Voraussetzung für die Entstehung eines Zahlungsanspruches für den ersparten Zeitaufwand; Pflegeübernahme einer Person als
Gegenleistung für die Übertragung eines Grundstückes
Tatbestand:
Mit notariellem Vertrag vom 14. Dezember 1982 übertrugen die Eltern des Beklagten zu 1 ihm und seiner Ehefrau, der Beklagten
zu 2, ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück. Im Gegenzug wurde den Eltern ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht
an den Räumlichkeiten im ersten Obergeschoß des Hauses eingeräumt. Ferner wurde in § 2 Nr. 2b des Vertrages vereinbart:
"Der Erwerber verpflichtet sich weiterhin, dem Übergeber unentgeltlich eine gute Pflege, Betreuung und Aufwartung in Tagen
seines Wohlbefindens und der Krankheit zu gewähren, auf Wunsch des Übergebers insbesondere für die Reinigung und Instandhaltung
von dessen Wohnung, Kleidung und Wäsche zu sorgen.
Gegen angemessenes Entgelt kann der Übergeber auch die Zubereitung der seinem jeweiligen Gesundheitszustand angepassten Mahlzeiten
verlangen, auf Wunsch des Übergebers auch die Beköstigung am gemeinsamen Tisch mit der Familie des Erwerbers.
Sollte der Erwerber einmal zukünftig die vorstehenden Leistungen nicht persönlich erbringen können, so hat er auf seine Kosten
für eine entsprechende Hilfskraft zu sorgen."
Die Mutter des Beklagten zu 1 verstarb Ende 1998. Der Vater lebt, nachdem eine Betreuung unter anderem für die Bereiche Gesundheitsfürsorge
und Aufenthaltsbestimmung angeordnet worden war, seit 1999 in einem Seniorenheim.
Der Kläger, der dem Vater seit November 2006 Sozialhilfe gewährt, leitete dessen Ansprüche gegen die Beklagten aus dem Übertragungsvertrag
wegen ersparter Aufwendungen aus nicht mehr erbrachten Pflegeleistungen auf sich über. Er setzt die Ersparnis für die Pflegeleistungen
entsprechend der Pflegestufe 1 mit monatlich 225 € und für die hauswirtschaftliche Tätigkeit mit monatlich 75 € an.
Die auf Zahlung von 4.281,35 € für den Zeitraum von November 2006 bis Januar 2008 gerichtete Klage ist in erster Instanz erfolgreich
gewesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen
Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, der geltend gemachte Anspruch folge weder aus der Regelung in § 2 Nr. 2b des Übergabevertrages
noch aus einer ergänzenden Auslegung dieses Vertrages. Die Vereinbarung in § 2 Nr. 2b habe allein den Fall im Auge, dass die
Pflegeverpflichtung aus Gründen, die in der Person des Erwerbers lägen, nicht mehr erbracht werden könne. Die ergänzende Auslegung
des Übergabevertrages ergebe zwar, dass die Beklagten sich an den Kosten des Heimaufenthalts in Höhe der ersparten Aufwendungen
für nicht mehr zu erbringende Sachleistungen beteiligen müssten. Der Zahlungsantrag sei aber nicht hierauf gestützt, sondern
beruhe auf der wertmäßigen Erfassung der ersparten Pflegeleistungen. Für solche hätten die Beklagten mangels entsprechender
Anhaltspunkte im Vertrag keinen Geldersatz zu leisten.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.
1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten folge nicht aus § 2 Nr. 2b des Übergabevertrages,
ist nicht zu beanstanden. Die Auslegung einer Individualabrede kann von dem Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden,
nämlich darauf, ob der Tatrichter die gesetzlichen und allgemein anerkannten Auslegungsregeln, die Denkgesetze und Erfahrungssätze
beachtet und die der Auslegung zugrunde gelegten Tatsachen ohne Verfahrensfehler ermittelt hat (st. Rspr.; vgl. Senat, Urt.
v. 23. Januar 2009, V ZR 197/07, NJW 2009, 1810, 1811 m.w.N.). Ein solcher Rechtsfehler liegt hier nicht vor. Die in der mündlichen Verhandlung erhobene Rüge der Revision,
das Berufungsgericht habe die Interessen des Übergebers außer Acht gelassen und damit gegen den zu den allgemeinen Auslegungsregeln
zählenden Grundsatz einer nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung verstoßen, ist unbegründet. Die Annahme, die Parteien
hätten in § 2 Nr. 2b nur den Fall regeln wollen, dass die Pflegeverpflichtung aus in der Person der Beklagten liegenden Gründen
nicht mehr erbracht werden könne, lässt nicht erkennen, dass das Interesse des Übergebers, im Alter umfassend versorgt zu
sein, bei der Auslegung unzureichend berücksichtigt worden ist. Zusammen mit den übrigen von den Beklagten übernommenen Verpflichtungen
stellt die Klausel die häusliche Versorgung des Übergebers gerade sicher. Dafür, dass die Parteien mit der Klausel auch die
Absicherung des Übergebers nach einem Umzug in ein Heim regeln wollten, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Der Wortlaut der Klausel
spricht gegen eine solche Absicht. Die Verpflichtung der Beklagten, auf ihre Kosten für eine "Hilfskraft zu sorgen", ergibt
im Fall eines Heimaufenthalts keinen Sinn, da Heime die für sie tätigen Hilfskräfte selbst auswählen und bezahlen.
