Sozialhilferecht: Grenden des Anwendungsbereichs des § 18 Abs. 2 BSHG
Tatbestand:
Mit Bescheid vom 5. Februar 1990 forderte die im Auftrage des Beklagten handelnde Samtgemeinde die im Jahre 1951 geborene
Klägerin, die drei Kinder betreut, auf, sich mit einem Unternehmen "in Verbindung zu setzen, um die Möglichkeit wahrzunehmen,
... (dort) eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen" (In dem Bescheid vom 5. Februar 1990 nahm die Samtgemeinde zugleich einen inhaltsgleichen
Bescheid vom 3. Januar 1990 zurück). Den Widerspruch, den die Klägerin damit begründete, die Arbeit sei ihr wegen der Höhe
des Entgeltes und wegen ihres Gesundheitszustandes nicht zuzumuten, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. März
1990 zurück.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 3. Dezember 1990 abgewiesen. Es hat ausgeführt: § 18 Abs. 2 Satz 1 BSHG enthalte eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage, einen Hilfeempfänger aufzufordern, sich mit einem Arbeitgeber in Verbindung
zu setzen; eine solche Aufforderung sei als Verwaltungsakt einzuordnen. Dieser sei rechtmäßig, weil es der Klägerin zuzumuten
sei, halbtägig zu arbeiten, weil dies ihre Gesundheit erlaube und ihre Kinder nicht mehr darauf angewiesen seien, von ihr
ganztägig betreut zu werden.
Mit ihrer Berufung macht die Klägerin geltend, es sei ihr nicht zuzumuten zu arbeiten; auch fehle für die Aufforderung eine
Rechtsgrundlage.
Sie beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und den Bescheid der Samtgemeinde vom 5. Februar 1990, soweit sie darin aufgefordert
worden ist, sich mit einem Arbeitgeber in Verbindung zu setzen, sowie den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 29. März
1990 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichtes.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist begründet.
Für die Aufforderung, die von der Samtgemeinde Rosche als ein Verwaltungsakt bezeichnet worden ist, fehlt es an einer Rechtsgrundlage.
Es ist in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (vgl. Redeker/v.Oertzen,
VwGO, 10. Aufl., Rdnr. 13 zu §
42 m.w.N.) geklärt, daß eine Maßnahme einer Behörde auch dann rechtswidrig und auf die Anfechtungsklage (§
113 Abs.
1 Satz 1
VwGO) von dem Verwaltungsgericht aufzuheben ist, wenn die behördliche Maßnahme in die Form eines Verwaltungsaktes gekleidet ist,
obwohl für diese Form eine Rechtsgrundlage fehlt.
Im Bundessozialhilfegesetz fehlt eine Ermächtigung für eine in die Gestalt eines Verwaltungsaktes gekleidete Aufforderung, ein Hilfeempfänger solle
sich mit einem Arbeitgeber "in Verbindung setzen, um die Möglichkeit wahrzunehmen, in dessen Betrieb eine Erwerbstätigkeit
aufzunehmen". Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes bietet insbesondere § 18 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BSHG eine solche Grundlage nicht. Dort ist nur gesagt, der Träger der Sozialhilfe solle darauf hinwirken, daß der Hilfesuchende
sich um Arbeit bemüht und Gelegenheit zur Arbeit erhält. Schon nach ihrem Wortlaut bietet diese Vorschrift nicht die Handhabe,
einen Hilfesuchenden mittels eines Bescheides anzuhalten, sich um Arbeit zu bemühen. Mit dieser Vorschrift ist nämlich nicht
eine Pflicht des Hilfesuchenden beschrieben, sondern eine des Trägers der Sozialhilfe. Es kann auf sich beruhen, ob aus der
Vorschrift zu entnehmen ist, der Träger der Sozialhilfe habe die Pflicht, den Selbsthilfewillen des Hilfesuchenden mit allen
rechtlich zulässigen Mitteln zu aktivieren (Gottschick/Giese, BSHG, 9. Aufl., Rdnr. 3 zu § 18). Selbst wenn nämlich der Vorschrift eine Pflicht des Hilfesuchenden oder des Hilfeempfängers zu entnehmen wäre, wäre damit
nicht gesagt, daß der Träger der Sozialhilfe berechtigt ist, den Hilfesuchenden mittels eines Verwaltungsaktes dazu anzuhalten,
diese Pflicht zu erfüllen.
