Vorläufige Gewährung von häuslicher Krankenpflege in Form der Medikamentengabe
Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege in Einrichtungen der Eingliederungshilfe
Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe
1. Einrichtungen der Eingliederungshilfe sind nur insoweit zur Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege verpflichtet,
als sie dazu aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung auch in der Lage sind.
2. Dazu ist eine Einzelfallprüfung erforderlich, ob die Einrichtung die fragliche Leistung nach ihrem Aufgabenprofil, ihrer
Ausrichtung auf eine bestimmte Bewohnerklientel und insbesondere aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung selbst
zu erbringen hat.
3. Nur wenn eine Einrichtung nach ihrer sächlichen und personellen Ausstattung Leistungen der Eingliederungshilfe ohnehin
vorzuhalten hat, die Gewährung der Eingliederungshilfe deutlich im Vordergrund steht und die Leistungen der Behandlungspflege
untrennbarer Bestandteil der Eingliederungshilfe sind, wird dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe Genüge getan.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin hat vor dem Sozialgericht Berlin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt, die Antragsgegnerin
zur Gewährung von häuslicher Krankenpflege in Form der Medikamentengabe zu verpflichten. Das Sozialgericht Berlin hat das
mit Beschluss vom 27. Oktober 2016 abgelehnt. Die Antragstellerin lebe im ambulant betreuten Wohnen, was nach der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege ausschließe, sofern die Versicherten bereits einen Anspruch auf die begehrte
Maßnahme gegen die Einrichtung bzw. den Betreuungsdienst hätten (Hinweis auf BSG v. 25. Februar 2015 - B 3 KR 10/14 R). Dabei komme es nicht darauf an, ob Wohnen und Betreuen "aus einer Hand" zur Verfügung gestellt werden. Die Beigeladene
zu 1) sei im Rahmen der Eingliederungshilfe vertraglich zur Erbringung der erforderlichen Leistungen im Rahmen der Medikamentengabe
verpflichtet. Aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung könne sie die erforderlichen Unterstützungs- und Überwachungsleistungen
auch erbringen.
Gegen den ihr am 2. November 2016 zugestellten Beschluss richtet sich die am 7. November 2016 bei dem Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg eingegangene Beschwerde der Beigeladenen zu 1). II.
Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1) gegen den Beschluss des Sozialgerichts ist gemäß §§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig, aber nicht begründet. Mit Recht hat das Sozialgericht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen
Anordnung zur Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu verpflichten. Gemäß §
86b Abs.
2 S. 2
SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Entscheidungen
dürfen dabei grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der
Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare
Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte an den Erfolgsaussichten
nur orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung
der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so hat es anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Nach diesen
Maßstäben hat das Sozialgericht eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zu Recht abgelehnt.
Ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege kann sich nur aus §
37 Abs.
2 S. 1
SGB V ergeben. Bei der (verordneten) Herrichtung und Verabreichung von Medikamenten liegt eine Erscheinungsform der (einfachen)
Behandlungspflege vor. Nach der Rechtsprechung des BSG sind betreute Wohnformen nur dann "geeignete Orte" im Sinne des §
37 Abs.
2 S. 1
SGB V für die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege durch die gesetzliche Krankenversicherung, wenn der Versicherte
während seines Aufenthalts dort nicht bereits einen Anspruch auf Erbringung von Krankenpflegeleistungen gegen die Einrichtung
hat (BSG, Urt. v. 25. Februar 2015 - B 3 KR 11/14 R - Rdnr. 13, -B 3 KR 10/14 R- Rdnr. 12 und v. 22. April 2015 - B 3 KR 16/14 R - Rdnr. 17). Auch zählt das BSG zu den "betreuten Wohnformen" in §