2. Das Berufungsgericht nimmt zutreffend an, dass sich der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auch nicht aus einer ergänzenden
Auslegung des 1982 geschlossenen Übergabevertrages ergibt.
a) Allerdings ist eine ergänzende Vertragsauslegung geboten, wenn die Beteiligten eines Übergabevertrages bei dessen Abschluss
davon ausgegangen sind, der Übergeber könne im Alter zu Hause gepflegt werden, und deshalb keine Regelung für den Fall seines
Umzugs in ein Senioren- oder Pflegeheim getroffen haben (vgl. Senat, Beschl. v. 21. November 2002, V ZB 40/02, NJW 2003, 1126, 1127; Beschl. v. 23. Januar 2003, V ZB 48/02, NJW-RR 2003, 577, 578; Urt. v. 9. Januar 2009, V ZR 168/07, NJW 2009, 1348 [für ein Wohnrecht] sowie Krüger, ZNotP 2010, 2).
b) Eine solche Regelungslücke ist unter Berücksichtigung der von den Parteien eingegangenen Bindungen zu schließen. Sollen
die Verpflichtungen des Übernehmers, wie hier, zu der Alterssicherung des Übergebers beitragen oder diese umfassend gewährleisten,
entspricht es dessen Absicherungsinteresse, dass ihm im Umfang der ersparten Aufwendungen ein Anspruch auf Beteiligung an
den Pflegekosten zusteht, wenn er in einem Maße pflegebedürftig wird, dass er professionelle Pflege braucht und der Übernehmer
seine Pflegeverpflichtung deshalb nicht mehr selbst erfüllen kann (vgl. Senat, Beschl. v. 21. November 2002, V ZB 40/02, NJW 2003, 1126, 1127).
Der Umfang der ersparten Aufwendungen richtet sich nach dem Inhalt der ursprünglichen Verpflichtung zu Wart und Pflege (Senat,
aaO.). An die Stelle nicht mehr zu erbringender Sachleistungen treten Zahlungsverpflichtungen, die den Wert der ersparten
Aufwendungen für diese Leistungen abschöpfen (Senat, Beschl. v. 23. Januar 2003, V ZB 48/02, NJW-RR 2003, 577, 578). Hinsichtlich vereinbarter Pflege- und sonstiger Dienstleistungen (z.B. Reinigung von Wohnung und Bekleidung, Zubereitung
von Mahlzeiten) ist zu differenzieren:
Sind die Vertragsparteien bei Abschluss des Übergabevertrages übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Übernehmer hierfür
eine Hilfskraft engagiert und bezahlt, zählt das Entgelt für die Hilfskraft zu den infolge des Heimaufenthalts ersparten Aufwendungen.
Dagegen tritt an die Stelle von Pflege- und Dienstleistungen, die nach der Vorstellung der Vertragsparteien von dem Übernehmer
oder dessen Familienangehörigen persönlich erbracht werden sollten, kein Zahlungsanspruch des Übergebers. Andernfalls führte
die ergänzende Vertragsauslegung zu einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsgegenstandes. Der Übernehmer verpflichtet sich
zu der Pflege und Betreuung des Übergebers meist in der Annahme, die geschuldeten Dienste selbst oder durch Familienangehörige,
also ohne finanziellen Aufwand, erbringen zu können. Es entspricht deshalb in aller Regel nicht dem - für die ergänzende Vertragsauslegung
maßgeblichen - hypothetischen Parteiwillen, dass Geldzahlungen an die Stelle der versprochenen Dienste treten, wenn diese
aus Gründen, die der Übernehmer nicht zu vertreten hat, nicht mehr erbracht werden können. Müsste der Übernehmer den aufgrund
des Heimaufenthalts des Übergebers entstandenen (Frei-)Zeitgewinn in Geld ausgleichen, wäre jedoch genau dies die Folge.
Abweichendes ergibt sich, anders als die Revision unter Hinweis auf Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf (RNotZ
2005, 485 sowie Urt. v. 5. April 2004, I-9 U 180/03, juris Rdn. 46 ff.) meint, nicht aus der Entscheidung des Senats vom 21. November 2002 (V ZB 40/02, NJW 2003, 1126). Die darin enthaltenen Erwägungen zu dem Umfang der von der Übernehmerin geschuldeten Pflegeleistungen dienten nicht dazu,
die infolge des Heimaufenthalts der Übergeberin ersparte Zeit für Pflegeleistungen zu konkretisieren. Sie sollten vielmehr
verdeutlichen, dass die Übernehmerin keine Vollzeitpflege schuldete und deshalb auch dann keine professionellen Pflegekräfte
hätte engagieren und bezahlen müssen (woraus sich dann ersparte Aufwendungen ergeben hätten), wenn deren Inanspruchnahme für
eine ordnungsgemäße häusliche Pflege der Übergeberin im Laufe der Zeit unumgänglich geworden wäre.
c) Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze ist das Berufungsgericht für den hier zu beurteilenden Sachverhalt rechtsfehlerfrei
zu einer ergänzenden Auslegung des Übergabevertrages gelangt, nach der dem Vater des Beklagten zu 1 kein Geldausgleich für
die ihm versprochenen, infolge seines Heimaufenthalts aber nicht mehr möglichen Pflege- und Dienstleistungen seitens der Beklagten
zusteht.
Etwas anderes käme zwar in Betracht, wenn die Beklagten aus in ihrer Person liegenden Gründen heute nicht mehr in der Lage
wären, die geschuldeten Leistungen selbst zu erbringen und deshalb - lebte der Übergeber noch in ihrem Haus - nach § 2 Nr.
2b des Übergabevertrages verpflichtet wären, auf ihre Kosten eine Hilfskraft zu besorgen; denn in diesem Fall hätten die Beklagten
infolge des Heimaufenthalts des Übergebers finanzielle Aufwendungen erspart. Dass es sich so verhält, macht der Kläger indes
nicht geltend. Auf ersparte Aufwendungen für Sachleistungen ist die Klage nicht gestützt worden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
97 Abs.
1 ZPO.