in Anspruch genommen worden sind (vgl. dazu
Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 4. Aufl., Rdn. 774 ff.).
2. Bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen muß dem erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen
ein die Hälfte des verteilungsfähigen Einkommens maßvoll übersteigender Betrag verbleiben. Das hat der Senat - nach Verkündung
des angefochtenen Urteils - unter Auseinandersetzung mit den teilweise abweichenden Meinungen in Literatur und Rechtsprechung
entschieden und seine frühere Rechtsprechung zu dieser Frage damit bestätigt und weiterentwickelt (Urteil vom 26. April 1989
- IVb ZR 59/88 - FamRZ 1989, 842, 844 unter II 2 e a.E.). Der Senat hat dabei auch bereits dargelegt, daß es zur Vermeidung ungerechter Ergebnisse nicht ausreicht,
wenn die Folgen einer nach seiner Auffassung verfehlten Anwendung des §
1578 Abs.
1 Satz 1 in Einzelfällen - nämlich unter den Voraussetzungen des §
1581
BGB - durch zusätzliche Berechnungsschritte korrigiert werden könnten. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts enthält
dazu keine neuen Gesichtspunkte. Das Berufungsurteil kann nach alledem keinen Bestand haben.
IV. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Oberlandesgericht hat zwar eine Vergleichsberechnung angestellt:
Es hat den Anspruch der Klägerin auf monatlich 244,93 DM errechnet, wenn die berücksichtigungsfähigen Bruttoeinnahmen des
Beklagten der Lohnsteuer nach Klasse I/0 unterlägen, der Unterhaltsbedarf der Klägerin unter Beachtung eines Erwerbstätigenbonus
für den Beklagten in Höhe von einem Siebtel seines Nettoeinkommens bemessen und auch auf seiten der Klägerin ein solcher Bonus
von ihrem fiktiven Erwerbseinkommen abgesetzt würde. Auf dieser Grundlage ist eine abschließende Beurteilung jedoch nicht
möglich.
a) Es fehlt schon eine klare Feststellung, ob der Beklagte in dem herangezogenen Kalenderjahr 1987 die in der Vergleichsrechnung
zugrunde gelegten Steuerbeträge (Lohnsteuer 14. 105 DM, Kirchensteuer 1. 269,45 DM) tatsächlich gezahlt hat oder ob es sich
insoweit ebenfalls (nur) um Tabellenwerte handelt.
b) Für die inzwischen vergangenen Kalenderjahre 1988 und auch 1989 fehlt es an tatrichterlichen Feststellungen zu den tatsächlichen
Nettoeinkünften. Haben sich die zu berücksichtigenden Verhältnisse gegenüber dem Jahre 1987 wesentlich geändert, könnte das
in einem Abänderungsverfahren wegen der Zeitschranke des §
323 Abs.
3
ZPO nicht mehr berücksichtigt werden. Es kommt hinzu, daß der Einkommenssteuertarif seither mehrfach geändert worden ist, so
daß es insgesamt zu fehlerhaften Ergebnissen führt, wenn von den früheren Werten auch für die folgenden Kalenderjahre ausgegangen
wird.
c) Den Parteien muß außerdem Gelegenheit gegeben werden, zur Bedarfsbemessung auf der Grundlage der Senatsrechtsprechung weiter
vorzutragen. Es ist nicht auszuschließen, daß die bisher vorgetragenen Angaben teilweise unvollständig sind, weil die Parteien
- etwa in der Frage der Halbteilung - die ihnen bekannte Rechtsprechung der Vorinstanzen für bedenkenfrei gehalten haben.
Der Senat verweist die Sache daher zur neuen Verhandlung an das Oberlandesgericht zurück und verbindet das mit dem Hinweis,
bei der neuen Entscheidung zu prüfen, ob bei einer eventuellen Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung auf die Festsetzung
von Pfennigbeträgen verzichtet werden kann (vgl. dazu auch Schwab/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts, 2. Aufl., Teil IV,
Rdn. 878 S. 843).
Außerdem wird das Oberlandesgericht in der neuen Entscheidung zu der Frage Stellung nehmen müssen, ob und inwieweit die vom
Beklagten unstreitig geleisteten Zahlungen auf den der Klägerin zugesprochenen Unterhaltsbetrag anzurechnen sind.