37 Abs.
2 S. 1
SGB V ausdrücklich nicht nur stationäre Einrichtungen, sondern auch Formen der Versorgung, in der nur ambulante Leistungen erbracht
werden (vgl. nur BSG v. 25. Februar 2015 - B 3 KR 11/14 R - Rdnr. 19). Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1) kommt es deswegen nicht darauf an, ob die Betreuung von einem
Leistungserbringer zur Verfügung gestellt wird, der auch als Vermieter des Wohnraums auftritt. Denn nach der eben zitierten
Rechtsprechung des BSG soll gerade nicht entscheidend sein, ob die tatsächlich gegebene Unterbringung und Betreuung weitgehende Ähnlichkeit mit
stationären Versorgungsformen hat, sondern welchen Inhalt die von der Betreuungseinrichtung zu erbringende Leistung hat. Die
Beigeladene zu 1) ist im Sinne der Rechtsprechung des BSG als Betreuungseinrichtung einzuordnen. Sie bietet nach ihrer Selbstdarstellung betreutes Wohnen an, ohne dass es ihr dabei
darauf ankommt, ob sie selbst auch als Vermieter auftritt. Sie ist von dem Beigeladenen zu 2) im Rahmen der Eingliederungshilfe
als Einrichtung beauftragt worden, die das betreute Einzelwohnen für die Antragstellerin durchzuführen hat.
Entscheidend ist deswegen allein, ob die Medikamentengabe der Art und dem Umfang nach zu den im Rahmen des betreuten Einzelwohnens
von der Beigeladenen zu 1) zu erbringenden Leistungen gehört. Indessen hält das BSG die Einrichtungen der Eingliederungshilfe nur insoweit entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zur Erbringung von Leistungen
der Behandlungspflege verpflichtet, als sie dazu aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung auch in der Lage sind
(BSG v. 25. Februar 2015 - B 3 KR 11/14 R - Rdnr. 22). Deswegen ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob die Einrichtung die fragliche Leistung nach ihrem Aufgabenprofil,
ihrer Ausrichtung auf eine bestimmte Bewohnerklientel und insbesondere aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung
selbst zu erbringen hat. Der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) wird nämlich nur dann nicht verletzt, wenn eine Einrichtung nach ihrer sächlichen und personellen Ausstattung Leistungen
der Eingliederungshilfe ohnehin vorzuhalten hat, die Gewährung der Eingliederungshilfe deutlich im Vordergrund steht und die
Leistungen der Behandlungspflege untrennbarer Bestandteil der Eingliederungshilfe sind (BSG, a. a. O. Rdnr. 28).
Für den engen Bezug der Medikamentengabe zur Eingliederungshilfe spricht hier, dass die in Frage stehenden Leistungen (Herrichtung
und Überwachung von Medikamenten) ihrem Inhalt nach einer allgemeinen Betreuungsleistung gleichstehen und keinerlei besondere
medizinische Kenntnisse verlangen. Im Übrigen ergibt sich aus dem von der Beigeladen zu 1) gefertigten Auswertungsraster zur
Ermittlung des Hilfebedarfs in der individuellen Lebensgestaltung, dass sie die Sicherstellung der Medikamenteneinnahme selbst
zu den Verrichtungen zählt, für welche gegebenenfalls von ihr zu erbringende Unterstützungsleistungen erforderlich sind (a.a.o.
unter Ziff. 7.1.). Es sind auch keine besonderen Gründe ersichtlich, die einem Einsatz der eigenen Kräfte der Beigeladenen
zu 1) bei der Medikamentengabe entgegenstehen würden. Was den zeitlichen Umfang der von dem Beigeladenen zu 2) bewilligten
Leistungen angeht, hat das Sozialgericht nach Auffassung des Senat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Medikamentengabe
Teil des von der Beigeladenen zu 1) ermittelten Bedarfs an Leistungen im Bereich der Gesundheitsförderung und -erhaltung im
Umfang von 45 Minuten wöchentlich sein kann. Soweit die Beigeladene zu 1) geltend macht, dass der Beigeladene zu 2) nunmehr
den zeitlichen Umfang der bewilligten Hilfeleistungen gekürzt habe, ergibt sich daraus noch nicht, dass gerade der Bereich
der Gesundheitsförderung von der Kürzung betroffen ist. Die Antragstellerin hat im Übrigen die Möglichkeit, gegen die Kürzung
Rechtsbehelfe zu ergreifen. Jedenfalls ist bisher noch nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass der Antragstellerin
gegenwärtig die Einstellung der Behandlungspflegeleistungen droht und dass dies zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen
führen könnte.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
197a Abs.
1 S. 1
SGG in Verbindung mit §§ 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Bundessozialgericht nicht gegeben (§
177 SGG).