Vermietung von Gewerberäumen an Schilderpräger im Gebäude der Kfz-Zulassungsstelle; Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt
Tatbestand:
Der beklagte Landkreis unterhält in den Räumlichkeiten des Landratsamts in D. eine Kfz-Zulassungsstelle. Auf deren Gelände
führte der Kläger bis Ende 2004 einen mobilen Schilderprägebetrieb. Außerdem hatte der Beklagte einem Mitbewerber des Klägers
Räumlichkeiten im Gebäude der Zulassungsstelle überlassen. Nachdem diese Mietverhältnisse ausgelaufen waren, vermietete der
Landkreis zum 1. Januar 2005 die im Gebäude der Zulassungsstelle gelegenen Räume ohne vorherige Ausschreibung für fünf Jahre
an eine gemeinnützige Einrichtung, das Behindertenzentrum D., das dort ein Schilderprägegeschäft betreibt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen,
eine Neuvermietung der derzeit an das Behindertenzentrum ... zum Zwecke des Betriebs einer Schilderprägewerkstatt vermieteten
Räumlichkeiten im Gebäude des Landratsamts ... D. ohne vorherige Ausschreibung unter Einschluss der gewerblichen Schilderpräger
vorzunehmen.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben (OLG Dresden Rechtsdienst der
Lebenshilfe 2006, 174).
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat eine Diskriminierung oder unbillige Behinderung des Klägers nach § 20 Abs. 1 GWB verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Zwar verfüge der Beklagte auf dem Markt für die Vermietung von Gewerbeflächen, die sich für einen Schilderprägebetrieb eigneten,
über eine marktbeherrschende Stellung. Mit der Vermietung der Räumlichkeiten habe er auch einen Geschäftsverkehr eröffnet,
der Schilderprägebetrieben zugänglich sei. Der Kläger werde aber durch die (Weiter-)Vermietung der Räume an den derzeitigen
Mieter nicht unbillig behindert. Der Verzicht auf eine Ausschreibung sei nicht unbillig, weil der Beklagte auf diese Weise
die Integration der in einer anerkannten Werkstatt tätigen behinderten Menschen fördern wolle. Der Beklagte sei berechtigt,
die in Rede stehenden Räume unter Ausschluss gewerblicher Interessenten an den Träger einer anerkannten Werkstatt für behinderte
Menschen zu vermieten. Weil mit der Vermietung von Räumen kein Auftrag vergeben werde und keine Leistungen erbracht würden,
ergebe sich dies zwar nicht unmittelbar aus §
141 SGB IX (wonach Aufträge der öffentlichen Hand, die von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen ausgeführt werden können,
bevorzugt diesen Werkstätten angeboten werden). Im Rahmen der kartellrechtlichen Würdigung seien aber das Sozialstaatsprinzip
sowie die in §
141 SGB IX getroffenen normativen Wertentscheidungen zu berücksichtigen. Durch die Vermietung der Räume an das Behindertenzentrum würden
die dort tätigen Menschen in den Arbeitsprozess eingegliedert; ihre soziale Integration werde gefördert. Dem Kläger bleibe
es auf der anderen Seite im Kern unbenommen, seine Geschäftstätigkeit an einem anderen Standort auszuüben. Außerdem habe er
Anspruch darauf, dass an geeigneter Stelle im Gebäude der Zulassungsstelle auf sein Angebot hingewiesen werde. Durch den Umstand,
dass es der Beklagte unterlassen habe, zumindest eine auf soziale Einrichtungen oder anerkannte Werkstätten für Behinderte
beschränkte Ausschreibung durchzuführen, werde der Kläger nicht behindert, weil er sich an einer solchen Ausschreibung nicht
beteiligen dürfe.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht in dem
beanstandeten Verhalten des beklagten Landkreises keinen Verstoß gegen das kartellrechtliche Behinderungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB gesehen und dementsprechend einen Unterlassungsanspruch des Klägers aus § 33 GWB verneint.
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der beklagte Landkreis als Eigentümer der Räumlichkeiten innerhalb
des Landratsamtes über eine überragende Stellung auf dem Markt für Gewerbeflächen verfügt, die sich wegen der Nähe zur Zulassungsstelle
für Kraftfahrzeuge besonders als Standort für Schilderprägebetriebe eignen. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats
(BGH, Urt. v. 7.11.2006 - KZR 2/06, WuW/E DE-R 1951 Tz. 11 - Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt, m.w.N.).