Über den Wortlaut hinaus läßt sich § 18 Abs. 2 BSHG auch nicht nach der Systematik des Bundessozialhilfegesetzes dahin verstehen, der Träger der Sozialhilfe dürfe einen Hilfesuchenden
oder Hilfeempfänger mittels Verwaltungsaktes dazu anhalten, sich mit einem Arbeitgeber in Verbindung zu setzen. § 18 BSHG drückt den in § 2 Abs. 1 BSHG festgehaltenen Grundsatz nochmals aus, wonach Sozialhilfe nicht erhält, "wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche
Hilfe von anderen ... erhält." Diesen Grundsatz nimmt das Bundessozialhilfegesetz wiederholt auf. So ist der nicht auf Hilfe angewiesen, der Einkommen oder Vermögen hat (§ 11 Abs. 1 BSHG). Derjenige, der um Hilfe zum Lebensunterhalt nachsucht und Einkommen aus Erwerbstätigkeit nicht erzielt, muß ständig darum
bemüht sein, seinen Lebensunterhalt durch eine solche Tätigkeit zu decken (§ 18 Abs. 1 BSHG). Allerdings gehen die §§ 18 ff BSHG über § 2 BSHG hinaus. Der Einsatz der eigenen Arbeitskraft wird nicht ebenso behandelt wie der Einsatz eigenen (anderweitigen) Einkommens
oder Vermögens. Vielmehr ist in den §§ 18 bis 20 BSHG vorgesehen, die "Hilfe zur Arbeit" als eine Art Hilfe in besonderen Lebenslagen zu regeln (BVerwG, Urt. v. 10. Febr. 1983,
BVerwGE 67, 1, 5), da nicht angenommen werden kann, jeder Hilfesuchende sei willens und in der Lage, dem Selbsthilfegebot ohne Unterstützung
durch den Sozialhilfeträger nachzukommen. So enthalten die §§ 18 bis 20 BSHG Hinweise und Maßnahmen, die das Selbsthilfestreben und das Selbsthilfegebot unterstützen sollen (vgl. Hamb. OVG, Beschluß
v. 29. Aug. 1990, FEVS 41, 417). Dem Hilfesuchenden ist Hilfe zur Arbeit zu gewähren. Verweigert der Hilfesuchende die Arbeit,
so kann der Träger der Sozialhilfe gemäß § 25 Abs. 1 oder nach § 25 Abs. 2 Nr. 3 BSHG die Hilfe kürzen und - nach § 25 Abs. 1 BSHG - schließlich ganz einstellen. Diese Vorschriften sind also nicht "bloßes Hilfsmittel", um den Nachrang der Sozialhilfe durchzusetzen
(BVerwG, aaO) - denn dann wären diese Regelungen neben § 2 Abs. 1 BSHG überflüssig -, sondern Grundlage, die Hilfe zur Arbeit zu unterstützen.
Vor diesem Hintergrund sind alle Maßnahmen, die den Hilfesuchenden (Hilfeempfänger) dazu anhalten, Arbeit aufzunehmen, nicht
als Verwaltungsakte einzuordnen. Der Träger der Sozialhilfe soll zwar auf den Hilfesuchenden einwirken, nicht aber mit Hilfe
von Verwaltungsakten gegen den Hilfesuchenden vorgehen. Anerkanntermaßen bietet § 2 Abs. 1 BSHG nicht die Grundlage, den Hilfesuchenden mittels eines Verwaltungsaktes aufzufordern, bestimmte Handlungen vorzunehmen, um
sich selbst zu helfen. So läge die Annahme fern, der Träger der Sozialhilfe sei berechtigt, den Hilfesuchenden mit einem Bescheid
aufzufordern, bei einem anderen Sozialleistungsträger einen Antrag zu stellen, damit dieser Leistungen erbringe. Ebenso ist
es nach dem Wortlaut des § 25 Abs. 2 BSHG ausgeschlossen, diese Vorschrift als Grundlage für den Erlaß von Verwaltungsakten anzusehen, die den Entzug der Hilfe vorbereiten
könnten. So spricht etwa § 25 Abs. 2 Nr. 2 BSHG von der "Belehrung" eines Hilfesuchenden. Damit ist ersichtlich nicht eine Maßnahme gemeint, wie sie § 31 SGB X beschreibt, wonach ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme ist, die auf unmittelbare
Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.
Auch die Vorschriften des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - sprechen gegen die Annahme, § 18 Abs. 2 BSHG biete eine Grundlage zum Erlaß von Verwaltungsakten. Der Senat (Urt. v. 10. Mai 1989 - 4 OVG A 123/87 -) hat die dem § 18 Abs. 2 BSHG rechtsähnliche Regelung des §
66 Abs.
3 SGB I mit dem Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 17. Jan. 1985, FEVS 33, 309) dahin verstanden, daß die dort bezeichnete Aufforderung
nicht eine Regelung im Sinne von § 31 SGB X sei, sondern eine solche nur vorbereite: Diese Vorschrift mache nämlich den Leistungsberechtigten nur auf seine gesetzlichen
Pflichten aufmerksam, konkretisiere sie und weise auf die Folgen hin, wenn er seinen Obliegenheiten nicht nachkomme. Auch
bestehe kein Anlaß, die Aufforderung als Verwaltungsakt einzuordnen, um den Rechtsschutz zu sichern. Der Leistungsberechtigte
erlange ausreichenden Rechtsschutz, wenn die Folgen seiner Weigerung nach Ablehnung der Hilfe geprüft würden. Schließlich
sei diese Auslegung auch aus Gründen der Praktikabilität geboten.
Auch das Bundessozialgericht geht in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 18. März 1986, BSGE 60, 50) zu der dem § 18 Abs. 2 BSHG ähnlichen Vorschrift des § 119 AFG davon aus, die dort erwähnte "Benennung eines Arbeitgebers" durch das Arbeitsamt sei kein Verwaltungsakt.
Vorschriften wie § 18 Abs. 2 BSHG, §
66 Abs.
3 SGB I und § 119 AFG würden ihren Zweck weitgehend verfehlen, wenn die dort genannten Aufforderungen als Verwaltungsakte einzuordnen wären. Es
müßte dann jeweils in einem - sich unter Umständen lange Zeit hinziehenden - Rechtsstreit geprüft werden, ob die Aufforderung
rechtmäßig ist. Damit wäre der Zweck solcher Hinweise oder Aufforderungen, in möglichst kurzer Zeit Klarheit zu schaffen,
vereitelt. Im übrigen gilt im Verwaltungsrecht die Regel, daß ein Hinweis im allgemeinen eine Regelung nicht darstellt und
damit nicht den Charakter eines Verwaltungsaktes hat.
Hinzu kommt noch folgende Überlegung: Nach allgemeiner Ansicht wäre es als ein "Übergriff" des Trägers der Sozialhilfe anzusehen,
wenn er es versuchte, einen Hilfesuchenden mittels Verwaltungsaktes zu verpflichten, sich bei dem Arbeitsamt arbeitsuchend
zu melden. Insoweit haben die Arbeitsämter und im Streitfall die Sozialgerichte das Arbeitsförderungsgesetz anzuwenden. Wollte man aber die Aufforderung, sich mit einem Arbeitgeber in Verbindung zu setzen, als Verwaltungsakt einordnen,
so müßte Entsprechendes auch für das Verlangen des Trägers der Sozialhilfe gelten, ein Hilfesuchender oder Hilfeempfänger
solle sich bei dem Arbeitsamt als Arbeitsuchender melden.
Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (Urt. v. 13. Okt. 1983, BVerwGE 68, 97), die Heranziehung zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit sei ein Verwaltungsakt, gibt für die Auslegung von § 18 Abs. 2 BSHG nichts her. Das Bundesverwaltungsgericht hat (wie der Senat, Beschluß v. 15. Okt. 1986 - 4 OVG B 61/86 -) die Heranziehung zur zusätzlichen und gemeinnützigen Arbeit als Verwaltungsakt eingeordnet, weil rechtsstaatliche Grundsätze
es geböten, daß sich der Hilfeempfänger wegen der mit der Heranziehung verbundenen Belastung bereits gegen die Heranziehung
wenden könne. Mit der Heranziehung wird dem Hilfesuchenden nämlich angesonnen, eine bestimmte Arbeit aufzunehmen, und dieses
Ansinnen erfordert es, daß die zu leistende Arbeit genau bezeichnet ist (auch für denjenigen verbindlich, der für die zu verrichtende
Arbeit verantwortlich ist), denn nur dann läßt sich im Rechtsbehelfsverfahren prüfen, ob die Arbeit zusätzlich und gemeinnützig
im Sinne von § 19 Abs. 2 Satz 1 BSHG und ob sie dem Hilfesuchenden zuzumuten ist. Auch müssen der zeitliche Umfang der zu leistenden Arbeit und ihre zeitliche
Verteilung sowie das Arbeitsentgelt oder die Entschädigung für Mehraufwendungen bestimmt sein.
Alle diese Gründe schließen es aus, eine Aufforderung nach § 18 Abs. 2 BSHG als Verwaltungsakt einzuordnen. Wenn der Hilfesuchende ein Arbeitsverhältnis mit einem privaten Arbeitgeber vereinbaren soll,
kann der Träger der Sozialhilfe nicht beeinflussen, wie die Umstände der Arbeit zu gestalten sind. Auch aus rechtsstaatlichen
Gründen ist es nicht geboten, eine solche Aufforderung als Verwaltungsakt einzuordnen. Vielmehr erlaubt § 18 Abs. 2 BSHG - allenfalls - den im Sozialleistungsrecht typischen Hinweis auf eigene Obliegenheiten und die Folgen, die eintreten, wenn
eine solche Obliegenheit nicht beachtet wird.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Wortlaut und systematische Stellung der Vorschrift die Annahme ausschließen, sie solle
eine Rechtsgrundlage zum Erlaß eines Verwaltungsaktes sein. Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten eine andere Auslegung nicht.
Wie bereits erwähnt, erlangt der Leistungsberechtigte ausreichenden Rechtsschutz, wenn die Folgen seiner Weigerung nach Ablehnung
der Hilfe geprüft werden. Der Träger der Sozialhilfe wiederum ist nicht darauf angewiesen, einen Hinweis in die Form eines
Verwaltungsaktes zu kleiden, um den Nachrang der Sozialhilfe durchsetzen zu können.