2. Da der Beklagte Räumlichkeiten an ein anderes Unternehmen vermietet hat, handelt es sich auch um einen Geschäftsverkehr,
der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist. Der Umstand, dass die Räumlichkeiten an ein Unternehmen vermietet
wurden, das - anders als der Kläger - schwer zu vermittelnde Personen beschäftigt, vermag an der Gleichartigkeit nichts zu
ändern (vgl. BGH WuW/E DE-R 1951 Tz. 12 - Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt).
3. In der Nichtberücksichtigung des Klägers bei der Vermietung ohne Ausschreibung liegt eine objektive Behinderung i.S. des
§ 20 Abs. 1 GWB. Das beanstandete Verhalten des Beklagten wirkt sich objektiv nachteilig auf die Wettbewerbsmöglichkeiten des Klägers aus,
wenn er keine Chance erhält, im Rahmen einer Ausschreibung als Mieter der im Gebäude der Zulassungsstelle gelegenen Räumlichkeiten
ausgewählt zu werden (vgl. BGH WuW/E DE-R 1951 Tz. 13 - Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt).
4. Mit Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht die Behinderung des Klägers im Rahmen der umfassenden
Interessenabwägung nicht als unbillig angesehen hat.
a) Wie der Senat inzwischen entschieden hat, ist es einer Gemeinde oder einer anderen eine Kfz-Zulassungsstelle betreibenden
Gebietskörperschaft, die im selben Gebäude Räume an einen Schilderpräger vermieten möchte, grundsätzlich unbenommen, bei der
Auswahl des Schilderprägers auch Belange des Gemeinwohls zu berücksichtigen und Nachfrager zu bevorzugen, die in der zu betreibenden
Schilderprägestelle in erster Linie schwer zu vermittelnde Personen beschäftigen wollen (BGH WuW/E DE-R 1951 Tz. 15 - Bevorzugung
einer Behindertenwerkstatt). Es ist weder der öffentlichen Hand als Normadressatin des § 20 Abs. 1 GWB noch einem anderen marktbeherrschenden Unternehmen grundsätzlich verwehrt, sich bei der Auswahl mehrerer Bewerber unter Beachtung
des Transparenzgebots auch von Gemeinwohlbelangen leiten zu lassen (vgl. zur Interessenabwägung bei § 20 Abs. 4 GWB BGHZ 151, 274, 280 f., 283 - Fernwärme für Börnsen). So kann es auch einem Landkreis nicht untersagt werden, bei der Vermietung von Gewerbeflächen
für einen Schilderprägebetrieb durch Auswahl eines bestimmten Mieters einen Beitrag zur Eingliederung schwer zu vermittelnder
Personen in den Arbeitsprozess zu leisten.
Diese Gemeinwohlbelange dürfen aber - wie der Senat entschieden hat - nicht mit einem Mittel verfolgt werden, das mit der
auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes nicht vereinbar ist (BGH WuW/E DE-R 1951 Tz. 16 - Bevorzugung
einer Behindertenwerkstatt). Der Zielsetzung des Gesetzes widerspricht es, wenn die Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen
dazu führen würde, dass der Wettbewerb um die zu vermietenden Gewerbeflächen vollständig und der Wettbewerb auf dem nachgelagerten
Schilderprägermarkt weitgehend ausgeschlossen wäre. Die dem Gemeinwohl geschuldeten Voraussetzungen, die ein Mieter der fraglichen
Gewerbeflächen erfüllen soll, müssen daher grundsätzlich auch von anderen Interessenten erfüllbar sein und im Rahmen einer
Ausschreibung offengelegt werden. Beispielsweise wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn der Beklagte bereits in der Ausschreibung
darauf hinweisen würde, dass er Interessenten in einem im Einzelnen darzulegenden Umfang bevorzugt, die sich verpflichten,
in dem Schilderprägebetrieb verstärkt behinderte Menschen zu beschäftigen.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann sich der Beklagte zur Rechtfertigung seines Verhaltens auch nicht auf
die gesetzliche Bestimmung des §
141 Satz 1
SGB IX berufen, wonach Aufträge der öffentlichen Hand, die von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen ausgeführt werden
können, bevorzugt diesen Werkstätten angeboten werden.
aa) Eine unmittelbare Anwendung des §
141 Satz 1
SGB IX kommt - wie auch das Berufungsgericht erkannt hat - nicht in Betracht, weil es sich bei der Vermietung der Gewerbeflächen
nicht um einen Auftrag handelt. Der jetzige Mieter erbringt für den Beklagten keine Leistungen; ihm wird vielmehr durch die
Vermietung die Möglichkeit eröffnet, seinerseits auf dem Markt der Schilderpräger Leistungen zu erbringen.
bb) Der Bestimmung des §
141 Satz 1
SGB IX kann aber auch keine allgemeine normative Wertentscheidung entnommen werden, deren Berücksichtigung es, wenn nicht als geboten,
so doch als gerechtfertigt erscheinen ließe, Gewerbeflächen der hier in Rede stehenden Art ohne Prüfung der damit verbundenen
Mindereinnahmen an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen zu vermieten.
(1) Die Anwendung des §
141 Satz 1
SGB IX führt nicht dazu, dass die bei der Vergabe öffentlicher Aufträge an sich zu berücksichtigenden Grundsätze der sparsamen und
rationellen Verwendung öffentlicher Mittel vollständig in den Hintergrund träten (vgl. Pahlen in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen,
Sozialgesetzbuch IX, 11. Aufl., §
141 Rdn. 6). Die öffentliche Hand ist aufgrund der Bestimmung des §
141 Satz 1
SGB IX nicht genötigt, eine anerkannte Werkstatt auch dann zu bevorzugen, wenn sie einen deutlich höheren Preis verlangt als ein
Unternehmen, das diese Anerkennung nicht besitzt. So sieht beispielsweise § 3 Nr. 4 der vom Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie erlassenen Richtlinien für die Berücksichtigung von Werkstätten für Behinderte und Blindenwerkstätten bei
der Vergabe öffentlicher Aufträge vom 10. Mai 2001 (BAnz. 2001, 11773), die nach §
159 Abs.
4 SGB IX bis zum Erlass von allgemeinen Verwaltungsrichtlinien nach §
141 Satz 2
SGB IX weiter anzuwenden sind, vor, dass anerkannten Werkstätten für Behinderte und Blindenwerkstätten immer dann der Zuschlag zu
erteilen ist, wenn ihr Angebotspreis den des wirtschaftlichsten Bieters um nicht mehr als 15 vom Hundert übersteigt. Diese
Grundsätze sind mit den in den Ländern erlassenen Richtlinien im Wesentlichen identisch (vgl. Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß,
SGB IX, 2. Aufl., §
141 Rdn. 7).
Die Anwendung des §
141 Satz 1
SGB IX macht daher - wie der Senat bereits im Urteil "Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt" entschieden hat (BGH WuW/E DE-R 1951
Tz. 21) - eine Ausschreibung nicht überflüssig. Denn erst anhand des günstigsten Angebots lässt sich ermitteln, ob einer anerkannten
Werkstätte für behinderte Menschen der Vorzug zu geben ist. Den Wettbewerbern verbleibt unter diesen Umständen die Möglichkeit,
die Vergabeentscheidung durch günstige Angebote zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
(2) Gegen eine generelle, über den Ausgleich struktureller Nachteile hinausgehende Bevorzugung anerkannter Werkstätten für
Behinderte spricht darüber hinaus folgende Erwägung: §
141 Satz 1
SGB IX betrifft nur die Aufträge der öffentlichen Hand und reguliert damit nur einen kleinen Ausschnitt des jeweiligen relevanten
Marktes. Dagegen würde die Vermietung der in Zulassungsstellen gelegenen Gewerbeflächen ausschließlich an Schilderprägebetriebe,
die als Werkstätten für behinderte Menschen anerkannt sind, andere Unternehmen, die diese Anerkennung nicht aufweisen können,
erheblich beeinträchtigen. Sie könnten ihre Waren und Leistungen nur auf Gewerbeflächen anbieten, die in der Nachbarschaft
der Zulassungsstellen liegen, und hätten damit gegenüber den anerkannten Werkstätten einen - je nach den örtlichen Verhältnissen
- nur schwer oder gar nicht auszugleichenden Nachteil. Damit wäre der Wettbewerb auf dem Markt der Schilderpräger erheblich
eingeschränkt.
III. Das Berufungsurteil kann danach ebenso wie das Urteil erster Instanz keinen Bestand haben. Auf der Grundlage der getroffenen
Feststellungen ist dem Senat eine abschließende Entscheidung in der Sache möglich. Der Beklagte muss anlässlich einer Neuvermietung
der in Rede stehenden Räumlichkeiten eine Ausschreibung durchführen, in der er unter Beachtung des Transparenzgebots entweder
die Förderung behinderter Menschen als Teilnahmebedingung vorsieht oder darauf hinweist, dass er bei Auswahl des Mieters eine
solche Förderung berücksichtigen oder anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen bevorzugen werde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
91 Abs.
1 ZPO.